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Allgemeiner Anzeiger : 04.02.1905
- Erscheinungsdatum
- 1905-02-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190502041
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19050204
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1905
-
Monat
1905-02
- Tag 1905-02-04
-
Monat
1905-02
-
Jahr
1905
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 04.02.1905
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politische ^nälcbau. Die revolutionäre Bewegung in Rußland. * InWarschau ist es am Sonntag zu schweren Ausschreitungen und heftigenZusammen- flößen zwischen Militär und Volk gekommen. Man spricht von 150 Toten und Verwundeten. Der Verkehr in der Stadt war am Montag vollständig eingestellt. Sämtliche Restaurants und Cafös sowie die Läden sind geschlossen. In vielen Läden, Instituten und Bureaus find die Fenster eingeschlagen. *Jn Czenstochau wurde gegen die Kaserne ein Dynamitattentat verübt. Das Kasernentor wurde gesprengt und mehrere Revolverschüsse wurden abgefeuert. Auch in Lodz und Pabianice wurden Dynamit attentate gegen ein Regierungsgebäude ver sucht. — In Ba tum wurde Fürst Jurieli, ein hoher Polizeibeamter, am Sonntag mittag auf offener stark belebter Straße erschossen. *Jn Mit au dauert der Ausstand fort. Von der Garnison ist eine Kompanie nach Windau geschickt worden. Bei den dortigen Unruhen ist ein Polizeibeamter verwundet worden. Die Truppen haben von der Waffe noch keinen Gebrauch gemacht. Von Wilna wird ein Bataillon Infanterie und eine Batterie nach Libau geschickt werden. — Die Militär- und Marine-Kommandanten in Sebastopol wurden wegen des Ernstes der Lage mit der Vollmacht ausgestattet, alle Ruhestörungen zu unterdrücken. Über 900 Matrosen wurden ver haftet. * Wie in Petersburg so ist auch in Warschau, Lodz und Petrikow der Belagerungs zustand erklärt worden. * Der Bürgermeister von Moskau, Fürst Golitzin, wird im Namen des Zaren vor dem Senat angeklagt werden, weil er dem Moskauer Stadtrat erlaubte, sich den aus der letzten Semstwo-Konferenz ausgestellten Forde rungen anzuschließen. Die Mitglieder der Moskauer Stadtverwaltung, die jetzt erst für eine neue Amtsdauer von vier Jahren wieder- gewäblt worden sind, begaben sich unter FührungdesbekanntenGroßindustriellenMurosow zum Fürsten Golitzin, um ihn ihrer einmütigen Unterstützung zu versichern. Fürst Golitzin dankte ihnen für ihren Beistand und sagte, sie seien reif, gemeinsam Anteil an einer konsti tutionellen Regierung zu nehmen. Das Gemein wesen sei sich seiner Aufgaben und seiner Rechte bewußt und würde das Banner der konstitutio nellen Einrichtungen hoch halten. * * * Der rusfisch-japanische Krieg. * Die große Schlacht am Hunho ist schon wieder beendet. Abermals haben die Russen „rückwärts gesiegt." Der Hauptkampf wütete um das Dorf Sandepu, das von 3000 Japanern besetzt war. Diese wurden von 20 000 Russen angegriffen, die Lei dem Kampfe 1500 Mann an Toten und Verwundeten ver loren. General Sacharow berichtet: Die Be festigungen, die von einer dreifachen Reihe künstlicher Hindernisse umgeben waren, wurden durch das Feuer unsrer Artillerie nicht be schädigt. Da die Befestigungen ohne Bom bardement nicht zu nehmen waren, verließen unsre Truppen vorläufig das in Brand ge schossene Sandepu, wo es nicht möglich war, zu bleiben, ohne eine Niederlage zu riskieren. * Aus Tokio erfährt das ,Reutersche Bureau', daß nach einer dort aufgestellten Schätzung die Verluste in den Gefechten bei Chen- chiehpo undHeikontei (nahe dem Hunho) auf japanischer Seite 5000 und auf russischer Seite 10 000 