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Allgemeiner Anzeiger : 01.04.1905
- Erscheinungsdatum
- 1905-04-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190504017
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1905
-
Monat
1905-04
- Tag 1905-04-01
-
Monat
1905-04
-
Jahr
1905
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 01.04.1905
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pOlitilcks ArmälebLN. Der rusfisch-jspamschs Krieg. * Offiziös wird bestritten, daß das russische Ministcrkomitee sich bereits mit der Friedensfrage beschäftigt habe. *Der ,Daily Telegraph' spricht in einem gewiß von Regierungsseite beeinflußten Artikel die Hoffnung aus, Japan werde schließlich auf eins Kriegsentschädigung ver zichten, wenn England und Amerika oder England allein die strenge Beachtung aller andern Friedensbedingungen garantieren werden. Das Blatt deutet an, daß England ^u einer solchen Garantie bereit wäre nnd daß rhm als Ziel ein Zusammenhalten zwischen England, Rußland, Japan und Amerika zur Sicherstellung des Friedens in Asien vor schwebe. * In Tokio eingetroffenen amtlichen Berichten zufolge haben die Japaner die Pallisaden passiert und rücken in breiter Front auf beiden Seiten der Eisenbahn vor. Die japanische Vorhut steht bereits 100 englische Meilen nördlich von Mukden. Die Russen find aus allen vom Ligo bewässerten Distrikten vertrieben. * *Nach Meldungen aus Gunschulin sind die japanischen Truppenteile, die den Auftrag haben, dasrussischeHeer zu umgehen, nicht stark genug, um ihre Aufgabe voll ständig durchzuführen. Trotzdem ist es möglich, daß die russische Armee sich bis zur sibirischen Grenze zurückzieht, um dort Verstärkungen zu erwarten und die Armee leichter zu verpro viantieren. * Nach russischen Berichten scheint in die sich zuruckziehende Armee, deren Stärke sich noch auf etwa 200000 Mann beläuft, nunmehr eine gewisse Ordnung zu kommen. Nach den Mel dungen von japanischer Seite ist der Vor marsch der Japaner noch keineswegs abgeschlossen; ihr nächstes Ziel, dem sie in ge wohnter Energie zustreben, schein die Besitz ergreifung von Kirin zu sein, von wo ms sie dann weitere Vorstöße nach Norden zu machen gedenken, um die wichtige Eisenbahn verbindung zwischen Charbin und Wladiwostok zu unterbrechen. * Nach dem ,Russischen Invaliden' hat Rußland bisher eine MillionSol - baten und 1250 Geschütze nach dem Kriegs schauplatz entsandt. *Jm ganzen sind bisher auf japanischem Boden 86 000 russische Kriegsgefan gen e eingetroffen. *Der russische Minister des Äußeren Graf Lambsdorff bereitet die Veröffentlichung gewisser Aktenstücke vor, um nachzuweisen, daß der Ausbruch des Krieges in Ostasien von Japan verschuldet sei. Dieser Nachweis wird ihm aber nicht gelingen, nachdem Japan ihm durch Zusammenstellung russischer, aller Welt bekannter Aktenstücke und diplomatischer Schriften mit dem Nachweis zuvorgekommen ist, daß Rußland den Krieg ver schuldet habe. * Die Zeichnung der vierten inneren japanischen Anleihe hat begonnen; das kaiserliche Hms hat zwanzig Millionen Den gezeichnet. * * Zu den russische« Wirre«. *Der WarschauerBombenwerfer vom Sonntag ist ermittelt worden. Es ist der 18 jährige, aus dem Bezirk Nowominsk stammende Schlosser Stephan Okrjeia. Die Nachricht, die Warschauer Polizei habe in einem ausgemauerten Grabe des Powonskikirchhofes 80 Bomben entdeckt, wird nach auf dem Kirchhofe einge zogenen Erkundigungen als