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Allgemeiner Anzeiger : 01.02.1905
- Erscheinungsdatum
- 1905-02-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190502011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19050201
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19050201
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-02
- Tag 1905-02-01
-
Monat
1905-02
-
Jahr
1905
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 01.02.1905
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politische Kunälebäu. Die revolutionäre Bewegnag in Ruhland. *Der neue Generalgouverneur von Peters burg, Trepow, geht mit brutaler Rücksichts losigkeit ans Werk, um nicht nm die Arbeiter revolte völlig niederzuwerfen, sondern auch die Träger der gesamten Reform bewegung einzwchüchtern. Verhaftungen in großem Umfange haben begonnen. Sie er strecken sich auf alle Schichten der Bevölkerung, treffen jedoch in erster Reihe die gebildeten Kreise. Außer mehreren liberalen Stadtver ordneten, die gegen die Willkür der Regierung offen Protest einlegten, wurde eine Reihe Publizisten und Schriftsteller sowie auch einige Arbeiterführer verhaftet. Die Nachricht von der Inhaftnahme Maxim Gorkis bestätigt sich dagegen nicht. * Der so eifrig gesuchte Führer der Arbeiter, der Priester Gapon, ist endlich gefunden worden; er liegt schwerkrank im Alafusow» Hospital danieder. Nach seiner Genesung wird er vor ein Kriegsgericht gestellt und voraus sichtlich wegen Aufreizung zur Auflehnung gegen die Staatsgewalt zum Tode verur teilt werden. * Gegenüber der oben gegebenen Schilderung wollen die Einzelnachrichten aus Peters burg, Moskau, Reval, Wilna, Saratow, Minskrc. wenig besagen. Die großen Ausstände schädigen die Arbeiter selbst und setzen ihre gesunden Knochen den Gewehr schüssen der Polizisten und Soldaten aus. Auf dem Kriegsschauplätze im Osten kurd man bald merken, daß „zu Hause" manches nicht stimmt. Gelangte bisher wegen der landesüblichen Unterschlagungen so manches für die Tuppen bestimmte Gut nicht an seinen Bestimmungsort, so wird jetzt weniger abgesandt. Die Mobilisation ist an manchen Orten, besonders im Westen gewaltsam unter brochen, so daß auch die Trupp enver- stärkungen, nach denen Kuropatkin unablässig schreit, starke Verzögerungen erleiden. *Der Herzog von Leuchtenberg erstattete am Mittwoch dem Zaren, wie dem ,Berl. Tgbl/ gemeldet wird, einen vertraulichen, wahrheitsgetreuen Bericht über die furchtbaren Vorgänge am Sonntag. Der Zar soll völlig fassungslos gewesen sein. Wohl hierauf hin erfolgte schon am Donnerstag und Freitag dieFreilassung von mehreren Ver hafteten. * Es hat fast den Anschein, als ob die Regierung gewillt ist, den Vogen nicht allzu straff anzuspannen, um die Gemüter nicht, noch mehr zu erregen. Sie hat auf Befehl des Zaren eine Bekanntmachung erlassen, in der die Arbeiter aufgefordert werden, an ihre Arbeit zurückzukehren und sich von ihren bisherigen Fühlern loszusagen. Das Arbeitervolk möge wissen, daß seine Not dem Herzen des Kaisers ebenso nahestehe, wie die aller treuen Untertanen. Gleichzeitig ist das Finanz ministerium angewiesen worden, einen Gesetz entwurf betr. Verkürzungder Arbeits zeit auszuarbeiten. Die in der Bekannt machung gleichfalls ausgesprochene Garantie der Unverletzlichkeit der Person