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die beste Lösung. - Der alte Graf Laporte schrieb, daß jetzt das benachbarte Städtchen Wendcnstein auch Garnison bekom men habe, der Verkehr sei rege und angenehm. Das war lockend für Jelka. Es stiegen wieder Hoffnungen in ihr auf, daß dennoch ein Herz sich finden würde. „Aber," sagte sie zu Luise, „cs muß ein goldenes Herz sein . . . mit einem anderen weiß ich nichts mehr anzufangen." Und Anfang März war die fürstliche Hochzeit. Die Oberhofmeisterin siedelte dann nach Hohengrat über, die kleine Wohnung in Meieritz wurde für Jelka eingerichtet, und Ernst Fibus', allein gelassen, zog in eine dicht bei der Ka serne belegene Straße und lebte nur einzig und allein dem Dienst. Freudlos, einsam, ohne Hoffnungen und Hilfe. Rina versuchte wohl, ihn durch Einladungen ins Haus des Onkels zu zieben: er kam aber nur, wenn er Wußte, daß große Gesellschaft war, wo der Einzelne nicht in Frage kam. Wollte sie ihn in ein intimeres Gespräch ziehen, so wich er aus. All seine Sehnsucht richtete er jetzt auf ein Ziel: das Examen zur Kriegsakademie, um nach Berlin versetzt zu wer den und Frau Sylvie zu haben. Die Jahre gingen . . . schwanden und sanken in die trost losen Abgründe der Vergessenheit . . . und Ernst Fidus von Osterwitz war ein ernster, stiller und in sich gekehrter Mann geworden. Der alte Hilkins hatte vergeblich gewartet, ihn noch einmal wiederzusehen — durch das Tageblatt von Park damm erfuhr der Leutnant eines Tages, daß der alte Son derling im Gnadenhäuschen gestorben war. Schweigend legte er das Blatt aus der Hand. „Du bist glücklich, mein Alter," dachte er und ging im . besten Galaanzug zum Begräbnis. Niemand kannte ihn — nur ein alter, kleiner Hund win selte jammervoll an ihm in die Höhe, der Führer des Blinden, der alte Ben. Die Gattin Hilkins war auch vor kurzem gestorben. Das alte Tier war herrenlos. Da nahm der glänzende Offizier den alten Hund an die Leine, und nach dem Begräbnis zog Ben mit Ernst Fidus in die häßliche Straße hinter der Ka serne, und der teilte jeden Bissen mit dem treuen Freunde aus glücklicheren Zeiten. * * Trostloser, trüber November. In Parkdamm war's öde. Die alten Bekannten meist versetzt, mich General Graf Gützow als Divisionär ans andere Ende des Deutschen Reiches gekommen und die Töchter Ella und Erna an zwei ältere Stabsoffiziere von untadeliger Ab kunft sehr glücklich verheiratet. Die schöne, reiche Nichte der Gräfin, Frcifräulcin Regina von Rott, aber noch immer un- vermählt zu Hause, als einziger Blitzableiter für die Nerven der immer launischer werdenden Tante — als einziger Trost des alt gewordenen, an den Abschied denkenden Grafen. Fünf Jahre — eine kurze Spanne im großen Zcitenflusse, aber eine endlos lange, schwer ermüdende Straße für den, der mit schwe rer Sorgenlast, einsam und verlassen seinen Lebenspfad hinan klimmen muß. Ernst Fidus war nun Oberleutnant geworden. Er hatte nichts getan, sein Leben zu ändern. Das Examen zur Aka demie hatte er, wie so viele mit ihm, nicht bestanden, zu einem zweiten Male fehlte ihni die Kraft und Lust . . . sein an bitte ren Enttäuschungen so reiches Dasein schien ihn: so verpfuscht, so unnütz . . . nur der Gedanke an die Mutter, die am Hofe des jungen Prinzenpaarcs in einem Meer von Wonne schwamm und doch dereinst, alt und krank, zu ihm zurückkehren würde, hielt Ernst Fidus vom letzten, großen Schritt zurück. Jelka war bei den Großeltern geblieben, die alten Herr schaften hatten sich an sie gewöhnt, die ihnen ja immer mehr wie eine Tochter gewesen war, und der Onkel mußte sie dul den, da die Gräfin Laporte es verlangte. Es gab dort in Edel- keimen so manches, was dem Fränlein eigentlich nicht gefiel, aber da sie nicht zur Mama und an den Hof wollte, was ihr nach der Geburt des Erbprinzen wiederholt angeboten wurde, fo mußte sie sich mit den Verhältnissen auf dem Schlosse der Großeltern abfinden. Die nahe kleine Garnifon sandte häufig Gäste nach dem Gut, und die Wintervergnügungen im Offizierkreise waren für Jelka sehr lustig und anregend. Allmählich machte sie sich mit dem Gedanken vertraut, ganz in Edclkeimen zu bleiben und später die Stiftsstelle von Tonte Lisa zu übernehmen. Onkel Franz war einverstanden, und so betrachtete sie sich als zugehörig zu in gräflich Laporte- schen