Mann betragen. * Es wird berichtet, daß 40 000 russische Truppen in neutrales chinesisches Gebiet übergetreten find, um den linken Flügel der Japaner zu umgehen und die japanische Ver bindung zwischen Mulden und Liaujang zu bedrohen. * I a p a n gedenkt seine Kriegsflotte im Laufe des Jahres fast auf den doppelten Stand der jetzigen Stärke zu bringen und hat dafür fast eine halbe Milliarde Mark ausgesetzt. Die neuen Schlachtschiffe sollen auf 19 000 Tonnen gebracht werden; 2000 bis 2500 Tonnen mehr, als die größten englischen und deutschen Panzer. Um die Schiffe schnell fertig zu stellen, wird Japan den größten Teil der Maschinen, Panzerplatten, Ausrüstungsstücke und Kanonen in Deutschland, England und Nordamerika ankaufen. * * * Deutschland. * Der Kaiser wird der Hochzeit des Großherzogs von Hessen nicht beiwohnen und hat den Prinzen Heinrich mit seiner Vertretung beauftragt. *Das Befinden des erkrankten Punzen Eitel Friedrich hatte sich am Dienstag wesentlich gebessert. * Handelsminister Möller hatte Montag vormittag im Abgeordnetenhause eine Be sprechung mit westfälischen Abgeordneten und Vertretern der Arbeiter des Ruhrreviers in Sachen des Streiks. Der Minister riet nach der ,Nat.-Ztg.' den Arbeiter- Vertretern, eine maßvolle Haltung zu bewahren, um sich die Sympathie aller Rechtdenkenden nicht zu verscherzen. Auf den Zechen des Streikgebiets haben die amtlichen Untersuchungen unter Zuziehung von Arbeitern begonnen. Für die Streikenden regt sich auch bei den höheren Klassen lebhafte Sympathie; es finden aller Orten Sammlungen und Wohltätigkeitsveran staltungen für die Familien der Ausständischen statt. Die Zahl der Streikenden beträgt über 195 000. England. *Auf Veranlassung von Sir Green finden in England Sammlungen für die Opfer der Petersburger Vorgänge statt. Zahreiche große Beiträge sind zugesagt worden. Italien. * Die Zivilliste des Königs, deren Behandlung in der Kammer die äußerste Linke zu einer Demonstration gegendieDynastie zu benutzen suchte, wurde mit einer solchen Mehrheit angenommen, daß diese geheime Ab stimmung als ein klägliches Scheitern der von der äußersten Linken gehegten Absicht bezeichnet werden muß. Dänemark. *Jm Folkething wurden bei der Wahl desPräsibenten 96 Stimmen abgegeben, von denen 61 auf den bisherigen Präsidenten Trier fielen, während 35 Zettel unbeschrieben waren. Trier erklärte, daß er, da die Lags sich nicht veränderte, seitdem er das Folkething gebeten habe, ihm den Posten des Präsidenten abzunehmen, es ablehne, die Wahl anzu nehmen. Rußland. *Die Nachricht von dem neuen Miß erfolge Kuro p atkins ruft in regierungs freundlichen Kreisen um so größere Nieder geschlagenheit hervor, als ein russischer Sieg, auf den man hoffte, die Herstellung geordneter Verhältnisse im ganzen Reiche unzweifelhaft außerordentlich erleichtert haben würde. * Eisenbahnminister Fürst Chilkow erklärte einem Berichterstatter der ,Nowoje Wremja', die Legung eines zweiten Gleises der transsibirischen Bahn werde selbst bei großer Kraftanstrengung mindestens zwei Jahre währen. Trotzdem werde es schon im April möglich sein, statt 16 täglich 18 Züge nach Ostafien zu befördern. Zum 'Herbst werden 2400 neue Waggons von dreimal größerer Tragkraft als die jetzigen, und außer dem 500 Waggons von noch größerer Trag fähigkeit angeschafft. Afrika. *Jm Februar findet eine Versammlung marokkanischer Notabeln in Fes statt, die über die verfahrenen Verhältnisse des Landes beraten und Mittel zur Abhilfe suchen sollen. Zus äem Aeickstage. Im Reichstage wurde am Montag der zweite Nachtragsetat für Südweüafrtka nebst dem dazu