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Allgemeiner Anzeiger : 19.01.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-01-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
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- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191001191
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1910
-
Monat
1910-01
- Tag 1910-01-19
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Monat
1910-01
-
Jahr
1910
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 19.01.1910
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VeutsA-SüäostLsrikA. Die Budgetkommission des Reichstages hat hie Beratung der Vorlage betr. den Ausbau der Kolonial-Eisenbahnen begonnen. Sie beschädigte sich zunächst mit dem Bau der Usambarabahn und dem Ausbau des Hafens in Tanga (Ost afrika). Für diese» Zweck werden zwei Millionen Mark gefordert. Die beigefügte Denkschrift er örtert im einzelnen die Notwendigkeit dieser Bahnstrecke. Auf Fragen und Anregungen ver schiedener Redner verbreitet sich Staatssekretär Dernburg über die Finanzierung der Bahn nach dem Kilimandscharo. Was die weiße Be siedelung anlange, so stehe er auf dem von ihm stets eingenommenen Standpunkt, daß die für Ansiedelungen erforderlichen staatlichen Ver anstaltungen getroffen werden und insbesondere Bahnen tunlichste Förderung zuteil werde. Von seiten der Massai drohe keine Gefahr. Diese Eingeborenen hätten sich im Laufe der letzten Jahre durchaus ruhig verhalten. Die Ausländerfrage sei in Südwestafrika bedenklicher. Unterstaats sekretär v. Lindequist machte längere Aus führungen über die Ergebnisse seiner ostafrika nischen Reise, die ihn über die Uganda-Eisenbahn nach dem Viktoriasee, dann über Land zum Meruberg und Kilimandscharo und von dort nach Daressalam, ferner von der Küste nach den Hochländern von Jringa und Langenburg geführt habe. In Deutsch-Ostafrika habe er zunächst auf dem Hochland zwischen dem Viktoriasee und den ostafrikanischen Graten große klimatisch günstige Steppengebiete gefunden, die für Viehzucht wohl geeignet seien. Die Wasseroerhältnisse seien günstiger, da hier vielfach fließendes Wasser vorhanden sei. Diese Hochflächen seien sehr schwach mit Eingeborenen bevölkert, fast menschenleer. Er habe dann die Gebiete am Meruberg und am Kilimandscharo besucht. Die bei Aruscha genommenen Boden proben hätten ein sehr günstiges Ergebnis ge- babt, das Land sei durch eine größere Zahl von Flüssen und Bächen sehr gut bewässert. Die dort angefiedelten Buren hätten nur zum Teil Tüchtiges in der Viehzucht geschafft, einer auch im Kaffeebau. Auch mü Wollschafzucht und Pferdezucht seien Anfänge gemacht worden. Am Kilimandscharo sei besonders Kaffee mit bestem Erfolg gebaut worden. Nach den ärzt lichen Untersuchungen seien die Hochflächen gesund und im wesentlichen frei von Malaria, nur an einzelnen Stellen komme diese Krankheit in geringem Maße vor. Politische kunäscbau. Deutschland. "Kaiser Wilhelm wird in der nächsten Zeit mit dem Schnelldampfer „Kaiser Wilhelm II." des Norddeutschen Lloyd von Bremerhaven aus eine auf ein dis zwei Tage berechnete Fahrt in See machen. Der Tag ist noch nicht genau bestimmt. "Die von französischen Blättern verbreitete Nachricht^ auf der Kriegsschule in Konstanti nopel sei es zwischen türkischen Offi zieren und ihren deutschen Lehr meistern zu argen Mißhelligkeiten gekommen, ist nicht nur von der türkischen Regierung, sondern jetzt auch von der türkischen Botschaft in Berlin wwerlegt worden. Diese hat erklärt, als Beweis dafür, daß es sich lediglich um eine plumpe Er- finsung handelt, braucht nur hervorgehoben zu werden, daß bei der Kriegsschule kein einziger Lehrmeister, weder ein deutscher noch ein andrer, angestellt ist. Hoffentlich wird man nun in Paris zufrieden sein. "In einem längeren Artikel über die in letzter Zeit viel erwähnte Eosingerste er klärt der ,R.