Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 01.07.1905
- Erscheinungsdatum
- 1905-07-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190507016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19050701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19050701
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-07
- Tag 1905-07-01
-
Monat
1905-07
-
Jahr
1905
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 01.07.1905
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
poUnscke Kunäsckau. Der rusfisch-japanische Krieg. * Rußland sowohl wie Japan haben dem Präsidenten Roosevelt mitgeteilt, daß ihre Be vollmächtigten im ersten Drittel des August in den Ver. Staaten Zusammentreffen werden, um dann sogleich in die Beratungen einzutreten. *Die kleineren Gefechte in der Mandschurei, aus denen sich jeden Tag ein allgemeiner entscheidender Kampf entwickeln kann, nehmen ihren Fortgang. Neuerdings find die Javaner auf ihrem rechten Flügel dem von den Russen begonnenen Vormarsche mit Ersolg entgegengetreten. * * * Zu den russischen Wirre«. * Nicht nur übe- Lodz, sondern auch über Warschau ist jetzt der Belagerungs zustand von neuem verhängt worden. In Czenstochau wurde Sonntag abend eine Bombe geschleudert; der Polizeimeifter Pawlow wurde im Wagen schwer verletzt, sieben Passanten wurden verwundet. Die Erregung ist groß; Militärwachen besetzen Fabriken und Straßen. Der Ausstand ist allgemein. — Bei den Un ruhen in Lodz wurden 343 Juden und 218 Christen getötet. * » * Deutschland. *Die deutsche Regierung hat durch ihren Vertreter in Paris, Fürsten Radolin, ihre Ant wortnote auf Rouviers Schreiben der fran zösischen Regierung überreichen lassen. Von dem Inhalt der Note ist bis jetzt noch nichts bekannt. *Der Kern des augenblicklichen Standes in den Unterhandlungen, die zwischen Deutsch land und Frankreich geführt werden, scheint der zu sein, daß Frankreich, ehe es den von Deutschland angeregten Konferenzvorschlag des Sultans annimmt, mit Deutschland über die Hauptpunkte ein Sonderübereinkommen treffen möchte, während Deutschland, das die Einladung des Sultans von Marokko ange nommen hat, unentwegt daran festhält, vor der Konferenz keine Sondervereinbarungen mit Frankreich treffen zu wollen. Es ist möglich, daß keine der beiden Mächte der andern recht traut und deshalb keine Vorschläge, die die eigenen Wünsche durch gegenseitiges Überein kommen befriedigen könnten, zur Sprache kommen können. * Herzog Ernst Günter von Schleswig- Holstein hat, wie erinnerlich, anläßlich der Mirbach-Affäre angekündigt, daß er gegen jene Blätter, die seine Person mit den vom Frh. v. Mirbach quittierten, aber nicht an diesen bezahlten 325 000 Mk. in Verbindung gebracht hatten, Anklage erheben würde. Dies ist nun geschehen. Nachdem sich das vor bereitende Verfahren nahezu Jahr hingezogen hat, ist dem ehemaligen verantwortlichen Redakteur der Merl. Ztg/ die Anklage zugestellt worden. * Im oldenburgischen Thron- folgestreit hat das Landgericht i» Olden burg am Montag die Zivilklage des Grafen Welsburg wegen seines Thronanspruchs kosten pflichtig abgewiesen. Der Gras, der früher in der preußischen Garde gedient hat, hatte auf Anerkennung der Standesmäßigkeit der Ehe seines verstorbenen Vaters, des Herzogs Elimar von Oldenburg, geklagt, der mit einer Freifrau Natalie v. Fliesenhof verheiratet war. * Der Parlamentarier