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Das Wundertier. Humoreske von Teo von Torn. Rittmeister von Parpert war wenig entzückt, als er hörte, daß der Oberleutnant Freiherr von Schellenberg zu ihm auf die Schwadron kommen sollte. Wenn man erst acht Wochen Eskadronchef ist, nimmt man es ganz beson ders genau mit dem Königlichen Dienst und har ein empfind liches Feingefühl für seine junge Autorität. Nach beiden Richtungen ist es nicht gut, einen Untergebenen zu haben, mit dem man von Kindesbeinen auf bekannt und befreundet ist — namentlich wenn dieser Untergebene Enno Schellen berg heißt. Der dickste, dickfelligste und bequemste Mensch, welcher je den blauen Dragoncrrock getragen. Daß die Befürchtungen des Rittmeisters nicht grund los waren, ergab sich gleich beim ersten Schwadronsexer- zicren. Es war Trab kommandiert — und alles trabte, wie sich das für eine wohlerzogene deutsche Truppe ge hört. Nur Oberleutnant von Schellenberg beanspruchte für sich eine Extrawurst. Er machte es sich bequem und ritt englisch. Ter Eskadronchef versuchte zunächst durch Kopfschnttcln und andere unwillige Pantomimen auf ihn cinzuwirkcn. Vergeblich. Der Oberleutnant begegnete allen Winken und Gesten mit einem Lächeln, das ebenso viel Behagen wie Ver ständnislosigkeit ausdrücktc. „Schellenberg, trcü> deutsch," mahnte der Rittmeister endlich. Der Dicke ließ sich nicht im geringsten stören. „Hören Sie nicht!? Sie sollen deutsch traben!" Das Wort verwehte unbeachtet im Winde. Ta packte den Eskadronchcf die Helle Wut. Er nahm alle Autorität und Lungenkraft zusammen und hauchte: „Herr Leutnant von Schellenberg, ich befehle Ihnen, deutsch zu traben!" Das erst wirkte. Der Dicke gab die bequemere Mc- thÄ>e auf und ließ sich werfen, als wenn er auf einer Sprungfedermatratze säße. Zwischen den gewaltigen Rucken aber, die seine zweihundert Pfund erschütterten, stieß er grimmig hervor: „So 'ne vcr—dammrc Zu—ucht! Das ne—ennt sich nu—un Freund. We—enn ich deu—eutsch traben wo—-ollte, da—ann hätt i—ich man bei—ei der fü—nften Schwa—adron blei—eiben kön—nen! I—ich pfei—cif auf so—one Frcundscha—ast!" Rittmeister von Parpert äußerte sich zunächst nicht. Nach der Hebung aber winkte er den Dicken ernsten Antlitzes zu sich heran. „Hör mal, Schellenberg, ich mutz ein vernünftiges Wort mit Dir reden —" ' „Hm — hab schon lange Icins von Dir gehört." „Also schön — ich erkläre Dir hiermit dienstlich, datz das nichr so weiter geht. Die Zeiten, wo wir zusammen Aeppcl gemaust und die ersten heimlichen Zigaretten ge raucht haben, sind vorüber. Dank Deiner Faulheit und Bequemlichkeit bist Du noch immer Oberleutnant und wirst es bleiben, bis der blaue Brief Deinem Beharrungsver mögen ein Ziel setzt —" „Olle Unke!" „Du sollst den Schnabel halten! Acutzcrdcm stell' Dich mal ein bischen anders hin. Wenn wir allein sind, kannst Du Dich meinetwegen räkeln — da aber die jüngeren Kameraden in der Nähe sind, bitte ich mir Haltung aus. Na, wird's bald, Herr Leutnant von Schellenberg!?" „Heiliges Dunnerwctter nochmal, bist Du ein Rauh- bcin!" fluchte der Dicke, indem er die Hacken zusammcn- nahm. „Das kommt noch ganz anders mein Lieber, wenn Tu Dich nicht besserst. Du Haft cs mit List und Tücke einzurich ten gewutzt, auf meine Schwadron zu kommen. Deine Vor aussetzungen aber werden sich nicht erfüllen. Ich lasse Dir nichts durchgehen. Absolut nichts! Verstehst Du? Im Dienst hört die Freundschaft