-A/ u. a., die verschiedentlich auf gestellte Behauptung, daß infolge der Fütterung der Schweine mit Eosingerste eine Färbung des Fleisches und Fettes eintrete, müsse nach den wissenschaftlichen Feststellungen als unbegründet bezeichnet werden. Noch weniger kann davon die Rede sein, daß etwa Äckä-ignngen infolge des Genusses von Fleisch und Fett von Tieren, die Eosingerste als Futter erhalten haben, eintreten können. „ * Im Preuß. Staatshaushaltsetat für l^10 ist eine bedeutende Summe für außerordentliche Kurse zur vermehrten Ausbildung von Bolksschullehrkräften ausgeworfen. An solchen außerordentlichen Kursen find bis zum Schluffe des Etatsjahres 1908 214 Präva randenkurse und 113 Seminarkurse eröffnet worden. Im Etatsjahre 1909 sind weitere 30 Präparanden- und 16 Seminarkurse hinzu getreten, sodaß sich die Gesamtzahl der bisher eingerichteten Kurse auf 274 bezw. 129 beläuft. Die Kurse zeigen im allgemeinen einen guten Besuch und haben die an ihre Einrichtung ge knüpften Erwartungen erfüllt. "Die dem Preuß. Abgeordnetenhaus zuge- gangenen Übersichten über die Ergebnisse der anderweiten Verpachtung von Domänen lassen wiederum erkennen, wie erheblich die Lage der Landwirtschaft sich verbessert hat. Der Pachtzins pro Hektar ist nämlich gestiegen: in Ostpreußen von durchschnittlich 15,8 Mk. auf 21,2 M?., in Westpreußen von 25 Mk. auf 25,4 Mk., in Pommern von 36,1 Mk. auf 43,3 Mark, in Posen von 21,4 Mk. auf 37,6 Mk., in Sachsen von von 87 Mk. auf 89,1 Mk., in Hannover von 40,8 Mk. auf 57,6 Mk., in Hessen-Nassau von 37,6 Mk, auf 40,2 Mk. Nur in Brandenburg ist der durchschnittliche Pachtzins pro Hektar ein wenig gesunken: von 44,6 Mk. auf 44,1 Mk. Für die Provinzen Schlesien, Schleswig-Holstein, Westfalen und die Rheinprovinz liegen keine entsprechenden Zahlen vor. "In der bayrischen Abgeord- netenkammer führte bei Gelegenheit der Etatsberatung Ministerpräsident Frhr. v. Pode- wils über die Stellung der bayrischen Regie rung zur Reichsfinanzreform aus, Bayern habe immer den Standpunkt vertreten, daß einerseits Massenartikel, anderseits der Besitz herangezogen werden müßten und daß man an der Erbanfallsteuer nicht Vorbeigehen könne. Die bayrische Regierung habe sich sachlich an der Reform mit besten Kräften beteiligt; einer Einführung direkter Reichssteuern habe sie nicht zustimmen können, wenn sie nicht ihren von jeher eingenommenen Standpunkt preis geben wollte, und das Festhalten dieses Stand punktes könne ihr niemand verargen. Es gehe nicht an, die bayrische Regierung für eine Wendung der Dinge verantwortlich zu machen, der gegenüber Fürst Bülow nicht länger im Amte bleiben zu können glaubte. Die ver bündeten Regierungen haben in Bülow den Meister der auswärtigen Politik gesehen. Die bayrische Regierung habe die Finanzhoheit der Einzelstaaten gewahrt und sei sich der Verantwortlichkeit bewußt, die sie als zweitgrößter Bundesstaat getragen habe. Der diplomatische Ausschuß werde künftig zu normaler Tätigkeit berufen sein; der neue Reichskanzler habe sich zu dieser Zusage seines Amtsvor gängers rückhaltlos bekannt. Die frühere Be sorgnis, daß der Ausschuß die einheitliche Leitung der auswärtigen Angelegenheiten beein flussen könne, sei geschwunden. O sterreich-Ungarn. "Wie verlautet, will die Regierung noch einmal den Versuch machen, eine kurze Tagung des böhmischen Land tages, dessen Arbeitsfähigkeit wegen des Streites zwischen Deutschen und Tschechen in Frage gestellt ist, zu ermöglichen. Die Ver handlungen mit den einzelnen Parteiführern sind bereits eingeleitet. Balkanstaat««. "Der zwischen der deutschen Firma Krupp