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Allgemeiner Anzeiger : 06.05.1905
- Erscheinungsdatum
- 1905-05-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190505065
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19050506
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1905
-
Monat
1905-05
- Tag 1905-05-06
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Monat
1905-05
-
Jahr
1905
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 06.05.1905
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politiscbe Kunälckau. Der rufstfch-japanische Krieg. *Noch immer weiß niemand mit Bestimmt heit zu sagen, wo sich die japanische Flotte aufhält. Auch Rofchdjestwenskys Pläne bleiben in Dunkel gehüllt, man weiß nicht einmal, ob er bis zur Stunde die Ver einigung mit dem dritten Geschwader unter Nebogaiow tatsächlich vollzogen hat. Neuer dings heißt es gar, der russische Admiral wolle versuchen, sich um die Philippinen herum nach Wladiwostok „durchzuschlängeln". Wahrschein- lick ist, daß sowohl die Russen wie die Japaner absichtlich falsche Meldungen über ihre Ziele und Absichten verbreiten lassen, um den Gegner irrezusühren. * Vom Landkriegsschauplatz sendet General Lenewiisch allerlei Meldungen über kleinere Erfolge. So griffen zwei russische Abteilungen in der Nähe der Stadt Tunkhufian den Feind gleichzeitig an, ver - trieben ihn nacheinander aus fünf Stellungen und besetzten Tunkhufian. In der Tat scheint das Vorrücken der Japaner zu einem gewissen Stillstand gekommen zu fein. Man wird aus den jetzigen Scharmützeln kaum auf das nahe Bevorstehen einer großen Schlacht schließen können. Schon das Gelände ist wenig dazu angetan, und so sucht man wohl nur durch kleine Vorstöße und Teilunternehmungen die Position aufzubessern. * Das Blatt .Sibirsk' bringt neuerdings die Meldung, daß Großfürst Nikolaus Niko- jewitsch sich in Kürze auf den Kriegsschau platz begeben und das Oberkommando über alle russischen Armeen übernehmen wird. * * L Zu den russische« Wirren. *Der zweite Tag des russischen Osterfestes war in diesem Jahre ein Tag des Schreckens für Warschau. Streikende, aber durchaus nicht kampflustige Arbeiter zogen mit ihren An gehörigen durch die Straßen der Stadt, um für ihre wirtschaftlichen und politischen Ziele in friedlicher Weise zu demon strieren, aber durch das Vorgehen der Truppen kam es zu einem furchtbaren Blutvergießen. Das Militär griff einen Arbeiteizug mit Frauen und Kindern an und stieß mit einer andern Volksmenge zu sammen, dis Feuer gegeben haben soll. Kavallerie attackierte die Menge, während von der andern Seite her Infanterie Salven auf den Menschen- knäuel abgab. Bei den Zusammenstößen wurden mehr als hundert Personen er schossen. Die Zahl der Verwun deten, die sehr groß sejn muß, konnte noch nicht annähernd festgestellt werden, da die nicht ganz schwer Verletzten entweder selbst entflohen oder von befreundeten Personen versteckt gehalten werden. 