Dr. MaxHirsch ist am Montag in Homburg v. d. Höhe im 73. Lebensjahre gestorben. Mit Duncker zu sammen gründete er die Deutschen Gewerkvereine. * Es wurde bereits früher durch private Er mittelungen festgestellt, daß die Berg arbeiter im Ruhrgebiet rund 19 Mill. Mark an Löhnen Infolge des letzten Streiks entbehren mußten. Diese Rechnung findet jetzt ihre amtliche Bestätigung. Die Summe der verdienten reinen Löhne, nach Abzug aller Arbeitskosten, sowie der Knappschasts- und Jnvalidenverficherungsbeträge, betrug im letzten Vierteljahr weniger 20 743 471 Mk., während der Lohn auf einen Arbeiter und eine Schicht nur von 4 auf 3,94 Mk. und die Kopfzahl der Belegschaft nur von 265 943 auf 256 214 zurnck- gcgangen ist. *Eine staatlich-kommunale Betri ebs- gemeinschaft der Rheinhäfen im Industriegebiet ist in der Art vereinbart worden, daß der Betrieb und die Verwaltung der ge samten Hafeneinrichtungen auf gemeinsame Rechnung von den Organen des, preußischen Staates geführt -wird. Die in Betracht kommenden Rhsinhäsen stehen teils unter staatlicher, teils unter Gemeindeverwaltung, ein Verhältnis, aus dem sich von der stetigen Zu nahme des Verkehrs manche Unzuträglichkeiten ergeben haben. *Umre Truppen in Südwestafrika haben einen 14stkndigen siegreichen Kampf mit der BandeMorengas bestanden. Auf deutscher Seite fielen 15 Mann; 25 wurden verwundet, darunter Major v. Kamptz. Österreich-Nagar«. * Die österreichische Regierung wird, um gegen alle Möglichkeiten gesichert zu sein, beim Reichsrat durch einen Gesetzentwurf die Er mächtigung nachsuchen, die Handels beziehungen Österreichs nötigenfalls selbständig zu regeln. (Österreich rüstet sich beizeiten.) *Die un g arisch e Op p o siti o n hat beschlossen, die Beratung des selbständigen ungarischen Zolltarifs auch nach der Vertagung des Parlaments in der Form von Besprechungen fortzusetzen. Der Präsident des Abgeordneten hauses, Jufth, soll sich in vertrautem Kreise ge äußert haben, man solle bis zum Herbst ruhig sein; der König habe versprachen, es werde im Herbst etwas geschehen, was Ungarn befriedigen werde. Es ist aber nicht zu sehen, wo dem Kaiser ein andrer Ausweg bliebe, als Nach giebigkeit, als etwa die Bildung eines Ministe riums Kossuth - Apponyi mit der magyarischen Kommandosprache für die ungarische Armee, oder der Staatsstreich, d. h. die Hcim- sendung des jetzigen Unterhauses und die Bildung eines neuen Wahlgesetzes, das die nicht-magyarische Minderheit ans Ruder brächte. Dabei müßte der Kaiser sich auf die im Lande stehenden nicht-magyarischen Truppen stützen, um eine etwaige Revolution im Keime zu ersticken. (Es braucht nicht geschildert zu werden, wie heikel ein solches zum Bürger kriege leitendes Verfahren wäre, zumal da die Haltung der slawischen Truppen zweifelhaft ist. Daher muß man denn doch einen Sieg des Magyarentums und in nicht ferner Zeit die Bildung eines selbständigen Ungarns sür wahr scheinlich halten.) Frankreich. *Die französische Regierung teilte der deutschen Regierung den vollen Text des Abkommens zwischen Frankreich und England betreffs Marokko mit. (Dadurch erfüllte Rouvier eine Formalität, deren Unter lassung durch Delcassö so viel Unwillen erregt hatte.) England. * König Eduard ernannte fünf hervorragende Persönlichkeiten zu Mitgliedern der Kom mission sür die Untersuchung der in Süd- Afrika nach dem Kriege beim Verkauf militärischer