Volltext Seite (XML)
Der Keuchttnrm Korrespondenz des Vereins der Rheder des Unterwesergebiets. Nr. 193. Bremen, 20. November 1909. Deutscher Schulschiffverein uud stellenlose Schiffsosfiziere. Der Deutsche Schulschiffverein schreibt uns: Die Stellenlosigkeit der Schiffsosfiziere hat in der letzten Zeit die Öffentlichkeit vielfach beschäftigt und auch einen Anlaß gegeben, daß der Verein Deutscher Kapitäne und Schiffsoffiziere sich mit einer Eingabe an den Deutschen Schulschiffverein gewandt hat. In einer Beratung, die vor kurzem in Hamburg stattfand, hat der geschäfts führende Ausschuß des Deutschen Schulschiffvereins zu dieser Eingabe Stellung genommen. Wenn es begreiflich erscheint, daß eine so lang andauernde Periode schlechten Geschäftes, wie sie die Schiffahrtskreise in den letzten zwei bis drei Jahren durchgemacht haben, auch eine Stellungslosigkeit im Berufe der Schiffsoffiziere nach sich gezogen hat, so sind die ausgesprochenen Klagen doch nicht in dem Grade begründet, wie es auf den ersten Blick den Anschein haben kann. Im Verfolg eines Gesuches, das an den Verein Hamburger Reeder gerichtet war, hat dieser Verein sich bereit erklärt, stellenlosen Schiffsoffizieren bei dem Suchen nach neuen Stellungen behilflich zu sein und in Not geratene Offiziere zeitweilig zu unterstützen. Diesem Vor gehen hat sich auch der Zentralverein Deutscher Reeder angeschlossen. Die Erfahrungen, die der Verein Hamburger Reeder hierbei gemacht hat, sind zur Beurteilung des Umfanges der Stellenlosigkeit sowie auch der Gründe, die zu ihr geführt haben, sehr interessant. Unter den Meldungen, die beim Verein Hamburger Reeder eingegangen waren, haben sich eine größere Anzahl von Offizieren befunden, die eine derartig schlechte Dienstführung gehabt haben, daß sie zwecks weiterer Anmusterung garnicht vorgeschlagen werden konnten. Eine Reihe von anderen Offizieren gehörte ihrer bisherigen Beschäftigung nach garnicht dem Hamburger Gebiet an, andere waren seit Jahren aus dem Seemanns beruf ausgeschicden, und wieder anderen konnte in kürzester Zeit eine geeignete Stellung zugewiesen werden. Ferner befinden sich unter den Meldungen eine größere Anzahl von Maschinisten, um deren Unterbringung bei der in der Öffentlichkeit angeregten Besprechung es sich garnicht handelte, und gleichfalls eine größere Anzahl junger Leute, die eben erst ihre Steuermaunsprüfung bestanden und noch garnicht als Schiffsoffiziere gefahren hatten; für diese bedeutet es also keine große Zumutung, auch noch fernerhin bis zur Besserung der Verhältnisse Stellungen auzunehmen, wie sie sie bisher bekleidet hatten. Nach Abzug der hier genannten Kategorien von Offizieren bleiben nur 63 weiter zu prüfende Offiziere übrig. Von diesen waren 21 ans ihren Stellungen infolge von Differenzen und ähnlichen Gründen ausgeschieden, also nicht durch die schlechte Geschäftslage brotlos geworden, und von den übrigen waren tatsächlich nur 22 von ihren bisherigen Reedereien gut empfohlen. An Hand dieser Ziffern, für deren Zuverlässigkeit die Quelle, aus der sie stammen, unbedingt bürgt, müssen die Klagen von einer weitverbreiteten Stellenlosigkeit der nautischen Schiffsoffiziere ohne Frage als übertrieben bezeichnet werden. Jedenfalls darf man unbedenklich behaupten, daß die Schwierigkeit, eine der Ausbildung entsprechende Stellung zu finden, in anderen Berufsarten, wie beispielsweise in dem des Kaufmannes, ganz erheblich größere sind, als dies unter den Seeleuten der Fall ist. Es mag in diesem Zusammenhang anch darauf hingewiesen werden, daß in den Ostseegebieten von einer Überproduktion an Schiffsoffizieren kaum etwas zu spüren ist. Das Ergebnis der einwandfreien Darlegungen konnte für den Deutschen Schulschiffverein, der sich aus uneigen nützigen Gründen und lediglich im Interesse der bestmöglichen Ausbildung zukünftiger Seeleute mit der Einstellung von Knaben in den Seemannsbernf befaßt, nur das sein, daß eine für längere Dauer anhaltende Kalamität nicht an- zuerkennen ist. Die jungen Leute, die bei der nächsten Einstellung im Frühjahr 1910 zur Einstellung gelangen, können, soweit sie als Offiziere in Aussicht zu nehmen sind, frühestens im Jahre 1914—1915 in diese Stellungen ein rücken, werden daher ganz anderen Schiffahrtsverhältnissen gegenüber stehen, als wie wir sie heute beklagen. Sofern sie aber für Segelschiffe oder Dampferfahrzeuge als Bestand der Deckmannschast in Frage kommen, erfüllen sie nur ein Bedürfnis, dessen Dringlichkeit wohl von keiner Seite geleugnet wird. Eine Forderung auf eine Herabsetzung der Einstellungen oder gar auf ein vollständiges Aufliegen eines der Schulschiffe erscheint anch ans dem Gesichtspunkte ganz unberechtigt, weil der Deutsche Schulschiffverein bei der großen Anzahl von Ausbildungsgelegenheiten für künftige Schiffsosfiziere nur einen recht beschränkten Teil bei sich vereinigen kann, uud es ein sehr wunderliches Ansinnen Wäre, wenn der Verein, der für sich unter allen Ausbildungs arten eine besonders gute in Anspruch nehmen darf, seine Tätigkeit aufgäbe, und allen möglichen anderen weniger guten Arten der Einführung in den Seemannsberuf freie Tätigkeit und zu einem nicht geringen Teile die Übernahme derjenigen jungen Leute gestatten sollte, die sonst durch den Schulschiff verein den Eintritt in den Seemannsberuf gewinnen würden. Es mag hierbei auch daraus hingewiesen werden, daß auch der Hamburger Verein „Seefahrt" unter den gegebenen Verhältnissen nicht daran denkt, seine auzuerkenncnde Tätigkeit zu beschränken, und daß wohl anznnehmen ist, daß das an sich zu bedauernde Übel einer zeitweiligen Stellenlosigkeit mit dem Wiederaufblühen der Schiffahrt von selbst zur Heilung gebracht werden wird. Unter diesen Verhältnissen kann der Deutsche Schulschiff verein nach sorgfältiger Prüfung im geschäftsführendeu