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Allgemeiner Anzeiger : 25.02.1905
- Erscheinungsdatum
- 1905-02-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190502254
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- Saxonica
- Strukturtyp
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1905
-
Monat
1905-02
- Tag 1905-02-25
-
Monat
1905-02
-
Jahr
1905
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 25.02.1905
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politische Aunclscbau. Die revolutionäre Bewegung in Rußland. * Einzelheiten aus dem Leben des ermordeten Großfürsten Sergius bringen deutsche und auswärtige Blätter massenhaft. Die einen lassen den Großfürsten als Tyrann, die andern als einen gutmütigen Menschen erscheinen. Alle aber find einig im Lobe über die Groß- sürstin-Witwe Elisabeth. * Der Mörder des Großfürsten Sergius hat bisher seinen Namen nicht genannt, ver spricht aber, später alles aufzuklären. Bei seiner Festnahme schrie er laut: „Es lebe die Freiheit, allen werde Freiheit!" Der bei ihm gefundene Paß, ausgestellt auf den Namen eines Kleinbürgers aus Witebsk, erwies sich als Fälschung. * Infolge der verworrenen Lage und besonders nach dem Attentat auf den Großfürsten Sergius hat sich eine unbeschreib liche Unruhe der ganzen russischen Bevölkerung bemächtigt. Wer Halbwegs in der Lage ist, kehrt jetzt Rußland den Rücken, um im Aus lande die weitere Entwickelung der Dings ab zuwarten. Der Handel stockt vollständig. Das gesellschaftliche Leben fließt wie unter einem schweren Druck dahin, zumal die Nach richten vom Kriegsschauplatz auch nicht dazu angetan find, die Gemüter zu erleichtern. Man dürfte gespannt darauf sein, welche Folgen das Attentat auf die angeblichen Reform-Absichten der Regierung haben wird. Die Ratlosigkeit derselben scheint groß zu sein. Man hört täglich von Konferenzen, Bildung vonKommisfionenuudUnterkommisfioneu, aber bisher sind greifbare Ergebnisse noch nicht herausgekommcn. * „Da Rußland aus der Periode der Gärung in die offene Revolution tritt und alle nur ein Ziel vor Augen haben, können wir die Studien nicht fortsetzsn und stellen dieselben bis zum 13. September ein. Bis dahin werden die Ereignisse neues Material zur Lösung der Frage geben." Die Resolution wurde mit 3000 gegen 50 Stimmen von Moskauer Studenten angenommen. Die Ovpofition wollte eine Gegen-Versammlung ab- halten, die aber nicht zustande kam. Vor dem Schluß der Versammlung wurde ein großes Bildnis des Kaisers, das im Saale hing, heruntergeholt und zerrissen, und rote Fahnen wurden entfaltet. Die Ver sammlung ging um 7 Uhr abends „ohne weitere Zwischenfälle" auseinander. "Ein hochangesehener Offizier teilt dem Berichterstatter des ,Berl. Tagebl/ mit, daß die Fortschritte der revolutionären Agitationen im Heere nicht mehr zu bestreiten seien, und daß gemeine Soldaten wie Offi ziere zahlreich gewonnen waren. Seit dem unglücklichen 22. Januar sei der Umschwung eingetreten. (??) "Bei der Verwaltung der Südwest eisenbahn hat ein Ausstand begonnen. * Die Arbeiter der Tabakfabriken in Charkow find in den Ausstand getreten. Man erwartet dasselbe von den Arbeitern der Staatsbahn. *Die Konferenz der Schuldirektoren in Warschau beschloß, am Dienstag in allen Gymnasien den Unterricht unbedingt fortzusetzen ohne Rücksicht auf den Schülerstrei k. * Die verschiedenen Organisationen, die eine Verfassung sür Rußland anstreben, und die nunmehr sämtlich durch Verständigung zu einer Vereinigung gelangt find, haben gemein sam den Beschluß gefaßt, neue Anleihen, die das jetzige russische Regime vor Erlaß einer Verfassung aufnehmen würde, als zu