Vorräte vorgekommenen Betrügereien. Vorsitzender der Kommission ist der bekannte Richter Farwell. Italien. * Die italienische Deputiertenkammer hat die erhöhten Heeresausgaben in geheimer Abstimmung mit 174 gegen 57 Stimmen ge nehmigt. Schweden. * Es scheint doch nicht ganz ausgeschlossen, daß Schweden seine Kraft gebrauchen will, Im Staatsrat wurde beschlossen, daß die wehrpflichtigen Matrosen die in diesen Tagen abgemustert werden sollten, bis auf weiteres im Dienst bleiben sollen. Rußland. * Helfingforser Blätter behaupten, daß Kaiser Wilhelm im Laufe des Sommers einen sinn ländischen Hafen anlaufen wird. BalSanstaaten. *Jm Auftrage der Großmächte über reichte der österreichisch-ungarische Botschafter der Piorte eine Note, in der auf Annahme der bezüglich der mazedonischen Finanz reform gemachten Vorschläge gedrängt wird. *Der Sultan soll seit einigen Tagen erkrankt sein und erteilt keine Audienzen. Dis Art seiner Erkrankung ist nicht bekannt. *Ju Belgrad wurde am Sonntag aus Anlaß des Jahrestages der Thron besteigung des Königs Peter eine Feier des 7. Regiments in Gegenwart des Königs, des Kronvrinzen, der Minister und eines zahlreichen Publikums abgehalten. Der König hielt eine Rede, die mit großer Be geisterung ausgenommen wurde. Amerika. * Präsident Roosevelt hat die ihm unter stellten Behörden unter Androhung sofortiger Entlassung angewiesen, chinesische Kaufleute und Reisende ebenso höflich zu behandeln, wie Angehörige andrer Nationen. (Man ist der Ansicht, daß das Vorgehen der Regierung die Schwierigkeiten im Handelsverkehr zwischen Amerika und China beseitigen werde.) Oie Cräbebenkatastropke in Skutari. Am frühen Morgen des 1. Juni wurde Sklltari von einer Katastrophe heimgesucht, deren traurige Spuren in Jahren, vielleicht in Jahr zehnten nicht gänzlich beseitigt sein dürften. Ein furchtbarer Erdstoß erschütterte den Boden, und binnen wenigen Minuten war das Bild der Stadt in traurigster Weise verändert. Zahllose Häuser waren in Schutthaufen ver wandelt, und an jenen Wohngebäuden, die in folge besonders guter Bauart vom Einsturz verschont blieben, zeigten sich klaffende Risse. Die Kathedrale, die eben vollendete Franzis kanerkirche und fast alle andern Monumental bauten erlitten schwere Beschädigungen; das mohammedanische Viertel sowie der Basar waren dem Erdboden gleichgemacht. Die Szenen, die sich im Innern der Häuser abspielten, spotten jeder Beschreibung. Die Bewohner flüchteten, um ihr Leben zu retten, ins Freie, während ihre Habe von Trümmermassen begraben wurde. Die Panik wurde noch dadurch gesteigert, daß gleichzeitig mit dem ersten Erdstoß dumpfes Donnerrollen erdröhnte und dichte Staubwolken das Firmament verhüllten. Eine Beruhigung konnte um so weniger emtreten, als die Erd stöße sich in kurzen Pausen, allerdings mit ge ringerer Heftigkeit wiederholten. Die Zahl der Opfer der Katastrophe ist nach dem Merl. Cour.' noch nicht genau festgestellt. Die Ortsbewohner beziffern die Zahl der Toten mit 200; von den Schwerverletzten dürfte aber noch mancher seinen Verwundungen erliegen, da die desolaten Verhältnisse, die in der Stadt seit dem traurigen Ereignisse herrschen, eine sorgsame Pflege und Behandlung dieser Bedauernswerten nahezu un möglich machen. Das städtische Spital selbst ist arg beschädigt, und es find daher nur ein zelne Räume des Gebäudes benutzbar. Die Gesamthöhe des