unrichtig bezeichnet. Immerhin mag der neue Gouverneur Maximo- witsch sich in einiger Unruhe befinden, obwohl ihm die polnische Geistlichkeit und Aristokratie ihre Sympathien gezeigt haben. "Die Bewegung unter den Bauern in den verschiedensten Gegenden Rußlands er regt bei der Regierung gesteigerte Besorgnis. Im Kreise Jepifan im Gouvernement Tula wurde durch Bauern ein Landsitz geplündert, der bis vor kurzem dem Grafen Jgnatiew ge hört hatte. Auch aus verschiedenen Ort schaften des Gouvernements Tiflis werden Bauernuymhen gemeldet. Am 13. d. drangen 350 Bauern der Ortschaft Wardsija unter den Rufen: „Hurra, Freiheit, Brüderlichkeit, nieder mit der alten Verwaltung!" in die Schule, zertrümmerten Türen, Fenster und Möbel und zerrissen ein Bild des Zaren sowie Dokumente und Bücher. Die Einwohner von drei anderen Ortschaften begingen Waldfrevel; mit Stöcken und Gewehren bewaffnete Bauern erschienen in den Gutskanzleien, stellten Forde rungen und drohten mit deren gewaltsamer Durchsetzung nach einem bestimmten Termine. * Sehr ernst hat sich die Lage in Jalta (Gouvernement Taurien) gestaltet. Fast alle Magazine und Branntweinbuden sowie das König Dom Karlos von Portugal. Polizeiamt find zerstört worden. Einige Läden wurden in Brand gesteckt. Der Polizeichef von Jalta ist verwundet worden. Es werden von Sebastopol Kriegsschiffe mit Matrosen und drei Kompanien Soldcmn nach Jalta gesandt. In Sebastopol selbst herrscht infolge der Nachrichten aus Jalta gleichfalls große Erregung. * * * Deutschland. * Der Kaiser wurde bei seiner Ankunft in Lissabon von der gesamten Königs familie, den höchsten Hof- und Staatswürden trägern empfangen und von der Bevölkerung auf das herzlichste begrüßt. Die zahlreichen deutschen Geschäftshäuser der festlich geschmückten Stadt zeichnen sich durch ihre Dekorationen hervorragend aus. *Der Kaiser hat dem König von Portugal die Kette zum Schwarzen Adler- Orden und der Königin Amalie den Luisenorden mit der Zahl 1813/14 verliehen. * Die Kaiserin und Prinz Eitel-Friedrich find am Montag in Messina angelangt; nachmittags trafen die hohen Herrschaften in Taormina ein, wo sie einen längeren Aufenthalt nehmen werden. *Die langen Drahtberichte, welche die Pariser Blätter über die in Tanger ge troffenen Vorbereitungen zum Empfang des deutschen Kaisers veröffentlichen, behandeln auch sehr eingehend die Stellung des früheren Banditen Raisuli. Nachdem dieser vom Sultan zum Gouverneur und Hüter der Ordnung des Tanger um grenzenden Landbszirks emannt worden ist, gehört er zu der hohen Beamtenschaft der Provinz Tanger und ist somit verpflichtet, an der Begrüßung des Kaisers amtlich teilzu nehmen. Raisuli ist hierüber, wie er einem Berichterstatter erklärt hat, keineswegs unge halten, sondern er wird sogar das Amt des Sprechers und des Dolmetschers für die Abordnung der marokkanischen Würden träger übernehmen. * Nach den Beschlüssen der Budgetkommisston des Reichstages balanciert der Reichs- Ha u s h a l t S e t a t für 1905 mit 2180167 169 Mark (gegen 2 241560 900 Mk. der Vorlage), er ist also um 61393 731 Mk. herabge setzt worden. * Es ist die Ansicht vorherrschend, daß die Berggesetznovelle, wenn auch imit einigen Änderungen, im preußischen Landtage zur Annahme gelangen werde. Ein großer Teil der Konservativen wird vielleicht der Re gierung, nachdem der Ministerpräsident selbst sich am Montag so lebhaft für diese Vorlagen eingesetzt hat, mehr