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Allgemeiner Anzeiger : 15.02.1905
- Erscheinungsdatum
- 1905-02-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190502153
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19050215
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19050215
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-02
- Tag 1905-02-15
-
Monat
1905-02
-
Jahr
1905
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 15.02.1905
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politische Aunälcbau. Die revolutionäre Bewegung in Ruhland. *JnSosnowice, in der „Dreikaiser ecke", ist es am S. d. zu heftigem Zusammen stöße zwischen Militär und Streikenden gekommen. Der kommandierende Offizier hatte zuvor schon gesagt: „Jetzt hat das Militär das Wort; in drei Tagen stelle ich die Ruhe wieder her." Bei dem Straßenkampfe wurden 27 Zivilpersonen getötet und 60 verwundet. *Jn Lodz kam es am Freitag zu Straßen kämpfen; dabei wurden 11 Per sonen erschossen und mehr als 100 verwundet. * Von der merkwürdigen Persönlichkeit, deren Name mit den jüngsten Vorgängen in Ruß land zunächst so eng verflochten war, dem Priester Gapon, hat man neuerdings keine weitere Kunde vernommen. Von ihm wurde nacheinander gemeldet, daß er am 22. Januar erschossen worden sei; Laun hieß es, er wäre schwer verwundet; dann schickte ihn das Gerücht nach Moskau, um dort den Ausstand zu leiten; ferner entfloh er mit 35 000 Rubel Revolutionsgeldern ins Ausland; nachdem er in der Peter-Pauls- Festung der Zellennachbar Gorkis war, traf er plötzlich in London ein. Die neueste Meldung über ihn lautet : Georgi Gapon ist des Seel sorgeamts im Deportationsgefängnisse enthoben mit dem Verbot, die geistlichen Pflichten zu er füllen, so lange seine Rolle in der Arbeiter bewegung nicht klargestellt sei. — In dieser Meldung ist nicht angegeben, ob sich Gapon in Freiheit befindet oder im Gefängnisse gehalten wird. Das Verbot, seine geistlichen Pflichten zu erfüllen, hätte allerdings wenig Sinn, wenn er überhaupt nicht in der Lage wäre, sie auch auszuüben. * Die Adels-Genossenschaft in Moskau emschied in einer Sitzung, es sei wünschenswert, in der Frage zur Schaffung von Gesetzen für dieBauerndie Wünsche der Bauern selbst zu hören und zu diesem Zwecke ihre Vertreter nach Petersburg zu be rufen. Die Versammlung beschloß sodann, sich zum Verteidiger der S e l b stv e r w a l tu n g des Bauernstandes zu machen, sowie des Rechtes ihrer Meinungsäußerung über Reformen, die sie angingen. *Das Professorenkollegium in Odessa nahm mit 49 gegen 18 Stimmen einen Beschluß antrag an, dahingehend, daß die Fortsetzung der Studien wegen der unter der Jugend herrschenden Erregung nicht möglich sei und daß die Unruhen unter den Studenten nicht früher endgültig aushörcn werden, als bis die Jugend die Überzeugung haben werde, daß mit der Reform des gegenwärtigen Regimes begonnen werde. *Der deutsche Reichsangehörige Hoch, der unter dem Verdacht, an den Unruhen in Petersburg teilgeuommen zu haben, verhaftet wurde, ist wieder freigelassen worden. * * Der russisch-japanische Krieg. * Gegenüber den fortwährend auftretendcn Friedensgerüchten stellt die russische Regierung nochmals fest, daß sie niemand mit Friedensverhandlnngen betraut habe. * Der Generalinspckteur der russischen Kavallerie, Großfürst Nikolai Nikola jewitsch, reist tatsächlich in nächster Zeit nach dem Kriegsschauplatz in Ost asien ab. Es unterliegt keinem Zweifel, daß damit die Rolle Kuropatkins als Leiter der kriegerischen Operationen ausgefpielt ist — mag der Großfürst nun den General auf seinem Posten direkt ablösen oder mag er die früher von Alexejew bekleidete Stellung eines Statt halters ernnehmen, dem der