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Allgemeiner Anzeiger : 30.03.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-03-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190403307
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19040330
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19040330
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-03
- Tag 1904-03-30
-
Monat
1904-03
-
Jahr
1904
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 30.03.1904
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politische Kunäfchau. Der russisch-japanische Krieg. * Die Nachrichtendürre bezüglich des Kriegsschauplatzes wird von beiden Seiten noch künstlich durch eine strenge Zensur aufrecht erhalten. Daher ist es kaum möglich, sich über den Stand der Dinge so zu vergewissern, daß ein bestimmtes Urteil abgegeben werden kann darüber, ob Russen oder Japaner im Vorteil find. Von ernstlichen Kämpfen zu Lande ist noch immer keine Rede, und über die See gefechte, die sich bei Port Arthur abspielen, fehlt es an ausreichenden Informationen. * General Kuropatkin hat sich, wie jetzt bestätigt wird, vor seiner Abreise nach dem Osten dem Zaren gegenüber geäußert: „Ich werde nicht zurückkehren, bis der freche Übermut der Japaner gebrochen, Korea Rußland einverleibt sein wird." General Linewitsch bewillkommnete General Kuropatkin, nachdem er dessen Ankunft im TranSbaikalgebiet er fahren, telegraphisch und fügte hinzu: „Die Truppen dürsten danach, fichandemFeinde zu rächen, und erwarten mit Ungeduld Ihre Ankunft." * „Von hochofstzieller Seite," so meldet die ,Schief. Ztg.', „kommt eben die Gewißheit, daß einer der vier russischen Panzerkreuzer im femen Osten der „Baja n" ist, der Mitt woch den 16. März auf eine japanische Mine aufgelaufen und in die Luft geflogen ist! Nur wenige von der Mannschaft sollen sich gerettet Hagen." Der „Bajan" war, so schreibt der Gewährsmann der ,Schles. Ztg.'. der neuste und stärkstbepanzerte Kreuzer, was den Gürtel panzer anbetrifft, ein vortreffliches Schiff und erst 1900 vom Stapel gelaufen. * * * Der Herero-Aufstand. *Die neuesten Transporte für Deutsch- Südwestafrika nehmen außer großen Ver- pflegungs- und Futtervorräten auch reichliches Eisenbahnmaterial mit. Der Gouver neur Leutwein hat um 10 Lokomotiven und etwa 20 Waggons gebeten, um die Leistungs fähigkeit der Bahn nach Möglichkeit zu erhöhen. Außerdem gehen Funkentelegraphen- wagen mit. * * Deutschland. * Am Donnerstag richtete der König von Italien folgendes Telegramm an den Kaiser: „Im Augenblick, wo Du als hochwillkommener Gast italienischen Boden be rührst, Wünsche ich, indem ich mich freue, Dich bald wiederzusehen, daß einstweilen der erste Gruß Dir von mir, Deinem ergebenen Freunde und treuen Bundesgenossen zugehe. Viktor Emanuel." Das Antwort-Telegramm lautete: „Empfange meinen lebhaftesten Dank für Deine herzliche Depesche, die mich in dem Augenblicke erreichte, als ich in den Hafen des schönen Neapel einfuhr. In der Erinnerung an die liebens würdige Gastfreundschaft, die mir im vergangenen Jahre in Rom von Dir, der Königin und dem italienischen Volke zuteil wurde, bin ich glücklich, Dich wiederzusehen. Dein ergebener Freund und treuer Bundesgenosse Wilhelm." " Der Kaiser besuchte am Freitag vor mittag die Insel Capri, wo er der K r o n - Prinzessin von Schweden einen Besuch abstattete. * „Der Kaiser und der Herzog von Cumberland" ist ein Artikel der,Braun schweigischen Landes-Ztg.' betitelt, worin be