entgegenkommen, als es ihrer Neigung anfänglich entsprochen haben mag. Italic«. *Das neue Ministerium Fortis ist gebildet und hat am Mittwoch dem Könige den Eid geleistet. Balkaustaate«. * Der Chef der provisorischen National- Versammlung von Kreta, der zugleich Führer der mit dem Regiment des Prinzen Georg Unzufriedenen ist, hat die Vereini gung der Insel mit Griechenland prokla miert. Ausgeschlossen davon sollen einstweilen nur diejenigen Teile der Insel bleiben, die im Jahre 1897 von den internationalen Truppen besetzt wurden. Zus äem Keiebstage. Der Reichstag erledigte am Montag zunächst die zweite Lesung des MilitSretatS. Längere Debatten fanden noch statt zum Abschnitt „technische Institute", wobei der Abg. Zubcil (soz.) angebliche Mißstände in den Spandauer Militärwerkstätten zur Sprache brachte. Ihm antwortete Geueralleutnant Sixt von Arnim. Wie Schatzsekretär Frh. v. Stengel mit teilte, wird als Beihilfe für die Stadt Spandau im nächsten Etat eine Summe ausgeworfen werden, über die Frage der Heranziehung von Neichs- betrieben zur Kommunalsteuer wird im Bundes rat noch verhandelt. Zum Extraordinarium wurde eine Weile verhandelt über die Koukurrenzfrage Krupp Ehrhardt. Nach Beendigung der Beratung des Militäretats wurde, da das HauS ziemlich be schlußfähig, die Abstimmung über die zum Etat des Reichsamts deS Innern «angebrachten zwei Dutzend Resolutionen vorgenommen und hierauf noch Reste vom Post- und Marineetat erledigt. Zum Marine» etat wurde der Antrag Gröber (Zentr.) betr. Streichimg der Zulagen für eine Anzahl von Fregattenkapitänen ahgelshnt. Am 28. d. wird die zweite Beratung desReichS - Haushaltsetats bei dem Etat der Zölle und Verbrauchssteuern fortgesetzt. Die Kommission hat beschlossen, die Einnahme aus Zöllen um 24 Millionen höher anzusetzen, auf 536 Millionen Mark und außerdem zwei Resolutionen beantragt, 1) daß die bezüglich der zollfreien Ver wendung von Benzin bestehenden Kontroll-Maß regeln tunlichst erleichtert werden, 2) daß bei ob waltenden BilligkeitSgründen auch denjenigen Händlern mit Süßstoff eine Entschädigung gewährt werde, denen unter Zollverschluß befindlich gewesene Süßstoff-Vorräte vernichtet worden sind. Abg. Arendt (freik.) berichtet über die Ver handlungen der Kommission. Abg. Graf Kanitz (kons.) begründet eine von ihm eingebrachte Resolution, die die Außerkraft setzung der Bestimmungen über die Stundung der Zollbeträge für Getreide und Mühlenfabrikate vom 1. Juli d. ab erstrebt. Er verweist darauf, daß andernfalls eine solche Steigerung des Imports an Getreide eintreten werde, daß die Wirkung der neuen Zölle auf ein bolles Jahr hinausgeschoben werde zugunsten des Getreidehandels und der russischen Landwirtschaft. Schatzsekretär Frh. v. Stengel ist vorläufig noch nicht in der Lage, zu dieser Frage Stellung zu nehmen, gibt aber zu bedenken, wie schwer durch diese plötzliche Aufhebung der Zollkredite der ein heimische legale Getreidehandel geschädigt werde. Die Entscheidung über diese Frage ist sehr schwierig und könne erst nach der Ernte im Herbst entschieden werden. Präsident Graf Ballestrem erklärt eine Ab stimmung über diese Resolution heute für unmöglich, da sie erst drei Tage dem Hause vorgelegen haben muß. Abg. Speck (Zentr.) beantragt Verweisung der Resolution an eine Kommission von 14 Mit gliedern. Nach kurzer Debatte wird der Gegenstand verlassen. Der Kommissionsbeschluß bezüglich der Höhe des Zollanfatzss wird