und der französischen Fuma Schneider ausge» brochene Zwist wegen der Geschützliefe rn n g e n in Serbien ist immer noch nicht beigelegt, denn im serbischen Ministerrat teilte Ministerpräsident Pasilsch mit, daß von Krupp ein Schreiben eingelnufen sei mit der Anfrage, ob es richiig sei, daß die serbische Regierung sämtliches Kriegsmaterial von der französischen Fabrik Schneider zu beziehen gedenke, oöwo§. das Kruppsche Angebot um 30 bis 40 Prozr., billiger ist. — Lie Düsseldorfer Fabrik Ehr hard ist übrigens mit einem neuen Angebot an die Regierung herangetreten; sie ist geneigt, Schrapnells zu 39 Dinars das Stück zu liefern. Die serbische Regierung, die immer noch auf eine französische Anleihe hofft, ist unschlüssig und will eine neue Offerte von Schneider ab- warteu. "In anbetracht des unruhigen Verhaltens der Kreter, die sich mit einer Verschiebung der Lösung der Kreta-Frage nicht einver standen erklären wollen, haben die Schutzmächte beschlossen, wenn nötig, Truppen auf der Insel zu landen. Man will indessen noch ab warten, ob die Kreter nicht doch auf eine gewaltsame Durchführung ihrer Pläne zu gunsten einer Angliederung an Griechenland verzichten. Aus clem Keickstage. Der Reichstag setzte am Donnerstag die Be sprechung der Interpellationen über die Kattowitzer Beamtenmaßregelungen fort. Abg. Schrader (frs. Vgg.) warf dem Reichskanzler vor, daß sein Vorgehen durch keinerlei Gesetz berechtigt sei. Ent weder nehme man den Beamten das Wahlrecht, oder man gebe ihnen volle Wahlfreiheit. Im gleichen Sinne mißbilligte die Maßregelungen auch Abg. Südekum (soz.); die Hauptsache bleibe die Demokratisierung des preußischen Wahlrechts. Staatssekretär Delbrück bezeichnete es als die übliche Auffassung der Staatsrechtslehrer, daß die Beamten bei Antritt ihres Amtes auch bestimmte Wichten gegenüber dem Staate übernehmen. Die Kattowitzer Maßnahmen seien als Akt nationaler Notwehr berechtigt. Abg. Kolbe (freikons.) meinte, nicht daß Beamtenmaßregelungen stattgefunden haben, sondern daß deutsche Beamte wegen Unter stützung der großpolnischen Bewegung haben versetzt werden müssen, sei das Beklagenswerte. Abg. v. Dziembowski-Pomian (Pole) führte aus, das Ergebnis der Beratung sei jedenfalls, daß die Mehrheit des Reichstages die Kattowitzer Beamten- maßregelungen entschieden mißbilligt habe. Nachdem noch die Abgg. Lattmann (wirtsch. Vgg.) und Doormann (frs. Vp.) gesprochen, schloß die Be sprechung. Das Haus wandte sich zur ersten Lesung der Strafgesetznovellen. Nachdem Staatssekretär Lis co die Vorlagen kurz begründet hatte, trat Vertagung ein. Am 14. d. wird die erste Lesung der Iustiz - Novellen fortgesetzt. Abg. Wagner (konß): Den Worten der An erkennung, die gestern der neue Herr im Reichs justizamt Herrn Dr. Nieberding widmete, schließen wir uns gern an. Der Entwurf der neuen Straf prozeßordnung ist dank der Verbindung mit dem Allgemeinen Deutschen Sprachverein in sprachlicher Beziehung musterhaft. Was die Beteiligung der Laien an der Rechtsprechung betrifft, so ist die Frage nicht, ob der Berufs- oder Laienrichter vorzuziehen ist, sondern ob den Berufs richtern noch mehr als bisher der Laienrichter zur Seite stehen soll. Diese Frage aber bejahen wir gern. Den Einwand, daß es an geeigneten Schöffen fehle, lasse ich nicht gelten. Die Tatsache, daß künftig die Schöffen neben Reisekostenersatz auch Ver säumnisgelder bekommen, soll ja gerade den Kreis der geeigneten Schöffen erweitern. Ein großer Teil meiner Freunde wird eine Änderung dahin zu erreichen suchen, daß Schöffen auch in zweiter Instanz als Richter Mitwirken. Bedauerlich ist, daß das Schwurgericht eine Nachprüfung des Tatbestandes nicht zulüßt. Uns wäre deshalb lieber gewesen, die Schwurgerichte gemäß dem ersten Ent