'Auch in Lodz ist es zu blutigen Straßenkrawallen gekommen. Dort bombardierte ein Trupp Arbeiter eine Militär patrouille mit Steinen. Die Soldaten feuerten und töteten zwei Personen. Abends bewarf auf dem Balutskiplatz eine Gruppe von Manifestanten ebenfalls eine Polizeiwache mit Steinen. Diese erschoß zwei und verwundete zwei Personen. Auch in der Balutyvorstadt und in der Alexandergasse spielten sich Kämpfe zwischen Arbeitern, Militär und Polizei ab. * Wenn die russische Telegraphenzensur die ihr unliebsamen Drahtnachrichten nicht unter drückt hat, ist das Osterfest in dem übrigen Nißland ruhig verlaufen. In Peters burg hatten die Truppen um die Jsaaks- kachedrale eine festgeschlossens Kette gebildet, um bei etwaigen Ruhestörungen sofort Lei der Hand zu sein. Es hasten sich aber nur verhältnismäßig wenig Zuschauer eingefunden. * In Petersburg explodierte in einem Hause eine Bombe während ihrer Zubereitung. Der Bewohner des Zimmers wurde leicht, sein dort anwesender Freund schwer verletzt. Die Verhafteten verweigern jede Auskunft. Deutschland. * Das Kaiserpaar traf am Dienstag in Venedig ein. * Die Einnahmen der Rsichspost - und Telegraphenverwaltung werden in dem am 1. Avni abgeschlossenen Rechnungsjahr etwas über 487 Millionen betragen; 7 Millionen mehr als der Etat in Ansatz gebracht hatte. 'Die deutschen Seestreitkräfte in Ostasien werden trotz des russisch-japanischen Krieges fortgesetzt vermindert. Im vorigen Jahre schied der Kreuzer „Bussard" aus Ostasien und ging als Stationsschiff nach der oßafrikanischen Küste. In diesem Jahre sind bereits die Kreuzer „Geier" und „Hertha" von Ostasien in die Heimat zurück- gekehrt. Kreuzer „Sperber" geht zur Ablösung deS Kanonenbootes „Habicht" nach der westafrikanischcn Küste, die JndiensthaltungSbekimmungen sehen ferner die Entsendung des Kreuzers „Seeadler" nach der australischen Station vor. DaS ist eine Ver minderung der deutschen Streitkräfte im fernen Osten um fünf Schiffe. Ob in nächster Zeit ein oder mehrere der neuen Kreuzer dem ost- asiatischen Kreuzergeschwader zugeteilt werden, ist nicht bekannt; bis zur Stunde liegen keine Be stimmungen vor. * Zu dem Schicksal der Bergarbeiter schutznovelle wiederholt die ,Nordd. Allg. Ztg/, daß die Kommissionsfassung des Regierungseniwurfs in wesentlichen Punkten für die Regierung unannehmbar sei. Wenn also das Abgeordnetenhaus auf An nahme des Gesetzentwurfs Wert lege, werde es für Beseitigung dieser die Vorlage ihrem eigentlichen Zweck entfremdenden Bestimmungen Sorge tragen müssen. 'Über die Frage der Vereinfachung der Personentarife werden, wie ver lautet, am 5. Mai Vertreter der außerpreußischen Staatsbahnverwaltungen mit den Preuß. Ver tretern in Berlin zu einer Konferenz zusammen treten. Minister v. Budde werde sich an den Verhandlungen persönlich beteiligen. *Die Konferenz des engeren Ausschusses zur Anbahnung der Betriebsmittel- gemeinschaft deutscher Staatseisenbahnen hat in Freiburg am 29. v. und 1. d. stattge funden. über die Ergebnisse versautet noch nichts. Österreich-Ungar«. * Der Eisenbahnminister D r. Wittek hat seinen Abschied genommen. Kaiser Franz Joseph beauftragte den bisherigen Sektionschef Dr. Wrba mit der Leitung des Ministeriums. (Der Rücktritt Witteks hängt mit den riesigen Kostenüberschreitungen bei den Alpenbahnen zu sammen.) Frankreich. * Bei der Einweihung einer Brücke über die Charente hielt der frühere Ministerpräsident Combes eine politische Rede, in der er erklärte, er werde das jetzige Kabinett Rouvier unter stützen, so lange es mit den Parteien der Linken regiere und sein Programm einhalte. Er sei aber Ler Ansicht, daß die Regierung und die Kommission der Kammer bei der Be handlung der Frage der Trennung von Staat und