angenommen, desgl. die erste Resolution über die zollfreie Verwendung von Benzin. Es folgt der noch ausstehende Titel 8, Zuckersteuer. Nach längeren Ausführungen des Berichterstatter- Dr. Arendt begründet Abg. Schmidt - Wansleben (natl.) die Forderung auf Herabsetzung der Zucker steuer auf 10 Mark. Sowohl der Schatzsekretär wie der preußische Finanzminister hätten seinerzeit die Herabsetzung für wünschenswert erklärt. Abg. v. Staudh (kons.) ist der Ansicht, daß das Rückgrat der neuen Zuckerbesteuerung die Stcigsmng des Konsums sei. Für die Herabsetzung der Verbrauchsabgabe sei der Zeitpunkt noch nicht gekommen. Abg. Paasche (nat.-lib.) steht ebenfalls auf dem Standpunkt, daß der Konsum des Inlandes erbeblich gesteigert werden müsse, warnt aber vor übertriebenen Hoffnungen, die meist Zukunftsmusik feien. Geheimer Oberregierungsrat Kühn hält den gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für geeignet zu einer weiteren Herabsetzung der Zuckersteuer. Daß die eng lische Regierung die Einfuhr spanischen Zuckers be günstige, sei absolut nicht erwiesen. Abg. Pachnicke (frs. Vgg.) sieht den Haupt vorteil der Konvention darin, daß sie der Prämien- wirtfchaft ein Ende gemacht habe. Die schlimmen Prophezeiungen der Vertreter der Zuckerkartelle seien nicht etngetroffen. ES sei zu erwägen, ob nicht derartige völkerrechtliche Vereinbarungen auch über andre Erzeugnisse, z. B. Eisen, getroffen werden können. Nachdem noch Abg. Ledebour (soz.) um Aus kunft gebeten, ob Soldaten, denen Zucker gereicht wurde, dadurch leistungsfähiger geworden seien, schließt die Erörterung und wird der Titel „Zucker steuer" bewilligt. Die Resolution betr. Ent schädigung für vernichtete Süßstoffe wird ange nommen. Die Titel „Salzsteuer, Branntweinsteuer und Brausteuer" werden ohne Erörterung genehmigt, desgl. der Etat der Reichsstewpelabgaben, der Etat des Reichsschatzamts und der Reichsschuld. Die Positionen „Zuschuß zu dem ordentlichen und außerordentlichen Etat" und „Matrikular- beiträge" werden verbunden. Abg. Speck (Zent.) erstattet den Kommissions bericht. Schatzsekretär Frh. v. Stengel nimmt Bezug auf den latenten Gegensatz zwischen Reichstag und Bundesrat in der Frage der Finanzierung deS Reichsetats und erkennt an, daß der Reichstag mit der Beseitigung der Zuschußanleihe ein gutes Werk getan habe. Aber auch die verbündeten Negierungen seien weit entgegen gekommen, indem sie 20 Millionen auf die unge deckten Matrikularbeiträge übernahmen, durch die die Einzelstaaten wieder sehr belastet werden. Freilich stunde ihnen das Reich meist die überschießenden Matrikularbeiträge, aber schon betrügen die Stundungen etwa 80 Millionen Mark und damit fei die Grenze fast erreicht, ebenso mit der Ausgabe der Schatzanweisungen. Als einziges Heilmittel empfehle er die Reichkfinanzreform und die Schaffung neuer Einnahmequellen. Abg. Brunstermann (b. k. F.) hält die Umstoßung der Beschlüsse der Budget-Kommission für unbedingt geboten, da die Einzelstaaten keinerlei Erhöhung der Matrikularbeiträge ertragen könnten. Abg. Patzig (nat.»lib.) erachtete auS die Be schlüsse der Budget-Kommission für recht bedenklich, da sie geeignet seien, das gute Verhältnis der Einzelstaaten zum Reich zu stören. Abg. v. Nichthofen (kons.) spricht seine Sympathie aus mit den Bemühungen, die Einzel staaten zu entlasten. Eine solche Erhöhung der Matrikularbeiträge sei bei Erlassung der Verfassung nicht vorauSzuschen