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Allgemeiner Anzeiger : 12.02.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-02-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191002123
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19100212
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19100212
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-02
- Tag 1910-02-12
-
Monat
1910-02
-
Jahr
1910
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 12.02.1910
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Die Dreiklaffeneinteilnnq im neuen preußischen Wahlrecht. Die Einteilung der Wähler in Preußen ge schah bisher nach der Höhe der Steuerleistung. Nach dem neuen Entwurf werden jedoch der nächst höheren Abteilung Wähler der zweiten oder dritten Abteilung zugewiesen, die entweder vor wenigstens zehn Jahren vor einer akademi schen deutschen Behörde oder einer staatlichen oder kirchlichen Behörde in Preußen eine Prüfung bestanden haben, zu deren Ablegung ein wenigstens drei jähriges Studium auf einer Universität oder einer sonstigen deutschen höheren akademischen Lehranstalt erforderlich ist, oder dem deutschen Reichstag oder dem Preuß. Landtag als Mitglieder angehören oder wenigstens zehn Jahre hindurch angehört haben, oder gewählte Mitglieder eines Preuß. Provinzial rats, Provinzialausschuffes, Landesausschusses, Bezirksausschusses, Kreis- oder Stadtausschusses, oder unbesoldete Mitglieder des Magistrats oder unbesoldete Beigeordnete eines Stadtkreises sind oder wenigstens zehn Jahre gewesen sind, oder dem deutschen Heere oder der kaiserlichen Marine als aktive Offiziere wenigstens zehn Jahre an gehört haben und entweder zur Disposition ge stellt oder zu den Offizieren des Beurlaubten standes überführt sind oder den Abschied bewilligt erhalten haben. Der auf die bisherige Art gebildeten zweiten Abteilung werden die nach ihrer Steuerleistung in die driite Abteilung fallenden Wähler zugewiesen, die im unbesoldeten Ehrenämter Vorsteher, Beigeordnete oder sonstige Mitglieder des Magistrats einer kreisangehörigen Stadt oder des Gemeindevorstandes einer ländlichen Gemeinde- oder Gutsvorsteher sind oder wenig stens zehn Jahre gewesen sind, ferner diejenigen, die Bürgermeister einer rheinischen Landbürger meisterei, Amtmänner eines westfälischen Amtes, Amtsvorsteher oder Stellvertreter (Beigeordnete) dieser Ehrenbeamten sind oder wenigstens zehn Jahre gewesen sind. Dieser zweiten Abteilung werden ferner die eigentlich der dritten Abteilung zugehörigen Wähler überwiesen, die mit einem Einkommen von mehr als 18VV Mk. zur Staatseinkommensteuer veranlagt sind und außerdem entweder seit wenigstens fünfzehn Jahren sich im Besitze der wissenschaftlichen Befähigung zum einjährig-freiwilligen Militär dienste befinden oder fest wenigstens fünf Jahren ununterbrochen die Berechtigung zur Anstellung im Zivildisnste auf Grund wenigstens zwölf jährigen militärischen oder diesem gleichgestellten Dienstes oder die Berechtigung zur Anstellung im Forstdienste besitzen. — Auf die Zuweisung zu einer höheren Abteilung nach Maßgabe der vorstehenden Vorschriften hat nur Anspruch, wer die begründenden Tatsachen der Gemeinde behörde spätestens im Verfahren zur Berichti gung der Wahllisten (Wählerliste, Abteilungs liste) nachweist. Politische Kuncisekau. Deutschland. *KaiserWilhelm wird in den nächsten Tagen die bereits feit längerer Zeit studien halber in Deutschland weilende chilenische