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nach dem ersten Satze begriffen, was sie meinte, und ein anderes Empfinden als das der Bestürzung war es, das ihm jetzt das Blut heiß zum Kopfe drängte. „Ich kann nicht glauben, daß Sie so im Ernst zu mir sprechen, Margot," sagte er. „Es wäre Wohl ebenso zwecklos als unwürdig, wenn ich in Abrede stellen wollte, was man Ihnen trotz eines gegebenen Versprechens verraten hat. Aber wenn ich ein Unrecht beging mit dem, was ich da getan, so war es ein Unrecht doch Wohl nur in bezug auf die von mir gewählte Form. Und die Strafe, welche Sie mir dafür zu teil- wer den lassen, ist vielleicht etwas zu hart." „Sie sind im Irrtum, Herr Normann," unterbrach ihn Mar got kalt. „Ich fühle mich durchaus nicht berufen, Sie zu strafen, sondern ich wünsche einfach, Ihnen Ihre Auslagen zu erstatten und Ihnen bei dieser Gelegenheit anzudeuten, daß wir trotz der veränderten Umstände einer Unterstützung noch nicht bedürftig sind." „Margot!" rief er schmerzlich. „Ja, ist es denn möglich? Sind Sie es wirklich, die so zu mir spricht? 'Es geschieht im Auf trage Ihrer Mutter, daß Sie mir dies alles sagen — nicht wahr? Und Ihr Herz weiß nichts von der Härte Ihrer Worte?" „Ich spreche im Namen meiner Angehörigen wie in meinem eigenen. Aber ich wünsche gar nicht, hart gegen Sie zu sein. Tenn Sie wußten ja vielleicht nicht, daß man sehr Wohl ein Vermögen einbüßen kann, ohne darum zugleich aller auf Geburt und Er ziehung gegründeten Selbstachtung verlustig zu gehen." „Die Entschuldigung, welche Sie da für mich gelten lassen wollen, ist grausamer als die bitterste Anklage. Ich schwöre Ihnen, daß -in meinen Gedanken nichts gewesen ist, das ich Ihnen nicht unbedenklich beichten dürfte. Wie hätte ich auch dazu kommen sollen, Sie und Ihre Mutter zu beleidigen — die, welche ich von allen lebenden Wesen am tiefsten und innigsten verehre? Und was ist so Kränkendes oder Sträfliches in meinem Beginnen? Ihrem verewigten Vater hatte ich nicht viel weniger als glles zu verdanken. Nichts, das ich für seine Hinterbliebenen zu tun ver- mochte, hätte die Dankesschuld tilgen können, die er mir auferlegt hat. Wenn ich mich nun bei dem Bemühen, wenigstens einen kleinen Teil davon abzutragen, in der Form vergriffen habe, so mag das eine tadelnswerte Ungeschicklichkeit gewesen sein, eine unverzeihliche Beleidigung aber war es doch sicherlich nicht." „Es handelt sich nicht sowohl um die Form als um die Sache selbst, Herr Normann! Zwischen den Wohltaten, die.^ie von meinem Vater enipfingen und denen, die Sie uns zu erweisen gedachten, besteht ein Unterschied, den ich Ihnen nicht klar machen kann, wenn Sie selbst ihn nicht empfinden. Ich sehe, daß wir ' uns darüber kaum verständigen werden, und diese Auseinander setzungen sind unerfreulich für Sie wie für mich. Lassen Sie uns also ein Ende machen, indem Sie Ihr Eigentum zurücknehmen! Sie können sich dessen nicht weigern, nachdem Sie gehört haben, Ivie wir über fremde Unterstützungen denken." „Gut denn, ich nehme es zurück," sagte der Ingenieur ent schlossen, indem er den Briefunischlag, ohne ihn weiter anzusehen, in die Tasche steckte. „Aber ich hoffe, daß es nun, da Sie sich Ihres harten Auftrages entledigt haben, auch