Volltext Seite (XML)
Sachsen und Thüringen. Vorarbeit. Durch die parlamentarischen Vorgänge der letzten Tage im Reiche und im Zusammenhang damit durch den bereits deutlich zu spürenden Beginn des Wahlfiebers ist die Erörterung über die Frage der Verfassungsreform und des Einheitsstaates wieder in sehr ruhige Bahnen gelenkt. Der Einheitsstaat ist im wesentlichen ein Zu- kunftsproblem. Auch dieses bedarf natürlich intensiver Vorarbeiten, und die Frage wird sicherlich auch im Wahl kampf eine Rolle spielen. Es hat Leute gegeben, die glaubten, daß man die auf den Einheitsstaat zielenden Wünsche gleichsam von heute auf morgen verwirklichen könne, und sie waren dann sehr enttäuscht, als die Länder konferenz ohne sichtbares positives Ergebnis auseinander ging. Wer die Dinge im wirklichen Licht des nüchternen Tages sah, der hatte freilich nicht mehr erwartet. Es hat lange genug gedauert, bis das Deutsche Reich von 1871 zustande kam. Der Plan des Einheitsstaates wird mit den gleichen Widerständen und dem gleichen Zeit aufwand bis zur Vollendung rechnen müssen. Aber denkt man daran, daß 1871 eine Reihe von Vorläufern, wie etwa den Zollverein und den Deutschen Bund hatte, so wird man einsehen müssen, daß man nur von Etappe zu Etappe dem Ziele des Einheitsstaates näherkommen kann. Und diejenigen, die ihre Kräfte jetzt an solche mitunter recht bescheiden aussehende Arbeiten setzen, leisten dem großen Gedanken sicherlich wertvolle Dienste. Sachsen und Thüringen haben dem Austausch ihrer Enklaven bereits vor einigen Wochen die gesetzliche Sanktion gegeben, und jetzt fehlt nur noch die mit Be stimmtheit zu erwartende Genehmigung des Reiches dazu, damit der entsprechende Staatsvertrag am 1. April in Kraft treten kann. Diese Handlung ist eine von denen, die vorhin als praktische Vorarbeit für größere Ziele be zeichnet wurde. Das Vorgehen wird sicherlich Nach ahmung finden; und schon liegen ja im Thüringischen und Preußischen Landtag Anträge verschiedener Parteien vor, die auch für diese beiden Länder einen Gebietsaustausch fordern. Für Sachsen und Tb ngen kommen jedoch weitergehende Pläne in Betrachl. Schon einmal, 1923, wurde viel über eine Vereinigung Thüringens mit Sachsen gesprochen, wobei aber parteipolitische Gesichts punkte in den Vordergrund traten. Heute stehen aber rein sachliche Überlegungen im Vor dergründe. Daß Sachsen und Thüringen im wesentlichen die gleiche wirtschaftliche und völkische Struktur haben, ist allgemein bekannt und erklärt sich schon aus ihrer Ge schichte. Nun wird man zwar auch auf diesem Teilgebiet nicht erwarten dürfen, daß ein Zusammenschluß binnen kürzester Frist erfolgen könnte. Eine vertrauensvolle Verständigung und Zusammenarbeit beider Regierungen im Reichsrat, Gesetzesangleichung und dann Verwal- tungsgemeinschaften auf dem oder jenem Gebiete werden die nächsten Schritte dazu sein. In Sachsen tritt man solchen Gedanken immer freundlicher gegenüber, und in Thüringen ist es Wohl nicht viel anders. Manche Politiker in Sachsen, die überzeugte Anhänger der Idee des Ein heitsstaates sind, verhielten sich erst sehr reserviert, weil sie Gefahr für ihr Hauptziel fürchteten. Aber auch sie sind jetzt, wie mancherlei Kundgebungen der letzten Tage zeigen, bekehrt worden. Freilich wird man, wenn man überhaupt zu einem praktischen Ergebnis kommen will, sehr vorsichtig, sehr behutsam zu Werke gehen müssen. Denn blinder Eifer schadet nur . . . Oer Arbeitsplan des Landtags. Der Ältestcnausschuß des Landtages legte den Arbeits plan des Landtages für die kommenden Monate fest. Da nach sollen in den nächsten Wochen nur noch Don nerstags Plenarsitzungen stattfinden, um den Ausschüssen Gelegenheit zur Arbeit zu geben. Die