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Allgemeiner Anzeiger : 08.07.1905
- Erscheinungsdatum
- 1905-07-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190507087
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19050708
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19050708
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-07
- Tag 1905-07-08
-
Monat
1905-07
-
Jahr
1905
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 08.07.1905
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polinscke k^un^scbau. Der rusftsch-japamsche Krieg. *Za Friedensunterhändlern find endgültig von russischer Seite Baron Rosen und Graf Murawiew, von japanischer Baron Komma und der Gesandte Takahira bestimmt. Sie haben nicht nur zu Verhandlungen, sondern auck zum Abschluß des Friedens Vollmachten. * In der Mandschurei setzen die Japaner ibre Vorwärtsbewegungweiterfort. Der letzte Vorstoß richtete sich gegen den russischen Ostflügel. General Lenewitsch meldet, daß die Japaner dis Offensive in der Nähe von Hailungchen wieder aufnehmen, sich aber zurückzogen, nachdem sie Widerstand von den rufst chen Vorposten gefunden hatten. *Die Japaner rücken gegen Wladi wostok vor; man glaubt, daß es in der Nähe des Tjumenflusses zu einer Schlacht kommen werde. * General Paliakow ist zum Befehls haber der ersten mandschurischen Armee ernannt worden an Stelle von Kuropatkin, der sich nach Kirin begeben hat. * Rußland hat einen neuen Kriegs - mi nist er! General Rediger wird Nach solger des amtsmüden Generals Sacharow. Zu den russischen Wirren. * Innerhalb der Schwarzen Meer flotte herrscht vollständige Anarchie. Man währt jetzt, daß die Admirale aus Sebaftopol deshalb nichts gegen das Rebellenschiff „Fürst Potemkin" unternommen haben, weil sie ihrer eigenen Schiffe und Mannschaften nicht sicher waren. Ein anderer Vanzer „Georgi Pobjedonoszew" hat in aller Stille unterwegs seine Offiziere an Land gesetzt und schloß sich dem Rebellenschiff als zweites an. Die Meuterer aber haben es doch wohl mit der Angst gekriegt und find mit den Hasenbehörden von Odessa in Unterhandlungen getreten. Sie haben auch am Dienstag morgen ihre Geschützverschlüsse abgeliefert und sich damit wehrlos gemacht. Der „Pobjedonoszew" liegt jetzt im Quarantäne hafen und harrt seines weiteren Schicksals. „Fürst Potemkin" hat ohne Hindernisse Odessa verlassen und hat sich nach dem rumänischen Hafen Küstendsche begeben. Dort wollten die Matrosen Kohlen und Mundvorräte ein kaufen. Die Hafenbehörden schlugen ihnen aber das Verlangen ab und sorderten die Meuterer auf, ohne Waffen das Schiff zu verlassen; sie würden auf rumänischem Boden wie aus ländische Deserteure behandelt werden. Andernfalls würden die rumänischen Kriegs schiffe Gewalt anwenden. Der „Fürst Potemkin" hielt es aber für das beste, aus dem Hafen zu dampfen, da die Ne gierung sich eben weigerte, das Schiff verpro viantieren zu lassen; sie wollte nur die Landung und freien Abzug der unbewaffneten Mannschaft gewähren. * Graf Jgnatiew ist mit außerordent lichen Vollmachten nach Odessa geschickt worden. *Der ans Land gesetzte Kapitän des „Georgi Pobjedonoszew" hat fick erschossen. *Das meuternde Panzerschiff „Fürst Potemkin", dessen jetziger Aufenthalt unbe kannt ist, hat auch ein deutsches Kolonistendorf bei Odessa bedroht und beraubt. * Die Mannschaft des Linienschiffes „Georgi Pobjedonoszew" lieferte nach der Über gabe 67 Rädelsführer aus; es fuhr dann nach Nikolajew. * Die Stadt und der Hafen von Odessa find jetzt ruhig, und der Widerstand der Arbeiter, die, wie jetzt feststeht, mit den Meuterern im Bunde waren, ist durch die Militärmacht unterdrückt worden. Viele Bürger fliehen, und die Ausländer machen sich bereit, an Bord der Dampfer zu gehen. * Auch in Kronstadt haben die Matrosen des alten Kreuzers „Minin" den Gehorsam verweigert. Die Matrosen beschlossen, das