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ihn also, Herr Wagenhoff?" — „Nur ganz oberflächlich. Ich be gegnete ihm einmal irgendwo. Aber ich hatte den Eindruck, daß er ein charmanter nnd sehr distinguierter Kavalier sei." „In der Tat — Sie haben ihn nicht falsch beurteilt. Auch die Damen meiner Familie, deren Gunst er sehr schnell gewonnen hat, finden, daß er sich recht vorteilhaft von vielen seiner Landsleute unterscheide." „Und er gilt für sehr reich — nicht wahr?" „Ein Bekannter von der russischen Botschaft sagte mir, das Haus der Apraxin sei eines der ältesten und reichsten in Sankt Petersburg." „Das ist unzweifelhaft richtig. Nun, man wird Ihrer Frau Mutter vielleicht demnächst einen Glückwunsch abstatten dürfen — wie?" Viktor wehrte ab, aber mit einem bedeutsamen, vielsagenden Lächeln. „So weit sind wir denn doch noch nicht. Man darf den Artigkeiten eines wohlerzogenen jungen Herrn nicht gleich solche Bedeutung unterlegen." „O, ich will nicht indiskret sein. Es ist mir nur, als ob ich kürzlich in einer Herrengesellschaft derartige Vermutungen hätte äußern hören. Und Graf Arkadi Apraxin hätte sicherlich den genialsten Einfall seines ganzen Lebens gehabt, wenn es sich so verhielte." In scherzendem Tone tauschten sie noch einige freundliche Be merkungen ans, und mit beflügelten Schritten eilte Viktor, als er sich endlich auf gute Art hatte empfehlen können, nach seiner Woh nung zurück. Seine Seele war erfüllt von einer Glücksempfindung, wie sie ihn gleich übermächtig kaum je zuvor beherrscht hatte, nnd der Uebergang von tiefster Hoffnungslosigkeit zur jubelnden Gewiß heit des Gsborgenseins war ein so jäher, unvermittelter gewesen, daß ihm die Leiden dieses entsetzlichen Vormittags bereits wie ein weit zurückliegender, in nebelhafter Unklarheit verschwimmender Traum erschienen. Franz Wagenhoff aber hatte, sobald der Besucher ihn ver lassen, nach seinem Diener geklingelt. „Sagen Sie Herrn Bauer meister, daß ich ihn zu sprechen wünsche," befahl er, nnd gleich darauf erschien der Gerufene im Zimmer. Er war von mittel großer, hagerer Gestalt und von einem unbestimmbaren Alter zwischen fünfundzwanzig und vierzig. Seine stutzerhaft elegante Kleidung war viel mehr die eines Gentleman als eines Mannes in untergeordneter Stellung, sein mageres, unschönes Gesicht aber mit den tiefliegenden, unruhigen Augen und dem dünnen, sand blonden Backenbärtchen zeigte nichts weniger als vornehme Züge. Obwohl er als Sekretär in Wagenhoffs Diensten stand, lag doch wenig Unterwürfigkeit in der Art, wie er sich nach den Wünschen seines Brotherrn erkundigte. „Hier ist ein Wechsel über neuntausend Mark," sagte Wagen hof. „Verwahren Sie ihn gut, und machen Sie die erforderlichen Eintragungen." Der Sekretär warf einen Blick auf die Namensunterschrift und lächelte. „Sie sind ein Menschenkenner, Herr Wagenhoff! Was Sie voraussahen, hat sich erfüllt. Er ist Ihnen von selber gekommen." „Natürlich! Aber Ihre Komplimente sind überflüssig, mein Lieber! Haben Sie mir sonst etwas mitzuteilen?" „Nicht gerade viel! Der Kundschafter des Detektivbureaus hat gemeldet, daß heute wieder ein prachtvoller Blumenstrauß vom Grafen Apraxin für Fräulein Margot von Alten abgegeben worden sei. Die nämliche großartige Entdeckung macht er nun schon seit mehreren Wochen Tag für Tag, und Sie hatten für seine Be mühungen jedesmal zwanzig Mark zu zahlen. Die Blumen des Herrn Grafen kommen Ihnen wahrscheinlich viel teurer zu stehen, als ihm selbst." „Und wie steht es mit Odessa und Smyrna? Ist denn noch immer keine Antwort auf unsere Erkundigungen eingegangen?" „Nein! Aber ich begreife nicht, weshalb Sie durchaus auf das Eintreffen dieser Antworten warten wollen. Wenn es Ihnen darum zu tun ist, diesen famosen Grafen als Schwindler zu ent larven, so überreichen Sie doch einfach das Material, welches wir bereits zusammen gebracht haben, der Polizei. Sie wird sich das Fehlende ohne Zweifel leichter verschaffen können, als wir." „Ich habe meine besonderen Gründe, das nicht zu tun. Wenn ich ihn nicht mit einem einzigen Schlage vernichten nnd öffentlich als gemeinen Betrüger brandmarken kann, hat die ganze Sache für mich keinen Zweck." „Und inzwischen wird er Unrat gewittert haben, Leute dieses Schlages haben gewöhnlich sehr feine Nasen. Ich wette, wenn Sie zu Ihrem Hauptschlage ausholen, ist er über alle Berge." „Vielleicht wäre mir auch damit gedient. Jedenfalls müssen Sie noch einmal an die Konsulate in beiden Städten telegraphieren. Sagen Sie, man müsse sich niit der Erteilung der Auskunft beeilen, weil Gefahr iin Verzüge sei." „Wie Sie befehlen, Herr Wagenhoff! Ich werde die Depeschen sogleich aufsetzen. Haben Sie mir sonst