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Allgemeiner Anzeiger : 07.10.1905
- Erscheinungsdatum
- 1905-10-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190510070
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19051007
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-10
- Tag 1905-10-07
-
Monat
1905-10
-
Jahr
1905
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 07.10.1905
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Politiseke Kunälckau. Deutschland. * Das Kaiserpaar wird bis zum 7. d. auf Jagdschloß Rominten verbleiben. *Der italienische Minister Tittoni hat Baden-Baden wieder verlassen. *Die Reichstagsmitglieder rc, die die Studienfahrt nach Kamerun gemacht hatten, find am Sonntag wohlbehalten in Hamburg wieder eingetroffen; sie äußerten sich sehr befriedigt über den Verlauf der Reise und sprachen ihren Dank für den angenehmen Aufenthalt und die vorzügliche Verpflegung an Bord des Dampfers aus. Am Abend reisten die Herren nach Berlin weiter. *Bei den am Sonntag durch die Wahl männer vollzogenen Wahlen zum sächsi schen Landtage wurden an Stelle der ausgeschiedenen 30 Abgeordneten gewählt: 19 Konservative, 8 Nationalliberale, 1 Reform partei, 1 Freifinniger und 1 Sozialdemokrat. Die Zweite Kammer setzt sich demnach aus 53 Konservativen, 24 Nationalltberalen, 2 Mit gliedern der Reformpartei, 2 Freisinnigen und 1 Sozialdemokraten zusammen. — Danach haben die Nationalliberalen 3 Mandate, die Freifinnigen 1 Mandat gewonnen; die Sozial demokraten waren im letzten Landtag überhaupt nicht vertreten. *Nach einem Gutachten der Kreishaupt- Mannschaft Dresden-Neustadt dürfte der Preis des Schweinefleisches voraussichtlich bald, spätestens jedoch bis zum Monat November finken, während der Preis des Rindfleisches sich voraussichtlich noch bis zum Frühjahr auf der heutigen Höhe erhalten wird, da naturgemäß die Heranfütterung der Schweine schneller vor sich geht, als die des Rindviehs. Die Hauptursache der Fleischnot liege in dem Futtermangel des Jahres 1904. Recht beachtlich sei die Einwirkung des Zwischenhandels und besonders des Großhändlertums, wodurch derzeit der Preis des Jungviehes ein Drittel bis die Hälfte höher zu stehen komme, als in normalen Zetten. *Die württemb er gische Eisenbahn- Verwaltung hat mit dem i. d. die neun stündige Arbeitszeit argkordnet. Auch in Baden wird diese Maßregel zur Einführung gelangen. *Der Kreuzer „Seeadler" ist am 1. d. in Dar es Salam eingetroffen. Somit steht jetzt die gesamte bisher für die Niederwerfung bestimmte deutsche Stretimacht dem Gouverneur zur Verfügung. Wenn auch die Marinemannschasten für größere Unter nehmungen in das Innere des Klimas wegen nicht IN Anspruch genommen werden können, so machen sie doch durch die Besetzung der Küsten- und nächsten Binnenlandftarwnen die dortigen Schutz- und Polizeitruppen zu Expeditionen verfügbar. Man kann daher nach dem bis herigen Verlauf des Aufstandes wohl hoffen, daß seine Niederwerfung ohne neue deutsche Truppen gelingen wird. Österreich-Ungarn. * Kaiser Franz Joseph nimmt in diesem Jahre an den Hochwildjagden in den steirischen Alpen, denen er fonft nkr fern bleibt, nicht teil. Man schließt daraus, daß ihm dieungarische Krise viel zu schaffen macht, in der angeblich wichtige Entscheidungen nahe bevorftehen. *Jn Brünn fanden am Sonntag ein deutscher und gleichzeitig ein tschechischer Volks tag statt. Der deutsche Tag legte Protest ein gegen die zunehmende Tschechisierung Mährens und die Errichtung einer tschechischen Universität in Biünn. Später kam es zwischen den Be suchern der beiden Tage aus der Straße zu Reibereien, die in einen förmlichen Straßen kampf ausauele, so daß das Militär ein- schreiten mußte. Es fanden viele Verwundungen stall; einem deutschen -örosessor wurde durch einen Steinwurs ein Auge ausgeschlagen. * Der OSei>Stadihaup!mann von Buda pest untersagte die Abhaltung