Recht bestehend unter keinen Umständen anzuerkennen. (Das ist denn doch wohl nur eine leere Drohung, obwohl diese Stellungnahme die Staatsgläubiger Rußlands immerhin zur Vor sicht mahnt.) * * * Der russisch-japanische Krieg. * Zur Frage der Friedcnsvermitt- lung veröffentlicht die ,N. Fr. Pr/ eine l Unterredung mit dem auf Urlaub in Wien weilenden österreichisch-ungarischen Botschafter in Washington Dr. Hengelmann, worin unter anderm die Frage erörtert wird, ob Amerika etwas zugunsten eines baldigen Friedensschlusses in Oftafien tun würde. Präsident Roosevelt, so erklärte der Botschafter, gebe hinlänglich zu erkennen, wie gern er zur Wiederherstellung des Friedens in Ostasien etwas beitragen würde. Die ameri kanische Regierung sei sich aber bewußt, daß jede Intervention aussichtslos sei, die nicht von vornherein den Beifall beider kriegführenden Mächte habe. "Wie aus dem japanischen Hauptquartier in der Mandschurei gemeldet wird, ließen die Russen am Sonntag eine Division gegenüber dem Zentrum Oyamas nach dem linken Flügel vorrücken, ebenso gingen sie von Ta sh an aus vor. Die Russen fahren fort, Teile der japanischen Linien ohne Erfolg zu bombardieren. * Das dritte russische Geschwader, aus sieben Schiffen bestehend, hat am Montag und Dienstag den Großen Belt passiert. "Madzumara, der Erstürmer des 203-Meter-tzügsls, ist gestorben und auf Staatskosten in feierlicher Weise bestattet worden. » * Deutschland. "Der Kaiser hat die Pläne zur Ent festigung Königsbergs genehmigt. * Der Für st von Bulgarien hat am Montag seinen Aufenthalt in Berlin abge brochen und ist nach Mentone gereist. "Fürstbischof Kopp in Breslau spendete weitere 2000 Mk. für notleidende Bergleute im Ruhrrevier. * Der Reichstag hat am Montag die sieben Handelsverträge in zweiter Lesung angenommen. (S. u. Aus dem Reichstage.) * Unsre Verl u st e in Südwestafrika betrugen bis zum 15. Februar 1223 Mann, davon 858 Tote, 365 Verwundete, Verunglückte, Erkrankte. Österreich-Ungar«. "Das neue ungarische Kabinett soll aus allen Bestandteilen der Opposition ge bildet werden, als nur ein Geschäftsministsrium sein. Damit ist wenigstens Zeit gewonnen. "Von den kroatischen Abgeord neten des ungarischen Abgeordnetenhauses treten vierzig aus dem Verband der liberalen Partei aus, gründen einen eigenen Klub und fordern eine Vizepräfidentenstelle. (Die Ratten verlassen das sinkende Schiff des ungarischen Liberalismus!) Die liberale Partei betraute ein besonderes Komitee damit, über die Stellungnahme zu diesem Beschluß der Kroaten und zur Präsidentenwahl Beschlüsse zu fassen. Frankreich. * Die Hullkommission wird in den nächsten Tagen ihre Entscheidung fällen. Der österreichische Admiral Spann hat den Konferenzbericht fertiggestellt, der in der ver traulichen Sitzung der Hullkommission verlesen werden soll. Es verlautet mit Bestimmtheit, daß er in einem fürRußland günstigen Sinne gehalten ist. Schweden-Norwegen. "Arbeitslose in Christiania ver anstalteten am Montag einen Umzug, dessen Teilnehmerzahl schließlich auf 3000 anwuchs. Der Kronprinz empfing eine Abordnung der Arbeitslosen und verficherie fie des Königs und seiner wärmsten Anteilnahme an ihrer Lage. Er werde mit der Regiemng erwägen, was von seiten des Staates im Interesse der Arbeits losen geschehen könne. Balkanstaaten. *Der Ende Dezember von Belgrad ge flüchtete frühere Minister, jetzt Herausgeber des Blattes ,Oppositia', Welitschkowitsch, ist nach Belgrad zurückgekehrt. In der Skupschtina beantwortete der Kriegsminister eine Inter pellation der Liberalen wegen des Vorgehens dreier Offiziere gegen Welitschkowitsch; er i sagte, er verarge es den Offizieren