Haushalt. Alle Jahre einmal fuhr sie mit der Großmutter oder mit Tante Aglaja, der Gattin des Onkels Franz, nach Berlin, machte einen kurzen Abstecher nach Meieritz zu Taute Brüm- mer, wo sie dann die Mutter auf ein paar Stunden sprechen konnte und wohin, wenn angängig, auch Ernst Fidus auf einen Tag kam. Urlaub nahm er sonst nie. Er lebte nur der Pflicht. Da er eine stattlich schöne, männliche Erscheinung war, machten ihm die Damen in Parkdamm gewaltige Avancen, aber er blieb kühl bis ans Herz hinan, und niemand konnte ihm die geringsten Aventuren nachsagen. Das Theater, gar die Oper besuchte er nie mehr. Er las viel, alle Neuerscheinungen der Belletristik, die Wissenschaftlichen und militärischen Bücher, alle las er, be arbeitete mehrere fachwissenschaftliche Werke und hatte das Glück, anerkannt zu werden. Der neue Oberst und die neuen Generale zogen ihn heran, er mußte alle im Korps stattfinden den Generalstabsreisen mitmachen, er wurde Regiments-, dann BrigSdeadjutant, und man gab ihn zum Großen Generalstab ein, auch ohne daß er das Akademieexamen gemacht hatte, sei ner umfassenden russischen Svrachkenntnisse halber. Und nun heute, an einem trüben, regnerischen November abend, als er vom Dienste heimkam und sich's mit seinem treuen, jetzt uralten Ben in der Sofaecke bequem gemacht hatte, während der Teekessel über der Spiritusflamme süng und ein appetitliches Abendbrot und eine Schale frischer Äepfel auf dem Tische stand, las er die den Tag über eingelaufenen Briefe und Postfachen. Da lag einer init Jelkas krauser, etwas verworrener Hand schrift, ein anderer, der Annes klare, reine Schriftzüge trug, und — er Wunderte sich über die vielen Postsachen, die er sonst selten zu erhalten pflegte — ein großer Dienstbrief. Nach dem wollte er zuerst greifen, aber er legte ihn zurück, öffnete zuerst Annes Briefchen aus Neapel. Sie war diesen Winter mit Fränlein Wendler nach Ita lien gegangen, da sie sich noch bei einem berühmten Florentiner Gesangmeister weiterzubilden gedachte. Jetzt hatte sie Ferien gemacht, denn Hilde Berun mit ihrem Manne weilte mit dem Prinzenpaare in Neapel, und die Zwillinge feierten ein unvergleichlich herrliches Wieder sehen. Die Vermischen Kinder hatte Mama Sylvie nach Berlin geholt, und die beiden prinzlichen, Prinz Alexander und Prm- zeßchen Gabriella, waren bei der Frau Oberhofmeisterin prächtig untergebracht. So genoß das junge Paar die Herr- lichkeiten des Südens in denkbar angenehmster Weise. Prinz lind Prinzessin Hohengrat-Meieritz aber waren unterwegs so liebenswürdig, ihre Begleitung sehr wenig in Anspruch zu nehmen. Anne tat es nur leid, daß Ernst nicht dabei sein konnte. Der seufzte, als er's las: „Ich lind reisen ... die Mama hat erst gestern wieder geklagt, daß sie keinen standesgemäßen Pelz habej da hilft's halt nicht, da müssen wir uns den Weihnachts urlaub uach Berlin schon abknöpfen." Dann nahm er Jelkas Zeilen zur Hand, erst bewölkte sich sein Antlitz noch mehr, aber immer Heller und Heller wurde sein Blick, je weiter er las, und schließlich standen ihm zwei große, klare Freudentränen in den Augen, er fuhr mit der Hand über sein noch immer krauses, leuchtendes, rostbraunes Haar und sagte leise: „Das hast Dn gut gemacht, mein lieber Gott — ich danke Dir!" Noch einmal nahm er den Brief und las ihn nochmals. lind Jelka' schrieb: „Lieber Bruder! Erst heute kann ich ermessen, was Du für die Mama und mich geopfert und aufgegeben hast — armer Erni, wir Egoistinnen, die wir, ohne mit der Wimper zu zucken, Dein Dafein vernichten halfen! Verzeihe mir, Du treuer Bruder, denn ich habe wohl gedankenlos, nur mein eigen Schick sal bejammernd, gehandelt, habe aber kein Bewußtsein davon gehabt, was Dir geraubt wurde! Woher ich's nun auf einmal weiß? Ich will Dir's erzählen! Es ist doch seit etwa sieben Jahren hier in Wendenstein Garnison, ein Bataillon des Elisen-Regiments, und die paar Herren dort sind froh, wenn sie in der Gegend einige Menschen zum Verkehr haben, denn das Nest selber wimmelt von russi schen Pferdehändlern und allerlei anderem Volk, und so, was man in Meieritz oder Parkdamm Honoratioren nennt, gibt's da, außer dem Gastwirt und dem Geistlichen, nicht. In diese Einöde hat nun Sr. Majestät Befehl einen alten Freund ver schlagen — rate, wen! (Fortsetzung folgt.)