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Allgemeiner Anzeiger : 15.06.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-06-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191006154
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19100615
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19100615
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-06
- Tag 1910-06-15
-
Monat
1910-06
-
Jahr
1910
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 15.06.1910
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ver wechsel im Uolonialamt. Das Abschiedsgesuch des Staatssekretärs Dernburg ist setzt vom Kaiser genehmigt und der Unterstaatssekretär im Kolonialamt v. Linde« quist zum Nachfolger Dernburgs ernannt wor den. Die amtliche Bekanntmachung, durch die der Wechsel im Reichskolonialamt vollzogen wirb, hat folgenden Wortlaut: „Seine Majestät der Kaiser haben Allergnädigst geruht: dem Staats sekretär des Reichskolonialamts Wirklichen Ge heimen Rat Dernburg unter Verleihung der Brillanten zum Roten Adler-Orden erster Klasse die nachgesuchte Dienstentlassung zu erteilen und den Unterstaatssekretär im Neichskolonialamt v. Lindequist unter Verleihung des Charakters als Wirklicher Geheimer Rat mit dem Titel Exzellenz zum Staatssekretär des Reichskolonial amts zu ernennen und mit der Stellvertretung des Reichskanzlers im Geschäftskreise deS Reichs kolonialamts zu beauftragen/ Ein kaiserliches Handschreiben an Dernburg. Zugleich mit der Genehmigung des Ab schiedsgesuches ist dem aus seinem Amte scheiden den Staatssekretär des Reichskolonialamts Dernburg das nachstehende kaiserliche Hand schreiben zugegangen: „Da Sie zu Meinem Be dauern auf dem Wunsche bestanden haben, aus Ihrem Amte als Staatssekretär des Reichs kolonialamts entlassen zu werden, habe Ich Mich entschlossen, Ihnen durch Order vom heutigen Tage den erbetenen Abschied in Gnaden zu bewilligen. Ich spreche Ihnen hier bei Meine vollste Anerkennung für die hervorragenden Verdienste auS, die Sie sich in vierjähriger, an Erfolgen reicher Arbeit um die Entwickelung der deutschen Schutzgebiete erworben haben. Als Zeichen dieser Meiner Anerkennung habe Ich Ihnen die Brillanten zum Roten Adlerorden erster Klaffe verliehen und die GeneralordenSkommission beauftragt, Ihnen die Dekoration zugehen zu lassen. Ihr wohlgeneigter Kaiser und König Wilhelm I. R." - Die halbamtliche .Nordd. Allg. Ztg.' widmet dem zurücktretenden Staatssekretär folgende bemerkenswerte Ausführungen: „Wenn sich Dernburg nicht hat entschließen können, sein Amt noch weiter fortzuführen, so ist daS Bedauern darüber nicht am wenigsten lebhaft bei dem Reichskanzler, der in ihm einen tat kräftigen, unermüdlichen und sachverständigen Mitarbeiter auf einem Gebiete geschätzt hat, das doch wesentlich erst durch Dernburgs Tätigkeit zu einem verheißungsvollen Fruchtfeld geworden ist. Es heißt nur der ausgezeichneten Arbeit des scheidenden Staatssekretärs gerecht werden, wenn wir feststellen, daß er sich dabei in jeder Beziehung des vollsten Vertrauens beim Reichskanzler erfreuen konnte, und daß sich (entgegen dem in diesen Tagen aufgetauchten Gerücht) in keinem einzigen Falle eine sachliche oder persönliche Meinungsverschiedenheit zwischen ihnen eingestellt hat. Der Staatssekretär war daher auch in allen sein Ressort angehenden Fragen des Rückhalts bei dem Reichskanzler sicher. Dieser hat auch die erfolgreiche Art, wie Dernburg seinen letzten parlamentarischen Kampf durchgefochten hat, mit aufrichtiger Genugtuung