hauptet wird, Kaiser Wilhelm habe, als er sich im April 1903 nach Kopenhagen begab, auch „eine Annäherung an das Cumberländische Haus erstrebt". Diese Mitteilung und alle daran geknüpften Folgerungen find nach der ,National-Ztg.' durchaus unzutreffend. Nachdem der dänische Kronprinz am 27. und 28. Oktober 1902 dem deutschen Kaiser einen Besuch abge- ftattet hatte, machte Kaiser Wilhelm dem König Christian einen Gegenbesuch. Bei diesem kam in keiner Weise in Betracht, ob die herzoglich Eumberländische Familie sich am dänischen Hofe befand oder nicht. * Die Abstimmung im Bundesrat über die Aufhebung des 8 2 des I ef u it en g es e es erfährt jetzt noch eine interessante Ecgän ung durch die Mitteilung des Hamburger Serlüs, daß der Bundesrat auch über dieAufhebung des ganzen Gesetzes abgestimmt, diese aber abgelehnt habe. *Der Gesetzentwurf über den Ver sicherungsvertrag wird die gesetzgeben den Körperschaften kaum noch in der laufenden Arbeitsperiode beschäftigen können. Die von feiten der Einzelregierungen und der um Ab gabe ihrer Gutachten angegangenen Interessen vertretungen eingelaufenen Einwände und Aö- änderungsanträge find so zahlreich gewesen, daß es bis jetzt noch nicht möglich war, die Neuredigierung des Entwurfs auf Grund der berücksichligenswerten Wünsche so weit zu fördern, um eine Einbringung der betr. Vorlage im Reichstage vor nächstem Winter wahrschein lich zu machen. * Die Zahl der deutschen Aus wanderer bezifferte sich im Jahre 1903 auf 36 310 Personen. Nach einem mehrjährigen Rückgang ist die Auswanderung seit 1901 wieder in Zunahme begriffen. Sie betrug 1901 22 073, stieg 1902 auf 32 098 und 1903 auf 36 310 Personen. Der Hauptftrom der Auswanderung war wie in früheren Jahren nach den Ver. Staaten gerichtet. Dorthin find nicht weniger als 33 649 Personen ausgewandert. * Bei der R e i ch s t a g s - S t i ch w a h l in Lüneburg wurde der Deutsch-Hannoveraner v. Wangenheim gegen den Nationalliberalen Dr. Jänicke gewählt. (Bei der Hauptwahl im vorigen Sommer war Dr. Jänicke gewählt worden; die Wahl wurde aber für ungültig erklärt.) * Bei der Reichstagsersatzwahl in Marienberg-Zschopau wurde am Frei tag der Antisemit Zimmermann mit 11 956 Stimmen gewählt. Der Sozialdemokrat Pinkau erhielt 10 982 Stimmen. Bei der Hauptwahl waren abgegeben worden 10 277 soz., 5998 anris. und 4325 konservative Stimmen. * Die wasserwirtschaftliche Vor lage wird den ,Berl. Pol. Nachr.' zufolge dem Preuß. Abgeordnetenhause unmittelbar nach der Osterpause zusammen mit der Neben bahnvorlage zugehen. Ebenso beabsichtigt der Finanzminister die von ihm angekündigten Gesetzentwürfe betr. die Vermehrung des Be triebsfonds der Seehandlung, sowie über die Anlegung der Sparkassenbestände zusammen und zu gleicher Zeit einzubringen. * Aus Kamerun wird berichtet: Zum Resi denten im Tsch adseegebi et ist Oberleutnant Sandrock ernannt worden, der seit 1900 in Kamerun tätig ist und schon den Oberst Pavel auf seinem Zuge nach dem Norden 1902 begleitet hat. Seit dem hat er sich stets in jenem Landstriche aufgc- halten. Er nimmt seinen Vitz in Kusse ri am Lagon, nur etwa zwölf Kilometer von der Mün dung dieses Flusses in den Schari. Von Kusseii aus ist der Tschadsee in Luftlinie nur etwa 110 Kilometer entfernt. Der Ort ist einer der größten und verkehrsreichsten in unserer dortigen Sphäre. Der Resident für Adamaua nimmt seinen Sitz zu Garua am Benue. Der Hauptmann Thierry ist nur einstweilig mit diesem Posten be traut, da er in kurzer Zeit einen