noch etwas anfzutragen?" „Nein! Aber warten Sie doch noch einen Augenblick. Ich möchte Sie noch etwas fragen, was nicht den Grafen Apraxin, son dern Ihre Person angelst." Er hatte einen strengen Ton angeschlagen. Bauermeister wandte ihm sein mageres, widerwärtiges Gesicht zu und lächelte abermals. Es war ein fatales Lächeln, dem die unruhigen Angen einen geradezu tückischen Ausdruck gaben. „Meine Person? Seit wann beschäftigen Sie sich niit so unbe deutenden Dingen, Herr Wagenhoff?" „Bitte — es ist durchaus nicht scherzhaft! Man erzählt mir, daß Sie das Leben eines Dandy führen, und daß Sie noble Passionen von einer sehr kostspieligen Gattung haben. Wollen Sie mir nicht gefälligst erklären, wie Sic das möglich machen?" Nicht einen Augenblick veränderte der Gefragte seine gelassene Haltung. „So besolden Sie vielleicht auch für mich einen Detek tiv?" gab er mit sarkastischer Betonung zurück. „Es wäre weg geworfenes Geld — glauben Sie mir das, Herr Wagenhoff!" „Hören Sie, mein Bester, Sie fangen an, unverschämt zu werden. Ich habe doch wohl ein Recht, Auskunft von Ihnen zu verlangen, wenn ich sehe, daß Ihre Ausgaben in keinem Ver hältnis zu Ihren legitimen Einnahmen stehen." „Aber Iver sagt Ihnen, daß das wirklich der Fall ist? Mit meinen noblen Passionen ist es nicht so schrecklich weit her. Ihre Freigebigkeit setzt mich ja glücklicherweise in den Stand, dieser oder jener harmlosen Liebhaberei nachzugehen. Und ini übruzen, es wäre doch wohl denkbar, daß ich auf meine eigene Gefahr hin Schulden mache." „Ich wünsche jedoch nicht, daß Sie Schulden machen. Merken Sie sich das, Bauermeister! Ein Mann, dem ich mein Vertrauen schenke, muß in geordneten Verhältnissen leben. Sobald ich die Gewißheit erhalte, daß Sie ein leichtfertiger Verschwender sind, ist es aus mit uns beiden. Niemand ist unentbehrlich — behalten Sie das Wohl im Gedächtnis! Niemand!" Er winkte verabschiedend mit der Hand und Bauermeister ent fernte sich mit einer kleinen, leichten Verbeugung, die weher be sonders achtungsvoll noch ausnehmend höflich war. Als er durch das Vorzimmer ging, warf er einen bösen Blick nach der Tür zurück, die sich soeben hinter ihm geschlossen hatte, und murmelte: „Nicht unentbehrlich? Nun, das wollen wir denn doch abwarten, mein lieber Herr Wagenhoff!" Der Hausherr aber, der mit so viel Stolz vor aller Welt bekannte, daß er der Sohn eines einfachen Schöneberger Acker bürgers sei, entzündete drinnen eine seiner kostbaren Havanna zigarren mit der Miene eines Mannes, der mit dem Geschick und ganz besonders mit sich selber vollauf zufrieden ist. Behaglich streckte er sich auf das Eisbärenfell der Chaiselongue, und ein Lächeln ging über sein Gesicht, während er den blauen Rauch- wolkchen nachblickte, die langsam zur Decke emporstiegen. Es mußten wahrlich sehr heitere und angenehme Zukunfts bilder sein, die in dieser Stunde an seiner Seele vorüber zogen. Wolfgang Normanns erste Empfindung beim Empfang des kurzen Briefchens, welches Margot ihm geschrieben, war die einer sehr lebhaften Freude gewesen. Besaß er doch bisher nicht eine einzige Zeile von ihrer Hand, und wenn dies Billet in seiner knappen, höflich gemessenen Form auch nicht die geringste Aehnlich- keit mit einer Liebesbotschaft hatte, so trug es doch die Schriftzüge eines Wesens, das Hm über alles teuer war, nnd er sah in der bloßen Tatsache, daß sie ihn zu sich rief, einen beglückenden Beweis ihrer Liebe. In voller Ungetrübtheit wollte diese Stimmung bis zu der Stunde, die Margot für seinen Besuch bestimmt hatte, freilich nicht Vorhalten. Je öfter er ihren Brief, der ihm durch einen Dieust- mann überbracht worden war, zur Hand nahm, desto mehr fiel ihm seine kalte, fast geschäftsmäßig nüchterne Fassung auf, und desto befremdlicher berührte ihn das Fehlen jedes warmen oder auch nur freundlich klingenden Wortes. Einen Gruß wenigstens hätte sie ihm doch senden können — irgend eine herzlichere Wendung, die nur für ihn allein verständlich zu sein brauchte, hätte sich doch wohl anbringen lassen, wenn der Brief dazu bestimmt war, auch von ihren Angehörigen gelesen zu werden! Es war den: jungen Ingenieur zuletzt, als ob ein Hauch eisiger Kühle von diesem eleganten, fein Parfümierten Papier ausginge, das noch immer den breiten, schwarzen Rand als Sinn bild der Trauer zeigte. Und er sehnte sich doch so sehr nach einem sichtbaren Zeichen ihrer Liebe. Seit jenem beglückenden Abend am Ufer des blauen Havelsees hatte er nicht ein einziges Mal Gelegenheit gefunden, Margot allein zu sprechen. Ja, er hatte sie überhaupt viel seltener gesehen, als es vordem der Fall gewesen war. Namentlich wäh rend der letzten Wochen hatte man ihm fast jedesmal, wenn er