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„Ist kein Brief für mich angekommen?" fragte er, sich mtt dem Taschentuch die Stirn trocknend. „Nein, wo warst Dn nur so lange?" fragte Sperreuter. „Jur Tiergarten, seit ein Uhr, seit ich von Hede fortging. Konrad, es ist ein schrecklicher, dunkler Tag. Sie wollte mir Nachricht geben: warum tut sie es nur nicht?" rief er leiden schaftlich trotzig.- Und ohne Sperreuters Antwort abzuwarten, fragte er: „Glaubst Du, daß sie es tut?" „Wenn sie es gesagt hat, gewiß." „Heute noch?" „Das Weiß ich nicht." „Komm her, Konrad: Du sollst alles erfahren, alles, was zwischen uns vorgefallen ist." Sperreuter setzte sich neben ihn, und er erzählte ihm Wort für Wort, wie sein Zusammensein nnt Hede von Hilgendorff verlaufen war. „Was meinst Du, Konrad, was sie tun wird? Wird sie nur vergeben?" „Ich verstehe mich schlecht auf die Frauen, mein Junge: aber wie ich Frau Hede kenne, meine ich, daß sie Dir ver zeihen wird." In diesem Augenblick klingelte es am Korridor, und Sper reuter sprang ganz gegen seine Gewohnheit auf und ging selbst hinaus; Egon kam ihm schon entgegen, als er zurückkehrte, seine dunklen Augen flackerten unruhig und richteten sich er wartungsvoll auf die Hände des Eintretenden — sie hielten einen Brief. „Von Hede!" schrie er, ungestüm nach demselben greifend und das Kuvert zerreißend. Mit zitternden Händen entfaltete er das Schreiben, es enthielt mir eine Zeile: „Komm zu mir. Hede." Ein Aufschrei, jubelnd, leidenschaftlich, brach von Egons Lippen. Er sprang auf Sperreuter zu und umfaßte ihn mit den Arinen. Der Brief flog zur Erde. „Riese," rief er, „Riese, Du kennst sie, sic hat verziehen - - sie bleibt mein! O, ich wußte es ja, trotz taufend Zweifeln, Hede liebt mich. Aber, mein Gott, wie siehst Du so ernst, so Philisterhaft drein?" unterbrach er sich in seiner Lustigkeit. „Hier, lies doch — hier steht es ja schwarz auf weiß." Er bückte sich, hob das Briefchen auf, Wurf es Sverreuter fast an den Kopf und griff nach seinem Hut. „Wohin willst Du?" rief Konrad. „So kannst Du nicht zu Deiner Braut gehen; betrachte Deinen äußeren Menschen erst noch einmal!" „Du hast recht," lachte Ranen, „ich sehe wahrhaftig aus, wie ein Hinterwäldler, mit dem wüsten Bart und Haar." Er ging in sein Schlafzimmer. Die Ueberzeugung, daß Hede ihm in ihrer Liebe verzeihen würde, machte ihn einiger maßen ruhig und fähig, allen Toilettenpflichten die größte Aufmerksamkeit zuzuwenden, wobei er aber unausgesetzt nach der Uhr sah. Sperreuter lag in der Wohnstube in einem Schaukelstuhl. Die rechte Hand, die auf dem übergeschlagenen Knie ruhte, hielt noch Hedes Brief, und die blauen Augen hasteten un ausgesetzt auf den Worten desselben. Wie groß mußte die Liebe dieser Frau zu Rauen sein, wie schön, wie erhebend, so geliebt zu werden! Und Konrad Sperreuter, dem solche Liebe in seinem Leben nicht zuteil geworden war, meinte, daß ein Mann aus derselben Mut und Kraft schöpfen müßte, allen an deren Versuchungen zu widerstehen. Wenn er sich dachte, daß ein Weib, daß Hede ihn hätte so lieb gewinnen können — o Gott! Das Blut kreiste rascher durch seine Adern, es stieg ihm heiß in die Schläfen, er sprang empor, ein tiefer, schmerzlicher Seufzer entrang sich seiner Brust. Er legte den Brief fort und trat zu Egon ins Zimmer. * Welche Stunden hatte Frau von Hilgendorff verlebt, seit Rauen sie am Vormittag verlassen und seit sie ihn dort durch die Gartenpforte hatte verschwinden sehen. Stunden, wo in ihrem Herzen alle Qualen glühender Eifersucht, tief gekränk ten Frauenstolzes und eine große, unendliche Liebe rangen! Sie weinte, sie betete, sie versuchte, sich mit dem Gedanken ver traut zu machen, daß sie den Geliebten verloren habe, und bei dieser Erkenntnis zog es wie Sterben durch ihre Brust; die Welt ringsum, das Leben, das noch vor ihr lag, erschien ihr. öde, ach, so entsetzlich öde und leer, und daneben Egon in all seiner männlichen Schönheit und Vornehmheit, in der be strickenden Freundlichkeit feines Wesens! Da gedachte sie der heiligen Stunden, die ihnen ihre gegenseitige Liebe geschaffen hatte, und Zorn, Stotz und Eifersucht schwanden vor dem H mächtige^ heiligen Gefühl, das bei dieser Erinnerung