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natürlich aber mußten alle die Segel streichen, als der elegante und ! geniale Aktuar dem jungen Mädchen zu huldigen begann. Wie ! interessant er doch war! Er schien nur in der Region des Schön»n zu leben, alles, was das profane tägliche Leben betraf, schien ihm gänzlich unwürdig, überdacht und besprochen zu werden. Seine Ausdrucksweise war eine so gewählte und blumenreiche, das; der alte Hafner jedesmal ganz gerührt wurde und, eine Prise nehmend, wohl leise zu feiner Frau sagte: „Just wie 'ne Predigt, Minchen, wenn man auch nich' inimer versteht, was er eigentlich meint!" Die schönen Reden hatten es auch dem von Natur so praktischen Jdchen angetan. Es hörte sich alles, auch das Unbedeutendste, was er sagte, doch gar zu vornehm an! Freilich war sie im stände, ihn mitten in feinem schwungvollsten Redefluß ganz harmlos zu unterbrechen, etwa mit der prosaischen Mahnung, feinen Kaffee nicht kalt oder fein Bier nicht warm werden zu lassen. Nach einigen kurzen Tagen bräutlichen Glücks mußte Jdchen ihren Verlobten wieder von sich lassen, da die Zeit seines Auf enthaltes in Holzweida um war, doch sollte sie ihn bald Wieder sehen: lud doch die Sanitätsrätin, feine Schwester, sie aufs freund lichste zu sich ein, um sie kennen zu lernen, und zugleich in die Siebenstädter Gesellschaft einführen zu können. Dieser Besuch Jdchens brachte manche geheime Enttäuschung mit sich- Vor allem bemächtigte sich des Bräutigams eine leise Verstimmung. Er konnte sich denn doch der Wahrnehmung nicht verschließen, daß seine Braut in der heimatlichen Brauerei einen weit vortrefflicheren Eindruck gemacht habe, als in der verfeinerten Atmosphäre feiner Kreise. Eins der hübschesten Mädchen war Jdchen freilich auch hier, aber etwas gar zu frisch, rundlich und rosig. Es fehlte ihr völlig jener zarte, ätherische Hauch schwer mütiger Schwärmerei, der die Siebeustädter Damenwelt so un gemein interessant machte. Ja, der Aktuar hätte etwas darum ge geben, wenn Jdchen ihre roten Backen, die ihm doch in ihrer Häuslichkeit so gefallen hatten, gegen den melancholisch bleichen Teint der Tochter des Professors hätte eiutauschen können, wenn ihr heiterer Btick so etwas Schmachtendes gehabt hätte, wie der des Fräulein X., oder wenn ihre Gestalt so ätherisch-schlank gewesen wäre wie die seiner Schwester. Aber nicht nur ihr Acußeres hätte er anders gewünscht. Es fingen in seinem zarten Gemüte leise Zweifel an aufzudämmern, ob denn Jdchen, die zuweilen so entsetzlich prosaisch sein konnte, wirklich „gleich dem Epheu an der Eiche" sich an ihm zu höherer Ver geistigung emporranken würde, wie er es erträumt hatte. Freilich, neulich bei dem ästhetischen Tee bei Medizinalrats, als er so gefühlvoll die Höltysche Elegie „Auf den Tod eines Land mädchens" vorgetragcn hatte, da hatte er auch in ihren Augen Tränen blinken sehe». Ueberhaupt war es ihm doch auch in Holz- weida öfter gelungen, ihre Augen feucht zu machen. Das war doch immer ein Trost! Allein Jdchen bekam so gar keine Fühlung mit der Sieben städter Gesellschaft; nur ihm zu Gefallen verhielt man sich nicht völlig ablehnend gegen sie. Das war kein gutes Zeichen! Auch trug seine Schwester eine so fatale, schweigende Ergebung zur Schau, — von Fräulein Reinhöldinens spöttischem Lächeln gar nicht zu reden .... Jeder empfand eben die grenzenlose Nüchternheit Jdchens wie einen Mißklang in der Sphärenharmonie des-ein heimischen Geisteslebens. Kein Wunder, daß der ängstlich beobachtende Bräutigam selbst sich etwas ernüchtert fühlte. Auch Jdchen kehrte mit höchst gemischten Empfindungen nach Hause zurück. „Mutter," sagte sie, „vornehm ist dort alles fürchter lich, aber ich glaube doch, es ist recht gut, daß unsere Hochzeit schon zu Ostern sein soll, und Alfred dann eine ordentliche Häuslichkeit »nid gute Pflege bekommt! Tie Fran Sanitätsrat ist eine sehr feine Dame, aber sie liegt den ganzen Tag über auf dein Sofa und liest Romane. Den Hausstand überläßt sie ihrer Gesellschaftsdame, die nichts davon versteht. — Ich konnte es kaum ansehen, wie alles zuging, sage ich Dir!" Von ihren Beobachtungen hatte Jdchen übrigens klugerweise Lindeluft gegenüber kein Wort geäußert. Wußte sie doch, wieviel er von der Schwester hielt, die, älter als er, ihn teilweise erzogen hatte und noch jetzt großen Einfluß auf ihn besaß. III. „Was wirst Du Deiner Braut zu Weihnachten schenken, Alfred?" fragte die Sanitätsrätin ihren Bruder. Er zeigte ihr ein schön gebundenes Buch mit weißen Blättern. „Es wird Dir," sagte er etwas verlegen, „»richt die Notwendig keit entgangen sein, einen gewissermaßen vergeistigenden Einfluß auf Ida auszuüben, und da ich keine fo ganz meinen Wünschen ent sprechende