In seegehen des Kreuzers mit den andern Schiffen des Übungsgeschwaders mit allen Mitteln zu verhindern. Die Besatzung wies auf das Alter und den schlechten Zustand des Kreuzers hin, der nicht nur un fähig sei, an Schießübungen, sondern sogar an der einfachen Fahrt teilzunehmen. Vorläufig haben die widerspenstigen Matrosen ihren Zweck erreicht, der Kreuzer wurde durch Schleppdampfer vor ein Kronstadt vorgelagertes Fort gebracht, wo der „Minin" bis „auf weiteres" verbleiben soll. (Diese Meldung wird indessen als un wahr bezeichnet. Es scheint Vier nur eins Namcnsverwechselung vorzuliegcn.) *Auch auf dem Transportschiff „Pruth" revoltierte auf offenem Meere di- Besatzung, nahm den Kommandeur und die Ost ziere fest und tötete einen Fähnrich und einen Boots mann. Den Meuterem scheint indessen die Sache leid geworden zu sein, denn sie kamen in Odessa an und gestanden ihr Vergehen ein; der Kommandeur und die Offiziere wurden wieder Graf Jgnatiew. Graf Jgnatiew ist mit außerordentlichen Voll machten zum Diktator von Odessa ernannt worden. Er steht in dem Rufe eines äußerst energischen Mannes, der gewohnt ist, seine Anschauungen ohne jeden Skrupel zur Durchführung zu bringen. Bis her gehörte er der Kommission an, die in Petersburg tagt und die über die Versetzung in den Zustand des Standrechtes zu beschließen hatte. Dem Zaren wurde Graf Jgnatiew als die geeignete Persönlich keit bezeichnet, die Revolte in Odessa niederzuwerfen, und Jgnatiew nahm diesen Auftrag an. sreigelaffen und der Admiral Krieger schickte das Schiff nach der Kemyfchewbucht, wo die kriegs gerichtliche Untersuchung stattfinden soll. — Nach einer Meldung der ,Times' ist auch auf dem im Sebastopoler Hafen liegenden Panzerschiff „Katharina H." eine Meuterei ausge brochen. *Auf dem Exerzierplatz in Cherson meuterte eine Strafabteilung und ver wundete den Kapitän leicht. Der Bataillons kommandeur Oberst Danidow stürzte mit ge zogenem Degen dem Kapitän zur Hilfe, erhielt aber fünf Bajonettstiche: dennoch führte er mit „Hurra" das Bataillon in die Kaseme zurück, berichtete dort schriftlich an den Kaiser und brach alsdann tot zusammen. * Das Kriegsgericht in Odessa vemrteilte über 160 Personen, die sich den Anordnungen des Militärs nicht fügten und bei Plünderungen und Brandstiftungen betroffen wurden, zum Tode. Fünfzig Verurteilte wurden sofort erschossen. Auch viele Soldaten wmden zum Tode verurteilt. *Es verdient erwähnt zu werden, daß in mehreren Ortschaften wie Minsk, Bjelostok usw. mehrere Bürger- und Arbeiterversammlungen stattgefunden und sich mit der Verfassungs frage beschäftigt hatten, ohne daß die Polizei eingeschritten wäre. Deutschland. * Der Kaiser ließ dem Präsidenten Roose velt sein Beileid aussprechen zu dem Tode des Staatssekretärs Hay. *Zur Marokko-Frage wird von gut unterrichteter Seite folgendes mitgeteilt: Die Schwierigkeiten, die bisher dem Plane einer Konferenz zur Regelung der marokkanischen Angelegenheit entgegsnstanden, dürsten nunmehr als völlig behoben betrachtet werden, soweit dis französische Regierung in Betracht komme. Der Meinungsaustausch zwischen Paris und Berlin bat zu einem beiderseitigen befriedigenden Ergebnis geführt. Es handelt sich nur noch um die Zustimmung der übrigen Signatar- Mächte, die sicher binnen kurzem ebenfalls zu erwarten ist. Die Konferenz soll bekanntlich in Tanger tagen, sie wird indes voraussichtlich erst nach dem Hochsommer zusammentreten. * Der große General ft ab aus Berlin — 40 Offiziere, darunter 8 Generale, Jntendanturbeamte und gegen 90 Mannschaften — befindet sich zurzeit auf einer General stabsreise durch das Elsaß und ist am Donnerstag in Markirch eingetrosssn. Am Freitag erfolgte die Weiterreise nach Colmar. Natürlich ist es bei den jetzigen Zeitläuften nicht ausgeblieben, daß sich an die Anwesenheit so vieler hoher Militärs im Elsaß alle mög lichen