beider für den 3. d. angemeldeten Fack^lzüge, svwohl den der „koalierten" Bürgerschaft wie den der Sozial demokraten. (Das ist eine sehr vernünftige Maßregel, denn die solennen Fackelzüge hätten doch sicher mit einer solennen Keilerei geendet.) Frankreich. - *Dr. Rosen, der deutsche Unterhändler bei den abschließenden Verhandlungen über das Marokko-Abkommen, wurde am Montag vom Präsidenten Loubet empfangen, dem er durch den deutschen Botschafter Fürsten Radolin vor gestellt wurde. Die Unterhaltung erstreckte sich hauptsächlich auf das jüngst abgeschlossene Marokko-Abkommen, dessen Programm den andern Mächten mit einer Erläuterung durch die französische Regierung zugestellt worden ist. *Die französischen Minister reden gern und viel. Der Ackerbauminister Ruan hielt am Sonntag in Nancy bei der Einweihung Präsident v. Orterer. Präsident dis bayrischen Landtages ist der Münchener Ghmnafialdirektor Oberstudienrat Dr. Georg v. Orterer geworden, der früher auch dem deutschen Reichstage angehörte und cS dort bis zum zweiten Vorsitzenden der Zentrumsfraktion brachte. Ter im 57. LibenSiahre stehende Poliiiker ist durch Redegaben ausgezeichnet und verfügt in seinem philologischen Lebentberuf über ein reiches Wissen; besonders in germanistisch n Kreisen genießt er be deutendes Ansehen. Als Pi äsident hat v. Orterer schon in der vorigen Landtag!sesfion fungiert und zu großer geschäftlicher Umsicht das Bestreben nach Unparteilichkeit b-kundet. einer landwirtschaftlichen Schule eine Rede, in der er aussührte, daß Frankreich nach 1870 einen bedeutenden Aufschwung genommen hätte. Er schloß daran an, daß Frankreich bei einem kürzlichen Anlaß vom Standpunkt der äußeren Politik gezeigt habe, daß, wenn es auch Freund schaften besitze, es doch keine geheime Verträge habe. Rouvier habe die angemessene Sprache gesunden und habe gezeigt, daß das Einver nehmen, das er geschuff-n habe, auf lange Zeit hinaus den Frieden zwischen Frank reich und seinen Nachbarländern hergestellt habe. (Gemeint war natürlich Deutsch land und das Marokko-Abkommen.) England. *Es wird wiederholt versichert, daß Eng land ein Sonderabkommen mit Ruß land bezüglich der astatischen Fragen, be sonders wegen P ers ie n und Tib et, austrebe. Schweden. * Der außerordentliche schwedische Reichstag ist am Montag von dem Ministerpräsidenten Lundeberg im Namen des Königs mit einer Thronrede eröffnet worden. In derselben wird besonders hcrvorgehoben, daß es der Wunsch des Königs Oskar ist, daß das dem Reichstag zm Genehmigung vor liegende Karlstader Übereinkommen mit Norwegen die Zustimmung der Volks vertretung finden möge. (An der Genehmigung des Abkommens durch den schwedischen Reichs tag ist wohl ebensowenig zu zweifeln wie an der Zustimmung des norwegischen Storthings.) * Die Wahlen zurzweitenKammer find jetzt abgeschlossen; sie zeigen, daß eine Verschiebung nach links stattgefunden hat. Von 230 Wahlen find 61 Neuwahlen. 10 der Neugewählten find Sozialdemokraten, die früher 4, jetzt 14 Vertreter haben, mindestens 34 gehören der liberalen Partei an. Seitens der Rechten rechnet man darauf, daß 107 Mit glieder der Rechten und Moderate, 109 Liberale und 14 Sozialdemokraten gewählt find, während nach Meinung der Linken 116 Mitglieder der Linken, 100 der Rechten und 14 Sozialdemo kraten gewählt wurden. Rußland. * Die Leiche des Generals Kondra - tenko, des Helden von Port Arthur, ist in Odessa eingetroffen. Bei der unter Teilnahme der ganzen Bevölkerung abgehaltenen Trauer feier gedachten Vertreter der Generalität und der Behörden der Verdienste des Gefallenen. Der Sarg war mit Silberkränzen bedeckt, die von der mandschurischen Armee, den Generalen Lenewitsch und Stössel, der Stadtverwaltung von Odessa und andem Städten gewidmet waren. Von Odessa erfolgte die Überführung des Sarges auf einer Lafette, unter Geleit einer Ehrenwache, die aus Mannschaften der ehemaligen