nicht, daß f sie sich Genugtuung zu verschaffen suchten, da die .Oppositia^ fortgesetzt die Verschwörer vom 11. Juni 1903 angegriffen habe, obgleich zweiNationalvertretungen ihre Tat billigten. Nach längerer er regter Debatte wurde die Antwort einstimmig zur Kenntnis genommen. Aus ciem Aeicbstage. Der Reichstag begann am Montag die zweite Beratung der neuen Handelsverträge mit den sieben Vertragsstaaten und des Biehseuchen-ltbereinkommens mit Osterreich-Ungarn. Beim österreichischen Ver trag, der zuerst erledigt wurde, erklärte gegenüber Beschwerden des Abg. Hufnagel (kons.) der Staats sekretär Graf PosadowSky, daß die österreichische Regierung die Refaktien für Malz fallen lassen wird. Die deutsche Regierung werde die Rechte, die uns das Viehseuchenübereinkommen gibt, in dem Um- sanae ausüben, als zum Schutze der deutschen Vieh bestände nötig ist. Es werde alle Gerste denaturiert werden, bei der Zweifel bestehe, ob sie eventuell als Malzgerste zu betrachten sei. Die grundlegenden Bestimmungen des österreichischen Vertrages wurden in namentlicher Abstimmung mit 192 gegen 53, der russische mit 198 gegen 61 Stimmen angenommen. Die Erörterung bewegte sich ausschließlich in Einzel stagen. Bei den Verträgen mit Italien, Belgien und Rumänien gab eS keine erhebliche Debatte. Der Vertrag mit der Schweiz wurde nach unerheb licher Debatte angenommen. Der Vertrag mit Serbien wurde als letzter erledigt. Am 21. d. bildet den ersten Punkt der Tages ordnung die namentliche Abstimmung über die Überweisung desTolsranzantrages an eine Kommission, bei der sich am 18. d. die Veschluß- unfähigkeit des Hauses herausgestellt hatte. Sie ergibt die Verweisung des Antrages mit 151 gegen 113 Stimmen an eine Kommission von 18 Mit gliedern. Es folgt die erste Beratung des von den Abgg. Auer u. Gen. (soz.) eingebrachten Gesetzentwurfs betr. die Errichtung eines Reichsarbeits amts, von Arbeitsämtern, Arbeits kammern und Einigungsämtern. Dazu liegen zwei Resolutionen auf Errichümg eines Reichs arbeitsamts von den Abgg. Paasche (nat.-lib.) und v. Chrzanowski (Pole) vor. Abg. Thiele (soz.): Wir haben den Antrag schon einmal gestellt. Damals aber erklärte die Kommission, im Plenum werde sich niemals eine Mehrheit dafür" finden, und dies, nachdem zehn Jahre zuvor der Februar-Erlaß Kaiser Wilhelms II. er gangen war. 1902 kam dann der Kompromißantrag des Zentrums und der Nationalliberalen auf Errich tung eines Reichsarbeitsamtes zu stände. Die Regie rung wollte es nur als Teil des Reichsamtes des Innern akzeptieren. Frh. v. Stumm aber meinte, dadurch würden nur die sozialdemokratischen Gewerkschaften gestärkt und Mißtrauen zwischen Arbeitgebern und Nehmern gesät. Heute haben sich die Ansichten weithin geändert. Jede unsrer heutigen Forde rungen ist als berechtigt anerkannt worden, und keine ist unerfüllbar. Hätten wir die Organisation der Arbeitskammern, Arbeitsämter und des RsichS- versicherungsamtes gehabt, der Streik im Nuhrrevier hätte sich vermeiden lassen. Aber die Regierung ist dagegen, weil dadurch die gesetzliche Rechtlosigkeit der Arbeiter in ihren wirtschaftlichen Kämpfen beseitigt würde. In dieser Beziehung sind andre Länder weiter. Abg. Patzig (nat.