Kriegsgerüchte knüpften. So wird kolportiert, jenseits der Grenze befinde sich auch schon der französische Generalstab. Dem gegenüber ist darauf hingewiesen, daß der große Generalstab alljährlich derartige Reisen unternimmt. * Da das Gesetz über die Verwendung der Kinderarbeit in gewerblichen Be ttieben vom 30. März 1903 bereits einige Zeit wirksam gewesen ist, werden in einem Rund erlaß der zuständigen Minister Berichte ein gefordert, ob auf Grund der Ausführungs- anweisung eine hinreichende Überwachung über die Ausführung des Gesetzes hat erfolgen können und welche Vorschläge etwa zur ver besserten Ausgestaltung der Überwachung, die bei diesem Gesetze mit besonderen Schwierig keiten verbunden ist, zu machen find. *Wie der Jag' zu berichten weiß, wird eine Anzahl von R ei ch sta g s ab geord neten die Ferienruhe zu einem Ausfluge nach Kamerun und Togo benutzen. Die Vor bereitungen werden von der Kolonialgesellschaft und der Wörmann-Reederei getroffen. Die Abfahrt von Hamburg soll anfangs August er folgen. Frankreich. * Der mit der Untersuchung desBomben - anschlag es gegen den König von Spanien betraute Untersuchungsrichter Leydet hat der Anklagekammsr die Akten gegen vier spanische Anarchisten wegen Zusammenschlusses zu verbrecherischen Zwecken übermittelt. Die Untersuchung gegen fünf weitere Anarchisten, ist noch nicht abgeschlossen. Holland. * Das Ministerium Kuyper hat seine Entlassung erbeten. Schweden. *Das .Norwegische Telegraphenbureau' be richtigt eine Mitteilung über das Schreiben der Hofvsrwaltung, nach dem die Zahlung der Apanage des Königs vom 30. v. ab aufhört, dahin, daß von der Regierung noch keine endgültige Regelung dieser Frage herbeigeführt worden ist. Afrika. *Die Franzosen scheinen sich in Nordasrika recht wenig beliebt gemacht zu haben. Nach dem erst kürzlich ein französischer Forschungs reisender von Kabylen gefangen genommen worden, find jetzt, wie aus Ben Zireg ge meldet wird, vier Sahara-Reiter der Abteilung Bechard, die als Kuriere entsandt waren, von Marokkanern getötet worden. Bechard hat eine Abteilung zur Verfolgung der Täter entsandt. kann Ruhland Frieden schließen? Auf diese Frage erteilt General der Infanterie z. D. v. Lignitz in der .Deutschen Revue' die Antwort, daß zurzeit für Rußland militärisch und politisch jeder Friedensschluß möglich und erträglich sei, der ihm die Hafen- seftung Wladiwostok erhalte. Verlier« es diesen letzten Stützpunkt im ostasiaiischen Meere, dann werde es auch sein Ansehen gegenüber Chin» einbüßen und auf der langen Grenze pegen jenes mehr und mehr rüstende Reich in Nach; teil geraten können. Einen Friedensschluß aus der umschriebenen Grundlage hält General von Lignitz lediglich aus finanziellen Gründen für notwendig. Denn im Gegensatz zum Börsen optimismus sieht er einen Zusammenbruch der russischen Finanzen als unausbleiblich an, wenn der Krieg fortgesetzt werde. Dann bliebe nichts andres übrig, als die große Metallreserve der russischen Reichsbank, ursprünglich 1100 Mill. Rubel, anzugreifen und die Papierpresse arbeiten zu lassen. Allerdings würde die Metallreserve auch ohne äußere Anleihen eine Weiterführung des Krieges auf zwei bis drei Jahre ermög lichen. Aber bei dessen Fortdauer müßten die Staatseinnahmen logischerweise bedeutend abnehmen, die Zinsen für die Staatsschuld aber zunehmen, um so mehr, als die Metallreserve nicht aus Überschüssen angesammelt, sondern aus zu verzinsenden Ausländsanleihen gebildet sei. Der Friedensschluß scheint General v. Lignitz ferner aus militärischen Gründen geboten. Zwar habe das russische Heer im Innern bei keiner Revolte vertagt, und auch die aus der Mandschurei zurückkehrenden Regimenter würden zuverlässig sein. Jedoch scheine Revanche für Mukden nach dem Unheil von Tsuschima nicht in der Stimmung der Feldarmee zu liegen. In der Tat fehlten genügende Aussichten für eine Besiegung