Besatzung von Port Arthur zu sammengesetzt ist, nach Petersburg, wo die Beisetzung in Anwesenheit des Kaisers in den nächsten Tagen erfolgen soll. *Ein russischer Arbeiterkongreß wird für Dezember in Moskau vorbereitet. *Eine bewaffnete Volksmenge in War schau überfiel das Eisenwerk Ostrowice und eignete sich den gesamten Dynamitvorrat (180 Pfund) nebst Zündkapseln an. Asten. * Aus derMandschurei kommen mehrere übereinstimmende Meldungen über den Aus - bruch der Bubouenpest unter den Truppen der russischen Armee. Die Sterblich keitsziffer sei erschreckend hoch; Hunderte Sol daten sterben so rasch, daß es unmöglich sei, die Leichen zu bestatten. Die ärztliche Hilfe sei vollständig ungenügend, die Leiden der kranken Soldaten werden durch den Mangel an Pfleg; noch vermehrt. R.LlchsfiNLN2reform. Nach der .Köln. Zig/ ist die Reichswehr steuer nicht unter die Steuervorlagen, die als Grundlagen der Reichsfinanzreform den Bundes rat in seinen ersten Sitzungen im Monat Oktober beschäftigen werden, ausgenommen worden. Man begründet das damit, daß die eifrigsten Befürworter der Reichswehlsteuer mit dem Verlangen nach ihrer Einführung derartige Wünsche für die Verwendung ihres Steuer erträgnisses zu bestimmten Zwecken verbinden, daß schon mit Hinblick hierauf die Reichswehr steuer im Verbände mit Steuern, die den alleinigen Zweck haben sollen, unsern schwind süchtigen Neichsfinanzen neue Kraft zuzuführen und die Grundlage für die Gesundung unsrer so sehr im argen liegenden Reichsfinanzwirt schaft zu bilden, nicht am Platze zu sein scheine. Die Reichsregierung scheint auch die nochmalige Einbringung einer Reichswehlsteuer, falls hierzu aus parlamentarischen Kreisen nicht eine erhebliche Unterstützung findende Anregung ge geben wird, aus dem Grunde für bedenklich zu halten, weil die erste Vorlage einer Wehrsteuer im Reichstage eine einstimmige Ablehnung erfuhr. „Im übrigen darf" — so fährt das offiziöse Blatt fort — „wohl erwartet werden, daß die Absicht der Reichsregierung, wirksame Maßregeln zur Ausbesserung unsrer Reichs« finanzen vorzuschlagen, schon im Hinblick auf den zu erwartenden Voranschlag sür den Reichs etat von 1906 eine eingehende und wohl wollende Prüfung finden wird. Der Voran schlag sür 1906 wird, wie verlautet, trotz der allmählich sich bessernden Einnahmen der Branntwein-, Zucker- und Stempelsteuer einen Ausfall bezw. eine Vermehrung der ungedeckten Malrikularbeiträge bringen, die weit über die des Vorjahres hinausgeht. Das Elatsjahr 1905 ergab aber bereits einen Fehlbetrag von 78 Millionen, in denen 54 Millionen ge stundeter Matrikularbeiträge enthalten find. Die jährlichen Zinsen unsrer Reichsschulden belaufen sich jetzt schon auf rund 130 Millionen, Angesichts einer solchen Finanzlage sollte sich doch jeder Reichstagsabgeordnete der Pflicht bewußt werden, zur Gesundung der Reichs finanzen bei der Erschließung neuer Einnahme quellen mitzuwirken, statt an dem grundsätzlichen Widerspruche gegen alle Steuerprojekte sein Genüge zu finden." — Indessen sollte sich auch, so fügt die ,Tägl. Rdsch/ hinzu, das Reichs schatzamt der Pflicht bewußt sein, in der kommenden Reichsstnanzreform - Vorlage nicht nur ein umfangreiches Steuerbukett darzubieten, sondern vor allem auch der Trennung von Reichs- und Einzelstaatsfinanzen seine Auf- merkfamkeit zu widmen, über diesen Punkt hört man auffälligerweise überhaupt nichts mehr. Von I^ak uncl fern. Der Massenstreik in der Berliner Glektrizitätsindustrie war am Montag und Dienstag von feiten der eine Lohnerhöhung fordernden Arbeiter fast vollständig durchgeführt. Nur ganz vereinzelt traten einige am Morgen zur Arbeitsverrichtung in den einzelnen Werkstätten und Kraftanlagen an. Da nun auch die Berliner Straßenbahn ihre elektrische Kraft von einer von dem Streik betroffenen Gesellschaft erhält, so mußte sich deren Werk- leilung dazu entschließen, die großen Kraft