materiellen Schadens wird nach vorläufigen Schätzungen mit 26 Millionen Frank angegeben. Dis Behelfe, die unmittel bar nach dem entsetzlichen Ereignis zur Durch führung von Hilfsaktionen zur Verfügung standen, waren in jeder Hinsicht ungenügend. Die Lage wurde doppelt trostlos, als ein wolken bruchartiger Regen begann, der tagelang fort dauerte und die von den Bewohnern an Stelle der zerstörten Häuser bezogenen Biwaks über schwemmte. Die Militärverwaltung konnte nur dreißig Zelts für die Unterbringung der Obdach losen bereitstellen. Es fehlte auch an Brettern zur Errichtung von Baracken und an Decken zum Schutze der im Freien Kampierenden, ja sogar an Lebensmitteln für die Unglücklichen, die bei der Katastrophe ihren ganzen Besitz ein gebüßt hatten. Durch das rasche Eingreifen des österreichisch-ungarischen Generalkonsulats wurde eine Hilfsaktion organisiert, die nach wenigen Tagen allerdings eine mächtige Untep stützung erfuhr, da Kaiser Franz Joseph bekannt« lich zur Linderung des Elends den bedeutenden Betrag von 25 000 Frank widmete, bevor noch von andrer Seite — abgesehen von einer Geld spende des Sultans — nennenswerte Summen einflosseu. Das Generalkonsulat hat sofort die Verfügung getroffen, daß ein österreichisch ungarisches Schiff eine Ladung Bretter und Schutzplatten für den Barackenbau dorthin be förderte. Auch verteilt das Konsulat täglich Geldbeträge an die Bedürftigen, deren Zahl aber leider mit jedem Tage wächst, weil infolge abermaliger Erderschütterungen auch viele solcher Gebäude gänzlich unbewohnbar wurden, die nach der Katastrophe des 1. Juni immerhin noch als Zufluchtsstätten dienen konnten. Von unä fern. Unwetter in Berlin. Ein starker Ge wittersturm hat in den Parkanlagen, in den Forsten, auf dem Felde und auch im Innern der R-ichshauptstadt großen Schaden angerichtet. Mit welch großer Gewalt der Sturm tobte, kann man daraus ersehen, daß er am Tempelhofer Felde zwei etwa 200 Jahre alte Banmriesen entwurzelte. Unter donnerähnlichem Krachen stürzten die Bäume, zwei Pappeln, zu Boden und rissen im Fall die elektrische Drahtleitung entzwei. Eine vorüberfahrende Droschke wurde noch von den Zweigen der stürzenden Baum riesen gestreift. Im alten Botanischen Garten, im Tiergarten, im Friedrichshain usw. find Hunderte von Bäumen dem Orkan zum Opfer gefallen. Zahllose gebrochene Zweige bedeckten die Wege. Viele Verkehrsstockungen im Straßen bahnbetriebe wurden aus den Vororten gemeldet. Fruchtlos gerettet. Im Ostseebad Bruns- hauplen verschwand der 20 jährige Badegast Köppa am Strande plötzlich in eine Untiefe. Der gerade in einer Zelle beim Ausziehen be griffene Schauspieler Vogeler vom Hamburger Stadttheater, durch die lauten Rufe des Bade meisters herbeigerusen, sprang dem Versunkenen in voller Kleidung nach. Nach viermaligem schweren Tauchen gelang es dem kühnen Retter unter eigener Lebensgefahr, den untergegaugenen Badegast hepaufzubringen und ihn mit Hilfe eines inzwischen ins Wasser gesprungenen zweiten Herrn an einem zugeworfenen Rettungs ringe ans Land zu schaffen. Leider war die kühne Tat nicht von Erfolg gekrönt. Der Gerettete und bereits wieder ins Leben Zurück gerufene verstarb nach drei Stunden an Herz schwäche. Polizeilich beschlagnahmt wurde in Hannover die Leiche des dort verstorbenen Studenten der Technischen Hochschule Harrald Nergaard aus Christiania. Nergaard soll sich bei