kommt ein bißchen spät; die Arbeiterschaft hätte sie lieber schon am Sonntag in Händen gehabt. — Wer weiß, ob sich die Wogen der Erbitte rung durch diese Zugeständnisse noch glätten werden, möglich ist es immerhin. *,New Aork Journal veröffentlicht ein Schreiben des Schriftstellers MaximGorki, in dem dieser ausfühlt, daß jetzt die russische Revolution begonnen habe und mit fürchterlichem Blutvergießen durchgeführt werde. DaS Ergebnis der entsetzlichen Vorgänge am Sonntag beschränke sich daraus, daß das An sehen, das der Zar bei den Arbeiterklassen bis jetzt genossen habe, nicht mehr bestehe. Wenn der Kaiser aus seinem Palais herausgekommen und vor den Arbeitem erschienen wäre, wenn er sich nicht hinter die Truppen zurückgezogen hätte, würde alles mit Jubel geendet Haden. Die Volksmenge wäre knieend niedergc fallen und hätte den Zaren gepriesen. Jetzt sei aber jede Anhänglichkeit an ihn verschwunden. *Jn der Petersburger Stadtverordneten versammlung wurde mit Hellem Applaus ein Antrag begrüßt, der der Regierung die chärfsteMißbilligung überdieVorgänge vom Sonntag ausspricht. Der Antrag wurde vom Vorsitzenden abgelehnt, jedoch 25 WO Rubel zum Besten der notleidenden Arbeiter und 2000 Rubel dazu ausgeworfen, um den Verwundeten Hilfe zu leisten, damit sich Fälle nicht wiederholen wie die, daß Verwundete sich blutend auf allen vieren durch die Straßen schleppen. * Es gibt in Rußland kaum einen Bevölke rungsteil mehr, auf den sich das herrschende Regiment stützen könnte. Aus allen Städten und Gegenden des Reiches, aus allen Bevölke rungsklassen tönt übereinstimmend der Ruf nach Volksvertretung und Verfassung. Die gebildeten Stände, die Ärzte, Advokaten, die Universitätslehrer, die Studenten — alle haben sich mit den Arbeitern solidarisch erklärt. Der gesamte Staats karren steht still. Wenn es auch dem Militär gelingt, die äußere Ruhe aufrecht zu er halten, so wird es ihm doch nicht möglich sein, die Dinge wieder in den altgewohnten Gang zu bringen. Dazu ist der Streik in den oberen Klassen zu allgemein. Vor allem aber fehlt jetzt in dem Niesenreiche der starke Kitt, der alles zusammenhielt: die Liebe zum weißen Zaren. * Der Nat des Polytechnischen Instituts in Petersburg hat folgenden Be schluß gefaßt: Ein Anhänger der Gemeinschaft des Petersburger Polytechnischen Institutes, der Studierende Sowivkin, ist eines gewalt samen Todes gestorben; er ist am 22. Januar im Alexandergarten erschossen worden. Sawiukin ist eines der Opfer der gegen eine unbe« waffnete friedliche Menge be gangenen Schlächterei. Der Rat des Instituts ist entrüstet und niedergedrückt ob der Ereignisse vom 22. Januar, die bewiesen haben, daß in Rußland das Leben selbst fried licher Bürger nicht sicher ist, und spricht seine tiefe Entrüstung über die Massen erschießung aus, von deren Opfem der Student Sawinkin eines ist. Der Rat ist der Ansicht, daß unter den gegenwärtigen Umständen die Fortführung des Unterrichtes durchaus unmöglich ist. Die Beerdigung Sawinkins soll auf Kosten deS Instituts erfolgen. Der rniffsch-jr panische Krieg. * Am Schahe ist es wieder lebendig ge worden. Trotz der 16 Grad Kälte ist Kuro- latkin zum Angriff gegen den link n Flügel der Japaner übergegaugen und behauptet, siegreich zu sein. Die Verluste seien auf beiden Seiten beträchtlich. Neuere Meldungen