Poesiesammlnng fimd, so dachte ich, selbst die zartesten und erhebendsten Perlen der Dichtkunst für sie niederzuschreiben." „Was für eine herrliche Sammlung wird das werden!" rief die Sanitätsrätin enthusiasmiert. „Ich werde „Emiliens Stunden der Andacht" beifügen, ein Buch, das seinen veredelnden Einfluß nicht verfehlen kann." Auch Jdchen beschäftigte sich mit der Frage, was sie ihrem Verlobten zum Christfeste schenken könne. Eine Handarbeit sollte es sein, und er Ivar mit all diesen Dingen, wie gestickten Brief- tuschen, Pfeifenbändern und Aschbechern so überreich versehen. „Mutter, was hast Du denn Vater zu Weihnachten geschenkt, als ihr Brautleute wart?" fragte sie. „Ich? — Gott, ich hab ihm ein Dutzend Paar Strümpfe ge strickt, aber das wird ja wohl für den Herrn Aktuar nichts sein!" Jdchen überlegte. Ihr Bräutigam war nicht nur in bildlichem Sinne etwas verschnupft von ihr geschieden. Selbst schöngeistigen Jünglingen naht sich mitunter ein höchst unpvetischer Schnupfen, und so war es auch ihm passiert. Jdchen dachte dieses Umstandes und seiner etwaigen Gründe. „Strümpfe — das ist ein guter Gedanke!" entschied sie bei sich. Warum sollte ein Aktuar nicht ebenso gut Strümpfe brauchen wie ein Brauer? So strickte Jdchen Hafner denn Strümpfe, und der Aktuar Lindeluft schrieb Gedichte. .— — — — — Der Weihnachtsabend war herangenaht. Im Hanse der Sanitätsrätin ging es heute ganz besonders sestlich her; hatte doch die allverehrte Dame ihren auserlesenen Freundeskreis zu sich ein geladen, um gemeinsam in möglichst genußreicher Weise den Abenv zu begehen. Die eigentliche Weihnachtsfeier war bereits vorüber, soeben wurden die beiden Töchter des Hauses zum Schlafengehen hinaus geführt, die. als Engel gekleidet, mit einer von der Mutter selbst verfaßten, poetischen Darstellung aufs lieblichste die Festlichkeit ein geleitet hatten. Die Kerzen am Weihnachtsbaume strahlten auf eine Menge von Gcschenkgegenstäuden herab, bei deren Auswahl die Devise gewesen zu sein schien: Nur nichts Nützliches! Indessen bei dem wirklich genußreichen Teil des Abends war man erst jetzt angelangt, in dem man sich noch ein wenig der edelsten aller geselligen Unterhaltungen, der Musik und Poesie befleißigte. Die junge Doktorin saß am Spinett und war gerade beim letzten Verse eines Millerschen Liedes angelangt. Hierauf folgte ein von Fräulein Reinholdine vorgetragenes Gedicht. Wie reichen Beifall aber Fräulein Reinholdine auch einerntete, die Krone des Abends bildete doch ein vom Aktuar Lindeluft vor getragenes schauerlich schönes Gedicht. Nassen Auges drückte man dem Deklamator dankend die Hand, der, selbst noch tief ergaiffen, nur ein melancholisches Lachet»» zur Erwiderung fand. In diesem Augenblick schellte es an der Haustür, eine Männer stimme wurde draußen laut, und gleich darauf brachte inan eine Kiste herein, die, aus der Hafnerschen Brauerei an den Herrn Aktuar gesandt, nur durch das Verlveilen des Boten in einer auf seine»» Wege liegenden Gastwirtschaft so verspätet eintraf. Allgemeiner Jubel begrüßte die Sendung, und der Empfänger wurde einstimmig dazu verurteilt, feierlich in» Beisein der ganze»» Gesellschaft auszupacken, wozu er sich denn auch gern bereit erklärte. Als der Teckel der Kiste abgehoben war, zeigte sich eine Schicht grüner Tannenzweige und in ihrer Mitte ein Briefchen. Der Aktuar überflog schnell die wenigen Zeilen und sagte dann, daß seine Brant, die zu einem längere»» Schreiben nicht Zeit gefunden hätte, für seine Schwester einige Wirtschaftserzeiig»isse sende >md für ihn selbst eine Handarbeit, von der sie hoffe, sie werde ihm gelegen kommen und wirklich von Nutzen sein. Ein prächtiger Schinken und diverse Würste, sowie ein driftender Weihnachtskuchen wurde» nun der Kiste entnommen. Die Sanitäts- rälin durfte mit den» Tausch für „Emiliens Stunden der Andacht" wohl zufrieden fein. Ganz unten auf dem Boden der Kiste lag, wieder zwischen Tamienzweigen und mit hellblauem Leidenbande umwunden, das für dem Aktuar bestimmte, sauber in. Seidenpapier gehüllte Paket. Eine Weile lang versuchte man aus der äußeren Form zu erraten, was es wohl sein könne, sobald aber der Aktuar die Schleifen zu lösen begann, trat, wie auf Verabredung, ein all gemeines Schweigen ein, das den» ganzen Akte einen komisch-feier lichen Anstrich verlieh. Als die Hülle gelöst war, sah man zwölf einzelne, in rosa Papier gewickelte Päckchen gleichen Formats. Kopfschüttelnd ergriff der Aktuar das erste, öffnete es vorsichtig und entnahm ihn» ein Paar wollener Strümpfe. Starr und verständnislos betrachtete ec sie eine Zeitlan p und auch der ganze Zuhörerkreis starrte die unschuldigen Strümpfe an, als hätte man ihresgleichen noch nie gesehen. Ein kreischendes Aus-