Kirch e mit übergroßem Wohl wollen vorgegangen seien. Zwischen dem Ministerium und der Mehrheit der Linken müsse Einvernehmen herrschen, damit ihr gemeinsames Programm demokratischer Reformen zurch Durch- ühmng gelangen könne. Bakkausiaaten. * Auf Kreta sieht es sehr böse aus. Nach einer Meldung aus Kcmea haben die Konsuln die Regierung aufgefordert, von allen öffent- lichenGebäuden diegriechischenFlaggen zu entfernen und sie durch kretische zu er setzen. Wenn dieser Forderung nicht nach gekommen .wird, soll die internationale Gen darmerie mit ihrer Durchführung beauftragt werden. Afrika. *Das diplomatische Schachspiel in Marokko steht immer noch gleich ungünstig für Frank reich. Die letzten Nachrichten aus Fes lauten dahin, daß die Unterhandlungen der franzö sischen Mission wenig Fortschritte machen. Der deutsche Gesandte Graf Tatten- Lach soll in einer Unterredung mit einem Zeitungsberichterstatter die Ansicht geäußert haben, daß Deutschland nicht Sonderabmachungen treffen könne, wo schon ein internationales Übereinkommen bestehe. (Gemeint ist damit natürlich nicht etwa das englisch-französische, sondern das internationale Madrider Überein kommen.) Aste«. 'Die letzten Mißerfolgs gegenüber den Aufständischen in Demen stellen die Pforte vor eine neue lästige Aufgabe. Nach Meldungen, die der englischen Botschaft in Konstantinopel aus Hodeida zugegangen sind, wird die Einnahme von Sana durch die Auf ständischen bestätigt. Die türkischen Truppen wurden von den Aufständischen, deren Zahl täglich zunimmt, entwaffnet. Ebenso gingen die vor Sana befindlichen Ge schütze in die Hände der Rebellen über. Vie finanLieUen Ariegs- verlufte Ausslanäs. über die gegenwärtige trostlose Finanzlage Rußlands bringt die Metschernaja Potschta' (Abend-Post) folgende bemerkenswerte Äuße rungen : Während der letzten Zeit herrschte auf der Börse in Moskau eine sehr gedrückte Stimmung. Nach den Äußerungen einiger Börsengrößen ist die Lage überhaupt nicht zu übersehen. Ins besondere wirkt ungünstig auf die Börse die zeitweilige Schließung der Putilow-Fabrik in Petersburg, durch welche die Aktionäre derselben riesige Verluste erlitten haben. (Die Putilow- Fabrik ist das größte metallurgische Werk Ruß lands. Sie beschäftigt über 14 000 Arbeiter.) Der durch Schließung der Fabrik erlittene Verlust betrug bis zum 19. d. bereits 720 OM Rubel. Infolge des Krieges und der inneren Unruhen schmelzen die Vermögen, welche in Staats- und Privatpapieren angelegt find, nicht täglich, sondern stündlich zusammen. In Ergänzung dieser Äußerungen find nach stehende Berechnungen, welche das ,Russkoje Slowo' (Russisches Wort) über durch den Kurs sturz im Laufe des Krieges entstandene Ver lusts anstellt, nicht ohne Interesse: Danach gibt es in Rußland für drei Milliarden Staatsrenten; wenn man den Ver lust mit 17 Prozent berechnet, erhält man einen Gssamtverlust von 510 Millionen. In Ruß land bestehen ferner 22 städtische Kreditanstalten, welche insgesamt Obligationen im Werte von 1500 080 000 Rubel ausgegeben haben. Da die Aktien um 15 Prozent gesunken sind, ergibt dies einen Verlust von 225 000 OM Rubel. Die Landbanken, deren Obligationen 2 Milliarden Mark betragen, ergeben bei Berechnung des Kurssturzes mit 17 Prozent einen Verlust von 340 OM 000 Rubel. Die 4- und die 3Vspro- zentigen Pfandbriefe der Adels- und