Armeekommandant sich untsrzuordnen hat. Der Oberbefehl des ge nannten Großfürsten bedeutet ein rücksicht s- loses Draufgehen, wobei Menschenleben keine Nolle spielen werden. * Die Blockade des Hafens von Wla diwostok durch die Japaner soll jetzt vollständig sein. * Das dritterussischeGeschwader ist nunmehr zum Antritt seiner Fahrt fertig gestellt. Der Kommandeur, Admiral Nebogatow, hat seine Flagge auf dem Panzerschiff „Impe rator Nikolaus I." gehißt. Sämtliche Schiffe haben bereits den üblichen Kriegsanstrich in schwarzer Farbe erhalten. * * * Deutschland. * Außer Vertretern der protestantischen Kirchen der Schweiz, Norwegens und Englands, werden auch solche aus Amerika an der Berliner Dvmweihe am 27. d. teil nehmen. *Der Bundesrat hat der Einführung einer einheitlichen Arzneitaxe zugestimmt und den Entwurf einer neuen Maß- und Ge wichtsordnung den zuständigen Ausschüssen über wiesen. *Auf den deutschen Münzstätten sind im Monat Januar für 8 838 720 Mark Doppelkronen und für 835 600 Mark Kronen, beide auf Privatrechmmg, für 1769 992 Mark Zweimarkstücke, für 599 816 Mark Einmarkstücke, für 1011079 Mark Fünfzigpfennigstücke, für 9958 74 Mark Zweipfeiunigftücke und für 23301,82 Mart Einpfennigstücks geprägt worden. * Ebenso unerwartet und schnell wie seiner zeit der Krimmitschauer Weberstreik ist auch am Donnerstag der G eneralftreik der Kohlen bergleuts im Ruhrrevier nach dreiwöchiger Dauer für beendet erklärt worden. Auf Antrag des sozialdemokratifchen Reichstagsabg. Hus wurde die Siebenerkommission beauf tragt, weiterhin zu tagen und über die Aus führung der von der Negierung gemachten Ver sprechen zu wachen. *Die gothaische DomLuenvorlage, die dem Landtag des Herzogtums zugegangen ist, enthält eine wesentliche Abweichung im Vergleich zu den früheren Vorlagen nur darin, daß eine vom Staat an das herzogliche Haus zur Bestreitung des Hofaufwandes zu gewährende Jahresleistung von 96 000 Mk. nicht mehr, wie vorher festgesetzt war, in barem Gelbe zu entrichten ist, sondern zu einem Teile durch Überweisung von entsprechendem Grund besitz an den Herzog, zum andern Teile durch Gegenleistungen mit einer Forderung des Staates an das herzogliche Domänen-Fideikommiß ausge glichen werden soll. Das Gesetz soll sofort nach der Verkündung, die auf den 19. Juli d., den Groß- jährigkeitstag des Herzogs, in Aussicht genommen ist, in Kraft treten, die tatsächliche Auseinander setzung soll auf den 1. April 1906 vollzogen werden. Österreich-Ungar». * Kossuth ist am Freitag vom „Köni g" Franz Joseph empfangen worden. Die ungarische 1848 er Partei, die seit Wieder herstellung des konstitutionellen Lebens in Ungarn an keinem Empfang bei Hofe teilgeuommen hat und selbst Thronreden ferngeblieben ist, tritt zum erstenmal in direkte Beziehung mit der Krone und wird regierungsfähig. Frankreich. *Jn der Deputiertenkammer brachte am Donnerstag der Kultusminister Martin unter dem Beifall der Linken den Gesetzentwurf betr. Trennung von Staat und Kirche ein. Der Entwurf wurde unter dem Widerspruch der Rechten an die Kommission verwiesen. England. *Der Parlamentssekretär der Admiralität Pretymann sagte rn einer Rede, die er in Grimsby hielt: Man kann die große Erregung, die Lees Rede unter „unsern deutschen Freunden" erregte, nicht ver stehen. Unsre Flotte ist lediglich zur Ver teidigung bestimmt. Ihre Verteidigung muß mit gebührender Rücksicht auf die Flotten der andern Länder, jedoch in freundschaftlicher Weise aufrechterhalten werden. Der Eifer, den man in englischen offiziösen Kreisen be kundet, um der Rede Lees eine harmlose Deutung zu geben, beweist, wie unangenehm es in London empfunden wird, daß die Rede überhaupt eine üble Deutung erfahren konnte. Italien. *Jn Rom