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weiß nur, daß ich dorthin gehen muß — von heute ab alle — alle Tage! Ich fühle, daß mir dann Wohler sein wird, viel Wohler!" Sie seufzte. „Es ist ein gar sonderbarer Wald, sage ich Dir, so dunkel, so dicht, so geheimnisvoll still und der Pfad, der nach meinen Lieblingsplätzen führt, ist so verwachsen. Es hat ihn wohl schon lange keines Menschen Fuß mehr betreten. Und dann Der Teich! Stundenlang könnte ich an seinen Ufern sitzen »nd auf das ruhige Wasser blicken. Er kommt mir vor wie eine große Wiege. Der Himmel ist die Decke, die darübw ausgespannt ist, und die Wand von Schilf und Rohr sind die Vorhänge. Sie allein bewegen sich und rauschen dabei so eigen und was in der Wiege liegt, schläft fest und — tief!" Lntowosski drückte sie sanft auf einen Sessel nieder und nötigte ihr Wein und Speisen a.-W „Deine Nerven sind noch immer angegriffen," sagte er. „Ich wünschte, die Aufregungen des Hochzeitsfestes wären erst vorüber. Sobald die jungen Leute ihr eigenes Heim bezogen haben, wollen wir zu Deiner Kräftigung einen stillen Badeort aufsuchen." Sie erwiderte nichts, sonder» lächelte nur still vor sich hiu und brachte kaum ein Paar Bissen über die Lippen. „Mir ist so angst um Madeleine," raunte Sonja ihrem Ver lobten zu. „Papascha muß ganz gewiß einen Arzt herausholen lassen, wenn sie sich auch noch so sehr dagegen sträubt. In diesem Punkt darf er ihr gegenüber nicht schwach sein." „Beruhige Dich nur! Es wird schon alles wieder gut werden," gab Etienne ebenso leise zurück, aber auch er betrachtete mit heim licher Sorge das bleiche Gesicht, aus welchem die sonst so klaren Augen trübe und glanzlos ins Leere blickten. „Lustig! Ich muß ja lustig sein!" dachte Madeleine immer fort. „Ich muß ja Etiennes Liebe wiedergewinnen, damit er mich nicht verrät, und dann kann ich ja auch nicht leben, ohne daß sein Arm mich umschlingt, sein Mund mich küßt, ferne Augen mir lächeln!" Nach dem Souper beschlösse» Sonja und Etienne, wie ge wöhnlich zu musizieren, und Madame, die sich sonst immer gleich nach dem Abendessen auf ihr Zimmer zurückgezogen hatte, seit Drubezkoi auf Alexandrowa Gast gewesen war, erklärte lächelnd, daß sie sich heute auch an dem Familienkonzert beteiligen werde. „Aber wird Dir das auch gut tun?" meinte Lutowojski besorgt. „O, sehr gut, sehr!" versicherte sie mit fieberhaftem Eifer. „Tu wirst es seheu! Musik heitert auf! Am Ende singe ich selbst noch gar ein paar Lieder!" „Ach ja, bitte, tue das!" rief Sonja und schmiegte ihr Gesicht zärtlich an Madeleines Wange. „Aber nur dann, wenn es Dich nicht anstrengt, hörst Du?" „Sei ohne Furcht! Ich fühle mich augenblicklich ganz wohl," beruhigte Madame die Besorgte, und schmeichelnd wandte sie sich an Lutowojski: „Nicht wahr, wir gehen aber nach dein Musik zimmer? In dem kleinen Salon singt es sich nicht halb so gut!" „Gewiß, gewiß!" beeilte er sich zu erwidern und erteilte so gleich Befehl, das Musikzimmer zu erleuchten, während Madame sich nach oben begab, um einige Noten zu holen. Als sie wieder erschien, saßen Etienne und Sonja bereits am Flügel und spielten vierhändig, aber sie waren augenscheinlich nicht recht bei der Sache, denn ihre Blicke irrten nur zu oft von den Noten ab und tauchten ineinander und die Finger des einen berührten die des anderen beinahe öfter als die Tasten. Auch als Sonja später allein spielte, war sie zerstreut, und sich plötzlich unterbrechend, seufzte sie in komischem Unmut: „Ach, was würde nur Wladimir sagen, wenn er das hörte!" „Aber Du spielst ja wie eine Göttin!" behauptete Etienne und küßte seiner Braut feurig die Hand. „Ja, in der Tat, Du spielst sehr schön," sagte nun auch Ma- daine und kam lächelnd und sich leicht in den Hüften wiegend auf den Flügel zugeschritten. „Ich