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wie der Duft mich einst hat entzücken können! — Sonja!" rief er laut in den Garten hinein, „Sonja!" Und schon im nächsten Augenblick drückte er seine Braut an das Herz. „Nicht wahr," flüsterte er ihr ins Ohr, „wir werden sehr glücklich werden? Wenn wir erst Alerandrowo verlassen haben, leben wir nur uns und kümmern uns um die ganze Welt nicht!" Madame lag, noch eine Weile unbeweglich in den Kissen, als Etienne das Zimmer verlassen hatte. Endlich erhob sie sich und ließ sich von Ona ein schwarzes Kleid Überwerfen; dann verhüllte sie auch Kopf und Schultern mit einem Shawl und ging schweigend hinaus. „Wo mag die Herrin hin wollen?" dachte das Mädchen. „Jedenfalls geht sie nach der Veranda. Sonst hätte sie mir ja ge sagt, was für eine Ausrede ich gebrauchen soll, falls jemand nach ihr fragt!" Aber Madame ging nicht auf die Veranda hinaus; sie glitt viel mehr unhörbar wie. ein Schatten die Treppe hinab, unten den Korridor entlang, in welchem noch keine Lampe brannte, und ver ließ das Schloß. Draußen dämmerte es bereits stark. Der Himmel war klar, aber über den Wiesen lagerte dichter Nebel. „Es sieht aus, als ob dort Wasser steht!" dachte Madeleine und zögerte, einen Augenblick, in die leise schwankenden, weißen Wogen hineinzuschreiten. Dann aber überwand sie ihre Scheu, ver ließ die Landstraße und wanderte über die feuchte Wiese, dem Walde zu. „Etienne liebt mich nicht mehr," murmelte sie. „Nein! Ach, nun wird es ihm nicht schwer fallen, mich zu verraten, wenn nian ihn über mich ausfragt! Wollte mich doch sogar Drubezkoi ver raten, und dem war ich doch alles auf dieser Welt! — Drubezkoi! — Wie sagte nur Leczinski? Es ist gerade so, als ob die Erde ihn ver schlungen hätte!" Sie seufzte tief und schwer. „Wenn er wüßte, daß sie ihn tatsächlich verschlungen hat!" Die Wiese lag hinter ihr, sie hatte den Saum des Waldes er reicht. „Hier war's, hier trafen wir uns, und dann gingen wir diesen Pfad entlang!" Sie trat fchon unter die Bäume und strebte hastig vorwärts. Endlich hatte sie den Teich erreicht und suchte die Stelle auf, an welcher sie aus dein Kahn gesprungen und Drubezkoi versunken war. Dort stand sie lange unbeweglich und blickte starr auf das dunkle Wasser. „Alles ist wie damals," murmelte sie, „und doch auch wieder so ganz anders. Der Himmel lachte nicht wie heute; er war viel mehr trübe und grau, und dann ist es jetzt auch so still hier, — kein Rauschen, kein'Mistern! Zu Hause höre ich immerfort, wie der Wind durch Schilf und Rohr fährt, hier ist jedes Geräusch in meinen Ohren verstummt. Wie sonderbar!" Sie kauerte hart am Rande des Teiches nieder und ihr Blick wurde immer düsterer und trauriger. „Etienne liebt mich nicht mehr, er liebt mich nicht mehr!" murmelte sie immer wieder. „Meine Sonne ist erloschen! — Wenn ich doch an Deiner Stelle dort ünten schlafen dürfte, Du stiller Mann! — Etienne liebt mich nicht mehr!" Sie stützte die Ellbogen auf die Knie und drückte das Kinn in die Hände, den Blick unverwandt auf das Wasser gerichtet, an dessen entgegengesetztem Ufer, hart an der Schilfwand, der morsche Nachen lag. „Etienne liebt mich nicht mehr! Wie kann ich da noch leben?" flüsterte sie. „Ein Sprung ins Wasser und alles Leid ist aus! Und doch, ihn nie mehr sehen, — seine Stimme nie mehr hören, — — Gott, Gott, nein, das vermag ich ja nicht!" Sie erhob sich jäh und in ihren Augen loderte ein heißes, wildes Feuer auf. „Er hat die kleine, lustige Nina, die lebensfrohe Madame zisse geliebt! Nun, gut! Ich werde wieder fröhlich sein, ich werde wieder lachen und scherzen, und er — er wird mich wieder lieben!" Ein dunkler Vogel flog mit scharfem Flügelschlag über das Wasser hin und stieß einen langgezogenen, klagenden Schrei aus. Madeleine schrak zusammen. „Wenn dieses nicht wäre — dieses hier!" murmelte sie und blickte zage und düster nach der Stelle hinüber, wo Drubezkoi ver sunken war. „Wie soll ich jetzt noch lachen und scherzen können!" Sie zog den Shawl fester um Kopf und Schultern und fchlich langsam den verwachsenen Pfad zurück auf die neblige Wiese hinaus. „Ho, ho! Wer ist da?" rief da auf einmal eine Stimme. Sie wandte sich um und sah Leczinski vor sich stehen. Es kam ihr das durchaus natürlich vor. „Ah, Sie sind es?" sagte Leczinski und lüftete die Mütze. „Eine Rekonvaleszentin sollte sich zu so später Stunde