auf. Und eins lege ich Dir ganz besonders ans Herz: Wir stehen vor den Manövern. Ich habe xmal beobachtet, mir ivelcher Raffiniertheit Du Dich vor den größeren Anstrengungen des Manöverdicnstes zu drücken weißt. Entweder kriegst Du schon vorher die Mauke in den Beinen und meldest Dich krank, oder cs be fällt Dich draußen irgend ein anonymes Leiden, mit dem sich kein Stabsarzt auskennt, das Dich aber jedenfalls ver hindert, Dienst zu tun. Diesen Krankheiten werde ich mein ganz besonderes Augenmerk zuwenden. Der Deuwel fri- kassiert Dich, wenn Du mir mit solchen Zicken kommst!" Der Oberleutnant schaute bekümmert in das ernste Gesicht seines Freundes und Vorgesetzten, der die Hand auf den Mützenschirm legte — zum Zeichen, daß er die Unter redung als beendet betrachte. „Du, Parpert noch einen Augenblick. Sag mal — ist es nicht eine bodenlose Gemeinheit von Dir, daß Du nun als Rittmeister gegen mich ausspielst, was ich Dir als gleichgestellter Kamerad arglos anvcrtraut —?" „Ich habe Dir schon damals keine Zweifel gelüsten, wie ich über Deine Drückebergerei denke." „Weil Du schon damals ein Streber warst. — Du, Parpert — — noch eins: Was würdest Du denn tun, wenn ich im Manöver wieder krank werden sollte?" „Das kann ich Dir ganz genau sagen: Ich würde zum Originelle veckung. „Ja, Sepp, was geht denn da vor!?« „Ah, nix! Der Bauer will nur wieder amal ins Wirtshaus geh'n!" Kommandeur reiten und Dich als notorischen Simulanten, zur Anzeige bringen." „Sowas bekämst Du fertig?" „Unbedingt." „Dann — dann wirst Du von jetzt ab „Sie" zu mir sagen. Mt so einem schlechten Kerl duze ich mich nicht." Dem Rittmeister wäre es schon recht gewesen, wenn zwischen ihm und dem Jugendfreunde für gewisse Zeit eine leichte Spannung platzgegriffcn hätte. Das hätte gewiß dazu bcigetragcn, wenigstens den dienstlichen Verkehr auf eine korrektere Note zu stimmen. Aber Enno Schellenberg war nicht nachtragend. Schon am nächsten Tage bat er seinen Rittmeister in den schmelzendsten Molltönen, ihm drei Tage Urlaub zu geben. — „Jetzt, vor dem Manöver? Wo wir alle Hände voll zu tun haben? Nicht zu machen." „Nur drei Tage, Parpert! Beim Haupte Deiner zu künftigen Kinder beschwöre ich Dich!" „Aber siehst Du denn nicht selbst ein " „Nur drei Tage —I" „Die sind natürlich wieder der Anfang Deiner Ma növerkrankheit." „Nee —! Wahrhaftigen Gott nicht!" beteuerte der Dicke, indem er die gespreizten Finger an seine Brust drückte. Dann nahm er vertraulich den Arm des Vorgesetzten und wisperte ihm ins Ohr: „Ich will Dir sagen, wozu ich die drei Tage brauche — denn Du bist mein Freund und ich habe keine Geheimnisse vor Dir. Ich habe ein Pferd im Auge — das will ich kaufen. Ein Pferd, sage ich Dir — einfach Puppe! Sich mal — wenn mir der Dienst und speziell die Manöver bisher keine rechte Freude gemacht haben, so lag das daran, daß ich schlecht beritten war. Fak tisch. Für mein Gewicht ist es schwer, etipas Passendes zu finden. Nun aber habe ich das Langgesuchte — — ein Pferd, Papcrt, ein Wundertier, — Lust und Augenweide für jeden Kenner, eine Zierde Deiner Schwadron, eine —" „Also gut, Du sollst die drei Tage haben. Das aber sage ich Dir, Schellenberg — läuft die Sache wieder bloß auf eine Drückebergerei hinaus, dann bekommst Du noch drei Tage — aber nicht Urlaub." Der Oberleutnant hatte nicht zu viel gesagt. Sein Gaul erregte Aufsehen. Vielleicht ein bischen schwach in der Vorderhand