Vauern- banken im Werte von 700 OM 000 Rubel er geben bei einem Kurssturz von 28 Prozent etwa 200 MO MO Rubel Verlust. Die Obli gationen der Eisenbahngesellschaften in Höhe von 2 500 MO 000 Rubel find um 22 Prozent gesunken. Der Verlust betrug demnach über 500 000 MO Rubel. Der Gesamtverlust hat danach die Höhe von rund 1775 000 OM Rubel erreicht — eine kolossale Summe. Von unä fern. Zur Hochzeitsgabe der preußischen Städte für das Kronprinzenpaar, an der sich 3M Gemeindewesen der preußischen Monarchie beteiligen, sind bereits 410 000 Mk. zusammen- ;ekommen. Berlin ist dabei mit 90000 Mk. beteiligt. Die Maifeier am Montag hat keine wesentliche Änderung des Straßenbildes Berlins herbeigeführt. Gegen 9 Uhr morgens sah man einzelne Gruppen festlich gekleideter Arbeiter durch die Straßen ziehen, die sich in den ver- chiedenen Gastwirtschaften vereinigt hatten, um ich gemeinsam nach den Versammlungslokalen zu begeben. An den Versammlungen, die nach Branchengruppen geordnet, am Vormittag statt fanden, beteiligten sich insgesamt 30 MO Per« sonen. Ziemlich stark besucht waren die Bei« sammlungen der Holzbearbeitungsbranchen sowie der Maurer und Zimmerer. Eßbare Schiller-Reliefs Ms Marzipan« haben sich in den letzten Tagen in den Schau» fenstern einzelner Berliner Konditoreien gezeigt. Ein Seitenstück dazu bilden die Schiller-Büste» aus Schokolade. (Diese eigenartigen Schiller» Ehrungen mögen ja recht schmackhaft sein, ge» schmackvoll kann man sie gerade nicht nennen.) Reklamelaterneu. Die Deputation der Berliner Gaswerke beschäftigte sich mit der Frage betr. Beleuchtung von sogen. Trans» vnsntlaternen, die von einem Unternehmer mit Reklamen versehen, an allen Straßenbahnhalte stellen, zur besseren und schnelleren Auffindung derselben, demnächst angebracht werden sollen. Diese Transparentlaternen sollen auch während der Nacht erleuchtet bleiben. Die Behörden haben ihre Zustimmung zu der Anbringung dieser dreieckigen Transparente erteilt. Die Hochzeit des Herzogs Ednard von Koburg mit der Prinzessin von Glücks» bürg findet im September auf Schloß Glücks» bürg statt. Zur Feier werden das Kaiserpaar und der König von England erwartet. Großherzogliche Stiftung. Zur Erinne rung an seinen Hochzeitstag am 30. April spendete der Großherzog von Sachsen-Weimar 100 OM Mk. für Sieche und für ein Blöden heim im Großherzogtum. Der Siegeslauf des „C". Bekanntlich ist sür die amtliche Schreibweise des Orts» namens „Cöln" seit längerer Zeit das E obligatorisch. Jetzt ist nun auch von amts- wegen angeordnet worden, daß auch die Schreib weise des Ortsnamens Coblenz mit einem „C' im Anlaute von jetzt ab die amtliche sein soll. Man wird also für die Folge in allen Fahr plänen, Registern usw. den Namen der schöne» Rheinstadt unter dem Buchstaben „C" zu suchen haben. Der Emgeineindungsanteag zwischen Ruhrort und Duisburg wurde iu der Duis burger Stadtverordnetensttzung einstimmig ge nehmigt. Die zur gleichen Zeit in Ruhrort" abgehaltene Stadtverordnetenversammlung ge nehmigte die Eingemeindung Ruhrorts in Duis burg mit 34 gegen 9 Stimmen. Ein furchtbares FaMilrendrama hat in Hamburg-Barmbeck sinn Opfer gefordert. Der in der Marschner Straße wohnende Klempner meister Krusse tötete in der Nacht zum Dienstag sich und seins vier Kinder durch Leuchtgas. Die Leichen wurden am Morgen in der Keller wohnung