liegen noch nicht vor. * Umfassende Verteidigungsvorbe reitungen trifft der seit einigen Tagen in Wladiwostok weilende General Andreew zur Verteidigung der Festung und deren schleunige Räumung von unnötigem Material. Der Unterricht in allen Schulen ist abge brochen worden. Das wissenschaftliche Ost- Institut wurde geschlossen. Lebensmittel find zwar in genügender Menge vorhanden, nichts destoweniger werden große Proviantlager ange legt, auch ist eine Menge Kohle und Munition aufgestapelt worden. * « * Deutschland. * Der Geburtstag Kaiser Wil helms wurde in Berlin, im Reiche und im Auslände in würdiger Weise gefeiert. *Uber Kaiser Wilhelm und die Heirat des Königs von Spanien erzählt der Morning Leader', eine Madrider kochgestellte Persönlichkeit habe versichert, der Kaiser sehe nicht günstig zu der geplamen Heirat des Königs Alfons mit einer mecklenburgischen Prinzessin, dagegen betrachte er die Heirat des Königs mit einer Prinzessin aus der Familie Counaught als außerordentlich wünschenswert. (Man kann sich nicht wohl vorstellen, wie Kaiser Wilhelm zu einer solchen Stellungnahme zu der Verehelichung des Königs von Spanien kommen sollte.) *Großherzog Ernst Ludwig von Hessen hat anläßlich seiner bevorstehenden Ver mählung eine Amnestie für verschiedene Kategorien von Verurteilten erlassen. * Bezüglich des Militär-Pensions gesetzes w.rd jetzt in der Presse mit Recht darauf hingewiestn, daß, wenn es bei der jetzigen Überlastung der Budgetkom mission nicht gelänge, den früheren Beschluß auf Überweisung der Vorlagen an diese in irgend einer Form rückgängig zu machen, wenig Aussicht vorhanden sei, dies wichtige Gesetz in der laufenden Session noch fertig zu stellen. * Nachdem an Offizieren und Mannschaften des letzten von Hamburg nach Südwest-Afrika abgegaugenen Truppentransports die Schutz impfung gegen Typhus vorgenommen worden ist, wird zu einer solchen Impfung bei den künftigen Transporten an allen geschritten werden, die sich dazu bereit erklären. Die Schutzimpfung geschieht von den Truppenärzten unter Zuziehung von Sachverständigen für In fektionskrankheiten. Belgien. *Die belgische Regierung beabsichtigt, ihr bisheriges Frldartillerie - Material durch Schnellfeuergeschütze und entsprechen des Zubehör zu ersetzen. Für die Vergebung der Lieferung stehen ein belgisches Eisen« und Stahlwerk und die Firma Krupp-Essen zur engeren Wahl. Beide Werke werden je eine Batterie mit vier Geschützen, Protzen, Munstions- wagen und sonstigem Zubehör ausrüsten und für den praktischen Gebrauch bei der Truppe zur Verfügung stellen. Nach dem Ausfall der mit dem neuen Material angeftellten Übungen wird daun die endgültige Entscheidung erfolgen. Die Lieferungen sollen innerhalb dreier Jahre nach dem Zuschlagstermin abgeschloffen fein. Deutscher Reichstag. Am 26. d. eröffnet Präsident Graf v. Balle- strem die Sitzung und erteilt vor Eintritt in die Tagesordnung das Wort dem Staatssekretär Grafen v. Posadowskh: Meine Herren! Auf die Interpellation des Nbg. d. Normann, betr. den Abschluß deS deutsch-öster reichischen Handelsvertrages, habe ich erklärt, ich würde die Interpellation im Laufe dieser Woche beantworten. Inzwischen hat sich dis Sachlage da durch geändert, daß gestern abend der deutsch- österreichische Handelsvertrag von den Bevoll mächtigten der beiden