begleitet. Bestätigen können wir freilich auch, daß die Rücktrittsabsichten Dern burgs nicht aus jüngster Zeit stammen. Der Staatssekretär hat sie bereits vor Jahresfrist dem damaligen Reichskanzler angekündigt und sie dann dem jetzigen Reichskanzler bei dessen Amtsantritt wiederholt/ — Der neue Staats sekretär des Kolonialamts, Exzellenz v. Lindequist ist am 3. September 1862 geboren, steht allo im 48. Lebensjahre. Er trat als Assessor 1892 in die Dienste des Auswärtigen Amts, arbeitete zunächst in der Kolonialabteilung und ging 1894 als rechtskundiger Hilfsarbeiter nach Windhuk, wo er 1895 zum Stellvertreter des Landes hauptmanns ernannt wurde. 'In dieser Stellung blieb er, seit 1897 als Regierungsrat, bis er 1800 mit der Verwaltung des deutschen Gene ralkonsulats in Kapstadt beauftragt wurde. Seine endgültige Ernennung zum General ¬ konsul erfolgte im Jahre 1902. 1904 wurde er nach Berlin berufen, um wegen der Übernahme der Verwaltung von Südwest afrika gehört zu werden. Im Sommer 1905 erfolgte sodann seine Ernennung zum Gouver neur von Südwestafrika. Im Sommer 1906 mußte Lindequist Südwestasrika mit Urlaub ver lassen, um daheim als sachverständiger Berater der Regierung im Reichstage zu wirken. Im Mai 1907 wurde er als Unterstaatssekretär in das damals neu begründete Kolonialamt be rufen. Von Juli bis Oktober 1907 übernahm Lindequist nochmals die Geschäfte des Gouver neurs für Südwestafrika und vertrat sodann während der Reise Dernburgs nach Ostafrika bis zum April 1908 diesen in der Leitung des Kolonialamts. Vie päpstliche Enzyklika vor dem preutz. Abgeordnetenhause. Die Erregung, die die vielbesprochene letzte Kundgebung Pius' X. gegen den Modernismus im protestantischen Deutschland hervorgerufen hat, fand im Preuß. Abgeordnetenhaus« ihren Widerhall. Es standen die Anfragen der Kon servativen, der Freikonservativen und der National liberalen zur Verhandlung. Nachdem Vertreter der drei Parteien die Anfragen, welche Stellung die Regierung zu der päpstlichen Kundgebung einnehmen, eingehend begründet hatten, nahm der Ministerpräsident v. Bethmann-Hollweg das Wort zu folgender Beantwortung der An fragen: „Die Enzyklika, die heute den Gegen stand der Anfrage bildet, enthält Urteile über die Reformation und die ihr zugetanen Fürsten und Völker, die unsre evangelische Bevölkerung sowohl in ihrer religiösen als auch in ihren staatlichen und sittlichen Empfindungen schwer verletzen. Die auch in ihrer Form verletzenden Urteile erklären die tiefgehende Erregung weiter Kreise des Volkes und schließen in ihrer Wir kung eine ernste Gefährdung des konfessionelle« Friedens in sich. Ich habe deshalb unmittelbar, nachdem mir der offizielle lateinische Wortlaut der Enzyklika zugegangen war, unsern Gesandten am Vatikan beauftragt, in amtlicher Form bei der päpstlichen Kurie Verwahrung einzulegen und der Erwartung Ausdruck zu geben, daß die Kuris Mittel und Wege finden werde, die geeignet wären, die aus der Veröffentlichung der Enzyklika sich ergebenden Schäden zu beseitigen. Diese Er wartung ist um so berechtigter, als die Kurie nach den im ,Osservatore Romano' veröffent lichten Mitteilungen „nicht im entferntesten die Absicht gehabt hat, die evangelischen Völker und ihre Fürsten zu kränken/ Der Gesandte hat seinen Auftrag ansgesührt, eine abschließende Antwort der Kurie ist noch nicht erfolgt, hat bei der Kürze der Zeit auch nicht erfolgen können. Bei diesem Stande der Angelegenheit muß ich mich jetzt weiterer Erklärungen enthalten. Es schien mir aber notwendig, die Anfrage