einer Mensur durch einen verrosteten Degen eine Blutvergiftung zugezogen haben, der er erlegen ist. Eine Kirche vom Blitz zerstört. In Schladen im Harz schlug der Blitz in die katholische Kirche ein und zerstörte sie bis auf die Außenmauern. Vier Personen beim Baden ertrunken find in der Mosel bei Koblenz, nämlich ein Soldat der 1. Kompanie des Pionierbataillons, ein Schiffer und zwei Knaben. Die älteste Fra«. In Spitzendorf in Niederbayern lebt eine angeblich 118 jährige Frau Eder, die noch geistig und körperlich sehr frisch ist und die älteste Frau in Deutschland sein dürste. Den besten Beweis ihrer Frische hat sie kürzlich geliefert, als sie nach der von ihrem Wohnorte eine halbe Stunde entfernten Anmühle ging, um einem dort stattfindenden Schützenfeste deizuwohnen. (Alle Achtung!) Beim Fensterln. In Fürholz (Bayern) stieß der Häuslerssohn Nieder! mit dem Fleischer Anlingerund noch einem Burschen beim Fensterln zusammen, wobei es zu einer Keilerei kam. Nieder! wurde mit Prügeln so schwer miß handelt, daß die Schädeldecke zertrümmert worden ist. Der Schwei verletzte, der die ganze Nacht bewußtlos in seinem Blute auf der Straße lag, dürfte kaum mit dem Leben davon kommen. Die Täter wurden verhaftet. K Twei flauen. 22j Roman von E. Borchart. <F°r0etzmrg.) Wenn Herbert nun auch ihren heißgeliebten Vater verachtete? Er hatte ihm das Versprechen abgenommen, seiner Tochter nichts von seiner Hilfe zu verraten, damit es keinen Einfluß auf ihre Entscheidung haben sollte. Wird er nun nicht denken, daß der Vater es dennoch getan habe, um sich selbst zu retten, daß er sein Ehrenwort gebrochen habe? „Mein Gott, laß nur dies nicht zu!" fleht sie in ihrem Innern. „Mag er mich denn verachten, aber der Vater muß hochstehen in seinen Augen, so hoch, wie er in meinem Herzen steht. Noch heute will ich meinen Stolz verleugnen, noch heute will ich ihm den Hergang erzählen: „Verachte mich, wenn du willst und kannst," will ich rufen, „nur ihm, meinem Vater, traue keine Unehrenhaftigkeit zu." Mit wie frohen Zukunftsbildern hatte heute der Tag angefangen, welche neue schöne Auf gabe hafte sie sich gestellt! Und nun ist alles das mit einem Schlage vorbei! „Ach Nora," denkt sie, „wärst du bei mir, könntest du mir raten und helfen! Niemand kann mir hier beistehen. Alle Schuld rächt sich auf Erden; ich habe gegen die Liebe gesündigt und muß die Strafe tragen. Aber was soll nun werden - was soll werden?" — Elisabeth weiß selbst nicht, wie lange sie so geseffen und gekämpft und gerungen hat. End lich findet sie die Kraft, sich zum Heimweg zu entschließen. Langsam und müde geht sie den Weg zurück, den sie heute schon mehrere Male gemacht hat. Als sie das Schloß erreicht hat, ist es bereits Mittagszeit. Am liebsten möchte sie sich in ihr Zimmer einschließen und niemand sehen und sprechen. Doch, soll sie ihr Elend andem Augen preisgeben? Soll sie durch ihr Verhalten Anlaß zu Mutmaßungen geben? — Nein, sie wird sich überwinden, sie wird versuchen, harmlos zu scheinen vor Beate und den Dienern. So geht sie, innerlich zitternd und bangend, in daS Eßzimmer. Beate kommt ihr entgegen. „Wir weiden heute allein essen, Elisabeth, Herbert läßt mir eben durch einen Boten sagen, daß er eilig nach Halldorf reiten mußte und daß er nicht zu Tisch hier sein könne." Wie Schreck und Erleichterung zu gleicher Zeit kommt es über Elisabeth. Sie ahnt, was