Heimatsurlaub an tritt. Die genannten, vom Gouverneur v. Puttkamer bei seiner letzten Reise nach dem Tschadsee einge setzten Residenten dienen zur Beratung und Beaufsichtigung der eingeborenen Häuptlinge. Frankreich. *Eine der Kammer zugegangene Vorlage fordert für eine Reise Loubets an den italienischen Hof 450 000 Frank. Italien. *Die Kammer beschloß, eine aus fünf Deputierten bestehende Kommission einzu setzen zur Untersuchung über die Geschäftsführung des früheren Unterrichtsministers Nasi, und der Kammer bis spätestens 31. Mai d. Bericht zu erstatten. Nasi erklärte sich mit der Einsetzung eines solchen Ausschusses einverstanden. Spanien. * An die Begegnung KaiserWil - Helms mit König Alfons in Vigo haben sich allerhand politische Gerüchte geknüpft, die zu einer Interpellation im spanischen Senat geführt haben. Minister des Außem Sam Petro erklärte dort am Mittwoch in Be antwortung der von dem Republikaner Labra eingebrachten Interpellation, «die in Vigo statt gehabte Zusammenkunft des Königs mit dem deutschen Kaiser sei eine reine Höflich keitsbezeigung gewesen, sie sei die Konsequenz der herzlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. — Mit dieser Erklärung werden sich die spanischen Republikaner wohl beruhigen. Afrika. ^Marokko wird in Frankreich eine An leihe von fünfzig Millionen Frank auf nehmen. Asien. *Der Emir von Afghanistan be findet sich, so meldet Meuters Bureau' aus Kalkutta nach einer amtlichen Mitteilung den neuesten Nachrichten zufolge, bei guter Gesundheit. Die Gerüchte von einer Ver giftung des Emirs hält man für unwahr. ItaUemlcke ^ustänäe. Das Mornale d'Jtalia' veröffentlicht den Bericht des vom Budgetausschuß beauftragten Abgeordneten Savorito über den Fall des früheren Unterrichtsministers Nasi. Der Bericht bringt die amtlichen Dokumente für die unglaub liche Mißwirtschaft im Unterrichtsministerium unter Nasi bei. Ja, das Mornale d'Jtalia' spricht die Vermutung aus, Minister Nasi sei wahnsinnig gewesen, denn er habe im Mini sterium geradezu geplündert. — Der Budget ausschuß beschloß, der Kammer eine Enquete gegen Nasi vorzuschlagen. Die Verlesung des enthüllenden Berichtes dauerte mehrere Stunden. Was er mitteilte, ist in der Tat unerhört. Hier eine Auswahl: Der gesamte Fonds für die Verbreitung der Elementarbildung in Höhe von über 213 000 Lira verschwand, nur 3 Lira 10 Centimes blieben in der Kasse. Die Summe ging an alle möglichen Parasiten und Korporationen, für die sich der Minister aus irgend welchen Gründen interessierte, namentlich an die Wähler- Vereine in seinem Wahlkreise Trapani. Für die Reisen, die der Minister mit seinem Sekretär Lombardo machte, find 73 000 Lira angekreidet, und dabei fahren Exzellenzen und ihre Faktoten auf der Bahn gratis! Die Postspesen des Kabinetts betrugen 28 000 Lira. Gewaltige Summen gab der Minister als Unterstützung von Lehrerwitwen und -Waisen aus. Nämlich über 212 000 Lira, nur schade, daß laut Bericht diese Hilssgelder größtenteils in die Taschen apokrypher Persönlichkeiten wanderten oder solcher, die niemals etwas mit dem Unterrichts wesen zu tun gehabt haben. Weitere 110 000 Lira kamen auf die „Ermutigung des Agrar unterrichts" , gingen leider aber auch an Adressen, von denen nicht zu ersehen ist, was sie mit diesem schönen Zwecke zu tun haben sollen. Amüsant macht sich ein Posten von 15 000 Lira für das Einbinden von Büchern. Der Minister ließ sämtliche Professoren und Dozenten um Exemplare ihrer Werke für die Bibliothek des Ministeriums bitten. 