Oster ferien sollen am 29. März beginnen und die Arbeit am 19. April wieder ausgenommen werden. Zur Vorbcrei tung der Reichstagswahlen wird sich der Landtag Anfang Ma» auf drei Wochen vertagen. Die EtatSberalung soll bis zum Beginn der Sommcrftrien, am 12. Juli, be endet sein. Die erfolgreiche Messt. Was Aman Ullah kaufte. Die Leipziger Frühjahrsmesse strotzt stärker als je von Waren und von Menschen. Die Frage ist nur, ob sich beide in dem gewünschten Umfange zusammenfinden werden. Wenn man die Mustermesse vorwiegend als eine Ausstellung und als Propagandamittel ansteyt, so kann man mit Fug und Recht von einer Rekordmesse sprechen. 103 OVO Besucher passierten allein am Eröffnungssonntag die Technische Messe, gegenüber 58 000 im vorigen Früh jahr und 80 000 Personen im Frühjahr 1925, der bis herigen Rekordziffer. Unleugbar freilich gibt gerade die Fülle des Gebotenen - der Leipziger Messe ihr Gepräge und übt offenbar auch auf das Ausland die größte Anziehungskraft aus. Viele fremde Gäste hat man geladen und alle sind gekommen, als Aussteller oder — nicht weniger als 170 ausländische Journalisten — als Schaulustige und Lernbegierige, die Leipzigs Warenfchau bewundern wollen. Den gesellschaftlichen Mittelpunkt bildete aber trotz des Konzerts der europäischen Nationen der König Aman Ullah. Die Messestadt hat nicht das höfische Gepränge aufgeboten, mit dem man den König von Afgha nistan bei seinem Berliner Besuch glaubte erfreuen zu müssen. Er trat mehrfach als Käufer auf. Rechenmaschinen hielt er jedenfalls für nützlich und preiswert, und zwei „Triumphator-maschinen für 650 Mark und zehn kleine Addiermaschinen „Lipsa" für 55 Mark das Stück wurden auf eiligste Lieferung bestellt. Einer der größten Exportgegenstände nach Afghanistan bleibt indessen der sechsrädrige Büssing-Lastkraftwagen, den die Messeleitung dem König zum Geschenk gemacht hat. Übrigens hat Aman Ullah, angeregt vornehmlich durch die Sowjetausstellung, angekündigt, daß Afghanistan künftig ebenfalls in Leipzig ausstellen werde. Oie Messe bleibt zufriedenstellend. Alle Branchen haben auf der Leipziger Messe leidlich abgeschlossen, manche Spezialartikel gingen sogar über Er warten gut; dazu gehören vor allem Sportartikel. Große Beachtung schenkte man auch den Sonderausstel lern. Hierzu gehörten neben Sportartikeln u. a. die Reklameansstellung. Sie war fast dreimal so groß wie vor Jahresfrist. Rege Nachfrage bestand ferner für Be leuchtungsartikel, was Wohl auf die leichte Besserung am Wohnungsmarkt innerhalb des letzten Jahres zurückzu führen ist. Hervorzuheben ist ferner die Süßwarenmesse, die dem Zug der Zeit folgend, Schokoladen mit Sport bildern auf den Verpackungen herausbringt. Bureau bedarf war überaus stark vertreten. Die Erzeugnisse dieser Industrie gingen ebenfalls gut. Immer größeren Spielraum verlangen Bureaumaschinen, die auch vom Auslande stark gekauft werden. Hatte die Schuh- und Ledermesse in Leipzig in den letzten Jahren immer schlecht abgeschnitten, so konnte man dieses Mal das Gegenteil behaupten. Turn schuhe wurden in großen Mengen nach England verkauft, Gebirgsschuhe und Arbeiterschuhbekleidung nach der Schweiz und nach Österreich. Die beiden letzten Messetage verzeichnen in der Regel nur noch wenig Geschäft. Man kann aber nach dem jetzigen Ergebnis schon sagen, daß diese Messe besser als ihre Vorgängerinnen abgeschnitten hat. Tagung«» in Sachs«,. Klagen des Einzelhandels. Der Hauptausschuß des Allgemeinen Dresdener Einzel handelsverbandes erörterte in stark besuchter Sitzung nach ein leitenden Begrüßungsworten des Vorsitzenden, Direktor Hörichs, eine Reihe von Tariffragen (u. a. Einstufung der Kraftradfahrer usw). Zur Lockerung der