ihn fernhält, aber es gewährt ihr eine Art Beruhigung, daß sie ihm jetzt nicht gegenüber zu fitzen braucht, daß sie sich jetzt keinen Zwang auferlegen muß. Beate ist heute still und einsilbig, und Elisabeths Schweigsamkeit scheint ihr nicht auf zufallen. Das Mahl wird ziemlich wortkarg eingenommen. Beide find froh, als eL beendet ist, und jeder sucht die Einsamkeit auf. Erst das Abendessen vereinigt alle im Eß zimmer. Graf Landegg ist bleicher als sonst, seine Züge find ernst, aber er spricht ruhig und ohue Erregung von gleichgültigen Dingen. Plötzlich — Elisabeth horcht auf und ihre Hände krampfen sich im Schoß zusammen — sagt Graf Landegg mitten in ein gleichgültiges Gespräch hinein: „Ich habe heute eine wichtige Nachricht aus Hohenburg erhalten. Es handelt sich um einige Neuerungen, über die ich bestimmen und deren Notwendigkeit ich erst persönlich am Platze prüfen muß. Ich werde deshalb morgen ab reisen und wahrscheinlich vierzehn Tage bis drei Wochen fortbleiben." Durch Elisabeths Körper geht ein schmerz liches Zucken. Sie weiß nur zu genau, warum er fort will und daß er nur die erste sich bietende Gelegenheit wahrnimmt, um ihr zu entfliehen. „Es ist wohl am besten so, die Trennung wird alles wieder inS alte Geleise bringen," denkt fie. Aber laut erwidert sie kein Wort und verrät nicht einmal ein Staunen. Mit gesenkten Lidern fitzt fie ihm gegenüber und merkt nicht, daß sein Blikt blitzschnell und verstohlen ihr Antlitz streift. Nur Beate hat irgend etwas erwidert oder gefragt. Gleich darauf steht Graf Landegg auf und verläßt nach kurzem Gruß daS Zimmer. Auch Elisabeth erhebt sich und sucht ihr Schlafzimmer auf. Lange, lange liegt fie grübelnd wach, bis auf die Ermüdung und Erregung die Rück wirkung folgt und fie in einen tiefen, traum losen Schlaf fällt. Als fie am nächsten Morgen das Eßzimmer betrat, stand Herbert schon reisefertig vor ihr. Er küßte ihr kühl und kurz die Hand und sprach dann mü Beate. Elisabeth forscht« in seinen Zügen, ob darin Verachtung sür fie aus gedrückt liege. Sie merkte nichts, aber heiß und wild stieg ihr daS Blut zu Herzen, als fie sich dabei erinnerte, wie kurz er ihr gestern jede Rechtfertigung abgeschniften hatte. Er würde es heute ebenso machen, wenn fie selbit nur versuchen wollte, wenigstens des Vaters Ehre zu retten. Stolz und Zorn wallten in ihr auf; sie wollte sich keiner Demütigung aussetzen, fie wollte ihn nicht mehr, wie fie eS sich gestern vorgenommen hatte, um eine Aussprache unter vier Augen bitten. In dieser Stimmung war fie, als Graf Landegg jetzt auf fie zutrat und ihr zum Ab schied die Hand reichte. AlS er dabei ihre Hand küssen wollte, zog fie diese schnell mit verletzender Kühle zurück. Eine Sekunde sah der Grak fie mit einem eigentümlich forschenden Blick an, dann stürmte er zur Tür hinaus. Kaum hatte sich diese hinter ihm ge schloffen, als eine heiße Reue über Elisa beth kam. Ohne sich zu besinnen, eifte fie ihm nach, die Treppe hinunter an den vor der Ramp« haltenden Magen. Sie hatte vergessen, was zwischen ^dnen stand, und nur ein einziger WuHh Fqeelte fie: ihre Härte wieder gw machens ihn nicht ohne Abschiedswort von sich laffK, ihn keine bittere Erinnerung mit auf dev Weg geben. Er war eben im Begriff, einzusteigen, da stand fie auch schon an seiner Sette, erfaßte seine Hand und drückte fie:
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)