5000 Werke wurden gesandt, aber niemals gebunden, trotz dem wurden obige Ausgaben für Einbände ver rechnet. Kunstwerke, Bronzen, photographische Apparate, Wohnungseinrichtungen wurden ver rechnet, von denen keine Spur im Ministerium zu entdecken ist. Der Minister Nasi machte außerdem seiner Vaterstadt Trapani, die wenig stolz mehr auf ihn sein wird, Geschenke aus öffentlichen Mitteln, aus öffentlichen Mitteln bezahlte er auch seine Buchhändlerrechnungen. Viele Quittungen sollen gefälscht sein. Natürlich ist die Angelegenheit das einzige Gespräch des Tages. Der,Messaggero' will als erster die Sache gewußt und gebrandmarkt haben; aber die äußerste Linke zumal hege olche Sympathien für Nast, daß man be- ürchten müsse, die Untersuchung werde nicht mit der nötigen Strenge geführt werden. ,Popolo Romano' und ,Capitan Fracassa' suchen Nasi zu entlasten und die Anklagen als nicht hinreichend begründet hinzustellen. Von unä fern. Die Zahl der Russen in Berlin hat trotz der Ausweisungen in den letzten Wochen noch zugenommen. Die Zugereisten sind aller dings keine Studenten, sondern meist jüngere Kaufleute und Handwerker, die in ihrer Heimat wegen des Krieges, der das gesamte russische Geschäfts- und Erwerbsleben lahmlegt, keine Beschäftigung mehr finden. Militärflüchtlinge sind nicht darunter, was durch den Umstand be wiesen wird, daß alle regelrechte russische Aus landspässe haben. Der Darmstädter Vergiftungsfall. In der Befürchtung, die Konservenindustüe könne geschädigt werden, beschloß die Braunschweiger Handelskammer, das Neichsgesundheitsamt um baldige Aufklärung des Darmstädter Ver giftungsfalles zu ersuchen. Durch eine Ansichtspostkarte verraten hat sich der flüchtige Postagent Lübbert aus Bantin bei Wittenburg in Mecklenburg, der vor einigen Tagen nach Unterschlagung von 1250 Mk. Postkassengeldern das Weite gesucht hatte. Er hatte sich mit seinem Raube direkt nach Ant werpen gewandt, von wo aus er an seine zu rückgelassene Ehefrau eine Ansichtspostkarte richtete. Der mit der Untersuchung betraute Postinspektor erhielt hiervon Wind und benach richtigte sofort die Staatsanwaltschaft in Schwerin, die den Defraudanten durch den tele graphisch in Kenntnis gesetzten deutschen Gene ralkonsul in Antwerpen festnehmen ließ, als er im Begriff war, sich zur Weiterfahrt eine Schiffs karte zu lösen. Er wird demnächst nach der Heimat zurückbesördert werden. Groster Diebstahl. In der Nacht räumten Einbrecher den an der Hauptstraße in Göttingen belegenen Uhrladen von Hartwig aus. Der Wert der gestohlenen Sachen beträgt 12 000 Mark. Jugendliche Kirchenräuber. In jüngster Zeit war in der Stadtkirche zu Rudolstadt wiederholt der Opferstock erbrochen und seines Inhaltes beraubt worden, ohne daß man der Täter habhaft werden konnte. Jetzt gelang es, die letzteren auf frischer Tat zu ertappen. Es waren drei Schulknaben, darunter ein Konfirmand. Da das Kleeblatt das strafmündige Alter er reicht hat, wurde es festgenommen und steht mm der Verurteilung entgegen. Kün stlsreleud. Die Opernsängerin Franziska Walter, die versucht hatte, sich zu ertränken, machte nachts tm Bürgerhospital noch einen Selbstmord versuch, indem sie das Handgelenk an der Puls ader durchbeißen wollte. Die Unglückliche, die ein tadelloses Leben führte, ist durch materielle Sorgen zu diesem Schritt veranlaßt worden. Sie hatte kein Sommerengagement gefunden und hat obendrein für eine alte Mutter zu sorgen. Acetylen-Explosion. Montag abend trat in