maschinen, die den Strom auch für Licht liefern, von den Abteilungsmeistsrn, von Ingenieuren und Technikern letten zu lassen. Tatsächlich reichte der gelieferte Strom bei weitem nicht aus, um den gesamten Betrieb der Straßenbahn zuzulassen. Auf einzelnen Linien wurde über haupt nicht gefahren, während auf anderen Strecken der Betrieb eingeschränkt wurde. Die Omnibusgesellschaften hatten der veränderten Sachlage Rechnung getragen und alle über flüssigen Wagen in Betrieb gestellt. Des gleichen waren die Droschken in verstärktem Maße zur Bewältigung des Verkehrs heran gezogen worden. Ein Gerücht wollte schon wissen, daß die Straßenbahn, wenn die elektrische Kratt gänzlich versagt, den Betrieb mit Pferden vorläufig wieder aufnehmen wollte! In dem bekannten Kollmannschen Erb- schaftsprozeh schlossen die Kollmannfchen Erben, von denen ein Teil in Nürnberg wohnt, mit dem Abgeordneten Bebel einen Vergleich. Beim Verlade« von Geld durch die Neichsbankftelle auf dem Bahnhof in Siegen geriet ein mit Zwanzigmarkstücken gefülltes Säckchen im Werte von 45 000 Mk. unter die Räder einer Lokomotive. Das Säckchen wurde von der Lokomotive glatt durchfahren, wodurch eine Anzahl Goldstücke platt gepreßt, andre um hergeschleudert wurden; doch janden sich alle Stücke wieder. „Hochlohnender Verdienst." In Seu lingen auf dem Eichsfelde las ein Bürgerssohn, der auf leichte Weise Geld zu verdienen ge dachte, eine Anzeige, worin „hochlohnender Verdienst" in Aussicht gestellt wurde. Der junge Mann wandte sich an das betr. Institut, und es wurde ihm geantwortet, er müsse für nähere Auskunft vorher 5 Mk. einschickcn. Er sandte das Geld ein und erhielt darauf auf einer Postkarte folgende Antwort: „Reinen Sand in die Stube streuen, damit kein Staub entsteht, Spiegel und Bilder hübsch putzen und Fliegenschmutz entfernen, Teppiche und Klei dungsstücke jeden Morgen ausklopfen, Schlaf- und Wohnzimmer hübsch lüften, das ist der lohnende Verdienst." — Man kann sich vor stellen, was sür ein Gesicht der so schmählich Hereingefallene gemacht hat, da er seine 5 Mk. auf so leichte Weise losgeworden ist und neben dem Schaden auch noch den Spott hat. Zwei Personen verbrannt. In Neuhof bei llbelbach brannte ein Bauernhof nieder. Die zwei Söhne des Besitzers, 16 und 10 Jahre alt, haben in den Flammen den Tod gefunden. Erschlagen. Der Ökonom Eisenberg in Meineringhausen (Waldeck) wuroe auf dem Felde von einem umftürzenoen Fuder Klee er schlagen. U MslüfkiLäe. 11f Roman von Adalbert Reino ld. sFortsevung.) Der junge Advokat war sichtlich abge spannt, seine Gesichtsfarbe erschien blaß, je weilig zuckte es schmerzhaft um seinen Mund, als ob er noch einmal die NbschiedSszenen von den Eltern, von — Berta im Geiste durch lebte. * Das Weh, das in seinem Herzen vielleicht in diesem Augenblick wieder jäh erwachte, führte die Bilder des vorhergegangenen Abends vor sein Seelenauge. Als er Abschied von Berta genommen, alS er in dem Abenddunkel des Waldes ver schwand, gerade in demselben Augenblick war die Untat geschehen — waren die Schüsse ge- fallen, die das Herz des Grafen von Rohden sich zum eigentlichen Ziel erkoren. — Er hatte die Schüsse gehört und heute früh von dem Attentat, das gegen den Grafen verübt worden, Kunde erhalten. Und wenn eine der tückischen Kugeln daS Ziel nicht verfehlt, das Herz des Grafen ge- troffen, diesen getötet hätte — ? Berta wäre frei gewesen. Uber was sann der junge Mann nach, der den Kopf gestützt, wie geistesabwesend, starr die toten Buchstaben auf dem Papier zu be trachten schien? — Wer vermag in die Tiefe einer Menschen- freie zu blicken? — Doktor Kühns vernahm nicht, daß eine Kalesche vor das Bahnhofsgebäude vorfuhr. I Dem Wagen entstieg ein feingekleideter Herr im Alter von etwa fünfzig Jahren, der in seinem Wesen etwas Militärisches zur Schau trug. Sein Blick übeiflog die Gartenanlagen, die daS Bahnhofsgebäude im Halbkreise