schon heute zu beantworten, weil angesichts der Beunruhigung, die sich im ganzen Lande bemerkbar macht, das Verlangen berechtigt war, ohne Verzug über die Stellungnahme der Königlichen Staats regierung unterrichtet zu werden. Das hohe Haus wolle aus meiner Erklärung entnehmen, daß die Königliche Staatsregierung im all gemeinen staatlichen Interesse entschlossen ist, das Ihrige zu tun, um den konfessionellen Frieden im Lande zu wahren und zu schützen." Nach dieser Regierungserklärung bemerkte sowohl der Vertreter des Zentrums, als der der Polen, daß beide Fraktionen es ablehnen, über eine Kundgebung des Oberhauptes der katholischen Kirche, die kirchliche Angelegenheiten behandelt, im Abgeordnetenhaus ein Urteil abzugeben. Danach wurde ein von konservativer Seite ge stellter Schlußantrag angenommen. Politische Kunälckau. Deutschland. * Die endgültigen Bestimmungen für die Nordlandsreise Kaiser Wilhelms in diesenWJahre sind nunmehr getroffen worden. Der Monarch wird nach Beendigung der Kieler Woche Siw. Anfang Juli zur Nordlandfahrt aufbrechen und wird am 31. Juli zurückerwartet. * Bezüglich der ungünstigen Nachrichten, die in den letzten Tagen durch verschiedene Blätter über das Befinden des Königs von Württemberg verbreitet worden sind, wird jetzt amtlich erklärt, daß sich König Wilhelm durchaus wohl befinde und daß lediglich gering fügige Ernährungsstörungen, niemals aber An zeichen einer ernsten Erkrankung beobachtet worden sind. *Jn dem pommerschen Reichstagswahlkreise Usedom-Wollin fand am Donnerstag die durch den Tod deS bisherigen, der Freisinnigen Vereinigung angehörigen Abgeordneten Dr. Delbrück not wendig gewordene Ersatzwahl statt. Dabei wurden abgegeben für den konservativen Kan didaten v. Böhlendorf 6082, für Justizrat Serrendörfer (fortsch. Vp.) 4299, für den Sozialdemokraten Kunze 7787 Stimmen. Es ist daher Stichwahl zwischen Böhlendorff und Kunze erforderlich. Bei der Hauptwahl des Jahres 1907 erhielten v. Böhlendorff- Kölpin (kons.) 8156, der verunglückte Dr. Delbrück (freis. Vgg.) 6353, Kuntze (soz.) 6113 bei drei zersplitterten Stimmen. Bei der engeren Wahl entfielen von den 20 426 gültigen Stimmen auf v. Böhlendorff-Kölpin 9415, Dr. Delbrück 11011. Der Wahlkreis hat sich 1878, 1884, 1887, 1890 und 1903 für den konservativen Kandidaten, 1893 und 1898 für den der Frei sinnigen Vereinigung, im übrigen seit 1867 für den gemäßigten Liberalismus entschieden. — Bei der Ersatz-Stichwahl im schlesischen Reichs tagswahlkreise Jauer-Bolkenhain hat die Fortschrittliche Volkspartei ihr Mandat be hauptet. Nach dem Ergebnis der Stichwahl ist Büchtemann (Vp.) mit 9442 Stimmen gewählt. Broll (soz.) erhielt 7916 Stimmen. Im ersten Wahlgange am 1. Juni hatte Büchtemann rund 6415, Roll (soz.) 6475, Sttosser (kons.) 3875, Herschel (Zentr.) 3815 Stimmen erhalten. * Die Strafprozeßkommission be schloß unter Ablehnung einer Reihe von An trägen über den Verkehr zwischen Verteidiger und Angeschuldigten: Dem Beschuldigten ist, anch wenn er sich in Untersuchungshaft befindet, schriftlicher und mündlicher Verkehr mit dem Verteidiger gestattet. Liegen Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, daß der Beschuldigte den Verkehr mit dem Verteidiger mißbraucht, um durch Vernichtung von Spuren der Tat oder durch Beeinflussung von Zeugen oder Mit schuldigen die Ermittelung der Wahrheit zu er schweren, so kann der Richter anordnen, daß schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschul digten und dem Verteidiger, deren Einsicht ihm nicht ermöglicht