Militärkommission vor ihrer Rückkehr in die Heimat in Audienz empfangen. * Die Reichsregierung gibt bekannt, daß vom 8. d. ab der Einfuhr aus den Ver. Staaten die Zollsätze der geltenden Handelsverträge zu stehen. Präsident Taft hat von demselben Tage ab der deutschen Einfuhr in den Ver. Staaten die Mindestsätze zugebilligt. *Der Bundesrat hat dem Entwurf eines Stellenvermitllergesetzes zu gestimmt. * Dem Bundesrat ist ein Gesetzentwurf über die Beitragspflicht des Reiches zu Staats- und Gemeindelasten zu gegangen. Der Entwurf bezweckt, gesetzlich fest zulegen, inwieweit das Reich verpflichtet ist, sich dem staatlichen und kommunalen Bestem" rungsrechte zu unterwerfen, und damit Streit fragen zu beseitigen, die wiederholt zu unlieb- famen Erörterungen Anlaß gegeben haben. Der Entwurf will weiter den durch fabrikmäßige Reichsbetriebe in Mitleidenschaft gezogenen Ge meinden, die zum Teil bisher auf Grund des Reichshaushalts-Etats Reichsbeiträge zu ihren Ausgaben erhalten haben, rechtlich klagbare Ansprüche gewähren und den elsaß-lothringischen Gemeinden, die an Reichseisenbahnen gelegen sind,. Beiträge zu ihren Ausgaben Zuführen. Seine Ziele entsprechen hiernach oftmals ge äußerten Wünschen. Wie bereits früher im Reichstage in Aussicht gestellt, soll das Gesetz tunlichst am 1. April d. in Kraft treten. * Sicherem Vernehmen nach hat eine Be sprechung führender Parlamentarier über die neue Preuß. Wahlreform ergeben, daß die Regierungsvorlage in ihrer jetzigen Form keine Aussicht auf Annahme hat. Voraussicht lich wird sich das Preuß. Abgeordnetenhaus in seiner Mehrheit für Einführung der geheimen Wahl aussprechen. Ob die Regierung über diesen Punkt verhandeln oder ohne weiteres die Vorlage fallen lassen wird, wagt man in parla mentarischen Kreisen noch nicht zu entscheiden. *Dem Landtage des Großherzogtums Sachsen-Weimar ist der Entwurf eines Vermögenssteuergesetzes zugegangen. Danach soll mit Ausnahme des bereits zur Grundsteuer herangezogenen Grundbesitzes alles Vermögen der steuerpflichtigen Personen im Staate, soweit es den Gesamtwert von 5000 Mark übersteigt, zu einer neuen Ergänzung?- steuer herangezogen werden. Die Staffelung beginnt bei einem Vermögen von 5000 Mk. mit 2 Mk. und erreicht bei 70 000 Mk. Vermögen den Satz von 30 Mk. Jedes weitere 10 000 Mark Vermögen steigt dann um je 5 Mk. Bei 200 000 Mk. Vermögen erreicht die Ergänzungs steuer die Höhe von 100 Mk. Für jedes weitere angefangene 20 000 Mk. Vermögen ist sodann eine Staffelung um je 10 Mk. vorgesehen. Man schätzt, falls die Vorlage Gesetz wird, den Ge samtbetrag dieser Ergänzungssteuer auf etwa 260 000 Mk. * Verschiedene Parteigruppen Elsaß- Lothringens sind nach längeren Verhand lungen dahin übereingekommen, gemeinsam für eine beschleunigte Versassungs- und Wahlrechtsreform in den Reichslanden zu wirken. Frankreich. * An Pariser amtlichen Stellen wird ver sichert, daß die in den letzten Wochen wieder holt verbreitete Nachricht, wonach Präsident Falliöres mit Rücksicht auf seinen angeb lich schwer erschütterten Gesundheitszustand die Absicht kundgegeben hätte, nach den im Mai stattfindenden Kammerwahlen von seinem Amte zurückzutreten, den Tatsachen nicht entspricht. Das Befinden des Präsidenten ist keineswegs besorgniserregend. * Die Regierung hat jetzt die Einzelheiten des neuen Flottenbauprogramms be kannt gegeben. Sie will vor allem den Bau großer Schlachtschiffe, der geraume Zeit ver nachlässigt worden war, fördem und dabei