Wohnungszwangs- wirtscbaft wurde einmütig die sachliche und eindeutige Hal tung ves Verbandes erneut gebilligt, insbesondere aber dem geschästsführenden Vorsitzenden, Professor Dr. Kastner, für seine erfolgreichen Bemühungen im Interesse aller BeteiUEu die Anerkennung ausgesprochen und weitgehendste Förderung schiedsrichterlicher Beilegung der schwebenden Differenzen zu gesagt. Der Ausschlag auf die Speditionsgebühren wurde einer energischen Kritik unterzogen und weitere Maßnahmen auf dem Gebiete Vorbehalten. — Mit besonderer Schärfe sprach sich der Hauptausschuß gegen die Tarifpolitik der Städte in bezug auf die Lieferung von elektrischem Strom und Gas Wenn der Allgemeine Dresdener Einzelhandelsverband den Verbrauch von Gas und elektrischem Strom in weitgehend stem Maße zu fördern bereit ist, müsse von der Verwaltung der Stadt erwartet werden, daß die Preisstellung den berech- tigten Interessen der Verbraucher, insbesondere aus den Ein- zelhandelskreisen, wenigstens in etwas angepasst werden Bon einigen Mitgliedern wurde auf den an mehreren Orten erfolg- reiF durchgeführten Lichtstreik der Ladengeschäfte hingewiesen. — Besonvere Mißbilligung löste die Genehmigung der Ge meindekammer zu dem lOprozentigen aus rein finanziellen Gründen vorgenommenen Zuschlag aus. Mitteldeutscher Technikertag. Der Gau Mitteldeutschland im Verbände Deutscher Tech niker hielt in Dresden seinen fünften ordentlichen Gautag ab mit dem der erste mitteldeutsche Technikertag verbunden war Auf der Tagung der Behördentechniker sprach Gauvorsteher Z u 1 h e r - Berlin über die Bedeutung der Techniker in Staat und Gemeinden. Zur Haupttagung war u. a. Arbeitsminister Elsner erschienen. Verbandsvorsteher Ingenieur Petersen- Essen sprach über das Thema: „Der Techniker in der deutschen Wirtschaft * ttber die Gcbalts- und Sozialpolitik referierte Gauvorstcher Fritz Schillik-Hallc Börse un- Handel. Amtliche sächsische Aotierunsen vom 7. Mrz 1928. Dresden. Trotz der schwachen Haltung der Berliner Börse war die Dresdener Börse durchaus behauptet. Photogra phische Aktien zogen weiterhin stark an. So gewannen Dres dener Albumin Genußscheine 14,5, Aktien 7 Prozent, Dr. Kurz wurden nach einer 14prozentigen Erhöhung wegen Materialmangels repartiert. Lediglich Ver. Photographische Papiere büßten 5 Prozent ein. An Kurssteigerungen auf an deren Märkten sind zu erwähnen: Polyphon 7, Sächs. Bronze 5,5, Dresdener Nähzwirn 3,5 Prozent. Eine Anzahl von Werten erhöhte sich um 2 bis 3 Prozent. Schwächer lagen dagegen Schubert u. Salzer um 5,75,» Wanderer um 4,75, Plauener Gardinen 4,25, Zwickauer Kammgarn 4 Prozent. Verluste von 2 Prozent hatten Jndustriewerk Plauen, Union Diehl und Bergmann. Leipzig. Die hiesige Börse verkehrte in uneinheitlicher Haltung. Auf einigen Märkten zeigte sich aber eine freund liche Tendenz. So gewannen Polyphon erneut 5,5, Stöhr 5,25, Pittler Maschinen 4, Mittweidaer Baumwolle 2 Prozent. Ab striche gingen, von Schubert u. Salzer abgesehen, nicht über 3 Prozent hinaus. Diesen Verlust hatten Gnüchtcl Aktien. Kleinere Verluste zeigten Schlemaer Papier, Thüringer Wolle und Färberei Glauchau. Leipziger Produktenbörse. Preise: Weizen, inl., 74,5 Kg. 238—246, Roggen, hies., 70 Kg. 257—265, Sandroggen, 71 Kg. 260—268, Sommergerste, inl. 250—285, Wintergerste 240—258, Hafer 220—240, Mais, amerik. 234—238, Mais, Cinquantin 242-248, Raps 310-355, Erbsen 340—440. Amtliche Berliner Notierungen vom 7. März. Hi Devisenbörse. Dollar 4,18—4,19; engl. Pfund 20,39-20,43; holl. Gulden 168,17—168,51; Danz. 81,54 bis 81,70; franz. Frank 16,44—16,48; s ch w e i z. 80,45 bis 80,61; Belg. 58,27—58,39; Italien 22,10—22,14; sch Wed. Krone 112,17—112,39; dän. 111,99-112,21; n o r w e g. 111,34—111,56; tschech. 