erforderlichen Etatsgesetz beraten. Die im Nach tragSetat aufgestellte Forderung von 200 000 Mk. zu Vorarbeiten für eine Bahn von Windhoek nach Rehoboth wurde bekanntlich in der Budget kommission von allen Setten bekämpft, weil dieser Bahnbau in keinem Zusammenhangs stehe mit den Maßnahmen zur Niederwerfung des gegenwärtigen Aufstandes. Nunmehr erklärte vor Eintritt in die Tagesordnung der Reichs-Schatzsekretär Frh. pon Stengel, daß die Verbündeten Regierungen diese Forderung zurückziehen, sich aber Vorbehalten, die selbe später in einer besonderen Vorlage zur ver fassungsmäßigen Beschlußfassung einzubringen. In der Debatte über die Nachtragsforderung verhielten sich ganz ablehnend nur die Sozialdemokraten und die Polen. Kolonialdirektor Stübel wies die An griffe Bebels auf unsre Kolonialpolitik energisch zurück und betonte, daß der weiße Ansiedlerstand nicht für die Ausschreitungen und Vergehen ein zelner verantwortlich gemacht werden könne. Nach dem die Redner der verschiedenen Parteien sich mit der Erklärung des Schatzsekretärs betreffs der nachträglichenJndemnttäts-Nachsuchung einverstanden erklärt hatten, wurde der Etat für Südwestafrika gegen die Stimmen der Sozialdemokraten ange nommen. Am Dienstag wird dis zweite Beratung des zweiten NachtragSetatfürSüdwestafrika fortgesetzt. Beim Tit. 3 der einmaligen Ausgaben: „Zur Beschleunigung des Baues der Otavibahn bis Omaruru 1750 000 Mk." wird von der Kommission Genehmigung mit dem Zusatz beantragt: „Soweit aus dieser Summe Ausgaben bestritten worden sind, die nicht ledtglich durch die Mehrkosten der Beschleunigung des Baues verursacht sind, sondern zu dauerden Anlagen verwendet wurden, sind die selben zurückzuerstattcn." Abg. Arendt (freikons.): Ich bedauere, daß der Bahnbauvertrag mit der Firma Kopvel abge schlossen ist, da er den militärischen Interessen durch die verspätete Fertigstellung der Bahn nicht gerecht geworden ist, und nun dieser Nachtrag bewilligt werden muß. Kolonialdirektor Stübel: Die Kritik des Vor redners an dem Otavibahnvertrage ist ungerecht fertigt. Wir befanden uns in einer Notlage und haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Ein andrer Vertrag war eben nicht zu erreichen. Die Spurweite von 60 Zentimeter können wir nicht auf einen Meter erweitern, nachdem 45 Kilometer bereits gebaut sind. Abg. Spahn (Ztr.): Durch den von der Kom- mission gemachten Zusatz ist für den Reichstag die Möglichkeit gegeben, im nächsten Jahre zu sagen, die Firma Koppel muß die und die Summe zurück erstatten. Präsident Graf Ballestrem teilt mit, daß ein Antrag Potthoff (fr. Vgg.) eingegangen ist, wonach die in dem Titel 5 geforderten 3 000 000 Mark zur Hilfeleistung aus Anlaß der durch den Aufstand verursachten Verluste (die Regierung hatte ursprünglich 5 000 000 Mk. verlangt) nur für die durch den Hereroaufstand Geschädigten aufzewendet werden sollen. Abg. Lattmann (wirtsch. Vgg.): Dem Urteil des Abg. Arendt über den Vertrag mit der Firma Koppel schließe ich mich an. Abg. Graf Oriola (nat.-lib.) erklärt sich für die Kommissionsfassung und bedauert, daß man mit der Firma Koppel einen so präjudizierlichen Vertrag abgeschlossen habe. Kolonialbirektor Stübel erklärt, die Regierung werde prüfen, ob sich ein Rechtsanspruch gegen die Firma Koppel werde konstruieren lassen. Abg. Südekum (soz.): Der Vertrag mit der Firma Koppel ähnelt sehr den Verträgen, die unter Ausbeutung der Notlage geschaffen sind. Abg. Werner (Antis.) bezeichnet es ebenfalls als bedauerlich, daß das Reich für die Firma Koppel die Kosten trage. Abg. Müller- Sagan (fr. Vp.): Die heutige Verhandlung hat wieder mal gezeigt, daß das Reich in den Kolonien Kosten trägt, deren Erträge in die Taschen der reichen Leute fließt, anstatt in die Tafchen der Steuerzahler. Wir werden gegen die Forderung stimmen. Nach weiteren Bemerkungen der Abag. Arendt, Storz und Müller-Sagan und einem Schlußwort deS Referenten wird der Titel in der Kommissions fassung gegen die Stimmen der Freisinnigen, Sozial demokraten und Polen angenommen. Es folgt die Beratung des Titels 5: Zur Hilfeleistung aus Anlaß von Verlusten infolge des Eingeborenen-Aufstandes 5 Mill. Mk. Die Kommission beantragt, nur 3 Mill, zu bewilligen. Ferner liegt ein Antrag Potthoff (fr. Vgg.) vor, wonach die geforderten 3000 000 Mk. zur Hilfe leistung aus Anlaß der durch den Auf stand verur- fachten Verluste nur für die durch den Herero-Auf stand Geschädigten aufgewendet werden sollen. Kolonialdirektor Stübel: Die Verluste durch den Hereroaufstand sind auf 7 Mill. Mk., die durch den Witboiaufstand auf 6 Mill. Mk. geschätzt wor ben, sodaß der Gesamtschaden 13 Mill. Mk. beträgt- Wenn nun eine gleichmäßige Verteilung der 5 Mill- Mark eintreten würde, so würde für die Entschädigungen der Verluste im Witboiaufstande, 2,3 Millionen, für die vom Hereroaufstande Be troffenen nur 2,7 Millionen herauskommen. Da die Geschädigten im Hevroaufstands bereits 2 Millionen erhalten haben, so würden sie nur noch 700 000 Mk- erhalten. Damit würde ein außerordentlich be dauerlicher Zustand eintreten, die Ansiedler würden vor die Frage gestellt sein, ob sie die Bewirt schaftung ihrer Farm wieder aufnehmen, oder ob sie arm und enttäuscht das Schutzgebiet verlassen wollen. Ein Teil der Ansiedler würde entschieden das letztere tun. Die volle Entschädigung ist eine Billigkeit gegen die Ansiedler, sie ist eine Pflicht gegen das Schutzgebiet, deren Nichterfüllung sich später rächen wird. Der Wiederaufbau der Häuser und Wirtschaftsgebäude und die Wiederbeschaffüng von Vieh muß unverzüglich ins Auge gefaßt werden. Die verbündeten Regierungen müssen sich Vorbehalten, in einem demnächst aufzustellenden Nachttagsetat die weiteren nötigen Summen zu einer völligen Schadloshaltung aller Adsiedler zu fordern. Was den Antrag Potthoff anlangt, so erkennen wir an, daß er eine Besserung bringt. Wenn Sie nicht den Anträgen der Regierung zustimmen wollen, so bitte ich Sie, wenigstens diesen Antrag anzu nehmen. Abg. v. Staudy (kons.): Wir wünschen mindestens die 5 Millionen bewilligt zu sehen, aber lediglich für den Hereroaufstand. Wir stimmen deshalb zunächst für die Regierungsvorlage, in zweiter Linie für den Antrag Potthoff. Nur mit schwerem Herzen würden wir dem Kommissions- anttag zustimmen. Abg. Potthoff (frs. Vgg.): Die Regierungs vorlage würde ich bevorzugen. Ich bitte aber, mindestens meinem Anttage zuzustimmen. Ein inzwischen eingegangener Antrag Oriola (natl.) u. Genossen fordert Erhöhung der Bewilli gung von Unterstützungen auf stnf Millionen Nach weiteren Bemerkungen der Abgeordneten Kopsch (frs. Vp.) und Erzberger (Zentr.) ver tagt sich das Haus. Von s^ab unä fern. Die ZweimiMonen-Stadt Berlin hat durch nachträgliche Berichtigung der Bevölke rungsfortschreibung ihre Würde zunächst noch wieder eingebüßt. Nach den ersten Berechnungen des Statistischen Amts sollte die Bevölkerungs zahl bereits Mitte Dezember die zweite Million überschritten haben und auch bis zum Schluß des Jahres nicht bis unter dieser Zahl zurück gegangen sein. In den vorläufigen Wochen übersichten wurde fie für den 18. Dezember auf 2 000 374, für den 25. Dezember auf 2 000 639 angegeben, und das neue Jahr 1905 sollte mit 2 000 446 begonnen haben. Jetzt liegt auch die Monaisüberficht für den ganzen Dezember fertig vor. Diese bringt das genauere Fortschreibungsergebms und gibt nun die Bevölkerungszahl für den Jahresschluß auf nm 1 999 194 an, so daß Berlin im Jahre 1904 die zweite Million doch noch nicht erreicht hatte. 150 Zweikämpfe find nach der .Germania' im Jahre 1904 in Deutschland und Deutsch österreich ausgefochten wordeu. Das genannte Blatt stellt fest, daß eine Abnahme der Duelle im abgelaufenen Jahr nicht stattgefunden hat. Offenbar stammt diese Mitteilung von der Antiduell-Liga Löwenstein-Alfonso. Und eben so die folgende Behauptung: „Auch bei dem Rückblick aus die Zweikämpfe des Jahres 1904 müssen wir seststellen, daß ein rasch herbcige- sührtes ehrengerichtliches Urteil die Austragung der Zwistigkeiten mit der Waffe stets hätte ab wenden können." Ein bestrafter Plagiator. Vor einiger Zeit hatte der Professor der Philosophie Dr. Erich Adickes in Münster, jetzt in Tübin gen, seinen Fakultätskollegen, Professor Dr. Matthias Kapffes in schärfster Weise des Diebstahls am geistigen Eigentum beschuldigt, indem er ihm vorwarf, in seinen Büchern große Stücke aus bekannten Lehrbüchern der Philo sophie (Überweg) ohne Quellenangabe ent nommen zu haben. Auf Grund dieser Be schuldigung wurde der Fall durch den Kultus minister vor den Disziplinarhof für nichtrichter liche Beamte gebracht. Das jetzt ergangene Urteil lautete auf Dienstentlassung. K Nnter äer ^laske. 16) Roman von Lady Georgina Robertson. (Fortsetzung.) „Wenn ich nur sterben könnte!" Das war der Gedanke, der Lady Chesleigh beständig quälte und der so auf ihr lastete, daß ihre Gesundheit darunter zu leiden begann. Doktor Gibson war stolz darauf gewesen, daß seine Kur so gut angeschlagen hatte; er hielt seine Patientin für völlig hergestellt und ihr jetziger Zustand fing an, ihn zu beunruhigen. Er konnte keinen Grund dafür entdecken. Ihre Lungen waren vollständig ausgeheilt und doch war es unverkennbar, daß fie hinwelkte. Der berühmte Arzt konnte nichts weiter verordnen als Luftwechsel. „Wenn ich Lady Chesleigh und ihre ganzen Verhältnisse nicht so genau kennen würde," sagte er zu Lady Marstone, „würde ich vermuten, daß irgend eine Sorge oder ein Kummer fie drückte. Für das Gemütsleben haben wir Ärzte keine Hilfe, da gibt es nur drei Heil mittel: Liebe, Naturgenuß und Wechsel der Umgebung — eines von diesen wird vielleicht auch bei ihrer Tochter anschlagen." Lady Marstone versicherte, daß Ellen keinen Kummer haben, könne, fie werde von allen geliebt und auf Händen getragen. Kein Wunsch bliebe ihr unerfüllt. Doktor Gibson erwiderte, daß es Menschen gäbe, die eben darum krank würden, weil ihnen nichts mehr zu wünschen übrig bleibt. „Meine Meinung ist die," sagte er, „daß irgend etwas Lady Chesleigh drückt. Ent weder hat ihr Glück fie übersättigt, oder sie grämt sich über eine Sache, die uns unbe kannt ist. In beiden Fällen kann ich nur raten, daß fie auf Reisen geht. Hier erwarte ich keine Bessemng, während ihre Tochter in andrer Umgebung rasch wieder aufblühen wird. Sie muß aus ihrer Apathie aufgerüttelt werden. Wenn ein so liebenswürdiges, warm herziges Wesen wie Lady Chesleigh, so völlig gleichgültig und ohne Interesse ist, dann liegt körperlich oder seelisch ein ernster Grund vor." Lady Marstone dachte lange über diese Worte nach. Der Arzt mußte sich irren. Wie war es möglich, daß etwas auf Ellen lastete! Wer hatte einen so liebevollen, aufmerksamen Gatten, wer ein so reizendes Kind, wie fie? Treue Elternliebe umgab sie und fie wurde mit allem überschüttet, was- Reichtum dem Menschen gewähren