wird, zurückgewiesen werden, und daß Unterredungen mit dem Verteidiger nur in seiner Gegenwart stattstnden. Spanien. * König Alfons hat einen Erlaß ge nehmigt, wonach künftig in ganz Spanien freie Religionsübung gestattet sein soll. Der Erlaß bezieht sich nicht nur auf die evangelische und jüdische Religion, sondern auch auf die mancherlei Sekten, die auch in andern Ländern anerkannt sind. Portugal. * Unkontrollierbare Gerüchte wissen von der Absicht des Königs Manuel von Portugal zu berichten, daß er zugunsten seines Oheims, Alfons v. Braganza, des Herzogs von Oporto, auf den Thron verzichten will. Die inneren Wirren und die schlechte Finanzlage sollen bei dem König den Entschluß zur Reife gebracht haben. Vielleicht steht seine Mutter der Absicht nicht fern, denn abermals ist eine Ver schwörung gegen das Königshaus entdeckt worden. Man wird es der vielgeprüften Frau, die am 1. Februar 1908 den Gatten und den ältesten Sohn durch Mörderhand verlor, nachfühlen, daß sie davor zittert, auch diesen Sohn fallen zu sehen, und ihn deshalb veranlaßt, auf das fragwürdige Glück, König in Portugal zu sein, zu verzichten. Balkanstaaten. * Der türkische Thronfolger Jussuf Izzedin, der dem Kaiier Franz JosepH in Wien einen Besuch abgestattet hat, ist setzt in Belgrad eingetroffen, wo er von dem König Peter und dem Thronfolger Alexander feierlich empfangen wurde. Man hofft in Bel grad sowohl wie in Konstantinopel, daß dieser Besuch dazu beitragen werde, die guten Be ziehungen zwischen beiden Ländern zu befestigen und vor allem die Schwierigkeiten zu beseitigen, die bisher den Abschluß eines Handels vertrages zwischen beiden Staaten verzögert haben. Amerika. * In New Jork bereitet man sich bereits auf den Empfang des am 18. d. M. von seiner Afrika- und Europafahrt heimkehren den Expräsidenten Rooseveltvor und zwischen Freunden und Gegnern des Vielgefeierten ist ein lebhafter Streit über die Art des Empfanges entbrannt. Während die einen dem Heim kehrenden einen glänzenden Triumphzug bereiten wollen, beabsichtigen die andern den Einzug so schlicht wie möglich zu gestalten, denn sie fürchten eine Beeinflussung der politischen Lage durch eine allzu rauschende Feier. Der Streit um die Art des Empfanges läßt schon einen Schluß auf den Wahlkampf zu, der entbrennen wird, wenn Roosevelt wieder für die Präsidentschaft kandidiert. Aber der Expräsident wird hier wie dort Sieger bleiben, das ist heute schon sicher. Der Meristeme? f^orä vor Gericht. In dem Prozeß gegen die Frau v. Schöne beck-Weber wegen Anstiftung zur Ermordung ihres Gatten schreitet die Beweisaufnahme nur langsam fort. Am vierten Verhandlunqstage wurde nach der Besichtigung des Mordhauses das Geständnis deS Hauptmanns v. Göben ver lesen, aus dem hervorgeht, daß die Angeklagte mit der Tat einverstanden war. Es fragt sich nun, ob darin im Sinne des Gesetzes eine Anstiiung erblickt werden wird. Frau v. Schönebeck-Weber bestreitet wieder, daß das Geständnis Göbens den Tat- fachen entspreche. Sie behauptet, daß sie die Drohungen Göbens nicht ernsthaft genommen habe, und daß sie auch nach der Tat nicht auf den Gedanken gekommen sei. Gäben habe ihren Mann erschossen. Sie habe vielmehr geglaubt, wie sie auch bei ihrer damaligen Vernehmung angegeben hat, daß Einbrecher die Tat verübt hätten. Nun hat Göben, dem der Gerichtsherr v. Scotti während der Untersuchung des Mord falles jede Zusammenkunft mit Frau v. Schöne beck verbot, damals Pr diese einen Brief ge richtet, der abgefangen worden ist und nach Ansicht der