gewesen. Abg. Singer (soz.) betont, daß seine Partei für keine Finanzreform zu haben sei, die nur auf eine Erhöhung der indirekten Steuern und auf eine Mehrbelastung der arbeitenden Klassen hinauslaufe. Die Matrikularbeiträge könnten lediglich durch direkte Reichssteuern ersetzt werden. Abg. Gröber (Ztr.) bittet, es bei den Kom missionsbeschlüssen zu lassen, da die Matrikular- beiträge sowohl die wesentliche Grundlage deS Reiches als des Budgetrechts des Reichstages seien. Abg. v. Kardorff (freik.) hält Abstriche aut Militär- und Flottenetat angesichts der kriegerischen Weltlage für unmöglich. Die indirekten Steuern träfen die Wohlhabenderen mehr als die Ärmeren. Die Reichsfinanzreform werde sich höchstens noch zwei Jahre aufschieben lassen. Die Etatsposition wird entsprechend den Be schlüssen der Budgetkommission angenommen, desgl. der Banketat. Der Rest des Etats und das Etatsgesetz werden ohne Erörterung genehmigt. Damit ist die zweite Lesung des Etats erledigt. Es folgen Wahlprüfungen, die meist nach den Vorschlägen der Kommission erledigt werden. K Anter der j^aske. 82) Roman von Lady Georgina Robertson. «KorUttzima.l Mathilde sah ein, daß alle Überredung vergeblich war. Sie wollte einige Zeit warten, ehe fie an die Aufklärung von Ellens Inkognito ging; vielleicht, daß diese bald ihren Sinn änderte und sich zu erkennen gab. Sie ver hehlte sich nicht, wie schwer es ihr fallen würde, Ellens Eltern täglich und stündlich zu sehen, ohne ein Wort davon über ihre Lippen zu bringen, daß ihre Tochter lebte, daß Ellen, die fie für tot wähnten, unter den Lebenden weilte, erreichbar für fie in wenigen Stunden. Und sollte die Last, die fie trug, zu schwer werden, so wollte sie ihr Herz erleichtern. Wie lange würde sie denn überhaupt die Last tragen können? Sie konnte augenblicklich nur hoffen, daß die Zukunft Ellens Sinn änderte. Sie trennten sich mit bitteren Tränen, aber in dem Gefühl der alten Freundschaft und Liebe. Als Mathilde Burton ihrer Tante an dem Abend gute Nacht wünschte, sah diese fie er- staunt an. „ , „Was ist passiert? fragte fie besorgt. „Du siehst zehn Jahre älter aus als vorher." „Ich habe das Gespenst meiner verlorenen Jugend gesehen," erwiderte das junge Mädchen mit einem müden Lächeln. Mathilde Burton war vollständig über mannt von Ellens Erzählung. So lange fie mit ihr zusammen war und sich von ihrem Dasein überzeugte, dachte fie nicht weiter nach, ihr Erstaunen war zu groß. Jetzt, in der Einsamkeit,' brach fie unter dem ungeheuren Schmerze nieder. Sie saß in ihrer Stube, ohne sich zu rühren, ohne einen klaren Gedanken fassen zu können. Elle lebte, die See Halle fie nicht verschlungen, alle die langen Monate, in denen die Ihren um sie geweint und getrauert hatten, war sie am Leben und teilweise in ihrer Nähe gewesen. Ellens Rückkehr bedingte für sie ein Ent sagen, ein Hingeben allen irdischen Glückes. Es war zum zweiten Male, daß fie sich am Ziele geglaubt hatte und dieses Mal fühlte fie sich so sicher, daß nichts mehr zwischen sie und ihre Liebe treten würde. Lange hatte es ge währt, bis sie sich entschloß, Lord Chesleighs erneute Werbungen zu erhören. Sie wollte vor sich selbst nicht ihr Glück auf dem Kummer um Ellens Tod ausbauen. Wer schließlich sah sie kein Unrecht mehr darin; fie hatten sich so sehr geliebt, ein Schicksal hatte sie getrennt, wamm sollten fie jetzt nicht noch glücklich werden? Langsam hatte fie sich dem Gedanken hingegeben, langsam