um rahmten, dann stieg er schnell di« wenigen Treppenstufen hinauf und stand auf der Vorder diele, wo der Schalter und die Gänge zur Güterexpedition und den Wartesälen sich be fanden. Die Gänge waren völlig menschen leer, die Schalter geschlossen. Der Herr bog ab in den Gang zur rechten Hand, hier befand sich der Wartesaal dritter Klaffe. Er blickte durch die Türscheibe in das Zimmer. Nur zwei Landleute saßen an einem Tische mit einander plaudernd und gemütlich ihr Bier trinkend. Den Herrn schienen diese Personen wenig zu interessieren, er wandte sich jetzt der ent- gegengesetzten Gangseite zu und trat ohne weiteres in den Wartesaal erster und zweiter Klasse. Hier gewahrte er sofort den einsamen, einzigen Passagier, der wahrscheinlich auf daS Eintreffen deS -weiten Bahnzuges wartete. Nahe dem vor sich hinbrütenden jungen Manne blieb der Eintretende stehen, ohne daß jener es der Mühe wert zu halten schien, sich den Ankömmling anzusehen. „Guten Morgen, Herr Doltor —* ertönte die sonore Stimme deS älteren Herrn. Gleichsam wie erschreckt fuhr der junge Rechtsanwalt empor und richtete nun seinen Blick auf den ihn Begrüßenden. „Ah, Herr Inspektor, guten Morgen!" ent ¬ gegnete er und setzte dann fragend hinzu: „Wollen Sie auch den nächsten Zug benutzen?" Der Inspektor trat Doktor Kühns noch näher: er warf einen Blick aufS Büfett, und als er niemand hinter demselben gewahrte, sagte er mit gedämpfter Stimme: „Ich bitte um Entschuldigung, Herr Doktor, wenn ich einer Pflichterfüllung unliebsamer Art nachkommen muß." Er zog jetzt ein Papier aus seiner Brust tasche, entfaltete eS und überreichte eS dem Rechtsanwalt. Dieser las aber nur daS eine großgedruckte „Verhaftsbefehl" — dann wurde er noch bleicher, als er war, und schnellte von seinem Sitze empor. Der Inspektor der Polizei hatte ihn keinen Augenblick auS den Augen gelassen; seine hohe, breite, kräftige Gestalt stand dem jungen Manne imponierend gegenüber. „Keine Erregung, kein Aufsehen, Herr Doktor!" sagte er ruhig mit ebenso leiser, aber fester Siimme wie vorhin. „Mein Wagen steht draußen. „Sie müssen mir vorläufig nach Liliental zurückfolgen." „Herr Inspektor," rief der Doktor, „Sie werden mir zugeben, da muß entschieden ein Irrtum obwalten. Wessen beschuldigt man mich denn?" Er schien jede Fassung verloren zu haben, noch hielt er das verhängnisvolle Blatt in seinen Händen. „Sie find ja Rechtsanwalt! Lesen Sie doch selber, Herr Doktor," entgegnete der Inspektor und fügte noch leise hinzu: „Sie find verdächtig, am gestrigen Abend aut Graf von Rohden zwei Schüsse abgefeuert zu haben." Diese Worte gaben dem Rechtsanwalt seine ganze Fassung wieder. „Was," rief er entlüftet, „ich soll einen Mordversuch auf den Grafen gemacht haben? Ist Ihr Chef, der Herr Landrat, verrückt ge worden ?" „Herr Doktor, ich halte das unbedacht ge sprochene Wort Ihrer Stimmung zugute. Sie wissen selber, daß ich nur meine Dienstpflicht zu erfüllen habe." Er warf einen scharfe» Blick auf seinen Gefangenen und fügte hinzu: „Ich kann Ihnen nur noch sagen, daß man i» Walde, wo das Attentat verübt wurde, eine« sechsläusigen Revolver gefunden hat, dessen Handgriff Ihren eingravierten Namen trägt. Der junge Mann fuhr mit der Hand über die Stirn. „Mein Gott," rief er tief erregt, „soll ich denn süyier zur Verzweiflung gebracht werden! Dann wandte er sich an den Polizeiinspektor und sagte gefaßter: „Ich stehe zu Diensten, Herr Inspektor. Haben Sie einen geschloffenen Wagen?" Dann murmelte er wie mit sich selber sprechend: „Meine armen Eltern — nun, auch das wird vorübergehen." „Mein Wagen ist geschlossen," entgegnete der Inspektor, „ich vermag nichts zu tun, als Ihnen mein Bedauern über diese peinliche Affäre auszusprechen, und hoffe und wünsche, daß sich dieselbe rasch zu Ihren Gunsten auskläre» möge." „Ich danke Ihnen für Ihre Teilnahme!
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