verbandelnden Mächte unterschrieben ist. Ich darf annehmen, daß ter Bundesrat seins Beratungen über die sieben HandelS- veUräge so beschleunigen wird, daß dieselben am 1. Februar dem hohen Hause zugehen werden. Bei dieser Gelegenheit werden auch alle die Fragen, welche sich auf unsre Handelsoernag^ Politik be ziehen, wahrscheinlich Gegenstand der Erörterrrng sein. Ich darf hiernach annehmen, daß die Jmer- pcllrtion Normann vorläufig erledigt ifi. DaS Haus setzt darauf die zweite Beratung der Reichs-Post- und Telegraphen-Ver waltung fort. Abg. Dove (fr. Bgg.) spricht den Wunsch aus, daß die RcichspostverwalMng fortschreite auf dem Wege dcr Erleichterung und Verbesserung der Vcr- kchrsverhältnisse und auf sozialem Gebiete und sich zu einen Musterbetriebe gestalte, zumal man sich an dem Geldpunkr glück icherweiie nicht zu stoßen krauche. Die MersetzungSstelle in Posen sei nicht entbehrlich und ebensowenig der jetzige Schalter- Verkehr am Samstag. Dagegen taffe sich der Sonntagsdienst gut einschränken, wenn auch nicht tn dem Umfange, wie es die Resolution Gröber wolle. Abg. LipinSki (soz.): Dem früheren Schalter- schlnß am Sonnabend können wir zustimmen, um so mehr als wir hoffen, daß d eser nicht nur den Postbeamten zugute kommen, sondern auch eine verlängerte Sonntagsruhe der Angestellten der der Handelsosn erbe herbeiführen wird. Abg. Stöcker (christl.«soz.): Ich möchte den Wunsch aussprechen, daß der Staatssekretär die sozialvolitischs Maßnahme trifft, daß Postbeamten» aüsschüsse zugfiassen werden. Abg. Wallau (nat -lib.): Die Polen wollen anscheinend durch ihre fortdauernde Schikanierung der Postbehörde diese zwingen, die polnische Sprache als gleichberechtigt der deutschen anzuerkennen. DaS ist polnische Arroganz. NnterstaaMekretär Sydow: Die Verwaltung ist van der Notwendigkeit der Ausdehnung des FernjprcchwesenS auf dem flachen Lande überzeugt. Berücksichtigt werden müssen zunächst die Orte mit lebhafterem Verkehr. Abg. Hug lZcntr) wünM gleichmäßigere Regelung der GehattSverhättmffe der höheren Post beamten. Rach weiteren unwesentlichen Bemerkungen wird die Debatte geschloffen und der gesamte Postetat be willigt. Zum Lite! Staatssekretär wurden die Resolutionen des Zentrums mit dem Amendement Eickhofs—Müller-Sagan angenommen, wonach die amtliche Poststaiistik künftig auch Auskunft über die Vcrhä'.msse der in den Kolonien und im Auslande beschäftigten Postbeamten geben soll. Nächste Sitzung Moniag. Von uncl fern. Besonders große Souneuflecken hat ein Berliner Astronom an der Sonnenscheibe entdeckt. Ein Sonnenfleck am südlichen Westrande der Sonne zeigte rundliche Gestalt und war so mächtig, daß man bequem 3—t Erdkugeln in ihn hätte versenken können. Bemerkenswert und ganz besonders eigenartig war die Flecken- gruppe am südlichen Ostrande, unmittelbar unter dem Soimenäquwoc. Orgelpseifenartig waren sieben stabiörmig und länglich gezogene Flecken nebeneinander gruppiert, und über dem drillen und vierten Flecken waren zwei rundliche eingesprengt. Der Beobachter schätzt die Längs- ausdehn ing der großen Fleckengruppe am süd liche» Ostraude auf etwa 180 000 bis 200 000 Kilometer, also fast auf den zweimaligen Durch« mess.r des Jupiters, des grüß en aller Planeten, aus dessen Masse man 1330 Erdbälle bequem schneiden könnte. Die Son ienflecken