kann. Nein, Doktor Gib son hatte nicht das Richtige getroffen, aber sein Vorschlag sollte dennoch ausgeführt werden. Sie wollten alle zusammen nach Italien gehen, denn weder fie noch Sir John konnten sich noch einmal von ihr trennen. Als der Plan zuerst bei Tische besprochen wurde, war Ellen die einzige, die dagegen war. „Du hättest Doktor Gibson nicht herrufen sollen, Mama," sagte sie „Ich bin so ge sund, wie ich es überhaupt sein kann. Ich brauche keine Luftveränderung, hier zu Hause bei euch ist es am allerbesten." „Aber wir freuen uns alle auf die Reise," warf Sir John ein. „Mathilde wird uns natürlich begleiten, fie wird dir eine liebe Gesellschafterin sein, Ellen." Diese sah ihre Mutter traurig an. Waren fie denn alle blind? „Ja, Mathilde muß mitreifen," entgegnete fie, „da« wird uns allen angenehm sein." Niemand empfand die Bitterkeit, die in ihren Worten lag. Lord Chesleigh ahnte nicht, daß Ellen wußte, wem sein Herz ge hörte, es lag ihm fern, daß es ihre größte Qual war, ihn täglich und stündlich mit Mathilde verkehren zu sehen, und daß fie sich beständig ausmalte, wie glücklich die beiden ge worden wären, wenn fie nicht mehr lebte. Die Reise interessierte Ellen garnicht und fie beteiligte sich in keiner Weise an den Vorbe reitungen. Weshalb sollte alles versucht werden, ihre Gesundheit zu kräftigen, wenn der Tod ihr so willkommen war, wenn sie nur den einen Wunsch haste, zu sterben, um Artur und Mathilde glücklich zu machen? Hätte Ellen in dieser schweren Zeit ihr Kind nicht gehabt, so würde sie bald unter legen sein. Das Leben hatte jeden Reiz für fie verloren, nichts machte ihr Freude, alles er müdete sie. Sir John hatte sich für Neapel als dauern den Aufenthalt entschieden und dort eine Villa mieten lassen. Von da aus wollten sie Aus flüge in die nähere und weitere Umgebung machen. Alle genossen die Reise, außer Ellen. Was lag ihr daran, ob ihr Auge auf den schönsten Landschaftsbildern ruhte, ob der Himmel blau war und die Blumen dufteten. Ihr Herz war voller Weh, denn ihr fehlte das beste — die Liebe ihres Gatten l Er hatte versucht, ihre Ehe zu lösen l Seit fie dies wußte, konnte nichts auf Erden fie mehr erfreuen. Ein reizendes Heim erwartete fie im fremden Lande, vor ihr lag der Vesuv, der entzückendste Blick ans das blaue Meer mit den Inseln Capri und Ischia erschloß sich ihrem Auge, aber fie blieb blind für alles. Die eine große Leidenschaft ließ ihr Herz kalt für jedes und ein Schleier lag für fie über der Herrlichkeit der Natur. So lange nur der eine Wunsch, zu sterben, ihre Gedanken erfüllte, war keine Hoffnung vorhanden, daß sie sich wieder für irgend etwas im Leben interessieren würde. Nachdem die Familie einige Wochen in Neapel gewesen war, schrieb Lady Marstone an Doktor Gibson, daß Ellens Befinden sich in keiner Weise gebessert hätte, wenn überhaupt eine Veränderung eingetreten sei, so wäre es eine znm Schlechteren. Und doch war diese so allmählich über fie gekommen, daß es kaum bemerkbar war. Lord Chesleigh fand wohl, daß seine Frau stiller war als früher, er wunderte sich zuweilen, daß sie nie mehr lachte und sang, aber es fiel ihm nicht ein, darüber nachzudenken, ob er die Veranlassung sein könnte; ihr stets gleich bleibendes, ruhiges Wesen ihm gegenüber täuschte ihn. Er ahnte nicht, daß ihr Herz um seinet willen fast brach! Eines Tages gingen fie zusammen in eine der Galerien und ein Bild fesselte fie beide in hohem Maße. Es stellte Hamann vor, welcher mit finsteren, gehässigen Blicken auf Mordochäus schaute, der an der Pforte des Palastes saß.
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