eine völlige Neuschaffung der Marine herbeiführen. Die Marinevorlage, die bereits vom Ministerrat genehmigt ist und einen Kredit von 1400 Mill. Frank für die bis zum Jahre 1922 vorzuehmen- den Neubauten fordert, wird demnächst der Kammer zugehen. Die Vorlage sieht für die Sckilachtflotte 28 Panzerschiffe, 10 Aufklärungs schiffe und 52 Hochseetorpedoboote vor, während für die Küstenverteidigung 94 Unterseeboote und für ausländische Stationen 10 Schiffe bestimmt find. Für die Auslandschiffe und die Panzer, die vor 1909 auf Spapel gelegt find, wird die Höchstdienstdauer auf 25 Jahre, für die später auf Stapel gelegten auf 20 Jahre festgesetzt. 20 Jahre gelten auch für die Aufklärungs schiffe, dagegen 17 für die Torpedo- und Unter seebote. Mit dieser Flottenvorlage hat die fran zösische Regierung einem schon vor längerer Zeit geäußerten Wunsche Rußlands entsprochen, . das nun seinerseits sein Landheer organi- j fieren wird. Der Zweibund wird also im Jahre ? ! 1922 über Marinestreitkräfte verfügen, die denen > Deutschlands bei weitem überlegen sind. . Belgien. * Auf dem Kongreß der belgischen Sozialisten, der in Brüssel tagte, wurde mit großer Mehrheit beschlossen, falls ein liberales Ministerium zur Regierung kommen sollte, für dieses Kabinett aus den Reihen der Sozialisten Mitarbeiter zu er nennen. Der Beschluß ist insofern bemerkens wert, als es die Sozialisten andrer Länder grundsätzlich ablehnen, in einem bürgerlichen Ministerium Parteigenossen als Minister Mit arbeiten zu lassen. Balkanstaaten. * Nachdem die Schenkung des Sultans an den türkischen Flottenverein im Betrage von 23 000 Pfund im ganzen Lande so großen Anklang gefunden hat, will der Ministerrat nun auch der Kammer das längst geplante Flotten-Programm vorlegen. Danach sollen mit einem Kostenaufwand von 5 Millionen Vfund binnen zehn Jahren fünf Panzer, acht Torpedoboote und zwölf Zerstörer angeschafft werden. *Die Vertreter der Schutzmächte Kretas (Frankreich, England, Rußland und Italien) haben jetzt der türkischen Regierung die bindende Zusage gemacht, daß sie die tür kische Oberhoheit auf Kreta wahren und eine Teilnahme kretischer Abgeordneten an der griechischen Nationalversammlung unter keinen Umständen zugeben werden. Damit dürfte die kretische Frage wieder vorläufig erledigt sein. Afrika. * Aus dem Nordwesten Marokkos kommt die überraschende Nachricht, daß die Rifkabylen in den letzten Tagen wiederholt Angriffe auf spanische Soldaten unter nommen haben. Man legt indessen in Madrid diesen Gefechten keinerlei Bedeutung bei, da es sich bei den Angreifern um die Angehörigen von kleinen Stämmen handelt, die sich bereits in ihrer Gesamtheit unterworfen haben. Asten. * Im persischen Parlament kam es dieser Tage zu stürmischen Auftritten, als einige Abgeordnete dem Minister des Äußern vorwarfen, er habe nichts getan, um die türkischen Truppen aus dem Lande zu ent fernen. Der Minister ist infolge der Angriffe zurückgetreten, die Perfische Regierung aber hat erneut in einer dringenden Note an Rußland die Zurückziehung der Truppen verlangt. Ob freilich Rußland ohne eine genügende Ent- fchädigung das Feld räumen wird, ist sehr fraglich. brrkei'Log frans feräinanä in Petersburg. Der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand rüstet sich nach Petersburger Blättermeldungen zu einer Reise nach der Haupt stadt Rußlands, um dem Zaren seinen Besuch zu machen und so endgültig die Kluft zwischen beiden Staaten zu überbrücken. Seltsamerweise