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politische Kunäschau. Der russisch-japanische Krieg. *Wie von einem der Begleiter Wittes versichert wird, ist dessen Vollmacht zweifel los in jeder Beziehung der Ko muras gleich. Die Instruktionen des Zaren, welche die Politik vorschreiben, die Witte zu verfolgen berechtigt ist, lassen in vielen Beziehungen einen weiten Spielraum, und find mehr dazu geeignet, ihm zu helfen, als ihn zu be- hindern, vorausgesetzt, daß die Bedingungen Japans seiner Meinung nach erfüllbar find. Es wurde auch klar ausgesprochen, daß Witte nicht gekommen ist, um einen Frieden um jeden Preis abzuschließen. * Sämtliche russischen Tmppen auf Sachalin haben sich nun den Japanern er geben. * Auf Sachalin haben die Japaner auch eine Zivilve.r Wallung eingerichtet. * Zwischen den chinefischen Gesandten in Paris und Petersburg finden gegenwärtig Be ratungen statt, die vermutlich dieStellung - nähme Chinas zu den Friedensver handlungen zwischen Rußland und Japan zum Gegenstand haben. * * * Z« de» russische« Wirre«. *Der amtliche .Regierungsbote' sagt in seinem Bericht über die Konferenz, welche unter dem Vorsitz des Kaisers in Peterhof statt gefunden hat: Nach Besprechung der Frage, ob der vom Ministerrat revidierte Gesetzentwurf Bulygins mit den in der kaiserlichen Verfügung vom 3. März enthaltenen Weisungen überein stimme, ging die Konferenz zur Beratung der einzelnen Artikel über. Bemerkenswert erscheint, daß in der Konferenz Graf Ignatiew, der bisher als entschiedener Reaktionär betrachtet wurde, aufs eindringlichste zugunsten weit gehender Reformen und ihrer schnellsten Einführung sprach. Zur Unterstützung seiner Anfichten führte er Tatsachen aus seiner Kennt nis der Lage im Innern an, die bisher noch niemals dem Zaren mit solcher Kraft und Beredtsamkeit unterbreitet worden waren. Er erklärte, die Dynastie und Familie Romanow seien in Gefahr, falls Bulygins Verfaffungsentwurf in seiner gegen wärtigen Form angenommen werde. Rußland müßte dann unfehlbar in eine Reihe von Katastrophen hineingeraten, mit denen verglichen die vorhergegangenen bloßes Kinder spiel wären. Als Graf Jgnatiew seine Rede beendet hatte, schloß der Zar sofort die Debatte. *Der Zar hat, wie das genannte Amts blatt ferner mitieilt, auf eine Adresse aus Chabarowsk telegraphisch seine herzliche Billi gung des in der Adresse ausgedrückten Wunsches nach Fortsetzung des Krieges bis zur Zerschmetterung des Feindes und besonders nach Ab weisung des Gedankens einer Land ab - tretung oder Kriegsentschädigung ausgedrückt. (Es herrscht auch allgemein die Überzeugung, daß die gegenwärtige Negierung keinen Frieden schließen kann, da sie für eine Landabtretung oder die Zahlung einer Kriegs entschädigung keine genügende Unterstützung im Volke zu finden glaubt, während doch selbst die .Nowoje Wremja' zugibt, daß Japan nicht ohne das eine oder das andre oder gar beides Frieden schließen kann. Das einzige Be ruhigende an der Sache ist, daß der Zar immer des Abends anders denkt, als am Morgen, und daß die Verhältnisse stärker find als er.) * In Cherson (Südrußland) wurden fünf Soldaten wegen schwerer Meuterei zum Tode verurteilt. * * * Deutschland. * Der Kaiser trifft am Dienstag in Posen ein, in dessen Nähe am 8. und 9. d. große Kavallerie. Übungen statt finden. *Jn Londoner politischen Kreisen hält man eine Zusammenkunft Kaiser Wilhelms mit König Eduard in Frankfurt a. M. be vorstehend. * Die Behauptung des Pariser ,Gaulo>«', daß die deutsche Regierung sich über die zu häufigen Besuche französischer Offiziere im Reichsland auf diplomatischem Wege beschwert habe, wird in Straßburg be stritten. Die ,Straßb. Post' versichert aus unterrichteter Quelle, daß seitens der reichs ländischen Regierung keinerlei Schritte in der Angelegenheit getan wurden. Die Aufenthalts erlaubnis werde den französischen Offizieren bereitwilliger als früher erteilt. (Man steht, es war nichts weiter als französische Nervosität.) *Die Zahl der Kaufmannsge richte im Deutschen Reiche beträgt nicht, wie Generaloberarzt Dr. Sedlmayr -ß. kürzlich gemeldet, 221, sondern nach einer Zu sammenstellung der Hamburger Zeitschrift ,Das Kaufmannsgericht' bereits 229, denen noch 13 weitere folgen werden. Die letzte der zur Er richtung eines Kaufmannsgerichts verpflichteten Gemeinden, welche das Gericht eröffnet, wird Rostock sein, wo das Institut erst am 1. Oktober d. in Kraft treten soll. *Eine Regelung des Nahrungs mittelverkehrs soll demnächst nach einer Verfügung des Ministers des Innern im Königreich Sachsen in Kraft treten. Danach soll in den Verkaufs- und Lagerräumen der Aufenthalt von Haustieren sowie die Auf bewahrung von Farbe, Seife, Soda, Petroleum und übel- oder scharfriechenden Flüssigkeiten verboten sein. Die Waren müssen vor Staub, Fliegen und andern gesundheitsschädlichen In fektionen gesichert sein. Eßwaren vor dem Laden offen auszulegen, ist untersucht. Zum Einpacken darf Mr reines, vorher noch nicht benutztes, unbedrucktes Papier verwendet werden. Eis aus verunreinigten Gewässern darf mit den Waren nicht in unmittelbare Be rührung kommen. Zuwiderhandlungen gegen diese Bestimmungen, die manchem tatsächlich vorhandenen Übelstand abzuhelfen geeignet find, werden mit Geldstrafe bis zu 150 Mk. oder Haft bis zu sechs Wochen bedroht. *Generaloberarzt Dr. Theodor Sedlmayr, der in Südweftafrika gefallen ist, war am 28. März d. als Nachfolger des Generaloberarztes Dr. Schian nach Südwest afrika zur Leitung des Sanitätswesens abge gangen. Sandfonlein und Romansdrift, wo ihn schon nach so kurzer Wirksamkeit der Tod ereilt hat, liegen ganz im Süden des Schutz gebietes, dort wo augenblicklich die Scharen des Häuptlings Cornelius von unsern Truppen verfolgt werden. In dem letzten Berichte des Oberbefehlshabers wurde schon erwähnt, daß nördlich des Orangeflusses kleine tzottentotten- banden hier und da deutsche Verpflegungs stationen erfolgreich angegriffen haben. Der in dieser Gegend herrschenden Unsicherheit scheint danach auch Dr. Sedlmayr zum Opfer gefallen zu sein. * Wer die Lage in Deutsch-Südwest afrika entnimmt der Meichsb.' einem Briefe, der natürlich wochenlang vor der Rückkehr Witbois geschrieben wurde: „Es ist kein Ende abzusehen. Vom Orangefluß bis in den Norden dauert der Guerillakrieg fort. Die Hottentotten sitzen zum größten Teile in der Kalahari und kommen und gehen nach Be lieben über die Grenze. Ihnen gegenüber steht Major v. Estorfs in der Gegend von Aminuis. Die Proviantzufuhr nach dort ist außerordent lich schwierig, da lange Durststrecken und end lose Sanddünen zu passieren find. Im Herero- lande hört man beinahe täglich von einem Vieh diebstahl, Mord oder dergleichen. Allenthalben find noch kleine Werften, die das Land unsicher machen." Frankreich. *Der Schah von Persien hat sich Donnerstag von Paris nach dem SeebadeOstende begeben. Luxemburg. * Eine luxemburgische Studienkommisfion weilte in Metz, um die technischen Eimich tungen der Unfall-, Invaliden- und Altersversicherung zu studieren. Man beabsichtige, diesen Teil der sozialen Gesetz gebung Deutschlands auch in Luxemburg einzu führen. Auch bei der Durchführung der Kranken kassengesetzgebung solle für Luxemburg das deutsche Muster maßgebend sein. Doch sollen die Krankenkassen in Luxemburg unter staatliche Oberaufficht und Leitung gestellt werden. Schweiz. *Die Ausweisung einer Anzahl in Zürich verhafteter Anarchisten durch den Bundesrat steht unmittelbar bevor. In einer Proklamation drohen die Anarchisten, sie würden den dortigen Sozialistenführer aushängen, da die Sozialisten gefährlicher seien als die bürger lichen Gegner. Schweden. *Jm schwedischen Reichstag erklärte in der Schlußrede der Präsident der Zweiten Kammer, daß die Situation fortdauernd ernst, aber die Kammer ruhig sei, im Bewußtsein, durch ihr Mitwirken eine feste Grundlage für eine gute und friedliche Lösung der Unionsfrage gelegt zu haben. Wenn die Situation sich zuspitze, dann liege die Verant wortung hierfür nicht auf schwedischer Seite. Der Präsident kündigte die baldige Wiederein berufung des ReichAags an. Balkanstaaten. * Einer der in Konstantinopel als des Attentats auf den Sultan verdächtig Verhafteten gab an, daß die Attentäter ein russischer Armenier, ein Bulgare und ein Türke gewesen seien, und daß sie nach dem Attentat auf ein englisches Schiff geflüchtet seien. *Jn Jemen haben die türkischen Truppen neue Siege über die aufständischen Araber erfochten. * Die italienische Regierung hat Unter handlungen eingeleitet mit den Schutz- Mächten Kretas zwecks Regelung der all gemeinen Verwaltung dieser Insel. Die italie nische Regierung befürwortete die Besetzung der Insel durch internationale europäische Truppen- korps an Stelle der bisherigen eingeborenen Truppen. Der kaursckuk-K.aubbLU in Kamerun ist eine so große Gefahr für die wirtschaftliche Zukunft der Kolonie, daß die Regierung sich genötigt gesehen hat, der Frage näherzutreien, wie der Raubbau auf gesetzlichem oder ad ministrativem Wege zu verhindern ist. Die augenblicklich hohe Ziffer der Kautschukausfuhr, die den sonstigen Handelsausfall wettmacht, darf dabei, natürlich nicht blenden. Mit sehr schwarzen Farben wird die Gefahr des Kaut schuk-Raubbaues in einer Zuschrift gemalt, die die ,Kol. Zeitschr,' aus Südkamerun erhält. Es heißt da unter anderm: In allen den von den Batangafirmen be arbeiteten Gebieten wurden die gesamten Kautschukbestände in kürzester Frist durch Raub bau vollständig vernichtet und somit die ganze südliche Hälfte der Kolonie bis an den 13. Grad heran entwertet. Der unvernünftige Kon kurrenzkampf war die Ursache, daß jede Firma oder ihr Vertreter sich gezwungen sah, danach zu trachten, um jeden Preis, auf schnellste Art soviel als möglich von der Produktion an sich zu reißen, um die Konkurrenz aus dem Felde zu schlagen. Einzelne Hauptagenten erhielten neben ihrem Gehalt neunzig- bis hundert tausend Mark Provision. Bei derartigen Ein nahmen ist für die Angestellten natürlich daS Losungswort: Kautschuk um jeden Preis. Die Kauflust der Eingeborenen wird durch Vorführung aller nur möglichen Waren, be sonders aber der von ihnen sehr begehrten Gewehre, angereizt. Sie suchen sich daher auf die schnellste Art Kautschuk zum Ankauf des gewünschten Gutes zu beschaffen. Zwar wird den Schwarzen je ein Kautschukmesser zur An zapfung mit jedem Fäßchen Pulver, das sie kaufen, geschenkt, die Messer werden aber als solche von ihnen nicht benutzt, sondern bald zu Pfeil- und Lanzenspitzen verschmiedet. Sie gehen dann in ihrer gewohnten Weise vor, indem sie zur Erlangung des kostbaren Produkts die Bäume einfach umhauen und so den Wohl stand des Landes dauernd schädigen. Die Kixia kommt streckenweise in derartig dichten Beständen vor, daß man den Wald nm zu reinigen hätte, um die schönsten Kixiaplantagen fix und fertig zu haben. Bei planmäßiger regelmäßiger Bewirtschaftung würden diese auf eine lange Reihe von Jahren hinaus zum Wohlstände der Kolonie beigetragen haben. Bedenkt man — so schließt die Zuschrift — daß das gesamte Kautschukgebiet, dessen nörd liche Grenze eine von Kribi nach Gaza ge zogene Linie bilden könnte, schon bis weit über das Djahgebiet hinaus, ja beinahe schon biS an den Dumö Hera durch den geschilderten Raubbau verödet daliegt, so dürfte es wohl die höchste Zeit sein für die Negierung, umfassende, rücksichtslose Maßregeln zu ergreifen, um einem Raubsystem zu steuern, das in kürzester Zeit, elwa in drei Jahren, auch den letzten Rest der Kautschukwälder bis an die französische Grenze vernichtet haben wird. Von unä fern. Eichendorff-Denkmal in Berlin. Dem Dichter Joseph Frh. v. Eichendorff, der am 26. November 1857 in Neiße starb, soll in Berlin ein Denkmal errichtet werden. Das Denkmals komitee erläßt einen Aufruf um Geldspenden, die an die Deutsche Bank, Depofitenkasse (Berlin, Potsdamer Straße) zu adressieren find. Die Ausstellung des Denkmals soll bei der fünfzigsten Wiederkehr des Todestages des Dichters erfolgen. Seine Lieder: „O Täler weit, o Höhen", „In einem kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrad", „Wer hat dich, du schöner Wald", „Wem Gott will rechte Gunst erweisen" usw. werden heute noch im deutschen Volke viel gesungen. Die Anzahl der europäischen Theater stellt eine französische Statistik fest: Frank reich 394; Italien 389; Deutschland 264; England 205; Spanien 190; Österreich 188; Rußland 99; Belgien 59 ; Schweden und Nor wegen 46; Holland 42; Schweiz35; Portugal 16; Dänemark 13; Türkei 9; Griechenland 8; Rumänien 9 und Serbien 6. Wegen Verdachts des Diebstahls von sehr wertvollen, ungefähr 300 bis 400 Jahre alten Kirchsngemäldern, die aus einer Kirche oder einem Museum herrühren, wurden am Donnerstag in Düsseldorf zwei Italiener, ein Weber und ein Agent, festgenommen. Sie haben die Bilder, die in einem auffallend langen und breiten Sofa verborgen waren, nach Deutschland eingesührt - und in Düsseldorf für 80 000 Mark zum Kauf angeboten. Dis Angeschuldigten wollen dis Gemälde von einem Unbekannten in Pisa mit dem Auftrag, sie in Deutschland zu verkaufen, erhalten haben. Ki Twei flauen. S3f Roman von E. Borchart. (Fortsetzung.) Es war daS schwerste, was das Schicksal Elisabeth auferlegen konnte. Aber trotzdem sie sich eifrig bemühte, Nora äußerlich die alte Liebe und Zärtlichkeit zu zeigen, so war diese doch eine viel zu feine Menschenkennerin, um Elisabeths Seelenzustand nicht zu erraten und das Ge zwungene in ihrem Ton ihr gegenüber nicht zu bemerken und zu empfinden. Auch daß die junge Frau jetzt blaß und leidend aussah und daß sich zuweilen ein schmerzlicher Zug um ihre Mundwinkel legte, sah sie, und sie war schlecht genug, sich über diese Zeichen zu freuen. 19. An einem sonnenhellen August-Nachmittag fitzen auf der Terrasse um einen zierlich ge deckten Kaffeetisch Elisabeth, Nora und Herbert in eifrigem Gespräch, das heißt, die Kosten der Unterhaltung werden, wie gewöhnlich in letzter Zeit, fast nur von Nora und Her bert getragen. Elisabeth hat anfangs ab und zu ein Wort dazwischen geworfen, dann ist sie stiller und immer stiller geworden. Die beiden andern sprechen von ihrer gemein sam verlebten Kindheit, von Personen und Ereignissen, die Elisabeth nicht kennt, daran sie keinen Anteil hat. Sie find ganz vertieft und gefangen genommen von den alten Er innerungen. „Weißt du noch, Herbert?" — „Weißt du noch. Nora?" Wie traut und heimlich das klingt, wie es an schöne vergangene Tage mahnt. Elisabeth seufzt leise, und immer tiefer senkt ffe den Kopf auf ihre Handarbeit im Schoß. Der schwüle Duft der blühenden Blumen, die in vollen Ampeln rings die Ter rasse zieren, wirkt fast betäubend. Die Luft ist gewitterschwül und drückt auf die Nerven. Verstohlen hebt Elisabeth den Blick. Wie heiter und launig ihr Gatte spricht, wie seine Augen leuchten und sein schönes Gegenüber umfassen! Elisabeth empfindet den ganzen Zauber, den Noras Persönlichkeit ausstrahlt. Wer könnte ihr gegenüber kalt bleiben? Sie bedenkt nicht, oder vielmehr sie weiß eS nicht, wie ihre eigene knospende Schönheit neben der vollerblühten Nora Steinburgs nur ge winnt. Ihr Herz und ihre Gedanken haben nur Raum für heiße, verzehrende Eifersuchts qualen, die sie vergebens zu bannen sucht. Sie zwingt sich zur Ruhe, Einsicht und Selbst beherrschung, aber bald fühlt sie, daß sie nicht mehr lange ruhig bleiben kann. Leise steht sie auf und geht in das Schloß hinein. Während Nora sich anscheinend lebhaft und 'eingehend mit Herbert unterhalten hat, ist sie mit Spanmng den wechselnden Mienen, dem unruhigen Wesen Elisabeths gefolgt. Sie sieht auch das schmerzliche Zucken um deren Mund winkel, sie sieht, wie fie sich plötzlich erhebt und verschwindet. Aber fie will es nicht be merken, und als Graf Landegg den Kopf wendet und der Fortgehenden nachfieht, sucht fie sein« Aufmerksamkeit so zu fesseln, daß er es unterlassen muß, an Elisabeth irgendwelche Frage zu richten. Sie jetzt zurückzurufen, hieße alles verderben. Eine Weile gelingt es ihr noch, ihn zu halten, als Elisabeth aber nicht wiederkehrt, wird er zerstreut und seine Blicke suchen beständig das Portal des Schlosses. „Ich weiß nicht, warum Elisabeth so lange bleibt," entfährt es ihm endlich ungeduldig. Jetzt steht Nora auf: „Ich will einmal nach ihr sehen, beunruhige dich nicht, wenn wir länger bleiben, Elisabeth bat mich, ihr einen neuen Stich an ihrer Point-lace-Decke zu zeigen, vielleicht arbeiten wir etwas daran; auf Wiedersehen!" Noch ehe Herbert etwas darauf erwidern kann, ist auch sie gegangen. Elisabeth fitzt in ihrem Zimmer, den Kopf in beide Hände vergraben, an die Lehne des Sofas gelehnt, bitterlich weinend. Da öffnet sich die Tür, und Nora tritt ein. Langsam nähert fie sich der Weinenden und schlingt ihren Arm um deren Schulter: „Du liebes Närrchen, du törichte kleine Frau!" Liebkosend streicht ihre Hand über die welligen Haare Elisabeths, und diese stößt die Hand nicht zurück, da es ist, als ob diese Be rührung ihr wohltäte und einen besänftigenden Einfluß auf ihr Gemük ausübe. Langsam richtet fie sich auf und widerstrebt nicht, als Nora fie an sich zieht und ihren Kopf an ihrer Brust bettet. „Weißt du, Elisabeth, warum ich dich hier aufsuchte? — Ich möchte dir eine Ge schichte erzählen, meine Geschichte. Willst du sie hören?" Elisabeth nickt nur; fie hat nicht die Kraft, etwas zu erwidern. In ihr ist alles öde und leer. Mechanisch lauscht fie Noras Stimme. Aber der Ton dieser Stimme schmeichelt sich mehr und mehr in ihr Ohr — es wird dabei so ruhig und still in ihr. Dann wacht fie auS diesem Halbschlaf auf, und ihre noch von Tränen glänzenden Augen hängen wie gebannt an dem Munde der Erzählerin. Immer auf merksamer, immer andächtiger lauscht fie, bis fie über dem Gehörten fast ihren eigenen Kummer vergißt und teilnimmt an fremdem Leid, nein, nicht fremdem, sondern dem lieber, geliebter Menschen. Nora Steinburg erzählt ruhig weiter, ohne gelegentliche erstaunte oder von tiefer Er griffenheit zeugende Ausrufe Elisabeths zu be achten. „Wir waren Nachbarskinder, Herbert und ich. Fast täglich spielten wir zusammen, trotz dem Herbert sechs Jahre älter als ich war. Eine innige Freundschaft verband unS; er war der ritterliche Beschützer und treue Spiellamerad der kleinen Komtesse Steinburg, und die als einziges Kind ihrer Eltern verwöhnte Kieme ließ sich willig von ihm leiten und führen. So wuchsen wir heran, bis Herbert in eine Kadetten anstalt kam und wir uns nur zu den Fenen wiedersahen. Ich hätte die Trennung vielleicht schwerer empfunden, wenn ich nickt eine maw tige Trösterin gehabt hätte: die Musik. Scho» als kleines Kind zeigte ich nicht allein ew