find unge heuer große gewaltige Wirbel, die in die Licht- Hülle gerissen find. Das Jahr 1905 wird an Sonnenflecken reich sein, und die Folgen davon werden ungewöhnliche Wettererscheinungen werden. Eine neue Vereiusblüte. Der „Verein ser Lebensretter* in Berlin bezweckt Personen, fle sich zur Rettung ihrer Mitbürger in Gefahr begeben haben, zur Erlangung der hierfür vom Staate ausgesetzien Belohnung: Rettungs medaille, öffentliche Belobigung oder Geld prämie behilflich zu sein; — ferner den Witwen md Waisen derjenigen, die bei Ausführung der Selbstaufopferung ihren Tod fanden, bezw. eine Verstümmelung erlitten, aus Vereins mitteln eine Unterstützung zu gewähren, bezw. ihnen eine solche zu erwirken; — sowie sich gegenseitig durch Vorträge usw. über Rettungs arten und Hilfeleistungen in Feuer- und Waffersgefahr zu belehren und aufzuklären; — endlich die Inhaber und Inhaberinnen gesellig zusammenznschließen uno gute Kameradschaft und Treue zu pflegen. O dnter äer Mske. löj Roman von Lady Georgina Robertson. GEttzwig., Zum ersten Mole schämte Ellen sich ihrer Handlungsweise. Was hatte sie getan! Einen Mann bitten lassen, sie zu heiraten, der nicht sie liebt», sondern «ne andere. Sie sah plötz lich ein, wie schwer sie damals gefehlt hatte. .Jetzt »erstehe ich alles," sagte sie. zu sich. „Ich muß es mir vorhalten, damit ich ganz klar seh«. Artur und Mathilde waren verlobt. Ich hab« sie getrennt. Sie kamen meinem Wunsche nach, weil sie glaubten, daß ich sterben müßte. Ich täuschte sie und nun mußte er sein Wort notgedrungen halten. O wie schäm« ich mich! Er ist unglücklich und ste, der ich so schweres Unrecht zugefügt habe, sie bittet für mich und hält ihm vor, daß ich empfindsam sei. Ach, wenn ich sterben dürfte, um ihm seine Freiheit wiederzugeben." AIS der erste Ausbruch deS Schmerzes vorüber war, faßte Ellen den Entschluß, niemand ihren Kummer mitzuteilen. Sie wollte ihn in sich verschließen und allein tragen. Von diesem Tage an war ste völlig ver ändert. Die Enttäuschung war zu groß ge- Wesen. Ste hatte ihren Gatten zu heiß geliebt und eS war nicht allein der Kummer, daß ihre Liebe nicht erwidert wurde, es war die brennende Scham, daß fie ihn zu der Heirat gezwungen hatte. Sie wurde kalt und zurück haltend und doch lehrte sie der eigene Schmerz, den andrer bester zu verstehen. Wo Leid und Kummer ihr entgegentrat, suchte fie es zu lindern und im Sorgen für andere ihre Be friedigung zu finden. Eines TageS war Lady CheSleigh nach der nächsten Stadt gefahren, um einen alten Diener zu besuchen, der dort erkrankt war. Es war eine arme Gegend; vor dem Hause spielten zerlumpte Kinder und Männer und Frauen sahen aus den Türen, um die vor nehme Dame anzustaunen. Auf dem Hof saß ein abgezehrt und krank auSsehender Mann, an seins Knie schmiegten sich zwei weinende Kinder. Der Anblick schnitt Ellen ins Herz, fie trat heran und erkundigte sich nach seinen Verhältnissen. Ach, es war die alte Geschichte, die so manche Familie heruntergebracht hat! Der Mann war lange schwer krank gewesen und hatte nichts verdienen können. Die Frau, in dem Bestreben, für das tägliche Brod zu sorgen, hatte sich überanstrengt und lag jetzt im Sarge, nachdem fie ein totes Kind geboren hatte. Ellen versprach dem Manne, der hauptsäch lich um Kleidungsstücke,für sich und die