12,38-12,40: österr. Schilling 58,84—58,96; p o l n. Zloty (nichtamtlich) 46,90—47,10; Argentinien 1,79—1,80; Spanien 69,79—69,93. H- Produktenbörse. Die matteren Auslandsdepeschen hatten e«ne allgemeine leichte Rückläufigkeit der Cifforderungen für Weizen und teilweise auch für Roggen veranlaßt. Vordere Termine geben dabei weniger als spätere Lieferung nach. Der Pool hat aber seine Preise nicht verändert Es zeigte sich am Markt vermehrte Nachfrage nach promptem Weizen und auch Roggen, die vom Jnlande weiter knapp angeboten sind. Be sonders für Roggen ist nach den verschiedensten Seiten Ver wendung. Die Preise am effektiven Markt waren daher keines wegs nachgiebig. Am Zeitmarkt war entsprechend sowohl Märzroggen wie auch Märzwetzen gut behauptet, während die anderen Sichten etwas nachgaben. Am Gerstenmarkt war Industrie- und dünne Ware wieder ruhiger. Für Hafer sind die Verkäufer zurückhaltend und fordern hohe Preise, die in Schlesien und teilweise auch an der Küste bewilligt werden. Grimmaer Marktbericht vom 7. März 1S88, Zwiebeln, Pfund 25 H Möhren, Pfund 15 „ Meerreiiich, Stange 40 - 60 . Weißkraut, Pfd. 20 . Rotkraut, Pfd. 30 . Sellerie, Pfund 25 . Blumenkohl, Stück 90-100 , Aepfel, Pfund 10—25 , Seefii», Pfund 40 . Heringe, Stück 10 H Grüne Heringe, Pfund 20 . Bücklinge, Stück 10 , Kartoffeln, 10 Pfd. 55 „ Eier, Stück 13 „ Quark, Pfund 25 , Käse, Stück 6-8 . Landbutter, Stück 100-105 . MrierKeU sieg. v/erro/r (33. Fortsetzung.) „Wie ein Königskind muß mein Clausimann liegen und träumen muß er non der Mutti und den aüldenen Sternlein von Wenzel und Wenzelaus und von Mister Flaps, dem neidischen, der jetzt alle Kammern von gestohlenem Gute voll hat —" „Und von dir, Sohr," fiel Claus ein. „Na — dann auch von mir, wenn es durchaus nicht anders geht. — Nun fang mal an damit. — Liegst du gut, min Iona?" „Fein!" sagte Clausimann und streckte sich — das erste mal seit Tagen — wohlig aus seinem Lager. „Erzähl' mir was," bat er dann. „Nein, Claus — du fragst so viel und sollst doch fein stille sein. Aber ich will dir was singen. — Soll ich?" „Ja, Sohr — das Lied, das deine Mutti so gern hörte, von dem lieben süßen Engel." „Schön, das werd' ich singen." Er nahm die Laute von der Wand, die dort seit Carla Kadens ersten Ehetagen unberührt am Nagel hing, stimmte sie und begann Abt's: Schlaf wohl, du süßer Engel du. „Rings Stille herrscht, es schweigt der Wald, Vollendet ist des Tages Lauf, Der Vöglein Lied ist längst verhallt, Am Himmel ziehen -Sterne auf Ob du auch heut" an mich gedacht? Ich dacht' an dich wohl für und für Und rufe jetzt dir „gute Nacht" - Verborgen still vor deiner Tür. ..Es schwebe aus des Himmels Raum Mn „heil'ger Bote dir zur.Nacht Wd hringx dir den schönsten Traum, Bis Vu.ziM Morgen neu erwacht. M^l^tzN^'Wzeß' die schönen Augen zu, Engel du!" So sang er einmal und noch einmal und als er zum / cynmakeu-estanM— war Claus eingeschlafen. Leise erhob sich Sohr und leiser noch hing er das Instru ment an seinen Platz. Als er sich zum Gehen wendete, erblickte er in der Tül zum Nebenzimmer Frau Kaden. Bleich, den Kopf geneigt und mit über der Brust gefalteten wänden stand sie dort. Sie Katte jedes Wort gehört, das Sohr und ihr Junge gesprochen hatten und mit ihr hatten es ihr Schwager und Doktor Steinitz gehört, die sich — unsichtbar für Sohr — im Nebenzimmer befanden. War das ein Knecht, der da draußen gesprochen und mar es ein Knabe, der ihm geantwortet hatte? — War das j nicht vielmehr gewesen, als habe ein Freund den Freund am Herzen gehalten oder ein Vater den Sohn. War da nicht Liebe getauscht worden, grenzenlose — gegen ebensolches Vertrauen! Ein Wunder war es gewesen, wie es die Menschen