hüllen sich die amtlichen Stellen diesem Auf sehen erregenden Gerücht gegenüber in Still- fchweigen. Jedenfalls wäre diese Reise bedeut sam. Sie wäre das äußere Zeichen, daß die Verstimmung, die nach der Angliederung Bosniens und der Herzegowina durch Österreich nahezu einen Krieg herbeigeführt hätte, wirklich behoben ist und daß beide Staaten wieder gemeinsame Interessen auf dem Balkan vertreten wollen. „Rußland muß er kennen," schreibt die ,N. Fr. Presse', „daß der Zustand einer gefährlichen Politik der Empfind lichkeit nicht andauern könne. Zwei Groß mächte, die ein so starkes Interesse an der Lage im Orient haben, können die Entscheidung über Krieg und Frieden und über das zwischen ihnen bestehende Verhältnis nicht den Zufälligkeiten und Willkürlichkeiten in den kleinen Balkanstaaten überlassen. Das würde zu dem Widersinne führen, daß Osterreich- Ungarn und Rußland in den höchsten Inter- essen davon abhängig wären, ob gerade diese oder jene Partei in den Balkanländern ans Ruder kommt. Die Annäherung zwischen Österreich-Ungarn und Rußland würde ihnen nur zurückgeben, worauf kein Staat verzichten kann: die Macht über ihre eigenen Beschlüße." Wie wertvoll eine friedliche Übereinkunft zwischen Rußland und Osterreich-Ungarn in den Balkan fragen ist, haben erst die letzten Tage wieder gezeigt. Stand Europa doch vor der Möglich keit eines Krieges zwischen Griechenland und Bulgarien einerseits und der Türkei anderseits. Solche gefährliche Kriegshetzerei, wie man sie in Bulgarien und in der Türkei in der letzten Zeit beobachten konnte, wäre ein Ding der Unmöglichkeit, wenn Rußland seinen Groll begraben und die ihm von Österreich ent gegengestreckte Hand annehmen wollte. Denn heute hoffen die kleinen Balkanftaaten bei ihren Reibereien alles von der Zwietracht zwischen den beiden benachbarten Großmächten. Sind sie aber geeint, so ist eine Hetze, die fast die Schwerter zur Entscheidung zwingt, undenkbar geworden. Das Zarenreich aber könnte im Falle einer Wiederannäherung an Österreich erst wirklich daran denken, seine ostafiatische Politik, auf die es nun einmal angewiesen ist, wieder aufzunehmen. Zwar hat der Zar in den Tagen von Racconigi, als er mit dem Könige von Italien zusammentraf, einen Vertrag geschloffen, der Rußland und Italien an ge meinsame Interessenvertretung bindet, aber dieses Abkommen bietet der russischen Balkanpolitik nicht entfernt solche Sicherheit, als ein gleiches Abkommen mit Österreich. Kann aber Rußland sich freier in Ostafien entfalten, so wäre dem immer zunehmenden Vordringen Japans in der Mandschurei ein Riegel vorgeschoben. Damit aber würde der Ruhe der ganzen Welt gedient sein. ^Veetmann. Deer unä flotte. — Die bisherige Kopfbedeckung unsrer Kriegsmarine wird eine Abänderung erhalten, die eine erfreuliche gesundheitsdienliche Maßnahme darstellt. Bisher wurde der Rand der Marine- Mützen durch einen festen Zellulosestreifen ver steift. Dieser Zellulosestreifen war nicht nur sehr feuergefährlich, sondern er hatte auch manche gesundheitliche Nachteile, da er in gewisser Be ziehung der Ausdünsttrng des Kopfes nicht förderlich war. Wenn auch das Tuch dadurch geschont wurde, so war doch die starke Schweiß entwickelung auf der Stirn usw., die durch den Zellulosestreifen nur schlecht verdunsten konnte, bei starker Arbeit und im Sommer für die Marinemannschaften lästig und schädlich. Aus diesen Gründen hat die Marineverwaltung be schlossen, zur Versteifung des Randes