Kinder bat, Hilfe und bestellte ihn zum andern Tage nach Southwold, um alle- in Empfang zu nehmen. Sie hoffte, ihr Vater würde ihr» auch leicht« Arbeit geben können. Lord Chesleigh lächelte über den Eiser seiner Frau, als fie ihn my abgelegte? Zeug bat. „Nimm dir, was du brauchen kannst, aus meinem Kleiderschrank," sagte er und Ellen machte sich gleich daran, etwas Paffendes aus- zusuchen. Sie fand unter anderm eine alte Jagdjoppe, die ihrem Zweck zu entsprechen schien und die fie gleich zurücklegte. Im Futter fühlte fie ein Papier knittern. „Wenn daS eine Banknote ist," dachte fie vergnügt, so muß Jack DaviS fie auch be kommen !" Sie zog das Papier heraus und sah, daß eS ein Brief war, der schon lange hier gesteckt haben mochte. Ohne sich klar zu sein, welche Macht fie trieb, saftete fie ihn auseinander und las folgendes: „Ich habe getan, was ich konnte. Ich habe alle Bücher und Gesetze nachgeschlagen, die sich auf Ihren Fall beziehen, und zu Ihrer Beruhigung, nicht etwa zu meiner — denn ich selbst war über die Aussichtslosigkeit Ihrer Sache von vornherein keinen Augenblick im Zweifel — auch noch mit einigen Kollegen darüber gesprochen. Alle stimmten darin über ein, daß es keine Möglichkeit gibt, Ihre Ehe wieder zu lösen. Damit ist erledigt, was ich als Anwalt für Sie tun konnte. Hören Sie nun auf den Rat eines alten Mannes: Fügen Sie sich in das Unabänderliche und suchen Sie Ihr Leben, so gut eS geht, den Verhältnissen anzupaffen. Ich bedauere aufrichtig, Ihnen keine erwünschtere Auskunft geben zu können." Es ging Ellen, wie ihrem Gatten damals, als er den Brief deS Rechtsanwalts erhielt; fie mußte ihn einige Male lesen, ehe sie ihn begriff. Langsam kam daS Verständnis seines Inhalts über ste. Es war ihre Ehe, von der die Zeilen handelten, Artur hatte versucht, sich von ihr frei zu machen. Sie sah nach dem Datum. Der Brief war genau zwei Monate nach ihrer Hochzeit geschrieben. Damals, als ihr Mann in Geschäften nach London gereist war und fie ihn so sehr vermißt hatte! Während ste noch krank lag, hatte er schon Schritte gstan, loS« zukommen! Ein lautes Stöhnen entrang sich ihrer Brust. Sie hatte ihr ToMurteil gelesen — jene Worte trennten fie für immer von allem Glück, welches das Leben ihr geben konnte. Sie zerknitterte den Brief und nahm Ha mit in ihr Zimmer, wo ste ihn einschloß. Als Jack DaviS seine Sachen erhielt, ahnte er nicht, wie die Gorge für ihn seiner Wohl täterin fast das Herz gebrochen hatte. * * * Lady Chesleigh überlegte, was ste mit dem Brief tun sollte. Sollte fie ihrem Manne sagen, daß fie denselben gefunden und gelesen hatte? Nie kam es ihr in den Sinn, mit ihren Eltern zu sprechen, im Gegenteil, fie vermied Alles, was diese veranlassen könnte zu denken, fie sei nicht glücklich. Es würde fie zu tief ge schmerzt haben. Der Brief war der Höhepunkt ihres Kummers. Sie war eine elastische Natur, fie meinte jetzt, daß ste eS verschmerzt haben würde, daß Artur fie nicht liebte, aber zu wissen, daß er sich be müht hatte, ihre Ehe zu lösen, das war zu hart. Und jetzt war er für immer an ste gekettet und daS unlösbare Band würde sie quälen, so lange sie lebte. Sie mußte geduldig ihren Weg weiter gehen und hätte doch gern und freudig ihr Leben hingegeben, um Artur und Mathilde
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