für ein Gewicht von annähernd zwei Zentnern — sonst aber ein prachtvoll gebautes Tier und firm in allen Gangarten. Sogar der Herr Oberst, welcher einen ganz hervorragenden Pferdevcrstand hatte, äußerte ein paar freundliche Worte über den „achtbaren Fuchs". Der Ritt meister bat seinem Oberleutnant im stillen alles ab, was er an schwarzem Verdacht gegen ihn genährt. In einer der ersten größeren Manöverschlachtcn ereig nete sich ein bedauerlicher Unfall. Das Dragoncrrcgimcnt sollte eben eine jener Attacken reiten, die in der Kriegs- Praxis wohl seltener Vorkommen, im Manöver aber sich sehr forsch ausnchmcn und daher das Helle Entzücken aller Schlachtenbummler sind. Als das Regiment aus deu Marschkolonnen in die Linie cinschwcnkte, brach das Pferd des Oberleutnants von Schellenberg aus. Unaufhaltsam raste der Gaul querfeldein — bis dicht an die Wagenburg der Zuschauer. Hier von einem vielstimmigen Schrcckcusruf empfangen, scheute es zurück und stürzte. Enno Schellen berg ging hops, übcrkugcltc sich und blieb wie ein ange- schostener Kartoffclsack liegen. Ehe noch die Ambulanzen hcrankommen konnten, hatte bereits ein Arzt aus dem Publikum den Verunglückten unter sucht und fcstgcstcllt, daß er sich weder das Genick, noch sonst einen belangreichen Körperteil gebrochen hatte. Da der Oberleutnant aber trotzdem keine Neigung zeigte, die Augen zu öffnen oder sich zu bewegen, erwirkte ein reicher Guts besitzer aus der nächsten Umgegend die Erlaubnis, den Kranken heimfahren und verpflegen zu dürfen. Rittmeister von Parpert schüttelte den Kopf — und er schüttelte ihn noch mehr und bedenklicher, als er seinem Oberleutnant am Abend einen Krankenbesuch abstatterc, Der Dicke saß puppenmobil in einer fröhlichen Gesellschaft auf der Veranda des Schlages und ließ sich bei Sekt und einer vorzüglich duftenden Zigarre wohl sein. Als er sei nen Eskadronchef begrüßte, strahlte sein Antlitz in Zufrie denheit und schmunzelnder Tücke. Bei der ersten Gelegenheit nahm Herr von Parpert den Freund beiseite. „Also, wie geht es Dir —?" „Schlecht, sehr schlecht, mein Lieber." „Aber erlaube mall Wenn man sich in Sekt anäthern, Mikosch-Witze erzählen und so schwere Zigarren rauchen kann — —" „Das ist alles Verstellung. Heroismus I Man ist doch Soldat, nicht wahr — und da darf man es die Zivilisten nicht so merken lasten, wenn einem was weh tut. Und mir tut alles weh. Der Kopf, die Arme, die Beine, der Rücken. Der Arzt Hai gesagt, ich müßte mindestens acht Tage abso lute Ruhe haben." „Unser Stabsarzt?" „Nee, der versteht nix. Der andere, der kleine Herr mit der roten Nasc da drüben. Ich sage Dir, Parpert, das ist ein außerordentlich gescheiter Mensch." „So. Der Stabsarzt ist mir aber maßgeblicher. Auf Grund seines Gutachtens und meines Augenscheins wirst Du Dich morgen früh vier Uhr bei der Schwadron ein finden." „Mensch, das ist doch unmöglich! Ich soll absolute Ruhe haben —- mindestens acht Tage!" „Nicht mehr acht Stunden. Und dann noch eins, lieber Schellenberg. Damit Du nicht wieder verunglückst, werde ich Deinen Fuchs mitnchmcn und Dir meinen Braunen hier lasten. Den wirst Du während der ganzen Manöver reiten, — dann bin ich sicher, daß Dir kein Malheur passiert." Um alle weiteren Einwendungen abzuschneiden, ließ llebettreidung. „Und, sag einmal, ist Deine neue Gnädige auch wieder so neugierig?« „Die? — die ist ganz gewiß überhaupt bloß aus Neu gierde auf die Welt gekommen!«