-lib.): Bei der Erfüllung dieser organisatorischen Wünsche wünschen auch wir ein schnelleres Tempo. Die Regierung hat ein reichliches Maß von Arbeit geleistet und hat ein gutes Gewissen, denn sie hat es an Aufsicht nicht fehlen lassen. Nun hat sich aber die Schaffung eines Arbeitsamtes als notwendig herausgestellt, was der Reichstag hoffentlich durch einmütigen Beschluß be kunden Wird. Graf Bülow hat auf die Gestaltung des Etats hingewiesen. Da haben wir wieder die traurige Erscheinung, daß wegen ein paar Hundert tausend Mark eine wichtige, berechtigte Forderung nicht erfüllt werden kann. Wir denken das NeichS- arbsitsamt als eine Sammelstelle für alles ein schlägige Material. Eine weitere Aufgabe wollen wir ihm einstweilen nicht stellen. Es sollen Arbeit geber und Arbeiter im gleichen Verhältnis vertreten sein. Die weitergehsnden Forderungen der Sozial demokratie lehnen wir ab. Unser Antrag wird den sozialen Frieden wesentlich fördern. Wir bitten um einstimmige Annahme. Abg. Kulerski (Pole) bezeichnet den Antrag seiner Partei als Anregung. Neben Handwerks-, Handels- und Landwirtschaftskammern müssen wir auch Arbeitskammern haben. Abg. Trimborn (Ztr.): Die Sozialdemokratie schadet ihren Anträgen, wenn sie gleichzeitig andre Parteien angreift. Wir haben seit Jahren dieselbe Forderung erhoben und auch die erste Zu» sage vom Bundssratstisch erhalten. Jetzt wollen wir die in Aussicht gestellte Vorlage der Regierung abwarten. Wir halten eine Zentralstelle mit festbesoldeten Kräften sür not- "wendig, durch die das überlastete ReichsaPt des Innern in ähnlicher Weise entlastet wird, wie durch das Reichsversicherungsamt. Den polnischen Antrag können wir nicht annehmen, weil er zu weit geht, den nationalliberalen werden wir annehmen und dem sozialdemokratischen in zweiter Lesung das Schicksal bereiten, das er verdient. Abg. Pauli (kons.): Wir werden alle drei Anträge ablehnen, denn wir wünschen nicht, daß die Arbeitersekretäre und sonstigen sozialdemokratischen Agitatoren, die von der Partei besoldet werden, alS Arbeiterbcrtreter fungieren. Eine Vorlage der Regie rung werden wir wohlwollend prüfen. Abg. Mugdan (fr. Vp.): Zwangsorganisa tionen haben nie mehr geleistet als die freien In nungen, deshalb verstehe ich nicht, weshalb man nicht Arbeiterkammern statt Arbeitskammern schafft. Man sollte ein Reichsarbeitsamt schaffen und ihm die sozialpolitischen Aufgaben des Reichsarms deS Innern übertragen. Geben wir den Arbeitern Volls Freiheit und schaffen wir ihnen Arbeiterkammern, dann treiben wir den Teufel der Sozialdemokratie durch diesen Beelzebub aus. Für den national- liberalen Antrag werden wir heute schon stimmen und bei der zweiten Lesung zu dem sozialdemo kratischen Stellung nehmen. Abg. Raab (Antis.): Meine Partei ist stets für Arbeiterkammern eingetreten. Die Sozialdemo kraten möchten die Arbeiterkammern, um sie zu einem politischen Kampfmittel auszugestaltcn. Für den nationalliberalen Antrag stimmen wir schon beute, den polnischen werden wir der Regierung als Material überweisen. Der Antrag der Sozial demokratie müßte wesentlich abgeändert werden. Wir wollen die Sozialdemokratie gern zur praktischen Arbeit heranziehen, denn sie ist das beste Mittel gegen politische Überspanntheit. Abg. Pachnicke (fr. Vgg.): Wir brauchen eine Organisation deS sozialen Ermittelungsdienstes, deshalb werden wir den sozialdemokratischen Antrag gründlich beraten. Ich ziehe Arbeitskammern vor, schon wegen des Zusammenarbeiteris von Arbeitern und Unternehmen. Das Reichsarbeitsamt muß das Recht der Initiative und ein Jnspektionsrecht be kommen. Nach weiteren Bemerkungen des Abg. Erzberger (Ztr.) schließt die Erörterung. In seinem Schluß wort stellt Abg. Bebel (soz.) ein allmähliches Fortschreiten des sozialen Gedankens fest und legt dar, weshalb seine Partei jetzt nicht reine Arbeiter- sondern Ar beitskammern verlange. Nach einem kurzen Schlußwort des Abg. Patzig (nat.