würfe durch die großen Schöffengerichte zu ersetzen Der Zwang, zu erläutern, weshalb eine bestimmte Tatsache als erwiesen gilt, kann in der ziveiten Instanz nicht entbeyrt werden. Die Forderung der Beschleunigung des Strafverfahrens hat hier zu weitgehenden Vorschlägen geführt. Wegen der Ein schränkung des Legalitätsprinzips kommen wir hoffentlich in der Kommission zu einer Verständigung. Daß in Strafsachen wegen Beleidigung des Aus schluß der Öffentlichkeit dem freien Ermessen des Gerichts überlassen werden soll, billigen wir durch aus. Die Duellgcgner haben hier mit besonderem Eifer zu helfen. Unter Ausschluß der Öffentlichkeit ist dann aber auch der Prejseausschuß zu verstehen. An dem deutschen Richterstande und seiner Pflich- trcue wird es auch in Zukunft nicht fehlen. Wenn aber in einem Jahre bei uns etwa anderthalb Millionen Strafsachen anhängig sind, was sagen bei einer solchen Ziffer Fehler in vielleicht zwei Dutzend Fällen? Wir erkennen die Vorlage als geeignete Grundlage für die schließliche Reform an und sind zu eifriger Mitarbeit bereit. Wir bean tragen daher Verweisung an eine Kommission von 28 Mitgliedern, bllten aber die Fraktionen, nicht nur Juristen, sondern auch Laien zu entsenden. Abg. Heinze (nat.-lib.): Prinzipielle Ände rungen bringen die Entwürfe nicht. Die erweiterte Heranziehung der Laien billigen wir durchaus. Der frühere preußische Justizminister Lconhart hat mit Recht gemeint, nicht nur auf eine gute, sondern auch auf eine von Vertrauen getragene Rechtsprechung komme es an. Die Änderungen hinsichtlich der Schöffengerichte dürfen nicht dazu führen, daß das Reichsgericht mit Teilen der Rechtspflege die innige Fühlung verliert. Die Gründe, die die Regierung gegen die Laien in Strafkammern anführt, können uns nicht überzeugen. Das Legalitätsprinzip ist vielfach an der Unzufriedenheit schuld, die sich gegen die Rechtsprechung geltend gemacht hat. Nur bei genügendem Anlaß soll der Staatsanwalt einschreiten. In der Frage der Untersuchungshaft müssen die Haftbefehle eingehender begründet werden. Preuß. Justizminister Beseler: Der Entwurf, der historisch ausgebaut ist, wurde von uns rechtzeitig veröffentlicht, weil wir die öffentliche Kritik hören wollten. Ein paar Worte über die Heranziehung des Laien-Elements. Abgesehen von einzelnen Teilen Deutschlands, wo sie schon früher bestand, haben wir eine solche allgemeine Heranziehung von Laien in den Schöffengerichten erst seit dem Jahre 1879. Diese habe sich ja auch bewährt. Aber Fehler sind auch von Schöffengerichten gemacht worden. Mit den Vorwürfen, die den Richtern in den Strafkammern gemacht worden sind, geschieht ihnen unrecht. Leben denn nicht auch die Richter mit dem Volk, mit der Volksseele? Empfinden nicht auch sie deren Regungen? Wenn Sie auch zum Berufungsgericht Laien heranziehen wollen, so machen Sie damit ein Erperiment, wie es non nirgends gemacht ist. Die Tätigkeit des Bermnngs- richters ist doch auch eine ganz andre, als tue des ersten Richters: die Tätigkeit des Berufungsrichters ist eine im wesentlichen kritische. Und wenn Sie diese kritische Tätigkeit auch dem Laien anvertrauen wollen, so ist das ein Experiment, das die Regie rungen nicht mitmachen können, ehe sie nicht noch anderweite längere Erfahrungen mit dem Laien- Element gemacht haben. Dazu kommt noch die Schwierigkeit, geeignete Laien in hinreichender Zahl zu finden. Die ehrenamtliche Tätigkeit erreicht ohnehin schon einen großen Umfang. Ich weiß ja, daß der Gedanke, die Schöffen auch in zweiter Instanz mitsprechen zu lassen, großen Anklang findet. Aber er ist, ich wiederhole eS, ein Experiment, für das die Regierungen nicht die Verantwortung übernehmen können. Abg. Gröber (Ztr.): Die Reform auch der Zivilprozeßordnung