aufgefunden. Das Motiv zu der ent setzlichen Tat sollen Nahrungssorgen gewesen sein. Er selbst war ein Trinker und hat am Karfreitag seine Frau verloren, die wahrschein lich infolge von Mißhandlungen verstarb. An scheinend plagten den Mann Gewissensbisse und er hat infolgedessen die Tat verübt. Fünf Pfennige l Ein in Altona wohnen der Bürger hat ein Leines Grundstück in Langenfelde-Stellingen; hierfür muß er, was recht und billig ist, Kirchensteuer zahlen. Diese Steuer beträgt jährlich fünf Pfennig und ist in zwei Raten zu zahlen, nämlich 2 Pfennig am 7. Juli und 3 Pfennig am 1. Oktober. Der Bürger war aber kapitalkräftig genug, um die 5 Pfennig auf einmal zu zahlen, er bat sich dafür aber eine Quittung aus. Diese kostet 5 Pfennig Porto, dazu die 5 Pfennig Porto für den SLeuerzettel, macht 10 Pfennig. Die Kirchenkasse hat nach Empfang der 5 Pfennig Steuer zwar ein Defizit von 5 Pfennig zu verzeichnen, aber das macht natürlich nichts aus. Hauptsache ist, daß die 5 Pfennig gebucht werden konnten. Infolge plötzlichen Reißens des Seiles der auf Len Hügel von Fourviöres bei LyoB führenden Drahtseilbahn fuhr ein dichtbesetzte» Wagen mit starker Geschwindigkeit zu Tal unö> prallte dort so heftig auf, daß siebzehn Insassen! Verletzungen erlitten. Beim Brande eines Bauernhofes in Lier strand in Norwegen find die sechs Kinder des Besitzers verbrannt. O frauen. 7j Roman von E. Borchart. (Fortsetzung.) „Nein, das hat er nicht gesagt. Als Mann von Ehre kam er zuerst zu mir mit seiner An frage, aber er teilte mir mit, daß du gestern ihm gegenüber so verwirrt gewesen wärest, und das glaubte er zu seinen Gunsten deuten zu dürfen." „O mein Gott!" stöhnte Elisabeth. Er hatte also bemerkt, wie sie ihm gestern ausgewichen war und hatte dem nun eine solche Deutung gegeben. „Väterchen, Graf Landegg hat fich geirrt!" entrang es fich ihren Lippen, nachdem sie sekundenlang geschwiegen hatte. „Ich habe ihn stets hoch geachtet, habe ihn auch nicht ungern gesehen, aber heiraten kann ich ihn nicht." „Warum nicht?" „Ich liebe ihn nicht." „Du liebst ihn nicht! Wie kurz und bündig du das sagst. Was verstehst du denn unter Liebe? — Da lest ihr allerhand Geschichten und glaubt dann die Romantik daraus auf vas wirkliche Leben übertragen zu können. Ich will dir einmal sagen, was Liebe ist: Gegen seitige Hochachtung, ein Sichgernfügen in des andern Wünsche, ja, wenn es not tut, fich sogar unterordnen, sich sorgen und mühen für den andern und mit ihm Leid und Freude teilen. Das ist die einzig wahre Liebe, Elisa beth. Sie äußert fich nicht in leidenschaft lichen Ergüssen, sie wurzelt tief im wirklichen Leben. Du sagst nun selbst, du achtest den Grafen und bist ihm freundlich gesinnt; so wirst du ihn auch lieben lernen. Sein Cha rakter birgt mir für dein Glück. Und diesen Mann, um den dich jedes Mädchen beneiden würde, willst du mit einer kurzen Abweisung abspeisen, weil du dir eine falsche Vorstellung von der Liebe machst? Kind, ich glaube, dir stecken allerlei Ideen im Kopf von Künstlerin werden und so weiter. Wer ich sage dir: so lange ich lebe, wird nichts daraus! Eine Ritt berg soll fich nicht zum Schaustück für den Pöbel machen. — Still, erwidre nichts! Ich will jetzt keine Entscheidung von dir, weder ein Ja noch ein Nein. Gehe auf dein Zimmer und prüfe dich ernstlich, was du für den Grafen Landegg fühlst. Erst