einer Wirtschaft in Gaisburg (Württemberg) eine Störung in der Acetylen-Gasbeleuchtung ein. Als der Wirt mit einem Gast die Ursache der Störung am Apparat feststellen wollte, explodierte der Apparat. Dem Wirt flog dabei ein Stück Eisen an den Kopf und verletzte ihn so schwer, daß nach wenigen Minuten der Tod eintrat, während sein Begleiter mit einer leichten Verletzung im Gesicht davonkam. Brandstiftung. Der Rentier Wolf aus Elbing wurde verhaftet unter dem Verdachte der Brandstiftung auf seinem Laubenhause. Von Wilderern erschlagen. Im Walde von Lawek bei Pleß wurde ein Waldheger erschlagen aufgefunden. Von den Tätern, ver mutlich Wilddieben, fehlt jede Spur. Blutvergiftung durch Asche. Als der Erzdechant Worlicek in Kuttenberg am Ascher mittwoch den Gläubigen ein Kreuz mit der Asche auf die Stirn zeichnete, fiel ihm etwas Asche auf eine Wunde, die er am rechten Mittelfinger hatte. Trotz der sofort vorge nommenen Reinigung schwollen die rechte Hand und der rechte Arm an, und es zeigten sich Symptome von Blutvergiftung. Es wurde von Prag Prof. Mairner zu dem Schwererkrankten berufen, doch ist der Zustand desselben ein hoff nungsloser. K Oie Mläernleben Erben. 8) Roman von M. Brandrup. (Fortsetzung.) „Aber Ada, denken Sie doch an Ihr totes Mütterchen." über den zierlichen Körper des Kindes lief ein leises Beben. Wie ein leichtes Grauen legte es sich dabei über das zarte Gesichtchen. Da trat Herr v. Hagel rasch zu der Kleinen. „Geh für ein Viertelstündchen in das Balkon zimmer, Ada," sagte er ernst, „ich habe mit den Damen zu reden." Als fühlte sie fich durch diesen Befehl er leichtert, so flog die Kleine aus dem Gemach und schloß die Türe hinter fich. Kurze Minuten hindurch herrschte peinliche Sülle in dem Raum, dann seufzte Herr v. Hagel und sagte: „Mein armes Töchterchen hat nie eine zärt liche Mutter gekannt, denn schon vor ihrer Ge burt befand fich meine Frau in einer Ver fassung, die. — Aber lassen Sie mich ohne alle Bemäntelung von jenem Traurigen sprechen, das mich so elend gemacht hat. Ich weiß, die Damen nehmen teil an meinem Geschick." „Davon können Sie überzeugt sein," ent gegnete Frau Erna, während Fanny stumm bei- pflichtete. „Nun denn — mein junges Weib und ich führten anfänglich eine musterhaft glückliche Ehe," begann Hagel wieder, „trotzdem Anna eigentlich wenig für einen Landwirt paßte, fie war die Tochier eines Privatdozenten an der Warschauer Universität und im Grunde ge ¬ nommen selbst etwas von einer Gelehrten. Das hinderte sie aber nicht, ihre hausfräu- lichcn Pflichten zu erfüllen und mir das liebe vollste, hingehendste Weib zu sein, bis ..." „Bis?" fragte Frau Hofrat, als Hagel stockend innehielt. „Bis fich mit einem Schlage alles änderte. Mein Schwiegervater starb plötzlich, und da meine Frau keine Geschwister hatte, war sie natür lich auch die einzige Erbin ihres Vaters, der übrigens volle Dispositionen über seine Hinter lassenschaft ausgesetzt hatte. Danach wurden seine Bücher zu festgesetzten Preisen an Bibliotheken und Gelehrte verkauft, ebenso sein Hausrat, so daß wir in wenigen Tagen alles aufgelöst hatten und nach Bradoczin zurückkehrteu, nur von einem Koffer begleitet, in dem meine Frau ulle Familienpapiere, Schmucksachen rc. ver schlossen hatte, an deren Lesung und Sichtung sie daheim in Ruhe gehen wollte. Gern hätte ich fie ganz und gar von dieser traurigen Auf gabe zurückgehalten, aber es gibt Dinge, an denen selbst' die Nächsten nicht rühren dürfen, und so ehrte ich Annas Gefühle, die