der Kopf bedeckungen von nun an nicht mehr Zellulose- streifen zu verwenden, sondern Streifen aus Vflanzenfaserstoff, die der Verdunstung deS Schweißes sehr förderlich find und auch den Nachteil der Feuergefährlichkeit nicht haben. Die Bekleidungsämter sind angewiesen worden, künftig nur noch Streifen aus Pflanzenfaserstoff zur Verwendung auszugeben. S Die Gewährung von Putzzeug-Geld an die Mannschaften legt den Einjährig-Freiwilligen eine kleine Mehrausgabe auf. Vom 1. Januar 1910 ab zahlen nämlich die mit der Waffe dienenden Einjährig-Freiwilligen, die sich nicht in Verpflegung des Truppenteils befinden, für die ihnen zum Reinigen und Fetten der Hand waffen zu liefernden Putzstoffe halbjährlich (Ende März und Ende September) den Betrag von je 1,75 Mk. Für die Zeit vom 1. Januar bis 30. März d. wird nur die Hälfte dieser Summe eingezogen. Von !^ak und fern. Attentat auf eine» Eisenbnhnzug. Bei der Station Buer im Ruhrgebiet wurde auf einen Personenzug geschossen. Ein Fenster wurde zertrümmert, Personen wurden nicht verletzt. U Eine titeUofe Geschickte. 4j Von Eugen Osborne. GorUetzimg.) Ein Ausdruck der Verwunderung flog über sei« Gesicht. — „Lassen Sie mich den Schein sehen," sprach er kurz. Helene reichte ihn hin. Der Herr nahm ihn und besah ihn. Noch stärker trat die Verwunderung in seinen Zügen hervor, die einem Ausdruck wich, der dem jungen Mädchen weh tat, es wußte selbst nicht, warm«. — Es lag etwa? wie grenzenlose Ent täuschung darin. So überflog sie sein Blick eine Sekunde vom Kopf kns zu den Füßen. Ein weiches Herz mußte er jedoch besitzen, denn als er das Bild unaussprechlicher Verlegenheit wahrnahm, das das junge Mädchen darbst, schien er Mitleid zu empfinden, und faßte fchnell einen Entschluß. Was er tat, geschah auf unerwartete Weise und so plötzlich, daß es Helene war, als müßte ste die Besinnung verlieren. Sie vernahm die Worte: „Der Mann ist im Irrtum, die Bank note ist richtig. Ich werde sie sogleich wechseln." Sie sah einen Schatten, der verschwand, jedoch zugleich auch schon wieder da war. Sie fühlt« plötzlich, daß eine ihrer Hände mit Papieren — Banknoten — angefüllt war . . . Der Schatten war fort, — und fie stand da, verlegener als vorhin. Nun war die Geschichte erst recht toll ge worden. Eine Sekunde der Überlegung genügte, um das junge Mädchen davon zu überzeugen, wie unwahrscheinlich es war, daß der Kassierer fich geirrt haben sollte. Demzufolge hatte der Fremde sein eigenes Geld . . . Das war ja entsetzlich I Unmöglich konnte sie sich das ge fallen lassen I Das Blut des edlen Geschlechts derer von Kriegsheim rollte auch in ihren Adern und badete ihr Antlitz bis an die Schläfen hinauf in tiefem Purpur. Was sollte fie nun anfangen? Nach Hause fahren! Was würde das helfen? Er war augenscheinlich im Begriff, die Stadt zu verlassen, und die Aussicht, ihn wiederzu- .finden, wurde dadurch nicht größer, daß sie in derselben blieb — nach wem sollte fie fragen? Nach dem Brünetten mit dem klugen, ungemein lebhaften Gesicht? — — Zudem drängt der Billettverkäuser. „Wenn Sie ein Billett wünschen, so ist es di« höchste Zeit, eins zu nehmen, wenn nicht, so haben Sie die Gefälligkeit, andre vorznlassen. Mechanisch hielt ihm das junge Mädchen die mit Geld angefüllte Rechte entgegen, aus der er sogleich die nötige Summe entnahm, und ihr dafür ein Billett erster Klasse nach K . . . emhändigte. Mechanisch folgte es den letzten Hinauseilenden, und befand sich sogleich vor der schon