wenn du ganz klar darüber bist, komme wieder zu mir. Ich zwinge dich selbstverständlich nicht, du hast freie Entscheidung, nur eins möchte ich dir zu bedenken geben: Wenn du dieses fich dir jetzt bietende Glück von der Hand weisest, ein zweites ähnliches wird fich dir kaum bieten. — Nun gehe, mein liebes Kind." Elisabeth wollte etwas erwidern, aber die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Des Vaters Worte hatten sie tief getroffen, fie erkannte viel Wahrheit darin, und doch verstand sie den Vater nicht. Sie wollte noch etwas erwidern, aber die aufsteigenden Tränen hinderten fie am Sprechen, und fie bemerkte nur noch, wie leidend und müde der Vater aussah, als er fie mit dem gewohnten Kopfnicken entließ. Sie griff nach seiner herabhängenden Hand und drückte einen innigen Kuß darauf, dann eilte fie hinaus, aber nicht in ihr Zimmer zu der vom Vater geforderten Selbstprüfung — deren bedurfte es nicht, denn fie war fest ent schlossen, die Werbung des Grafen abzulehnen — sondern zur Mutter. Frau v. Rittberg mußte ihre Tochter schon erwartet haben, denn fie kam ihr mit ausge breiteten Armen entgegen: „Elisabeth, mein Kind, bist du glücklich?" „Glücklich, Mutti?" „Wie seltsam du fragst! Kommst du denn nicht vom Vater?" „Doch, aber was du anzunehmeu scheinst, trifft nicht zu; ich nehme den Antrag Graf Landeggs nicht an." „Elisabeth!" Es lag ein solcher Schreck, eine solche Ent täuschung in Frau v. Rittbergs Ton und Mienen, daß Elisabeth alle Selbstbeherrschung verlor. „Aber einzige Mutti," rief fie aufschluchzend, „willst du denn dein Kind durchaus fort geben ?" „O, nicht so, mein geliebtes Kind, aber ich wäre so glücklich gewesen in deinem Glück," sagte Frau v. Rittberg beschwichtigend, „liebst du ihn nicht?" „Nein, ich liebe ihn nicht," sagte Elisabeth mit tränenvoller Stimme. „Wen liebst du denn? Vertraue eS mir an, und nichts soll deinem Glücke im Wege stehen." „Ich habe dir nichts anzuvertrauen ich liebe keinen andern." „Und du glaubst, du würdest den Grasen Landegg nie lieben können, du willst seine Werbung ablehnen?" Zitternd kamen diese Worte über Frau v. Rittbergs Lippen. Elisabeth erschrak über das jetzt gleichfalls bleiche Antlitz und die schmerzvollen Züge der Mutter. „Mutti," rief fie außer sick vor Angst, „was fehlt dir, was quält dich? Sage eS mir und laß mich teilnehmen an deinem Leid. Daß ich den Grafen Landegg nicht heiraten will, kann dir doch nicht solchen Kummer machen, es muß etwas andres sein, ja, ich ahne schon längst, daß ihr mir etwas ver schweigt. Sage mir doch: was ist geschehen? Lieber das Schlimmste hören, als die Unge wißheit Wetter zu tragen. Mutti, einzige Mutti!" Frau von Rittberg war bei ElisabetHS Worten in heißes Schluchzen ausgebrochen. Seit heute nacht war so viel auf fie einge stürmt; ihre Kraft und Selbstbeherrschung ließen sie endlich im Stich. Elisabeth führte die Weinende zum Sosa, ließ sich mit ihr darauf nieder und sprach sanft tröstend auf fie ein. Endlich faßte Frau von Rittberg fich wieder, trocknete ihre Tränen und zog die Tochter liebe voll an fich. „Du hast recht, mein Kind, ich darf dN nicht länger verschweigen, was wir, nur uw deinen Frohsinn nicht zu trüben, vor dir ver bargen. Nur mußt du mir vorher das Ver sprechen geben, daß meine Enthüllungen keine»
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