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„Kainz?" „Morgen spielt er Don Karlos, eine seiner Glanzrollen." Auf Bernds Stirn bildete sich eine Falte. In ängstlicher Spannung beobachtete sie es. „Ach Bernd, liebster, süßester Bernd," schmeichelte sie. „Ich will Dir auch so sehr dankbar sein." Sie streichelte ihm das Haar und lehnte ihre Wange schmeichlerisch an die seine. Er lächelte gerührt, nahm ihren Kopf zwischen feine Hände und «blickte ihr in die freudig auf leuchtenden Augen. „Du großes Kind, Du! Kannst Du denn wirklich nicht ohne das Theater leben?" Sie atmete aus der Tiefe ihrer Brust auf. „Nein, Bernd! Wenn ich schon selbst nicht spielen darf, so laß m'ich wenigstens andere spielen sehen. Tagtäglich es an den Littfaßsäulen an gekündigt sehen, Tag für Lag in den Zeitungen lesen, wie hinreißend der, wie entzückend jener gespielt hat, und dann ausgeschlossen sein von dem herrlichsten, berauschendsten Ge nuß, der für mich zu denken, nein, Bernd, das — das kannst Du, das wirst Du sticht wollen. So hart, so grausam wirst Du nicht sein. Das wäre ja gerade so, als wollte man den ver schmachtenden Wanderer, der die frische, erguickende Quelle vor seinen Augen sprudeln sieht, mit Gewalt zurückhälten, seinen Durst zu löschen." Sie hatte sich heiß und atemlos geredet. Er küßte ihr be wegt die zitternden Lippen und die feucht schimmernden Augen. „Da freilich," sagte er in 'halbem Scherzton, „Du arme Ver schmachtende, da darf ich nicht länger zögern. Ich sehne mich ja selbst danach, mal ein gutes Theater zu besuchen. Freilich, man hatte sich ja in einen förmlichen Haß hineingelebt, man zitterte ja, man wurde förmlich nervös, wenn man nur das Wort Theater hörte. Das ist ja nun überstanden. Gott sei Dank! Gehen wir also und sehen uns den großen Kainz an!" Dora konnte kaum den nächsten Abend erwarten. Sie lebte und webte den ganzen Tag über in dem Stück, von dem sie -ganze Stellen aus dem Gedächtnis rezitierte. Als die Theaterstunde gekommen, da saß sie andachtsvoll wie der Gläu bige in dec Kirche und sog jedes Wort mit Inbrunst in sich hinein und hing an jeder Miene und Gebärde der Spielenden mit gespanntestem Interesse. Sie war ganz aufgelöst in Wonne und Entzücken, und als sie nach Hause gekommen, da war das erste, daß sie Bernd stürmisch um den Hals fiel, ihm in ekstasi- schen Worten ihren Dank hervorsprudelte und ihn mit Küssen überschüttete. „Das war ein Spiel, Bernd, wie? Einen schöneren Ge nuß habe ich in meinem ganzen Leben nicht gehabt. Wie elend wir dagegen in der Provinz gemimt haben! Ja, ja, so gut hab' ich's nie gehabt! Mit einem solchen Partner zu spielen, wie der Kainz, das mußte ein Glück sein!" Bernd erhob halb im Scherz, halb ernsthaft den Finger. „Du! das muß ich mir ausbitten! Nicht wieder an so Unsinniges denken, hörst Du?" „Aber," lenkte sie rasch ein, aus ihrer Verzückung er wachend, ,-das fällt mir ja gar nicht ein. Es fuhr mir nur so unwillkürlich heraus " Das Glück des jungen Ehepaares erfuhr eine wesentliche Bereicherung und Vertiefung, als Dora ihren Gatten mit einem gesunden kleinen Töchterchen beschenkte. Auf Bernd hatte das freudige Familienereignis auch die Wirkung, daß er zum erstenmal« sich ernsthaft und eingehend mit der Zukunft be schäftigte. Bisher hatte man in den Tag hineingelebt, und Bernd hatte sich nie ernstlich mit der Frage abgegeben, ob auch die Ausgaben für den opulent geführten Haushalt im richtigen Verhältnis zu feinen Einnahmen ständen. SÄn Schrecken war nicht gering, als er nun die Entdeckung machte, daß die Kosten des ersten Jahres ihres Berliner Aufenthaltes seine Revenuen weit überschritten. Die Zinsen seines Kapitals, das in den solidesten Staatspapieren angelegt war, trugen ihm nicht mehr als viertausend Mark jährlich ein. Seine Ausgaben aber erreichten den doppelten Betrag. Was nun? Lange fann Bernid über diese Frage nach. Das war ihm schon nach kurzer Ueberlegung klar: so weiter ging es auf keinen Fall. Das Kapital durfte auf keinen Fall noch weiter angegriffen werden. Zwei Auswege gab es, um der Differenz zwischen Einnahme und Ausgabe zu entgehen. Ent weder mußte man sich einschränken und alles auf einen klei neren Fuß einrichten oder aber er mußte ein Mittel finden, seine Einnahme zu erhöhen. Die Idee, sich einzüschränkeu, ließ er sehr bald wieder fallen. Wie wäre das möglich gewesen jetzt, wo der Haus stand sich durch die Amme, die für den kleinen Familienzuwachs angenommen worden, noch vergrößert hätte? Aber wie sich eine neue Einnahmequelle eröffnen? Diese Frage beschäftigte ihn wochenlang, ohne daß er ihrer Lösung auch nur im geringsten näher gekommen. Er fand sehr bald heraus, daß