genug sei des grau samen Gaukelspiels. Lassen Sie mich endlich wieder. Ihr wahres Gesicht sehen, Margot, wenn Sie nicht wollen, daß ich irre werden soll an allem, was mir bis jetzt heilig und verehrungswürdig gewesen ist auf Erden." Sie richtete sich hoch auf und maß ihn mit einem stolzen Blick.. „Ich weiß nichts von einem Gaukelspiel, Herr Normann! Es gibt keine Veranlassung für mich, mich Ihnen gegenüber zu verstellen." „So muß ich in diesem Augenblick träumen oder ich muß ge träumt haben, als ich aus Ihrem Munde das Geständnis zu ver nehmen glaubte, daß Sie - -" In der gewissen Voraussicht dessen, was er aussprechen wollte, siel Margot ihm in die Rede: „Ich hegte zu Ihrer Ritterlichkeit das Vertrauen, daß Sie auf jene Unterredung nicht zurückkommen würden. Wollen Sie sich auf ein unüberlegtes Wort berufen, das ich bereuen mußte, sobald ich sah, wie vollständig es von Ionen mißdeutet worden war?" „Wie? Sie bereuen, was Sie mir damals.gesagt? Und Sie bereuen es nicht erst seit hente, wo Sie sich berechtigt glauben, mir zu zürnen sondern schon seit langem? Das Ganze war unr ein Spiel — nur eine flüchtige, rasch vergessene Laune?" „Es war ein bedauerliches Mißverständnis, Herr Normann! Sie nahmen den Ausdruck meiner freundschaftlichen Gesinnung für ein Geständnis, das ich wahrlich nicht beabsichtigt hatte. Und ich wurde dessen leider erst inne, als es zu spät war, den Irrtum aufzuklären. Ich gebe zu, daß die Schuld daran auf meiner Seite gewesen sein mag. Es war an jenem Tage so viel Widerwärtiges auf mich eingedrungen, und ich befand mich in einer so verzweifel ten Stimmung. Aber Sie werden nicht jetzt gegen mich ausnützen wollen, was ich in solcher Stimmung vielleicht unbedacht ge sprochen." Sie sind mir nicht böse, hochherzig, was Sie M' — ich wollte Ihnen auch von ganzem opferwillige Freundschaft." „Wie? klnd das ist Ihr Ernst? Fräulein Edith?" „Gewiß nicht! Es war edel und uns getan." „Nein — gewiß nicht, mein gnädiges Fräulein!" erwiderte er, und der Ausdruck seines Gesichts war plötzlich kalt und ruhig Ivie der Klang seiner Stimme. „Es ist sicherlich nicht mein Wille, Sie zum beklagenswerten Opfer eines Miswerständnisses zn machen. Seitdem ich weiß, daß alles nur ein Irrtum gewesen ist, haben Sie von meinen Zudringlichkeiten nichts mehr zu furchten." Für einen Moment mußte Margot gegen ihren Willen vor seinem Blick die Lider senken; aber sie ließ die Befangenheit, von der sie sich bedroht fühlte, nicht Herrschaft gewinnen über sich. Schon in der nächsten Sekunde fühlte sie sich wieder hinlänglich gewappnet, um ihm fest in die Augen zu sehen, und mit einer Gelassenheit, als ob sie nur über die gleichgiltigsten Dinge von der Welt gesprochen hätten, sagte sie: „Ich würde es bedauern, wenn Sie statt Ihrer bisherigen Freundschaft künftig nur Groll gegen mich empfänden. Aber Sie werden mir bei ruhiger Ueberlegung zugeben, daß der Gedanke an diese Möglichkeit mich nicht abhalten durfte, aufrichtig zu sein." Der Ingenieur machte ihr statt der Antwort nur eine kleine Verbeugung, und da sie ihm nun augenscheinlich nichts mehr zu sagen hatte, griff er nach seinem Hute. „Wollen Sie die Güte haben, mich Ihrer Frau Mutter und dem Fräulein von Rothenburg zu empfehlen! Ich