Staatsanwaltschaft die Schuld der Angeklagten beweist; denn Göben macht in diesem Briefe Mitteilung von seinen Aussagen und „bittet um Nachricht, falls er sich in einem Punkte ge irrt haben sollte." Auch angesichts dieses Briefes bestreitet die Angeklagte jedes Einverständnis mit dem Täter und bleibt dabei, daß sie von der Tat nichts gewnsit habe. Frau v. Schönebeck- Weber hat sich übrigens am Donnerstag in Begleitung ihres Gatten nach der Irrenanstalt Koriau begeben, wo Sanitätsrat Stolzenhoff sie nochmals auf ihren Geisteszustand untersuchte. War der vierte Verhandlungstag in körperlicher Beziehung für die Angeklagte ein ausgezeich neter, so war er, soweit das Ergebnis der Verhandlung in Betracht kommt, der schlimmste. Es herrscht allgemein die Ansicht, daß, wenn mit dieser Ver nehmung der Fall zu Ende wäre, das Ergebnis sicherlich eine Verurteilung sein würde. Hier und da spricht man sogar von der Absicht des Staatsanwalts, die neuerliche Verhaftung der Angeklagten zu beantragen, und es erscheint gar nicht ausgeschloffen, daß die Fahrt nach Kortau und diese Gerüchte in engem Zusammenhang stehen. Der Fernstehende kann schwer beur teilen, welche Folgen die neuerliche Untersuchung der Angeklagten haben wird. Jedenfalls ist sicher, daß die jetzt eingeleitete Verhandlung unter allen Umständen zu Ende geführt werden wird. R Eine schwergeprüfte frau. 9j Roman von M. de la Chapelle. «Fortsetzung.! O/o lachte ungeniert auf; als er jedoch die spöttischen Blicke der Vorübergehenden bemerkte, die zweifellos ihm gattens luchte er mit gewalt samer Anstrengung eine sestere Haltung zu ge winnen, was ihm nach einigen vergeblichen Be mühungen auch glücklich gelang. In der Nähe der Charlottenstraße ange- lanat, fiel sein Blick zufällig auf eine der großen Reklameuhren im Schaufenster eines Bijouterieladens. „Alle Wetter — gleich vier Uhr — sie wird doch nicht schon auf mich warten?" Er verdoppelte seine Schritte, um, in die Charlottenstraße einbiegend, an der nächsten Haltestelle die elektrische Straßenbahn zu be steigen. Während der Fahrt jah er wiederholt unge duldig auf die Uhr — er schien plötzlich große Eile zu haben — und als er an der Ecke der Kochstraße den Wagen verließ, lief er beinahe mehr als er ging, die Straße hinunter, bis er ziemlich am Ende derselben vor einer Konditorei halt machte. Er sandte einen forschenden Blick durch das Schaufenster — dann trat er schnell ein, ging jedoch, ohne sich aufzuhalten, durch das erste, wenig besetzte Zimmer in ein hinter demselben liegendes, bedeutend kleineres, das auch am Tage sein Licht. von einer lauschig zwischen Blattpflanzen hervorglimmenden elektrischen Birne erhielt. In der einen Ecke standen zierliche Plüsch sofas hinter ebenso zierlichen Tischen, und jede Ecke war wieder für sich mittels eines Blatt- pflanzen-Arrangements von der andern ab geteilt und somit auch vor unberufenen Blicken gesichert. Ein Blick überzeugte Otto, daß niemand an wesend söi — kaum hatte er sich jedoch seines Hutes und Paletots entledigt uud an einem der Tische Platz genommen, als die nach dem vorderen Zimmer führende Tür hastig ge öffnet wurde. „Hedwig — also doch — ich fürchtete schon, du würdest nicht kommen." Er ging der Eintretenden entgegen, die sich verlegen in dem Zimmer umsah. Otto, dies bemerkend, fuhr lachend fort: „Wir sind allein, brauchst dich nicht so ängstlich umzugucken. Und selbst, wenn noch jemand ' käme, so wäre dies doch ein ebensolches Pärchen wie wir. das möglichst unbeachtet sein will — andre Leute werden in diesen