sie drängten, fich lange Tage hindurch in die Durchforschung der von ihrem Vater hinterlassenen Famiiien- dokumente zu vertiefen. Aus dieser Zeit datierte die traurige Veränderung im Wesen meiner Frau. Hatte sich Anna vorher mit Selbstauf opferung um die Wirtschaft gekümmert, überall in Küche und Keller die Augen offen gehabt, so zeigte sie sich nun, geradezu ohne jeden Über gang, gleichgültig gegen alle derartigen Inter essen und überließ den ganzen Haushalt und die westläufige Wirtschaft unsern Dienstleuten. War ich schon hierüber unglücklich, so fühlte ich mich aber vollends elend, als sie, die bisher das Vertrauen und die eheliche Liebe sozusagen in Person gewesen, sich nun von mir zurückzog, als läge eine weite Kluft zwischen mir und ihr. Selbst unsere Zimmer trennte sie, und es währte nicht lange, so zog sie fich ganz und gar auf das ihre zurück. Wenn Gäste nach Bradoczin kamen, so ließ sie sich vor ihnen entschuldigen. Natürlich setzte ich Himmel und Erde in Bewegung, um Anna zu veranlassen, mir die Gründe dieses ver änderten Wesens zu offenbaren. Aber alles, was ich damit erreichte, war ein leidenschaft liches Schluchzen von ihrer Seite. „Aus Er barmen, frage mich nicht!" flehte sie dann, und während es schaudernd über ihre schöne Gestalt lief, flüsterte sie: „Meide mich! Geh mir aus dem Wege, wo du nur kannst!" Durch die grause Befürchtung gepeinigt, daß mein armes Weib von plötzlichem Wahnsinn befallen sei, ließ ich zwei berühmte Nerven ärzte kommen. Dieselben meinten, nichts für den Verstand Annas fürchten zu brauchen, sagten mir aber, sie müsse unbedingt, ohne daß ich davon wisse, etwas Bedeutungsvolles erlebt haben, an dessen Erinnerung sie nun dulde und trage. Sie sprachen jedoch die Hoffnung aus, daß sie mit der nahe in Aussicht stehenden voll endeten Mutterschaft verwinden lernen werde, was fie jetzt quäle. Aber darin irrten die Herren, denn als man ihr nach schwerer Stunde das Neugeborene in den Arm legte, schrie sie angstvoll auf: „Fort mit der Kleinen! Fort! Johannes, um Gottes Barmherzigkeit willen, hüte sie vor mir!" Wieder machte Hagel eine Pause. Er war totenblaß und erschien so schmerzbewegt, daß Fanny voll tiefsten Mitgefühls in innigem Tone sagte: „Mein Gott, wie unglücklich Sie fich damals gefühlt haben müssen!" Er sah fie mit einem Blick tiefer Dankbar' keit an. Dann nahm er den Faden seiner Er zählung wieder auf. „Und wie es in jener ersten Stunde ihrer Mutterschaft gewesen, st blieb es auch die folgenden Jahre hindurch- Anna litt ihr eigenes, aufblühendes Kind nicht um fich, wenigstens duldete sie es nur in ihrer Nähe, wenn ich zugegen war. Aber auch sonst verharrte fie bei dem seltsamen Wesen, zu dein sie so urplötzlich gekommen war. Dabei verfiel fie aber von Tag zu Tag immer mehr. Wieder ließ ich die Arzte nach Bradoczin holen uno erneuert sagten fie mir, Anna wäre geistig vom kommen gesund, setzten aber diesmal hinzu, da gegen ginge die Bedauernswerte ohne stve Frage ihrem körperlichen Ruin entgegen, da m Abzehrung bei ihr konstatieren müßten. Der unterlag meine Frau denn auch vo nunmehr sechs Jahren. Als ich sie begrabe hatte und in ihrer ehemaligen Umgebung. E einer Erklärung dessen suchte, was sie lewst' Gatte und Kind, so freudlos gemacht, fan ich " „Fanden Sie - riefen Frau und Fanny Hellwald wie aus einem Muno „ fand ich unter der Matratze Bettes nur die von meinem Schwiegervc hinterlassenen Papiere, an deren Lesung
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