beschlossen in einer Versammlung 1000 Eisenbahn - Angestellte, im Falle der Militarisierung des Eisenbahnpersonals sofort in den Ausstand zu treten. Balkanstaaten. * Amtlich wird die Zurückziehung des Ent lassungsgesuches seitens des Kabinetts Pasitsch und die Beseitigung der Ursachen der Krisis dahin ausgelegt, daß König Peter standhaft auf dem Boden der Verfassung ver bleibe und alle Intrigen, welche darauf hinaus gehen, den Glauben an sein gegebenes heiliges Wort zu erschüttern, aufs schärfte verurteilt. Die Regierung sei zu der aufrichtigsten Überzeugung gekommen, daß auf dem Wege gerechter und ruhiger verfassungsmäßiger Entwickelung bald alle Hindernisse beseitigt sein werden, die von irgend einer Seite entstehen könnten. (Man wird's ja sehen.) Amerika. *22 Millionen Dollar chinesische Entschädig uugsgelder will Amerika zurückgeben, da China nicht sür den Boxeraufstand verantwortlich sei. Asten. *Von der Zentralregierung in Peking ist angeordnet worden, die B ew affnung der chinesischen Armee einheitlich zu ge stalten. Und zwar sollen Gewehrs von 7 Milli meter und Feld- und Gebirgsgeschütze von 7,5 Zentimeter Kaliber zur Einführung ge langen. Ein Anfang zur Durchführung dieses Planes ist schon bei der Artillerie gemacht, indem die Zentralregierung nach früheren Einzel läufen und mehrfachen Probeschießen 36 Feld- und 36 Gebirgsgeschütze mit Rohrrücklauf von 7,5 Zentimeter Kaliber mit Munitionsausrüstung und allem Zubehör bei Krupp in Essen be stellt hat. äem Aeiebstage. Der Reichstag begann am Donnerstag die erste Lesung der sieben Handelsverträge und des Vich- seuchen-übereinkowmcus mit Österreich - Ungarn. Aög. Herold (Ztr.) erkannte an, daß die verbündeten Regierungen bemüht gewesen sind, bei den Handels- vertragsvcrhandlungen einen besseren Schutz ihres Wirtschaftslebens, besonders für die Landwirtschaft zu erreichen. Abg. Bernstein (soz.) meinte, daß die Verträge zwar im Interesse der Landwirtschaft wären, aber der Industrie schwere Opfer auser legten. Seine Partei lehne die Verträge ab. Staatssekretär Graf Posadowsky setzte die Schwie rigkeiten auseinander, die der Abschluß der Handels verträge gemacht habe, und wies auf die Vorteile hin, die sie für Landwirtschaft wie für Industrie böten. Abg. Kanitz (kons.) hält kurzfristige Msist- begünstigungsverträge sür wünschenswert und forderte dringend eine Revision unsrer Handelsbeziehungen mit den Ver. Staaten. Aba. Sieg (nat.-lib.) erklärte namens seiner Partei die Zustimmung zu den Ver trägen. Abg. Kämpf (frs. Vp) gab seiner Unzu friedenheit über den agrarischen Charakter der Ver träge Ausdruck, schien im übrigen aber die Zustim mung seiner Partei in Aussicht zu stellen. Am 10. d. wirb die erste gemeinsame Beratung der sieben Handelsverträge mit Rußland, Osterreich-Ungarn, Italien, Belgien, Rumänien, Schweiz und Serbien fortgesetzt. Abg. Gamp ssreikons.): Fürst Bismarck hat den Grundsatz ausgestellt, daß cs unwürdig ist, politische Zugeständnisse fremder Staaten durch wirtschaftliche Zugeständnisse zu erkaufen. Graf Caprivi dagegen betrachtete die Getreidezölle als ein möglichst bald zu beseitigendes Übel. Auch sein Nachfolger dachte ebenso. Graf Bülow hat für die Landwirtschaft erreicht, was zu erreichen war. Er hat als Freund der Landwirtschaft gehandelt, als er diese Verträge abschloß und uns vor einem vertraglosen Zustand bewahrte. Redner zählt dann eine Reihe von Zöllen auf, deren Höhe ihn be friedigt. Er spricht sich aber gegen die Ermäßigung des Zolls auf Futtergerste und gegen eine Herab setzung des Maiszolls für Amerika aus. Die Kosten der Verträge trägt das Holz, da es ja zum größten Teil im Besitz des Staates und der Großgrundbesitzer ist. Die Seuchenkonvention genügt nicht, sie