es nur kleine, unbedeutende, schlecht besoldete Aeinter waren, die einem verabschiedeten Offizier offen standen, und diese Stellen, die alle ein nicht geringes Opfer an Selbst- verleutznung forderten, waren von so großen Scharen von Be werbern förmlich belagert, daß oft Jahre vergingen, bis der einzelne an sein Ziel gelangte. Damit war es also nichts. Das war gut für die, die vor dem Nichts standen und keine andere Zuflucht hatten. Für ihn, der in seinem Vermögen einen Rück halt hatte, mußte sich etwas besseres finden. Wochenlang sah er die Annoncenspalten der größeren Blät ter durch. Seine Absicht war, sich an irgend einem industriel len Unternehmen zu beteiligen. Aber auch hier konnte er nichts Passendes finden. Entweder reichten die ihm zur Verfügung stehenden Mittel nicht aus, oder aber man beanspruchte aktive Beteiligung an der geschäftlichen Leitung, wovon bei ihm nicht die Rede sein konnte, da er keinerlei Fachkenntnisse besaß, oder aber die Sache sagte ihm nicht zu, da sie ihm nicht würdig, nicht Passend für einen ehemaligen Offizier erschien. Eines Tages stieß er auf ein Inserat, das er wieder und wieder mit Interesse las. Die Annonce nahm die halbe Seite eines großen Blattes ein und war in ebenso verlockendem, wie vertrauenerweckendem Tone gehalten. Ein Bankhaus bot Interessenten seine Dienste an bei Ein kauf von Papieren und Vermittelung von Börsengeschäften. Was Ida in kurzen, kräftigen Schlagworten gesagt war von der Torheit derjenigen Wertpapierbesitzer, die sich mit der geringen Verzinsung der Staatspapiere begnügten, während doch andere viel ergiebigere Börsenobjekte in großer Zahl auf dem Markte waren, schien ihm außerordentlich einleuchtend, um so mehr, als das Bankhaus darauf hinwies, daß bei der großen Routine mild Erfahrung, die es besäße, für ihre Kommittenten ein Ri siko so gut wie ausgeschlossen sei. „Möglichst hoher Gewinn bei möglichst geringem Risiko — das ist unsere Devise —" so schloß die lockende Kundgebung des Bankhauses Anton Sternthal. Bernd beschloß, das Kontor der Firma Sternthal aufzu- 'suchen und seine Entscheidung von dem Eindruck, den er dort empfangen würde, abhängig zu machen. Das Bureau des Bankhauses befand sich in der besten Geschäftsgegend, in der Friedrichstraße, unweit der Leipzigerstraße. In dem im ersten Stockwerk eines prächtigen Hauses gelegenen Kontor sah er etwa ein halbes Dutzend junger Leute an verschiedenen Pulten ar beiten. „Die Firma mutz zahlreiche Klienten haben," schloß er, „sonst könnte sie nicht so vielen Buchhaltern Beschäftigung ge währen." Er nannte einen: der jungen Leute Name und Stand und bat, den Herrn Chef sprechen zu Idürfen. Er wurde aufgefor dert, Platz zu nehmen, da Herr Sternthal Geschäftsbesuch habe. Bernd hörte, wie ein anderer der Buchhalter dem jungen Mann, an den er sich wendete, zurief: „Der Graf von Finkenstein ist noch da!" Ein unwillkürlicher Respekt regte sich in ihm vor der Firma, die so vornehme Kunden besaß. Nach einer kurzen Weile sah er einen alten, sehr würdig aussehenden Herrn durch die Tür, über der in eleganten Goldlettern das Wort „Privat- Kontor" stand, eintreten und sich nach dem Korridor zu ent fernen. Bernd erhob sich, der Buchhalter geleitete ihn in das Nebenzimmer, das Bernd mit einer gewissen Spannung be trat. — Der Anblick des Chefs des Bankhauses Anton Sternthal überraschte ihn. Es war ein fast noch junger Herr, von etwa fünfunddveißig Jahren. Sein Antlitz war bleich, ein Zug von Abspannung und Müdigkeit herrschte in demselben vor. Von Zeit zu Zeit machte sich ein nervöses Zucken bemerklich. Sein rötlich blondes Haar war sorgfältig frisiert, sein kurz gehaltener Vollbart spitz nach der Mode geschnitten. Die Ausstattung des mäßig großen Bureaus war elegant und behaglich. Neben dem mit geschnitztem Aufsatz versehenen Diplomaten-Schreib- tisch war ein Fauteuil herangerückt, auf den der Bankier, selbst auf fernem Drehsessel Platz nehmend, den Eintretenden nötigte. Bernd hatte alles das mit raschen, prüfenden Blicken über flogen. Der erste Eindruck war kein schlechter. Das alles schien solide Wohlhabenheit zu kennzeichnen. ' - „Ich habe Ihr Inserat gelesen," begann er, „und ich komme, um Ihren Rat in Anspruch zu nehmen. Ich hatte mein kleines Vermögen bisher —- doch, Pardon," unterbrach er sich, einer plötzlichen Mißtrauensregung nachgebend, „der Herr, «welcher vor meinein Eintritt Ihr Bureau verließ, kam mir bekannt vor, ich erinnere mich augenblicklich nicht des Namens " Er wartete gespannt auf eine Antwort. Aus des Bankiers Augen glitt ei-n kurzer, schneller Blick zu dem Fragenden hin über. Dann antwortete er in höflichem, aber bestimmtem Ton: