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Nttn Graf Wartensleben in seiner schnarrenden Sprechweise an ihn wandte: „Kamerad von Groneck haben vielleicht die Freund lichkeit, hinter die Bühne zu gehen und der Dame unsere Ein ladung zu übermitteln." Der Angeredete mußte alle seine Selbstbeherrschung auf bieten, um in scheinbar ruhigem, gelassenem Ton zu erwidern: „Bedaure. Hole inir nicht gern einen Korb. Fräulein Felsen würde eine solche Einladung als eine Beleidigung ansehen." „Als Beleidigung!" Der Graf lachte: „Na hören Sie mal, Groneck! Pariere: Die Kleine wird sich außerordentlich geschmeichelt fühlen. Was gilt die Wette?" „Begreifen Sie denn nicht?" mischte sich hier Freiherr von Wichmann ins Gespräch. „Kamerad Groneck hat ältere An rechte und da —" „Aha, verstehe!" fiel Graf Wartensleben ein. „Groneck ist uns zuvorgekommen. Freilich, ein "Souper zu Zweien ist amü santer. Sie sind ein echter Egoist, lieber Groneck!" „Sie irren, Graf Wartensleben," entgegnete er. „Meine Beziehungen zu Fräulein Felsen gestatten mir nicht — — lch achte die Dame." „Achten? Na ja, die Felsen mimt wunderbar, gehört eigentlich auf eine Residenzbühne. Aber nun, lieber Kamerad, seien Sie kein Spielverderber. Suchen Sie die Dame auf und sagen Sie ihr, wir würden uns ein Vergnügen daraus machen, sie heute abend als unsern Gast betrachten zu dürfen. Und wenn sie die eine oder andere ihrer Kolleginnen mitbringen will, desto besser!" „Na, Groneck, nun sperren Sie sich nicht länger!" sekun dierte Freiherr von Wichmann. „Groneck, nun seien Sie mal kein Rauhbein!" rief ein anderer. „Vorwärts, Groneck!" animierte ein dritter und fügte lachend hinzu: „Sagen Sie ihr nur: der Sekt sei schon kalt gestellt. Sekt — das ist ein Zauberwort für diese Damen." Der von allen Seiten bedrängte Offizier atmete tief, dann entgegnete er, seine ungestüme Erregung bemeisternd: „Ich be merkte Ihnen schon, meine Herren, daß Fräulein Felsen auf eine solche Einladung kaum reagieren dürste." „Wenn Sie ihr zureden," meinte Freiherr von Wichmann. „Haben ja doch 'n Stein im Brett bei ihr." „Unnötige Besorgnis," näselte Graf Wartensleben. „Kenne die Damen vom Theater besser, mein Lieber. Eine Sektkneipe rei schlagen die nie aus. Wette, daß ich die Angelegenheit mit zwei Worten —" Der Sprechende erhob sich und wandte sich der Logentür zu. Doch noch ehe er diese erreichte, stellte sich ihm Bernd von Groneck in den Weg. Alles Blut war aus seinen Wangen ge wichen, aus seinen Augen leuchtete ein fester Entschluß. „Wo wollen Sie hin, Herr Kamerad?" Graf Wartensleben, der auch nicht die leiseste Ahnung von den Vorgängen hatte, die sich in der Brust des Kamraden ab spielten, entgegnete leichthin: „Na auf die Bühne. Selbstver ständlich! Will Ihnen doch beweisen —" Bernd von Groneck fühlte sich über die Art und Weise, wie hier über ein ihm teures Mädchen gesprochen wurde, tief erregt. In keinem Fall — das stand bei ihm fest — würde er zulassen, daß man Dora Felsen eine Beleidigung zufügte. „Ich bitte Tie, Graf Wartensleben," sagte er in sehr bestimmtem Tone, „ich bitte Sie, die Einladung, die Fräulein Felsen nur kränken würde, zn unterlassen." Graf Wartenslcben blickte erstaunt auf. Alle Anwesenden reckten die Hälse, schüttelten die Köpfe und fühlten sich von der Wendung, welche die harmlose Angelegenheit zu nehmen begann, höchst überrascht. „Aber — begreife Sie wahrhaftig nicht, Groneck," gab der Graf zurück und zerrte ungeduldig an den Spitzen seines Schnurrbarts. „Ich achte Fräulein Felsen," antwortete Bernd von Groneck mit Nachdruck, und von dem Verlangen geleitet, der Peinlichen Szene um jeden Preis ein Ende zu machen, fügte er hinzu „Die Dame steht unter meinem Schutz." Der Graf runzelte die Stirn, seine Augenbrauen zogen sich drohend zusammen. „Unter Ihrem Schutz? Das heißt?" „Das heißt: ich gedenke mich um die Hand der Dame zu bewerben." Die unerwartete Erklärung wirkte auf die Offiziere wie lähmend. Alle saßen wir erstarrt. Nur Graf Wartensleben hatte sich im ersten Augenblick versucht gefühlt, laut aufzulachen. Aber ein Blick in das finstere, bleiche Gesicht des Kameraden belehrte ihn, daß es sich hier nicht um einen Scherz handelte. „Dann — dann freilich —" stammelte er verblüfft und zog hch auf seinen Platz zurück. Ein peinliches Stillschweigen folgte, und alle atmeten auf, als jetzt das Klingelzeichen ertönte, das den Schluß des Zwischenaktes verkündete. Während der Vor hang hinaufrollte und alle wieder ihre Aufmerksamkeit der Bühne zuwandten, stahl sich Bernd von Groneck heimlich aus der Loge. Mit stürmischen Schritten eilte er nach Hause. In fassungsloser Erregung ging er in seinem Zimmer auf und ab. Was hatte er getan? Ohne daß es seine Absicht gewesen, ohne vorher mit sich darüber zu Rate gegangen zu sein, hatte er eine Erklärung abgegeben, die von der folgenschwersten Bedeutung für sein ganzes künftiges Leben war. Wie war es nur gekom men? Waren seine Worte der unwillkürliche Ausdruck eines in der Tiefe seines Herzens gährenden Sehnens und Wunsches ge wesen? Liebte er denn Dora Felsen? Er warf sich der Länge nach auf das Sopha und sann, und in seinem erregten Geiste ging er noch einmal die Ereignisse der letzten Wochen durch. War die Unruhe, die quälende Unlust, die ihn seit Wochen beherrschte, denn etwas anderes gewesen als ein Ausdruck seiner Liebe, seiner Sehnsucht nach der Geliebten? Und nun schalt er sich, nun grollte er mit sich, weil er im Drange des Augenblicks sich hatte Hinreißen lassen, die Konsequenzen seiner Liebe zu ziehen? War denn Dora Felsen nicht würdig, Frau von Groneck zu werden? Der Aufgeregte schloß die Augen und zauberte das Bild der Schauspielerin vor seine Seele. Das Herz wurde ihm weich, und ein heißes Gefühl quoll in ihm empor. Nie war ihm ein Mädchen begegnet, das ihm schöner, anmutiger und fesselnder er schienen wäre und das, wie Dora Fölsen, den Wunsch in ihm ent zündet hatte, immer in ihrer Nähe zu weilen, sie sich fürs ganze Leben zu gewinnen. An Adel der Gesinnung und an umfassen der geistiger Bildung stand sie keiner der Danien nach, die in dec Garnispn zu dem Gesellschaftskreis des Offizierkorps gehörten, und alle übertraf sie an Tiefe der Empfindung, an Beweglichkeit des Geistes und durch ihre blendende und hinreißende Gabe der Unterhaltung. Und von dem Glück, das ihm in dem Besitz eines mit so reichen Gaben des Geistes und Körpers ausgestatteten Wesens zu Teil werden mußte, sollte er sich ausschließen eines Vorurteils wegen? Wenn sie der Bühne entsagte, wenn er sie zu seiner Gattin erkor, stand sie dann nicht allen Damen seines Gesell schaftskreises gleich und würde die Voreingenommenheit der Ka meraden nicht von selbst in nichts zerfallen, wenn sie Gelegenheit erhielten, sich von den glänzenden Eigenschaften Dora's, von ihrer tadellosen gesellschaftlichen Bildung und von ihrer strengen Respektabilität zu überzeugen. Die ganze Nacht kam kein Schlaf in die Augen des jungen Offiziers. Bis zum frühen Morgen rang er in folterndem Seslenkampfe. * * * Am andern Tage in der Mittagsstunde erschien Leutnant von Groneck in der Felsen'schen Wohnung. Dora war eben von der Probe heimgekehrt, und der so unerwartete Anblick des jun gen Offiziers überraschte sie nicht wenig. Aber als Bernd von Groneck in ein paar schlichten, ehrlich empfundenen Worten von seiner Liebe und seinem Wunsche sprach, sie die seinige nennen zu dürfen, da überkam die Ahnungslose eine so ungestüme Bewegung, daß sie, überwältigt von dem überraschenden großen Glück, in die Kniee sank un.d in heftiges Weinen ausbrach. Unfähig zu sprechen, haschte sie nach der Hand des seit lange still Geliebten, um ihrem heißen Dank gefühl Ausdruck zu geben. Der Offizier aber zog die Glück- berauschte an seine Brust und küßte ihr Mund und Wangen und sagte, im Innersten gerührt: „Du hast mir nicht zu danken, mein schönes Lieb, sondern ich Dir. Bedenke, welch großes Opfer ich von Dir fordre!" Sie hob ungläubig lächelnd das Gesicht zu ihm empor. „Ein Opfer?" Er nickte ernst. „Freilich. Du wirst nun mir zu Liebe für immer Deinen geliebten Beruf ausgeben müssen." Ein Schatten legte sich auf die noch eben lachenden Züge des jungen Mädchens. Doch nur für einen kurzen Moment, dann erstrahlte ihr Antlitz wieder in Heller Freude, und sie rief: „Dich liebe ich ja noch viel mehr — mehr als alles in der Welt!" Bernd von Groneck zauderte nicht, die durch seine Ver lobung mit der jungen Künstlerin bedingten Schritte zu unter- nehmen. Nachdem es ihm gelungen, bei Dora's Direktor die sofortige Entlassung der Geliebten aus dem Verbände des Stadttheaters zu erwirken, begab er sich am Morgen des näch sten Tages zu seinem Regimentskommandeur, um ihm die Mel dung von seiner Verlobung abzustatten und die vorschrifts mäßige Genehmigung zur Veröffentlichung derselben nachzu suchen. Der Oberst von Oertzen, eine hohe stattliche Figur, hörte die Worte seines Untergebenen mit jener concilianten Höflich keit an, die bei ihm Regel war. Mit glänzenden äußeren Gaben und einem vornehmen Wesen, das in jedem Zuge, in jeder 28.