ist zu verklausuliert. Wenn es ginge, würde ich sie ablehncn, denn hierbei sind die Interessen der deutschen Landwirtschaft nicht ge nügend gewahrt. Es wird uns nichts weiter übrig bleiben, als für jeden cingeschlcpplen Seucheufall eine Entschädigung zu verlangen. Bei den Jndustrie- zöllen ist nicht alles erreicht worden, was hätte erreicht werden könne,. Dem Anträge auf Kom missionsberatung stimmen wir zu, es sind doch noch einige Bedenken zu zerstreuen. Ich wünsche, daß Graf PosadowSkh an dem Grundsatz festhält, He Meistbegünstigung keinem Staat ohne gleiche Gegen leistung zu gewähren. Redner polemisiert dann gegen den Abg. Kämpf und schließt: Die Aus wanderung fällt gegen den Bedarf der Landwirt schaft an Arbeitern gar nicht ins Gewicht. Wenn Deutschland den Getreidebau aufgeben muß, dann würde das Land von reichen Städtern gekauft und in Weiden und Forsten umgewandelt. Das wäre ein nationales Unglück, denn Millionen von Ar beitern würden brotlos. Das wäre der Zusammen bruch ! Abg. Goth ein <frs. Vgg.): Wir sind dem Grafen Bülow sür dis Bismarckanekdote dankbar, die in zynischer Form anerkennt, daß unsre Ge treidezölle in fremden Ländern die Industrie groß gezogen hat! Das ist der Schutz der nationalen Arbeit I Ja, aber der Russen, Serben, Rumänen! Und dieserhalb werden wir „Agenten des Auslandes" genannt, weil wir unsre Industrie erhalten wollen. Unsre Industriellen müßten ja die größten Esel sein, wenn sie jetzt noch die sog. Schutzzollpolitik mitmachen wollten. Wir wünschm einen leistungs fähigen Bauernstand, hallen aber die Mittel, die von der Negierung angelegt werden, für falsch. Seit wann geht es dem deutschen Landwirt schlecht? Mit den hohen Getreibeprcisen hat das Bauernlegen ange fangen. Die gelegten Bauern hat man als Arbeiter auf der Scholls sestgehalten. In England haben berühmte Gelehrte zugestanden, daß trotz der niedrigen Getreidepreise die Landwirtschaft auf dem Wege der Besserung ist. Auch bei uns müssen Sie den Betrieb auf eine gesündere Grundlage stellen. Gerade in der Zeit der höchsten Zölle ist es der Landwirtschaft am schlechtesten gegangen; die Auswanderung war damals am stärksten. In Eng land waren die Löhne der Arbeiter am niedrigsten, als die Gctreidepreise wahnsinnig hoch standen. Mit Viehzoll erschweren Sie den Bezug von Mager- und Zuchtvieh und schädigen die heimische Viehzucht. Weiter ist unsre Mslzindustrie geschädigt. Die bayrischen Gsrstebauetn sind einfach geprellt. In Frankreich nehmen die Subhastationen stetig zu, ob wohl man dort mit Getreidezöllen Experimente macht, die bei uns unmöglich wären. Ich kann diese Verträge nur als Mißhandelsverträge bezeichnen. Der Vertrag mit Rußland ist nur zustande ge kommen, weil Rußland durch den Krieg in eine so verzweifelte Lage geraten ist. Die neuen Verträge werden unsre Lage sehr verschlechtern Der Reichs kanzler soll sich nicht Wundern: Wer Wind säet, wird Sturm ernten. Staatssekretär Graf v. Posadowsky: Die Industrie in Rußland bätle sich entwickelt auch ohne unsre Erhöhung der Getreidezölle Rußland hat viele natürliche Hilfsquellen und Bodenschätze, die es langsamer entwickelt als wir, weil cs nicht so intelligente Arbeiter hat. Der Vorredner hat sich mehrfach widersprochen. Er behauptete, das Aus land werde den Zoll tragen, und darin wieder, es werde versuchen, den Zoll auf uns abzuwälzen. Entweder — oder! Entweder die Zölle haben eine Wirkung, oder sie haben keine Wirkung. Die Landwirtschaft ist in eine gefährliche Lags geraten, weil die Produktionskosten den Neinvsrdienst auf- zshren. Wenn in der Landwirtschaft eine so tief- gehcnde Bewegung entsteht wie in den letzten zehn Jahren, dann muß ein Grund dafür vorhanden «ein. Die Auswanderung hängt nicht mit