ist nunmehr nur noch dringender. Die Vorteile der Zuziehung der Laien bei der Straf rechtsprechung sind so unleugbar, daß sich die Heran ziehung der Laien auch in der Priyungsinstanz von selbst rechtfertigt. Das juristisch fein begründete Urteil ist wertlos, wenn es nicht das Vertrauen des Volkes findet. Die geplante Einschränkunz des Legalitätsprinzips für die Anklagerichtung kann ich nicht befürworten. Abg. Müller-Meiningen (frs. Vp.) be grüßt es, daß die Heranziehung der Laien auch zur zweiten Instanz anscheinend von allen Parteien ge fordert wird. Die vorgeschlagene Konstruktion des Berufungsgerichts ist unhaltbar. Diehr Vertrauen zum Volk, das jetzt von der Wiege bis zur Bahre am Gängelband der Polizei läuft I Die Beibehaltung der Schwurgerichte entspricht durchaus meinen Wünschen. Den S chwur- gerichten sollten aber auch die Preßprozesse überwiesen werden. Die Lehrer erscheinen mir als besonders geeignete Schöffen und Geschworene. Ich selbst habe auch nichts gegen weibliche Beisitzer. Ausschluß der Öffentlichkeit sollte nur möglich sein, wenn alle Prozeßbeteiligte einverstanden sind. Am notwendigsten ist die Neuordnung des Polizeirechts, ein Kinderjchuy- gesetz und ein Strafvollzugsgcsetz. Abg. Varenhorst (freik.): Herrn Nieberdings Verdienste um die Rechtsprechung sind mit goldenen Lettern in die Geschichtstafeln eingetragen. Die er wartete Heranziehung des LaienelementS wird von selbst kommen. Auch die 'Ausstattung der Straf kammern mit einer Berufungsinstanz ist allgemeine Forderung. Das Schwurgericht als politische Er rungenschaft und volkstümliches Gericht ist beizude- halteu. Bei der vorgeschlagcnen Umgestaltung des Vorverfahrens ist eine geringere Verzögerung der Prozesse wohl oder übel in Kauf zu nehmen. Er wünscht ist die einheitliche Regelung des Strafvoll zugs. Abg. v. DziembowSki-Pomian (Pole): Die Vorlage hat in der Öffentlichkeit nicht das ge bührende Interesse gefunden. Die erwartete Heran ziehung der Laien ist ein Fortschritt. Im Osten tollte man auch Richter polnischer Nationalität zulassen. Die Weiterberatung wird vertagt. O ZulZeräienMLck. 71 Erzählung von Fritz Reutter. „Wer warum — o, das muß alle? ein Irrtum sein," sprach die Senorita von neuem, ^fch bin ganz verwirrt — ich muß gehen —" Karl reichte ibr einen Stuhl, um sich zu scheu. „Wollen Sie mir nicht die Ehre er« weisen, zuerst meine Geschichte anzuhören?" bat er. „Ihr — Ihr Freund befindet sich in Sicherheit, dessen kann ich Sie versichern. Aber ich, Senorita — und Sie haben nur noch fünf« wldzwMzig Minuten." Sie blickte ihm einen Augenblick ins Gesicht, setzte sich und antwortete errötend: „So haben Sie sich für ihn geopfert? Ich danke Ihnen, Senor." Er wies ihren Tank als nicht der Mühe wert zurück, setzte sich auf die andre Seite des Tisches und begann seine Abenteuer fett seiner Abfahrt von Panama zu erzählen. Er vergaß dabei keine der Einzelheiten der Seereise, er war nur zu froh in ihrer Gesellschaft und be obachtete ängstlich das Interesse, das sich in ihren Zügen und dem ausdrucksvollen Auge zu malen schien. Sie unterbrach ihn nicht ein einziges Mal, bis er jenen aufregenden Zwischenfall auf der letzten Bahnstation erzählt hatte. „So ist er in Sicherheut" riefsie, voll Entzücken in die Hände schlagend. „O, ich bin jetzt so sicher, Senor, heute nacht, spätestens morgen wird er die Armee erreichen, und dann —" Plötzlich «rmuerte sie sich ih«r Lage Md hielt inne. „Ich bedaure — ich Halle es ganz vergessen, daß Sie als Gefangener hier weilen. Aber Sie werden mir verzeihen, Senor?" bat sie und reichte ihm die Hand. Karl führte sie an seine Lippen. „Ich dachte nur an Ium —" „Erlauben Sie mir, daß ich ihn beglück wünsche, Senorita?" „Er ist mir lieber und teurer als irgend etwas