fürchte sehr, neben Dir nicht be stehen zu können." Sie hob den Blick und ließ ihn voll auf Mon- tesquion ruhen. „Meinst Du das nicht auch, Etienne?" „O, ich weiß wirklich nicht!" wich er ihrer Frage aus und wandte den Kopf zur Seite. „Willst Du mich begleiten, Etienne?" „Wenn Du es wünschest!" „Nur dann, wenn Du es gern tust!" Er nahm schon am Flügel Platz, und Madame sang mit ihrer zarte», lieblichen Stimme, über welcher es heute wie ein leichter Schleier lag, was derselben einen ganz eigenartigen Reiz verlieh, in den Saal hinein: „Leise tropft es von den Bäumen, Von den hohen, von den dunkeln; Ringsum scheint die Welt zu träumen Bei der Sterne Glühn und Funkeln, Wir nur wandeln auf und nieder Durch die nächtlich stillen Gassen, Und ich sag' Dir immer wieder, Daß ich nimmer Dich kann lassen. Wie berauschet muß ich lauschen Deinen süßen Liebesworten; Heiße, inn'ge Küsse tauschen Wir an stillverschwiegnen Orten. Ach, ich wollt', wir könnten gehen Fern von hier auf öder Heide Arm in Arm beim Sturmeswehen, Und ich wollt', — wir stürben beide!" „Das ist ja ein ganz wunderbar schönes Lied!" rief Luto wojski begeistert, als Madeleines Stimme verklungen war, und Sonja, die ihm lebhaft beistimmte, erkundigte sich nach dem Kom ponisten und Dichter desselben. „Der Komponist ist ein unbedeutender Kapellmeister," sagte Madame. „Mit dem Dichter des Liedes kann ich Euch jedoch be kannt machen. Hier ist er!" Sie deutete lächelnd auf Etienne. „Wie Du, Du hast das verfaßt?" rief Sonja ganz außer sich. „Und das erfahre ich erst jetzt? O, Du! Sprich, ist es recht von Dir, Dein Talent vor nur zu verbergen? Dafür muß ich Dich strafen! So — so — so —!" Sie hatte beide Arme uni seinen Hals geworfen und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Madame blickte wie gebannt auf das Paar. Das Lächeln, das ihren Mund umspielte,, schien in ihre Züge eingemeißelt zu sein, so unbeweglich, so starr war es. „Ja," sagte sie endlich, „Etienne versteht es, Liebeslieder zu reimen. Ich besitze viele von ihm. Willst Du noch eins hören, Sonja?" „Ach ja, bitte!" rief Sonja, ohne die rechte Bedeutung von Madeleines Worten zu erfassen. Etienne aber warf Madame einen finsteren, beinahe drohen den Blick zu. „Ich glaube, wir haben genug musiziert," sagte er kurz. „Du darfst Deinen Nerven keinesfalls eine weitere Anstrengung zu mute», Madeleine l" Sie senkte demütig den Kopf und blickte ihn scheu und bit tend wie ein gescholtenes Kind von unten herauf an. „Nur noch ein Lied möchte ich singen," sagte sie leise, „dieses hier! Bitte, Du gestattest es mir, nicht wahr, Etienne?" Er wandte sich achselzuckend ab. „Willst Du mich wirklich nicht begleiten?" Ihre Stimme bebte, wie von verhaltenen Tränen. „So erfülle doch Madeleines Wunsch!" rief Lutowojski ein wenig ungeduldig, und auch Sonja bat ihren Verlobten, die Begleitung des Liedes zu übernehmen. Mit düster gerunzelten Brauen nahm Etienne wieder am Flügel Platz und als Madame ihm die Noten reichte, flüsterte sie leise: „Was ich auch immer tue, ich tu' es für Dich, Denke daran! Sündige ich, so sündige ich für Dich, Geliebter Mann!" Aber so sehr sie sich auch nach einem liebevollen Blick aus Etiennes dunklen Augen und einem süßen Liebeswort aus seinem Munde sehnte, seine Lippen blieben stumm und seine Augen suchten Sonja. „Lustig! Du mußt lustig sein, kleine Nina," murmelte Ma dame. „Immer lustig!" Und so sang sie: „Ich bi» ein kleines Vögelein, Tirili! lind flatt're in den Wald hinein, Tirili! Und an dem allerschönsten Platz, Da sitzt »rein Schatz,, Tirili, tirili! Da sitzt mein Schatz und wartet mein —" Etiennes Hande sanken von den Tasten herab. „Aber was singst Du deuu nur, Madeleine?" rief er mit e>> zwungen klingendem Lachen. „Ich habe ja ein ganz anderes Lied vor mir!"