den Ge- trcidepreisen zusammen; sie wurde durch die gestiegenen Löhne in Amerika veranlaßt. D-e Behauptung, daß nur wenige Landwirte von den Zöllen Nutzen haben, ist falsch. Meine Enquete Hai ergeb.n, daß w'hst keine Wirtschaften von 3 und 4 Hektar sür mehrere hundert Mark Getreide verkaufen. Es steht auch fest, daß per Mann durch die Zölle 2 Mk. mehr für den Zentner erhalten hat. Der Abg. Gamp hat die Viehseuchenkonvention bemängelt. Ich erwidre ihm, daß wir das Recht der Grenzsperre haben, auch wenn die 10 Prozent Verseuchung nicht zahlenmäßig festgelegt sind. Den Unterschied zwilchen Futler- und Braugerste mußten wir im Interesse dcr Land- wilftLaft machen. Es ist unrichtig, lediglich nach den Zollsätzen den Wert der Verträge zu beur teilen. Man mutz auch berücksichtigen, daß diese Verträge eine große Erleichterung des Verkehrs hcrbeisuhren werden. Rußland hat uns große Zu geständnisse gemacht. Es wird Auskunftsstcllen üder Zollverhältnisse einrichlen und ein Warenverzeichnis Herstellen lassen. Früher hat in Rußland die oberste Zollbehörde entschieden, jetzt werden wir über Streitpunkte uns auf diplomatischem Wege einigen. Nach weiteren Bemerkungen des Ministerial direktors Wermuth wird die Beratung vertagt. Von unä fern. Von der Gräfin Montignoso. Unseliger weise soll sich die Gräfin Montignoso in ein neues Liebesverhältnis eingelassen haben, dies mal mit einem Grasen Gicciar'oini, ein Ver- häiinis, das der Florentiner Gesellschaft höchst anstößig erscheint. Dies dürfte dazu führen, daß der Gräfin die Erziehung ihrer nach der Flucht geborenen Tochter Anna Monica Pia fernerhin nicht mehr anvertraut wird. O dnter äer 19j Roman von Lady Georgina Robertson. -e^ c.' An die moralische Seite ihrer Handlungs weise dachte Ellen in diesem Augenblick gar nicht; daß eine Vereinigung zwischen Artur und Mathilde ein Verbrechen sein würde, so lange sie noch lebte, das kam ihr nicht in den Sinn. Sie war das Hindernis gewesen, das sollte nun fortsallen. Freilich, das Kind — ein plötzlicher Schmerz durchzuckte sie, aber sie sagte sich, daß sie vielleicht später, nach Jahren, unerkannt nach England wieder zurückkehren würde und es aus der Ferne einmal sehen könnte. Je mehr Ellen sich mit ihrem Plane be schäftigte, desto besser gefiel er ihr. Sie war von allen früheren Beziehungen abgeschnitten; tot für ihren Gatten, den sie so unendlich ge liebt hafte, tot tür Mathilde, der sie unbewußt ihr Lebensglück vernichtet. Niemals wollte sie in die Heimat znrückkehren. Als das Schiff in den Hafen von Toulon einlies, bat Ellen Madame Marre, ihr ein Unterkommen zu besorgen, wo sie ihre volle Genesung abwarten könnte. Diese sagte, daß sie ein Häuschen in einer ruhigen Straße der Vorstadt besäße und schlug der jungen Frau vor, bei ihr zu bleiben. Ellen war einverstanden, mietete zwei Stuben und ließ sich von der Französin pflegen. Die Wunde am Kopse entzündete sich von neuem und wochenlang lag die Kranke still im im Bette. All ihr schönes blondes Haar mußte abgeschnitten werden, sie behielt kaum soviel, wie die kleine Dora hatte. Madame Marre sah voll Bewunderung auf die Masse goldiger Locken. „Wie schade," rief sie aus. „Das Haar ist viel wert. Soll ich es verkaufen?" Ellen lächelte. „Verkaufen?" wiederholte sie. „Wer wird das Haar kaufen?" „Jeder Haarkünstler. Es ist wohl hundert Frank wert." „Sie können es ruhig verkaufen," sagte Lady Chesleigh. Ich gebrauche es nicht. Die alte Französin sah erstaunt auf. Sie war nicht sehr selbstlos, aber freundlich und aufmerksam. Sie pflegte Ellen gut, sorgte für einen tüchtigen Arzt und ließ sich ihre Dienste dann ordentlich bezahlen. Es dauerte lange, bis Ellen sich so weit erholte, daß sie ihr Zimmer verlassen konnte. Dann