verschwiegenen Kosewinkel gar nicht hineingelassen/ Hedwig hatte unterdessen mit Hilfe OttoS ihr Jackett abgelegt, bei welcher Gelegenheit er ihr, bevor sie es wehren konnte, einen schnellen Kuß aufdrückte. „Aber Otto —" schmollte sie errötend, allein er faßte sie schäkernd um die Taille und zog sie in die Ecke zu dem Tischchen, an dem er vor hin gesessen. „Klein« spröde Prinzessin — nicht einmal einen unschuldigen Kuß will sie mir gestatten — ja, wie kann ich denn da glauben, daß du mich lieb hast?" „Dazu ist aber doch nicht nötig, daß du mich küßt." „Meinst du? Na, darüber scheinen unsre Ansichten auseinander zu gehen, Schatz. Nun aber vor allem — was darf ich dir bestellen, Kaffee, Schokolade, Eierpunsch, oder was ge- ruhen Eure Allerliebstheit sonst zu befehlen?" Nach einigem Zögern entschied sich Hedwig für Schokolade, natürlich mit Schlagsahne, die ihr eigentlich die Hauptsache war. Ein Druck Ottos auf die elektrische Klingel rief daS bedienende Fräulein aus dem Laden herein, das die Bestellung in Empfang nahm. „Du hast gewiß schon auf mich gewartet?" fragte Hedwig, als beide wieder allein waren. „Offen gestanden — nicht allzu lange. Ich war nämlich auch erst kurz vorher gekommen, hatte unerwartete Abhaltung durch eine Geschäfts- sache, dann aber bin ich förmlich hierher gerast, weil ich fürchtete, du würdest auf mich warten. Schließlich ward's umgekehrt der Fall." Hedwig seufzte. „Ich wäre schon eher ge kommen — aber der Vater ist jetzt so strSng — ich muß ihm von jedem Schritt, den ich tue, Rechenschaft geben, auch heute konnte ich mich nur mit größter Mühe frei machen ach Otto, was ich deinetwegen zu Hause für Arger habe, glaubst du gar nicht." „Glaub's ja, dein Papa scheint eben ein etwas unbequemer alter Herr zu sein. Wahr scheinlich hat auch dein Vetter es wieder für gut befunden, ihn aufzuhetzen — der lange Laband sollte seine Tischlergesellennase lieber in seinen Leimtiegel stecken, als in Sachen, die ihn nichts angehen." Hedwig schluckte erst einige Male an der Schokolade, die das Fräulein unterdessen herein gebracht, bevor sie in etwas ärgerlichem Tone antwortete: „Na, weißt du, ein „langer Laband" ist mein Vetter nun gerade nicht: er hat im Gegenteil eine hübsche Figur — des halb haben sie ihn ja auch damals als Flügel mann zu der Garde genommen. Und ein Tischlergeselle ist er auch nicht, sondem er ist Werkführer, nach dem Herm der Erste in der Werkstatt — du brauchst also gar nicht so weg werfend von ihm zu sprechen." Otto lachte spöttisch auf. „Alle Wetter, du redest dich ja ordentlich in Eifer deines Vetters wegen! Ec scheint dir demnach doch mehr ans Herz gewachsen zu sein, wie ich dachte. Du würdest ihn sonst nicht so auffallend warm ver- teidigen. übrigens hält dich ja nichts ab, ihm deine Sympathie vollends zuzuwenden — ihr beide paßt vielleicht ganz vortrefflich zusammen und „Frau Werkmeisterin" ist am Ende auch ein ganz netter Titel also geniere dich nicht — ich werde deinem Glück sicher nicht im Wege stehen." Damit wandte er ihr halb den Rücken und versenkte sich mit angestrengter Aufmerksamkeit in die Bettachtung des Kognaks, den er sich soeben eingeschenkt. Eine schwüle Stille entstand zwischen beiden. Hedwig kämpfte immer noch mit ihrem Arger — sie hatte doch recht gehabt, ihren Vetter Karl zu verteidigen. Als sie jedoch sah, daß ihr Schmollen nichts half und Otto keinerlei Miene machte, sich ihr wieder zuzuwenden, beschloß sie endlich, einzulenken. Sie rückte näher an ihn
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