ihr ganzes Sein erfüllte. In solchen Augenblicken konnte sie ver geben, voll und ganz, eben um dieser Liebe willen — und in solchem Augenblick hatte sie jenen Brief geschrieben. Als sie aber den anderen, den von jenem Mädchen, mit hineinfchloß, da überkam es sie wie Schreck und Grauen. Fort, nur fort — fort auch die häßlichen Gedanken, die damit vor ihr auftauchten! Sie versiegelte das Kuvert und schickte Johann mit dem Brief in die Linkstraße. Aber die Empfindungen, die beim Anblick jener Zeilen in ihr lebendig geworden, ließen sich nicht so rasch bannen, dazu besaß Hede eine zu lebhafte Phantasie und zuviel Tempera ment, dazu war das Ganze ihr noch zu neu und hatte zu ge waltsam in ihr Seelenleben eingegriffen; zu gewaltsam war ihr Vertrauen erschüttert worden. Das Bild Loris drängte sich immer mehr in den Vorder grund, und es wurde etwas in ihrem Herzen lebendig, wovor sie selbst erschrak. „Gott, allmächtiger, lieber Gott," betete sie, „steh' mir bei mit Deiner Gnade und bewahre mich, daß ich nicht hassen lerne, was ich bisher so unaussprechlich geliebt habe!" Egon kam. Der Diener sagte ihm, die gnädige Frau Baronin sei im Salon. Hastig trat er, ohne sich melden zu lassen, ein. Hede saß an ihrem Schreibtisch und betrachtete sein Bild. Der linke Arm ruhte auf der Platte des Schreib tisches, die Hände, ineinander geschlungen, hingen leicht herab, sie war totenbleich, und man sah's ihr auch an, daß sie viel geweint hatte; die ganze Erscheinung hatte etwas ungemein Rührendes. Er rief siie, erst leise, dann lauter. Bei dein Klang seiner Stimme fuhr sie jäh empor und wandte sich ihm zu, er breitete die Arme aus, sie flog au seine Brust. Als er sich aber über sie beugen wollte, da zuckte sie plötzlich zusammen, da strebte sie, sich mit heftiger Bewegung von ihm frei zu machen, — da war's, wie am Morgen just so, sie konnte sich nicht küssen lassen von ihm, nicht um die Welt. Wenn sie dachte, daß diese Lippen eine andere vielleicht ebenso geküßt hatten, daß eine andere, so wie sie jetzt, an seiner Brust geruht, eine andere, die — davon war sie überzeugt — ihn nicht einmal liebte, dann versanken Liebe und Vergebung in ein Nichts. „Hede, mein Gott, was fehlt Dir?" rief Egon, erschreckt durch die Wandlung, die sich vor ihm vollzog. „Hede —!" Er griff nach ihrer Hand, sie entriß ihm dieselbe und rief lei denschaftlich unter Tränen: „Die Liebe fehlt, Egon, die Liebe! Sie ist gestorben — aber ich wußte es nicht bis zu diesem Augenblick. Verzeih', — daß — ich — Dich — rief." Er stand wie entgeistert.vor ihr, und er fand kein Wort. Aber auch als er sich ermannte, als er in glühender Be redsamkeit zu ihr sprach, es war alles umsonst. „Ich kann Dir vielleicht vergeben, Egon, ich werde es lernen, aber mehr kann ich nicht, ich- fühl's. Zürne mir nicht, daß ich Dir diese Szene nicht ersparte, ich wußte es bisher selbst nicht, wie ich all' jene wirren Gefühle sichten sollte, aber jetzt Weiß ich's. Das Bild und der Gedanke an jene andere würde ewig zwischen uns stehen; wäre sie besser als ich, würde ich's begreifen, und darin liegt schon der Anfang zur Ver gebung, da sie aber soviel schlechter auch in ihrer Gesinnung gegen Dich ist — ha — Du hebst abwehrend die Hand, Du glaubst selbst das nicht einmal —, so kann ich's auch nicht be greifen, so kann ich Dir nnd Du mir nichts mehr sein. Q Egon," rief sic laut aufschluchzend, „wenn ich nur noch lieben — noch lieben könnte! Ich kann's nicht mehr!" Was sie noch zusammen geredet, was er noch tat, sie zu rück zu gewinnen, es war alles umsonst, und als Egon von Rauen eine Stunde später, zum zweiteu Mal an diesem Tags, durch das kleine Gittertor hinausschritt, da wußte er, daß es ein Abschied gewesen war fürs Leben, daß er Hede von Hilgen dorff verloren hatte. 7. So groß Berlin ist, sa schnell verbreiten sich doch in Krei sen, die nur einigermaßen Fühlung miteinander haben, alle die Angehörigen dieser Kreise betreffenden Nachrichten. Wie ein Lauffeuer ging deshalb auch die Neuigkeit von Mund zu Mund, die Verlobung der reizenden Frau von Hil gendorfs mit dem Maler von Rauen sei ganz plötzlich aufgelöst und der alte Baron habe mit seiner Schwiegertochter Berlin verlassen. sAortsetzung folgt.) 24'