-lib.) wird der nationalliberale Antrag ange nommen, der polnische dem Reichskanzler als Material überwiesen. Der sozialdemokratische Antrag wird in zweiter Lesung im Plenum beraten werden. Darauf vertagt sich das HauS. Von nncl fern. Von der Zählung der leerstehende« Wohnungen Berlins, die im Januar 1905 wieder vorgenommen wurde, teilt jetzt das Berliner Statistische Amt zunächst sür die Wohnungen ohne Gewerberäume das Ergebnis mit. Die Vermehrung der leerstehenden Woh nungen dieser Art, die nach 1901 wieder be gonnen hatte, dauert noch immer fort. Im Januar 1901, 1902, 1903, 1904, 1905 standen leer 1761, 2584, 4529, 5436, 7449 Wohnungen ohne Gewerberäume. Gegenwärtig ist ihre Zahl bald wieder so groß, wie im Januar 1899, wo fie 8446 gewesen war. Bei den kleinen Wohnungen hat die Zahl der leer stehenden am stärksten zugenommen, aber frei lich war fie gerade hier bis 1901 auch am weitesten hernntergegangen. Bei den ganz großen Wohnungen ist schon seit zwei Jahren wieder eine Verminderung der leerstehenden zu bemerken. — Die Gruppierung nach Stadtteilen zeigt, daß jetzt von allen leerstehenden Woh nungen ohne Gewerberäume allein 1449 auf das östliche Stralauer Viertel kommen, ferner 970 auf das Königsviertel, 746 auf die Rosen thaler Vorstadt, 976 auf Gesundbrunnen und Wedding, also zusammen 4141 auf den äußersten Osten, Nordosten und Norden, und 3308 auf das übrige Berlin. Seit vorigem Jahr hat die Zahl der leerstehenden Wohnungen dort um 1878 Angenommen, aber im ganzen übrigen Berlin nur um 135. A dnter äer jVlsske. 22j Roman von Lady Georgina Robertson. lForisttznuaZ Ellen traf es sehr günstig. Miß Rowley war gerade im Begriff, der Frau Amtsrichter Briscoe Neuigkeiten aus dem Schlosse zu er zählen. Lady Forbes sei noch mit ihrer Tochter dort, außerdem andre Bekannte und Freunde. Natürlich wären der Trauer wegen keine Festlich keiten, nur ein geselliges Zusammensein. Aber Miß Monika bekümmere sich viel um das Kind, fahre mit ihm aus, „und" schloß Miß Rowley ihren Vortrag, „es würde mich nicht wundern, wenn es ihr gelänge, das Herz des Vaters durch die Kleine zu gewinnen." Ellen hatte früher geglaubt, alle Qualen der Eifersucht zu kennen; jetzt fühlte fie, daß der Schmerz nichts war gegen den, welchen fie bei diesem Bericht empfand. Eine Fremde, die ihr Kind liebte und ihren Gatten durch diese Liebe gewinnen wollte. Nein, keins der beiden sollte fie haben, fie fühlte die Kraft in fich, jenem Mädchen alles zu entreißen. — Und dann wurde ihr klar, wie machtlos fie war. Sie, Ellen Chesleigh, war ja tot und Artur frei, er konnte tun, was er wollte. „Wer ist die Person?" fragte Mrs. BriScoe, als Ellen plötzlich aufstand und eilig den Laden verließ; „sie hat eigentümliche Manieren." „Sie hat lange im Auslande gelebt," ent gegnete Miß Rowley, in dcre» Auge diese Tatsache alles Außergewöhnliche entschuldigte. Eines stand jetzt fest bei Ellen: sie mußte die Ihrigen sehen, und wenn fie nicht zur Stadt kamen, so wollte sie nach Nshbrooke gehen. Das Gut war nicht weit entfernt, und Mrs. Bonder hatte ihr gesagt, daß es Fremden erlaubt sei, den Park zu betreten. Sollte sie etwa zu weit Vordringen und darauf angeredet werden, so wollte fie einen Besuch bei Hannchen Bonder vorschieben und denselben, um keine Unwahrheit zu sprechen, auch machen. Als fie den Plan gefaßt hatte, zögerte fie auch nicht, ihn auszufkhren. Schon am nächsten Morgen machte fie fich auf den Weg. Arthur hatte ihr oft sein Heim beschrieben, sie hatte es sich schön ausgemalt, und doch übertraf die Wirklichkeit bei weitem ihre Vorstellungen. Der Park war groß, mit weiten Rasenflächen und schönen Baumgruppen, in der Mitte lag ein See und am Ufer desselben lag ein Boot mit der Inschrift: „Dora". Lord Chesleigh hatte es nach seiner kleinen Tochter genannt. Ellen