überschlug sie ihr Besitztum und machte sich einen festen Plan für die Zukunft. Sie hatte noch soviel Geld bei sich, um ein bis zwei Jahre bescheiden leben zu können. So dann besaß sie eine Uhr mit Kelte, Ringe und eine sehr wertvolle Brache; wenn sie dies alles verkaufte, so half der Erlös noch eine Weile weiter. Aber sie wollte nach Paris gehen, in Toulon mochte sie nicht bleiben. In der Hauptstadt würde sie leichter unter der Menge verschwinden, dort wollte sie ihr einsames Leben verbringen. Später, nach Jahren vielleicht, dachte sie nach England zu gehen, um ihr Kind wicderzusehen. Niemand würde sie erkennen, und sie könnte ihres Herzens Sehnsucht sftllen. „Nur ein einziges Mal!" sagte sie zu sich, indem sie in ein leidenschaftliches Schluchzen ausbrach, und dann wollte sie warten, bis sie in jener Welt mit ihren Lieben vereint wäre. Sie machte es sich nicht klar, daß nur der Wunsch, England näher zu sein, sie nach Paris übersiedeln ließ. Sie sagte sich, daß Ellen Chesleigh tot sein müßte und bedachte nicht, daß ihr Herz von derselben Liebe erfüllt war und blieb, und dasselbe Leid zu erdulden hatte, wie es vorher geliebt und gelitten hatte. Sie zog sich so einfach wie möglich an und beschloß, ein kleines Zimmer zu mieten und sparsam zu leben, damit ihre Mittel so lange wie möglich reichten. Nachher mußte sie suchen, ihren Unterhalt zu verdienen. Gelang ihr das nicht, so war es ihr auch gleichgültig. Sie hatte so Schweres innerlich durchlebt, daß äußere Dinge ihr nicht mehr nahe treten konnten. Hunger und Kälte ertrug sie in einer Weise, die wohl niemand der verwöhnten jungen Frau zugetraut haben würde. Und doch war das Leben voller Entbeh rungen, welches sie jetzt führte, erträglicher, als das letzte Jahr, wo sie. umgeben von allem Luxus, sich in Kummer um die verlorene Liebe ihres Gatten verzehrte. Ellens Tage flossen einförmig und trostlos dahin. Sie hatte eine Wohnung neben der Madeleine genommen. Es hatte für sie etwas Beruhigendes, wenn sie die alte, ehrwürdige Kirche ansah. Sie trat oft ein, fetzte sich auf eine der Bänke und ließ im stillen Gebet den Frieden des alten Gotteshauses auf sich wirken. Es war doch eine Stelle, an der sie Ruhe fand. Ja solchen Standen zog ihr ganzes Leben an ihr vorüber. Wie glücklich, wie sorg los war sie gewesen bis zu dem Tage, an dem sie so töricht begehrt hatte, Artur" Ches leigh zu heiraten! Von da an war sie elend und hoffnungslos geworden. Während sie im Schatten der alten Kirche kniele, um sie herum Andächtige, die ihre Gebete in fremder Sprache murmelten, du-chlebte sie im Geiste die letzten Jahre noch einmal. Und jedesmal kam sie von neuem zu der Einsicht, daß für sie der Tod weit besser sei, als das Leben. Einmal wagte sich Ellen in eine der vor nehmen Straßen und kaufte sich dort eine eng lische Zeitung. Sie durchflog die Spalten und sand unter den Nachrichten über die hohen Kreise die Notiz, daß Lord Chesleigh sich nach Schloß Ashbrooke begeben habe. Tränen traten in die Augen der jungen Frau, sie, die sich ab gestumpft glaubte gegen olle Gefühle, gegen Liebe und Schmerz, sie drückte ihre Lippen wieder und wieder auf den Namen ihres Gatten und las ihn immer aufs neue. „Lord Artur Chesleigh!" Wie eigen nahmen sich die Worte gedruckt aus. Was würde ihr Träger sagen, wenn er wüßte, daß jetzt die Augen seiner Frau darauf ruhten! Ellen kaufte nun öfter eine Zeitung, aber seinen Namen fand sie nicht wieder. Wahr scheinlich war er dauernd in Ashbrooke geblieben- Sie dachte oft an ihn und versuchte sich aus zumalen, was er wohl tä!e und wer um W sei. Jetzt würde er Mathilde noch nicht heiraten, dazu würden beide ihr Gedächtnis zu sehr R Ehren halten.
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