der Japaner zu Lande, da die russische Feldarmee auf 300 000 Mann an gegeben werde, während die Japaner allein an Infanterie 400 000 Mann hätten. Also könne das Hauptargument der russischen Kriegspartei, daß es besser wäre, die zwei Milliarden, die Japan voraussichtlich als Kriegsentschädigung fordern werde, zur weiteren Bekämpfung des Feindes zu verwenden, nicht entscheidend sein. Außerdem sei Japan ohne Überlegenheit zur See nicht zu besiegen; solche russische Überlegenheit durch reichlicheren Schiffsbau werde aber erst in fünf bis sechs Jahren erreichbar sein. Von unä fern. Internationale Ballonfahrt. Es ist be absichtigt worden, am 6. d. in den Morgen stunden eine internationale wissenschaftliche Ballonfahrt stattfinden zu lassen. Man ge dachte entweder Drachen, bemannte oder unbe mannte Ballons in Grinan, Tropper, Jtteville, Paris, Guadalajare, Rom, Pavia, Zürich, Lissabon, Straßburg, München, Barmen, Ham burg, Berlin, Lindenberg, Wien, Petersburg, Kasan, Moskau, Dorpat, Blue Hill (Ver. Staaten) aufsteigen zu lassen. — Der Finder eines jeden unbemannten Ballons erhält eine Belohnung, wenn er der jedem Ballon bei gegebenen Instruktion gemäß den Ballon und die Instrumente sorgfältig birgt und an die angegebene Adresse sofort telegraphisch Nach richt sendet. Auf eine vorsichtige Behandlung der Instrumente sc. wird besonders aufmerksam gemacht. Der alte Botanische Garten zu Berlin ist zu Ausstellungszwecken bis auf weiteres verpachtet worden. Der Grotzherzog von Oldenburg als Erfinder. Unter den vom Kaiserlichen Patent amt gesetzlich geschützten Erfindungen befindet sich auch ein sogenannter Nikipropeller. der seine Entstehung dem Großherzog von Oldenburg verdankt. Dieser Nikipropeller, eine große Schiffsschraube, deren Flügel nicht wie üblich in einer Ebene, sondern übereinander angeordnet find, wurde vom Großherzog auch auf die jetzige oldenburgische Landesausstellung geschickt und dort mit der Goldenen Medaille aus gezeichnet. Der Großherzog verzichtete aber nachträglich auf die Prämiierung und machte sie rückgängig. Begnadigt. Im Jahre 1870 war in Insterburg der Zuchthäusler Jaxt wegen Mordes zum Tode verurteilt, dann aber zu lebensläng lichem Zuchthaus begnadigt worden. Nunmehr ist ihm die übrige Straw im Gnadenwege er lassen worden. K Twei frauen. 24j Roman von E. Borchart. lyortUtzung-! „Ja, ich pflegte die Kunst und mehr als das, ich wollte selbst Künstlerin werden." Elisabeth wußte nicht, wie sie d azu kam, zu diesem Manne von ihren längst vergangenen und be grabenen Träumen zu sprechen. Ob es das verwandte Streben war, das sie so schnell ein ander näher gebracht hatte? „Künstlerin? Sängerin?" In Ottingens Worten und in seiner Miene lag so viel Überraschung und Ungläubigkeit, daß Elisabeth ihn fragte, was ihm dabei so wunder bar erscheine. „Wunderbar, ja wunderbar," wiederholte er wie träumend. „Gräfin Landegg eine Sän gerin." „Also das ist es? Damals war ich aber noch nicht Gräfin Landegg." Klaus Ottingen richtete sich auf und sah sie forschend an: „Und dem Manne Ihrer Wahl opferten Sie freudig, wonach Ihre Seele dürstete? Sie verzichteten auf Ihre Kunst auf immer, Sie..." Ec hielt inne und blickte auf das Schloßportal, aus dem soeben Gräfin Boyneburg, von ihrem Gatten gefolgt, trat. Sie entschuldigte sich bei ihren Gästen wegen ihres langen Ausbleibens und überhob durch ihr Kommen Elisabeth einer Ver legenheit, denn bei Ottingens letzten Worten war ihr Gesicht tief erblaßt; doch nun kehrte ihre Harmlosigkeit wieder zurück. Edith brachte auch schnell einen Umschwung in die Unterhaltung, die immer anregender und lebhafter wurde. Sie fand es ganz natürlich, daß Elisabeth und Ottingen in der harmlosesten Weise freundlich miteinander verkehrten und hatte längst die kleine unliebsame Szene bei der Vorstellung vergessen. Elisabeth ließ sich überreden, zur Abendtafel zu bleiben; sie