aber doch nicht hierher hinauswagen!" „O, wir haben ja kaum acht Uhr!" erwiderte sie mit einem zerstreuten Lächeln. „Ganz recht, der Nebel ist jedoch ganz danach angetan, Ihnen zu schaden. Aber abgesehen davon, finde ich es höchst unvorsichtig von Ihnen, sich allein hierher zu wagen!" fügte er schnell hinzu. „Ich fürchte mich uicht! Wer sollte mir Wohl etwas tun?" Und sie neigte leicht zum Abschied den Kopf und schritt in den Nebel hinein, aber er blieb an ihrer Seite. „Ich sah Sie vorhin voni Wege abbiegen und über die Wiesen gehen," nahm er das Gespräch wieder auf. „Da folgte ich Ihnen, weil ich befürchtete, es könnte Ihnen irgend etwas Anstößen. — Sic waren in meinem Walde, an dem kleinen Teich?" „Wenn Sie mir gefolgt sind, werden Sie es ja wissen!" kam es leise über Madeleine's Lippen, während sie bei sich dachte: „Ich verspürte heute ein so überaus heftiges Verlangen, mit jemand über den Teich zu sprechen; nun kann ich es ja." „Ich bin Ihnen in der Tat bis an das Wasser nachgegangen," sagte Leczinski. „Angenscheinlich warteten Sie dort auf jemand?" Sie schüttelte den Kopf und blickte ihn verwundert an. „Wer sollte sich Wohl dorthin verirren? Es weiß ja niemand um den Teich außer Ihnen und Ihren Leuten, denn — daß ich ihn entdeckte, verdanke ich dem Zufall!" „Hm!" machte er. „Sie sollten aber wirklich vermeiden, den Ort abends aufzusuchen." Sie lächelte. „Ich habe mir vielmehr vorgenommen, recht oft dorthin zu gehen," sagte sie. „Das Gewässer zieht mich an, ich möchte beinahe sagen: mit magischer Gewalt!" Leczinski zuckte die Achseln. „Merkwürdig!" warf er hin. „Ich gehe dem alten, tückischen Tümpel lieber aus dem Wege!" „Tückisch nennen Sie den Teich?" fragte sie. „Warum denn?" „Weil er nie mehr herausgibt, was sich ihm einmal in den Schoß geworfen hat!" antwortete er fast finster. „Vor vielen Jahren, ich war damals noch ein kleiner Junge, suchte ein Liebes paar in dem Teiche den Tod, aber so sehr man sich auch abmühte, die Leichen ans Tageslicht zu befördern, sie blieben verschwunden. Es war im Hochsommer und das Wasser war an den Ufern nicht sonderlich tief, so daß die Lebensmüden, als sie hineinsprangen, ge wiß sofort auf den Grund gerieten und in dem moorigen Boden versanken. Seit der Zeit wird der Ort von allen gemieden. Es geht dort zuweilen um, wie das gewöhnliche Volk sagt." „Und Sie empfinden auch Furcht?" fragte Madame. „Nein," entgegnete er überlegen, „denn ich weiß ganz genau, daß der Mund der Toten nicht sprechen und ihre Gebeine sich nicht von der Stelle rühren können. Das, was mich die Nähe des Ge wässers meiden läßt, ist Abscheu vor seiner Tücke." „Man kann es doch nicht tückisch heißen, lvenn es das, was sich zu ihm flüchtet, so sorgsam bettet, daß es niemand findet?" sprach Madeleine wie sinnend. „Wem die Menschen wehe getan haben, oder wer Grund hat, sie zu fliehen und sich vor ihnen zu verbergen, der möchte doch selbst nach dem Tode nicht gern in ihre Hände sallen. Und Sie sagen: nie mehr kann zum Vorschein kommen, was einmal sein dunkler Schoß umschlossen hat?" schloß sie mit leiser, aber seltsam konzentrierter Stimme. „Sie haben mich ganz recht verstanden!" versetzte er. Madame lächelte flüchtig. „O, nun gefällt mir der Teich noch einmal so gut!" sagte sie. „Er versteht also, Geheimnisse zu bewahren. Menschen können das nicht!" Er musterte sie scharf. „O, doch, Gräfin!" erwiderte er. „Denken Sie doch nur an — Drubezkoi!" Sie blieb stehen und ihre bebenden Hände gruben sich tief in die Falten ihres Kleides. „An — an — wen soll ich — denken?" preßte sie hervor. „An Drubezkoi!" betonte er schwer. „Ich verstehe Sie uicht! Was wollen Sie von mir? Weshalb martern Sie mich so?" Ihr Atem ging schnell und sie schrie die Worte beinahe laut hinaus. „Ich martere Sie? Das liegt mir völlig fern!" Er beugte sich ein wenig vor und sah ihr starr und streng in das bleiche, ent setzte Gesicht. „Aber verstehen tun Sie mich dennoch, wenn Sie es auch leugnen!" „Drubezkoi? Was geht mich Ihr Freund an?" fuhr sie leiser fort. „Was weiß ich von ihm? Er kann schweigen, sagen Oie? Nun, das ist nur zu loben! Ich aber habe noch nie einen Menschen kennen gelernt, der das verstanden hätte, — der schweigen konnte, so lange — er lebte!" Sie ließ den Kopf auf die Brust herabsinkeu. ! „Und Drubezkoi," murmelte sie, „versteht zu schweigens sagen Sie?" i „Ja!" bekräftigte er,