auf dieser West," versetzte sie be- stimmt. „Das ist meine Entschuldigung hier, Tenor." „Sie bedürfe« keiner besseren," erwiderte Karl, „und Don Juan ist ein sehr glück licher MMN." Und ein Seufzer kam über seine Lippen. Sie warf ihm einen raschen Blick zu, als wolle sie sich der Bedeutung seiner Worte und Gebärden versichern und dann bat sie ihn, in seiner Erzählung fortzufahren. Während sie dies sagte, glänzen ihre Augen so fröhlich und zufrieden, daß es Karls Aufmerksamkeit nicht entging. Beide lächelten; und ohne ein weiteres Wort der Erklärung setzte Karl seine Geschichte fort mit dem Bewußtsein, das Wohlwollen dieses Mädchens für sich gewonnen zu haben. Als er schloß, fragte sie: „Wie soll ich Ihnen nur für alles danken, Senor? Sie haben sich eines Fremden wegen all diesen Gefahren ausgesetzt — es riskiert, erschossen zu werden — das gleicht dem Mann der tapferen deutschen Nation. Ich danke Ihnen," wieder- Holle sie diesmal auf deutsch. „Reichen Sie mir die Hand." „Sie sprechen deutsch!" rief Karl voll Er- staunen. „Nur ein wenig," — und ihr Akzent klang vielleicht auffallend. „Ich war einmal in Wies baden in einer deutschen Schule. Und jetzt wollen Sie mir Ihren Namen sagen?" „Karl Nippold l Es ist etwas schwer aus zusprechen." „Karl Nippold," wiederholle sie. „Ja, es ist schwer." „Nennen Sie mich einfach Karl," schlug er etwas verwegen vor. „Jedermann nennt mich so." Sie verfiel wieder in ihre Muttersprache und versetzte: „Ich heiße Dolores Alvarado, und auch ich bin darauf gefaßt, eines Tages als gefährlicher Rebell standrechtlich erschossen zu werden. Doch die Zett verstreicht, Senor Nippold —" „Wer Sie haben mir noch gar nicht erzählt, wie es Ihnen gelang, hier einzudringen — ich weiß gar nichts vom Volksaufstand in den Straßen und von vielen andern Dingen, die mich jetzt interessieren." „Das ist rasch erzählt. Wissen Sie, wir haben überall unsre Leute und unsre Spione — Sie selbst haben gesehen, wie rasch sich die Nach- richt von Ihrer Gefangennahme verbreitete und wie schnell unsre Freunde die Waffen ergriffen. Die ganze Stadt steht auf unsrer Seite — genau so wie das Land, das an General Melgarejos Tyrannei genug hat; nur die Armee und das Beamtentum sind ihm vorder hand noch treu. Die ganze Nacht hindurch leistetea die Bürger deu Truppen Widerstand. Sie sollten hierher geführt werden, und inner halb einer Stunde wußte es die ganze Stadl. Da brauche ich Ihnen gar nicht zu sagen, mü welchem Schmerz ich diese Nachricht vernahm. Was konnte ich tun? Wartete ich bis morgen, so war es vielleicht schon zu spät, um Inan überhaupt noch zu sehen. Mein einziges Rettungsmittel war also, aufs Schloß zn eilen, und ein Medersehen trotz allem zu bewerk stelligen." „Und das alles haben Sie ausgeführt? Sie tapferes Mädchen!" sagte Karl auf richtigen Herzens. „Wer doch sicherlich nicht allein?" ' „Meine Dienerin begleitete mich; aber ich schwebe ja in keiner Gefahr. Mes andre war leicht. Der Kommandmt dieses Schlosses ist ein alter Freund meines Vaters, obgleich ich ihn seit Jahren nicht mehr gesehen habe. Auch er ist im Innersten seines Herzens Ms gut gesinnt, nur aber zu furchtsam, um das öffent lich zu erklären. Er sagte mir, Juan hätte sich sehr verändert: als Knabe hatte er ihn gekannt — und wenn er etwas zu seiner Hilfe beitrage« könne, so wolle er es für den Sohn seines Freundes gerne tun." „So ahnte er nichts von der Wahrheit? Mir gegenüber war er gewiß korrekt, aber durch aus nicht besonders freundlich." „Er fürchtet sich vor Ferreira, der kein« Nachsicht kennt — das war zweifellos der Grund seines Verhaltens." „Und dieser Ort — dieses Schloß hier, was ist es eigentlich?" „Es ist das alte Schloß von Leon, das
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