fürchtete sich ordentlich, nach Landegg zurückzukehren, wo nur Beates ernstes, düsteres Gesicht und die leeren Räume sie an starrten. Die kleine Zerstreuung heute würde ihr gewiß gut tun. Nach dem Essen ging Graf Boyneburg ins Schloß, um Zigarren für seinen Gast zu holen, die er in persönlicher Obhut hatte. Edith sprach gerade mit Werners Erzieherin, die etwas ab seits an der Terrasse stand. Diese Gelegenheit des Ungestörtseins benutzte Otlingen, um sich Elisabeth zuzuwenden. „Werden gnädigste Gräfin heute fingen?" „Nein," gab sie kurz und erschreckt zur Antwort. „Warum nicht?" Diese Frage klang kühn und anmaßend, denn ihr „Nein" mußte ihm genügen. Sie fühlte jedoch das Bedürfnis, sich ihm gegenüber zu entschuldigen, obgleich sie es gleich darauf bereute. „Ich habe zu lange nicht gesungen, seit meiner Verheiratung nicht." Ottingen sah sie einen Augenblick groß und durchdringend an, so daß es Elisabeth unter diesen Blicken unbehaglich wurde; dann fragte er: „Seit Ihrer Verheiratung nicht? — Wie lange ist das her?" j „Acht Monate." „Acht Monate! Und so lange haben Sie es ausgehalten, ohne zu fingen — so lange konnten Sie verzichten? O Gräfin, dann haben Sie die Kunst nie wirklich geliebt." Elisabeth fuhr bei diesem harten Ausspruch zusammen. Wie konnte jener Mensch wissen und ahnen, was sie dieser Verzicht gekostet hatte, und doch konnte und durfte fie ihn über die näheren Umstände nicht aufklären. Ihre Verwirrung, das leichte Beben ihres Körpers entgingen ihm nicht, aber er schenkte ihnen keine Beachtung. Alles in seinem Innern war entflammt vor Empörung und Zorn, und sein eigener Schmerz, sein eigenes Unglück stiegen vor ihm auf, wie etwas Ge waltiges, Erdrückendes. Niemals hatte er jenen Mann, dem er sein Leid verdankte, bitterer gehaßt, als in diesem Augenblick, und Haß- und Rachegedanken erfüllen und beherrschten ihn. Jetzt hatte er es in der Hand, sich zu rächen, jetzt war der Zeitpunkt gekommen, wo sein Werk beginnen konnte. „Gräfin," rief er mit unheimlich funkenden Augen, „ich sage es noch einmal: Sie haben die Kunst nie wahrhaft geliebt, denn wer fie einmal sein eigen genannt hat, der ist mit ihr verwachsen, untrennbar für ewige Zeiten. Aber wer sich unterfängt, einen Menschen seiner Kunst zu entfremden, ihn zu verhindern, ihr zu leben, der begeht einen Mord an Leib und Seele, der reißt ihm ein Stück Leben aus lebendigem Körper, Gräfin Landegg/ der ist ein Mörder!" Mü leiser, heiserer Stimme, mit vor Haß entstellten Zügen zischte er ihr das letzte Wort ins Ohr, dann lehnte er sich erschöpft zurück. Elisabeth war totenblaß geworden, sie zitterte am ganzen Körper und sah sich Hilst' suchend nach Edith um, die von den leisen Worten Ottingens am andern Ende der Terrasse nichts gehört hatte. Jetzt näherte sie sich ihren Gästen wieder und auch der Gras kam zurück. Sobald es tunlich war, bat Elisabeth um den versprochenen Wagen, und Graf Boyne burg selber fuhr fie nach Landegg zurück- Unterwegs stand ihr Ottingens schönes, zu' letzt aber entstelltes Antlitz vor Augen. Was mußte er gelitten haben um seine Kunst, und wie bitter schien er denjenigen zu hassen, der ihn zwang, sie auszugeben. „Mörder!" Das tönte ihr noch immer schneidend in den Ohren, obgleich es mit leiser Stimme ge sprochen war. Sie schauerte leise zusammen und be grüßte die heimatliche Schwelle wie einen Zufluchtsort gegen alle trüben, aufregenden Gedanken. . In der Nacht träumte sie von blutigen Duellen und von den blitzenden Augen Ottingens. L>ann wieder führte Ottingen w an den Rand eines Abgrundes, aber gerade, als er ibre Hand faßte, um sie hinabzu schleudern, stieß fie einen Schrei aus uno wachte, in Angstschweiß gebadet, auf. < Trotz Ediths Bitte, recht bald wieder na« Boyneburg zu kommen, konnte fie sich °o« nicht zu einem Besuche entschließen, eine kaum
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