nur schauen, wenn ihnen ein gütiges Geschick einen Feiertag schenkt. Impulsiv denn auch hatte Doktor Steinitz Frau Kaden die Hand gedrückt, wohl zehnmal ihr zugenickt und geflüstert: „Nun wird er gesund — Er wird gesund, gnädige Frau. — Der hat ihn gesund gemacht. — Der Glaube versetzt Berge und bannt selbst den Tod." Und der rauhe Kaden hatte sich eine Träne von den oerwitterten Wangen gemischt, als die Worte fielen: „Ich habe meinen Willen und meinen Stolz für dich dahinge geben." — O ja. jetzt verstand er ihn ganz, verstand sein: . Viel verlangen Sie von mir," verstand sein Zögern und müdes, schweres Zustimmen — Seinen Willen und keinen Stolz das war das Größte, was ein Mann zu geben hatte Und Frau Kaden? — Die ward zwischen Jubel und Verzweiflung hin und her gejagt, um zwischen Jauchzen und Weinen neugeboren zu werden. ..Sobr," hauchte es von ihren zitternden Lippen, als sie ücb ihm auf der Schwelle zum Krankenzimmer gegenüber 'ak und noch einmal: „Sohr" und ganz, ganz leise em drittes Mal: „Sohr." Der aber verneigte sich tief: „Er schläft, gnädige Frau, .enn er mich morgen noch einmal brauchen sollte — bitte!" - und aina hinaus Da weinte Frau Kaden bitterlich. Auch sie hatte ihren Willen und ihren Stolz dahingegeben. Und die beiden Männer verließen lautlos den Raum. - 10. In Finkenschlaa und Großsteinau wurde Erntedankfest gefeiert. j Das war einer der wenigen Tag« des Jahres, an denen die Pfarrer beider Orte und die Gastwirte gleichermaßen zufrieden waren Am Vormittage waren die Kirchen voll, am Nachmittage die Kneipen — am Abend waren es die Finkenlcklaaer In der Kirche hatte der Chor „Lobe den Herrn" gesungen, und vor dem „Weißen Roß" quälte die Dorfkapelle den Trompeten und Klarinetten den Radetzki» marsch ab - laut und hinreißend. Das war zu jedem Feste io und bedeutete soviel wie: Allons, enfants! De la patrie . . . Das „Weiße Roß" war nicht etwa ein Pferd, sondern eine Gastwirtschaft und lag auf dem Markte. Dort verkehrte der „gewöhnliche Mensch" — die besseren Herrschaften belustigten sich im Schützenhaus. Die Finkenschlager waren überhaupt ein eigentümliches Völkchen. In einem Staatswesen kann es nicht so viel Klassen und Kasten geben, als es in Finkenschlag gab. Alle waren sie dort hübsch rubriziert — nach Ein- und Spalt» Hufern, nach Pferden, Kühen, Ziegen und anderem Getier, nach Morgen und Hektaren, nach Einheimischen und Zu» gezogenen. Je nach Besitz durfte man die Nase tragen: koch. Köder und ganz hoch. Und darauf gab man genauestens acht. Nach Verstand und moralischen Qualitäten fragte in Finkenschlag kein Mensch. Wozu auch? Davon lebte man ja nicht und deshalb waren die Schulmeister und die paar Jntelektuellen, wie Pfarrer, Arzt und Apotheker auch nur geduldet. Erst die Erheiratung einiger Morgen Land macht« sie zugehörig. Wie wenig die Finkenschlager seit dem glorreichen 9. November auf gelehrten Mumpitz und dergleichen zweifel hafte Ding« gaben, ging schon daraus hervor, daß sie sich einen Dorfschulzen erwählt hatten, der mit Orthographie und Grammatik einen qualvollen Kampf kämpfte und — weiß der Kuckuck — doch stets schweißtriefend unterlag, so daß „höheren Orts" der Bezug eines Duden angelegentlichst empfohlen werden mußte. Unser Dorfschulze — Kröber hieß er — hatte beim Kreis direktor Rückfrage gehalten: was denn ein Duden sei und war dahingehend beschieden worden, daß es sich im Duden um eine Rechtschreibung handele. Rechtschreibung?! — Wieder so was Neues! — Kröber kannte nur Rechtsprechung. Er setzte sich denn auch hin und antwortete denen da oben: „Ich beehre mir mitzuteilen, daß das hierorts vor handene Bürgerliche Gesetzbuch für unsere Verhältnisse qeniegt." Na also! (Fortsetzung folgt.)