ihr Herz dem Sonnen schein der Liebe wieder geöffnet — nun war die Enttäuschung so groß, daß sie dieselbe kaum zu ertragen vermochte. Was sollte sie Artur sagen? Die Wahr heit durste fie nicht verraten und außer dieser würde ihm nichts genügen. Es war sehr un wahrscheinlich, daß er, der so lange das Glück ersehnt hatte, fie sein eigen zu nennen, sich jetzt ohne Gründe von ihr trennen würde. Und doch durfte fie nicht säumen, ihm so fort zu schreiben, denn fie wußte, daß er alles instand setzen ließ und Vorbereitungen zur Hochzeit traf. Mathilde war eine starke, mutige Natur und führte stets das aus, was fie für recht erkannt hatte. Jetzt saß fie vor ihrem Schreib tisch, aber die Worte fehlten ihr, um das zu sagen, was fie sagen mußte. Endlich verlieh die Verzweiflung ihren Ge danken Ausdruck. Es sei alles aus zwischen ihnen, schrieb fie, nie könnte von einer Heirat die Rede sein. Den Grund dürfte sie nicht sagen, er müsse ihre Entscheidung so annehmen, dieselbe sei unwiderruflich und nichts in der Welt könne fie bewegen, dieselbe zu ändern. Der Brief zeigte in jedem Satze, daß das Herz der Schreiberin unsäglich litt; er war voller Leidenschaft und Verzweiflung. Als Mathilde ihn zur Post gab, sagte sie ihrer letzten Hoffnung für's Leben Valet. — Ellen vergaß den Tag nicht, an dem das Schreiben in Ashbrooks eintraf. Sie war im Kinderzimmer und spielte mit Dora, als Lord Cheslemh eintrat. Er sah sehr erregt und blaß aus, schien Mrs. Moore gar nicht zu bemerken und beschäftigte sich nur mit der Kleinen, der er erzählte, daß er auf zwei Tage verreisen müßte. ES rührte Ellen, wie er das Kind in die Arme schloß und zärtlich küßte. Als die Wärterin ihn etwas fragte, sah er fie zerstreut an und sagte: Wir wollen das besprechen, wenn ich zurückkomme, ich habe schlechte Nach richten erhalten und kann mich vor meiner Ab reise mit nichts mehr befassen." „Was mag er nur haben!" sagte die Kinderfrau, als er das Zimmer verlaffen. „Der Diener erzählte mir vorhin, daß Mylord heute einen Brief erhalten habe, der ihn sehr erschreckt haben müßte; er hätte nachher lange auf demselben Platz gesessen und vor sich hin gestarrt. Hoffentlich betrifft es nicht Miß Murton; Mylord ist ein so guter Herr, ich wünsche ihm so sehr, daß er glücklich wird." Ellen schwieg. Sie wußte nur zu gut, was in dem Briefe stand. Ihre Gedanken begleiteten ihn auf seiner Reise und sie durchlebte innerlich seine Unterredung mit Mathilde, als sei fie dabei gewesen. Er würde seine ganze Über redung aufbieten, ihr voll Wärme, voll Liebe entgegentreten, und fie würde ruhig und un erbittlich bleiben. Ellen litt fast mehr als die beiden Beteiligten, fie machte sich die bittersten Vorwürfe über ihr Verhalten. „Wenn ich mein Kreuz getragen hätte, dachte fie, „und versucht, die Liebe meines Gatten zu gewinnen, statt mich der Ver zweiflung und Eifersucht hinzugeben, so wäre alles anders gewesen. Gott wolle mir mein« Sünden vergeben." Sie fürchtete feine Rückkehr und konnte sich doch seine längere Abwesenheit nicht erklären- Wo war er? Hatte Mathilde EllenS Ge heimnis verraten? Oder sollte fie gar schwach genug gewesen sein, Artur bei seinen Hof" nungen zu belassen. Das erstere war, w e fie hoffte, nicht der Fall gewesen; das zweite aber erschien ihr bei reichlichem Nachdenken als eine Unmöglichkeit. Und doch — wenn Mathildens Antwort ein festes, entschiedenes
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