vrustenden und pfeifenden Lokomotive. Vergeblich suchte Helene im übersetzten Damencoup6 einen Platz zu erlangen. Endlich sand sich noch ein leeres Coups, in das fie ein steigen konnte. Sie atmete tief auf. Endlich war sie allein! Ein angenehmes Gefühl der Sicherheit überkam sie. Sie lehnte fich in eine Ecke und schloß die Augen. Nun wollte fie in aller Ruhe über die Erlebnisse des Morgens nachdenken . . . Plötzlich fuhr fie auf. Dicht neben ihr ertönte eine bekannte Stimme: „Nun, wenn Sie mich denn wirklich nicht zu den Frauen hineinschmuggeln wollen, so geben Sie mir doch ein Plätzchen ganz allein, wo ich meine gestörte Morgenruhe nachschlafen kann." „Bedaure ungemein, ganz ungemein," ant wortete der Schaffner. „Aber unmöglich kann ich Sie, Ihrem Wunsche gemäß, als verkleidete Duenna zur Aufficht über die Damen, zu dielen Hineinbringen, wenn Sie einen Bart tragen und Regalia rauchen, verehrter Herr. Doch werde ich Ihnen ein Plätzchen anweisen, mit dem Sie zufrieden sein werden, ja Sie werden mir noch danken, mein Herr." Bei diesen Worten öffnete er die Türe zu Helenes Coups. Diese war unwillkürlich aufgesprungen, zu gleicher Zett erschien die Gestatt eines gewissen Herrn in der Türe — die erwähnte Regalia im Munde. Ein beiderseitiges „Ach!" . . . Die Zigarre flog aus dem Fenster. In demselben Augenblicke war die Türe geschlossen; es klingelte und pfiff nervenerschütternd; die Maschine setzte sich in Bewegung und die beiden saßen da in unerwünschtem Tete-a-tete. 4- Während einiger Minuten wär« «S einem etwaigen Beobachter schwer gefallen zu ent scheiden, wer von den beiden jungen Leuten der am meisten verlegene sei. Helenes Waugen färbte eine dunkle Glut, aber auch der brünette Teint ihres Gefährden trug ein« höhere Färbung als sonst wohl. Doch gewann der Herr seine Kaltblütigkeit bald wieder. — übergroße Schüchternheit schien überhaupt mcht zu seinen Fehlern zu gehören. ' „Ich glaube an glückliche Sterne, mein Fräulein," so begann er die Unterhaltung in etwas leichterem und verbindlicherem Tone als gerade nötig war. Der heutige weist mir aufs entschiedenste den Weg zur angenehmsten Bekannt schaft. Seien Sie nicht so grausam, ihn Lügen strafen zu wollen, sondern erlauben Sie mir den Versuch, durch meine geringe Unter haltungsgabe die Stunden der einförmigen Reis» Ihnen verkürzen zu helfen." Aber auch Helene hatte sich schon gefaßt. Ihr Naturell sträubte sich gegen die Vertraulich keit, die in diesen Worten, noch mehr aber m dem Ton derselben lag. Zudem bemerkte st« sehr wohl, daß sie „mein Fräulein" geworden war und das „gnädige" gar nicht mehr in An wendung kam, während es früher nie aus gelassen worden war. übrigens fühlte ste es mehr als sie es begriff, daß er sich ihr gegen über nicht so benahm, wie er sollte. Ihre Antwort klang dabei mehr alS kühl: „Ich verstehe es nicht, Sterne am Tage za sehen; noch weniger vermag ich ihnen eine Be- de nung beizulegen. Mich führt auch nicht ein S'ern, sondern ein Wagen derP... scheu Nord dahn nach einem bestimmten Reiseziel, und Sie werden mir gestatten, mein Herr, ungestört meinen Betrachtungen darüber nachzuhängen." „Gewiß, mein Fräulein, wenn Sie' beföhlen, um sy mehr als es ein notwendiges Z'el und wichtige Ursachen sein müssen, die eine so junge Dame veranlaßten, ohne angemessene Be- hleituug und Schutz eine Reise zu unternehmen, z« der man in ihr kaum die nötige Erfahrung voraussetzen kann."
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