ging um den See herum und gewann einen Durchblick nach dem Schloß. Die Sonne vergoldete die Türme und der ganze Bau lag vor ihr. Sie war noch jung und hatte ihren Gatten von ganzem Herzen lieb. Als fie nun sein Haus vor fich liegen sah, einen Besitz so schön und vornehm, und dachte, daß sie hier hätte als Herrin einziehen sollen, brach fie in Tränen aus. Sie setzte sich auf eine Bank und weinte lange und bitterlich. Dann ging fie weiter. Nirgends erblickte fie etwas von den Bewohnern des Schlosses. Die Fenster waren geöffnet, aus den Schorn steinen stieg weißer Rauch zum Himmel empor, Hundegebell ertönte von Zeit zu Zeit, aber kein Mensch war zu sehen. Ellens Sehnsucht wuchs von Minute zu Minute. Würde fie um kehren müssen ohne die Erfüllung ihres Herzens wunsches ? Plötzlich sah fie einen Herrn mit einem kleinen Mädchen an der Hand aus der Haus tür treten, ein Jagdhund lief vorauf, gefolgt von einem Teckel; die Kleine ließ die Hand des Vaters los und sprang den Hunden nach. Ellen lehnte fich an einen Baum, ihre Krast drohte fie zu verlassen. Sie hatte auf Bildern Kindergestalten als Engel gesehen, aber nie war ihr etwas so Liebreizendes vorgekommen, als das kleine Geschöpf mit den goldigen Haaren, das dort über den Rasen lief. Ihr erster Im puls war, herbeizueilen und das Kind an fich zu reißen und es zu Herzen und zu küssen. Im nächsten Augenblick sanken die ausgestreckten Hände herab; sie war ja tot, — Dora hatte keine Mutter mehr. Als Lord Chesleigh sich nahte, trat Ellen in einen Seitenweg. Sie wagte nicht zu ihm aufzuschen und er achtete nicht auf fie. Seine Augen folgten nur dem Kinde, er rief die Hunde heran, damit die kleinen Hände fie streicheln konnten und setzte sich dann mit ihm auf eine Bank am See. Die unglückliche Mutter sah voll Sehnsucht zu ihnen hinüber. Hier war fie so nahe bei denen, die fie liebte, und doch so unendlich weit von ihnen getrennt. Sie wagte nicht, sich ihnen zu nähern oder mit ihnen zu sprechen. Es be rührte fie schmerzlich, als fie den Flor um ihres Gatten Arm sah und das schwarze Trauerkleid des Kindes. Beides wurde für sie getragen und dock lebte sie. Voll Rührung sah sie, wie liebevoll Loro Chesleigh mit der Kleinen verkehrte; er schien ihr allerhand zu erzählen und einmal zeigte er zum blauen Himmel hin auf. Sprach er von ihr? Dachte er mit Be dauern über ihren frühen Tod an fie? Was hätte das Leben ihm bieten können, wenn fie nicht zwischen ihm und seinem Glück gestanden hätte l Vater und Tochter saßen eine Weile noch zusammen, dann kehrten fie ins Haus zurück. Ellens Herzenswunsch war erfüllt. Sie hatte ihre Lieben wiedergesehen. Für diese paar glücklichen Minuten hatte fie eine Ver kleidung angelegt, die ihr unerträglich war. Sie hatte geglaubt, ihren Frieden wiederzu finden, ihre Sehnsucht gestillt zu haben, wenn fie fich überzeugt hätte, daß beide gesund wären. Statt dessen hatte sich der Schmerz verdoppelt, der Anblick ihres Gatten, ihres Kindes hatte die Wunden von neuem auf gerissen. Konnte fie jetzt wieder in die Fremde gehen, fie, die den Tod gesucht hatte, um Artur frei zu machen? Nein, tausendmal nein, ihre Liebe war aufs neue angefacht, sie mußte fich öfter den Anblick gönnen. Irgendwo in der Welt mußte fie doch leben. Warum nicht in Brookton? Sie wollte ihre kleine Stube behalten und versuchen, ihren Unterhalt zu verdienen. Sie hatten den kleinen Ort lieb gewonnen, die alte Kirche, die blühen den Linden, die freundlichen Straßen, alles war ihr bekannt, hier würde fie glücklicher sein, als sonstwo in der weiten Welt. So beschloß Ellen, hier ihren dauernden
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