werde ja vor aussichtlich nicht so bald Gelegenheit haben, die Damen wieder- znsehen." tzst „Meine Mutter überläßt es ganz Ihrem eigenen Ermessen, Ivie Sie einen etwaigen Verkehr einzurichten wünschen, klebrigen? werden wir dieses Haus, in dem wir selbstverständlich nicht länger bleiben konnten, schon morgen verlassen, und wir haben hinsichtlich einer neuen Wohnung bis jetzt noch keine Entscheidung getroffen." Auch diesmal hielt Wolfgang eine Erwiderung nicht für er forderlich. Er ging festen Schrittes zur Tür, verbeugte sich ans der Schwelle noch einmal gegen die regungslos dastehende Baro nesse und verließ das Zimmer, Als er die ersten Stufen der Treppe hinabgestiegen war, hörte er hinter sich von einer weichen, schüchternen Stimme leise seinen Namen rufen, und als er sich umwandte, sah er gerade in Ediths braune Augen. „Guten Abend, Fräulein von Rothenburg," sagte er mit einem bitteren Lächeln. -„Haben auch Sie vielleicht den Wunsch, nur noch einige Vorwürfe mit auf den Weg zu geben?" Sie schüttelte das Köpfchen und streckte ihm ihre Hand ent gegen. „Nein! Ich wollte Ihnen nur gute Nacht sagen,«und im Herzen danken für Ihre „Nein — nein — nein!" brach es da heftig aus ihm hervor. „Es war niederträchtig und erbärmlich — es war eine Schlechtig keit, eine Narrheit — es war alles, was Sie wollen, nur nichts Gutes und Rühmenswertes. Versuchen Sie es nicht, mich darüb^ zu täuschen; ich habe ja soeben deutlich genug gehört, wie tödlich ich Sie beleidigt." Er hatte seine Hand zurückziehen wollen; aber Ediths schlanke Finger gaben sie noch nicht frei. „Mögen eS die anderen als eine Beleidigung empstwocn haben, Wolfgang - - ich nicht! klnd ich möchte nicht, daß Sie auch als den Ausdruck meiner Gesinnung ansehen, was Margot Ihnen soeben gesagt haben mag." Ihre Stimme zitterte ein wenig, und sie hatte offenbar au ihren Mut zusammennehmen müssen, uni diese Erklärung abzu geben. lkm so gewisser fühlte Wolfgang, daß es nicht eine nm- leidige Eingebung des Augenblicks war, welche sie so sprechen netz, sondern daß sie in der Ausführung eines ganz bestimmten mw wohlüberlegten Entschlusses handelte. Es war etwas unsäglich Rührendes in ihrem Beginnen und in der demütig zaghaften Woge, Ivie sie nun das feine braune Köpfchen senkte. Nie hatte er sie lieb licher gefunden als in diesem Augenblick. , Aber seine Stimmung war nicht von der Art, daß sie durch solche Eindrücke in eine freundliche und versöhnliche hätte gcmam delt werdvn können. Gerade die sanfte Herzlichkeit in Ediths -o- nehmen ließ ihn die furchtbare Enttäuschung, welche er vorbei erlitten hatte, mir um so grausamer empfinden; und so bm^ wallte es aufs neue in seiner Seele auf, daß er sogar.umierecbl und hart wurde gegen die, welche all ihre mädchenhafte Awen überwunden hatte in dem sehnlichen Wunsche, ihm etwa? tröst liches zu sagen. , , .. „Sie meinen es gut, mein gnädiges Fräulein," stufte ei stwc u, „und ich danke Ihnen für die freundliche Absicht. Aber ich habe soeben erfahren müssen, daß ich mich sehr schlecht darauf verstehc. den gütigen Worten einer jungen Dame die richtige Tciftnng ,st geben — und ich möchte mich nicht gern noch einmal eines ftvA'um überführen lassen. Verschwenden Sie Ihre Liebenswnrmgtc