Volltext Seite (XML)
87, 14, April 1S1K. Redaktioneller Teil, Freunden 3V» ^ auszugeben, die schönen Weine zu 30, 40 «L, die Zigarren zu 5 das Stück, den Kognak zum Taler das Glas mutz man doch auch einmal genießen. Und diese Schlemmer halten es für eine Verschwendung, in ihren Jahresetat eine Summe von 300 für Bücher einzusctzen! Das scheint Übertreibung, aber es ist wirklich so; das kann jeder Bücherfreund, der sich nicht einer unangebrachten Rücksichtnahme bcfleitzigt, sondern ihnen dreist auf den Zahn fühlt, erfahren. Die Gründe für diese Sparsam keit sind sehr einfach: »Das Geschäft«, heißt es, »nimmt mich fast den ganze» Tag in Anspruch« — (das Vergnügen läßt er ge wöhnlich aus) — »die Zeitung füllt die Mittagspause und den Abend säst aus, dazu halte ich noch den Wcstcrmann« — (die Preu ßischen Jahrbücher werden ihm dann als unerläßliche höhere Er gänzung aufgeredet) — »und damit sind meine Lesebedllrsnisse vollständig befriedigt. Ich kann nicht viel lesen, und warum soll ich hier Bücher aufstellen, die ich nicht ansehe'?« Dabei bricht dann der gelehrte Bücherfreund in ein schallendes Gelächter aus, indem er ihm zu seinem höchsten Erstaunen erzählt, daß i» seiner kleinen Bibliothek von ein paar tausend Bänden, die der soviel Ärmere sich allmählich angelegt hat, Hunderte von Bü chern stehen, die er nicht gelesen, die er gekauft hat, weil sie wertvoll sind und ihm u n t e r U mst ä n d e n einmal sehr nützlich sein könnten — und häufig genug sind diese Umstände auch wirklich eingetreten. Er mutz diese Leute ganz rücksichtslos bei ihrer Börsenehrc fassen und — eine Schande — ihnen die Engländer als leuchtendes Beispiel aufpflanzen. Das sind sie in diesem Punkte in der Tat. Es gibt in der Welt kein Volk, dessen Männerwelt so wenig liest, alle» geistigen und künstlerischen Interessen so durchaus nichtachtend gegenüber steht wie das englische. Es gibt ja überhaupt keine gebildete Gesellschaft in England, früher gab es eine: die gut erzogenen Frauen, die nach dem Vorbild ihrer geistig bedeutenden Königin Viktoria massenhaft Romane und Dichtungen und schönwissen- schastlichc, ja auch manche historische Werke lasen. Nachdem jene aber ihrem Sohne, dem materialistischen Banausen Eduard in den Siebzigern als führendem Mann der Gesellschaft das Feld freigelassen hatte, sind auch die Frauen allmählich auf die niedere Fläche eines Platten Sport- und sinnlichen Genutzlebens hinabge zogen worden. Die geistigen Interessen der Gesellschaft sind über haupt im Aussterben drüben. Dennoch aber halten es diejenigen, die sich zur »gebildeten« Gesellschaft rechnen — woran ja nie mand gehindert werden kann — für eine unerlätzliche Forderung der von ihnen aufrecht erhaltenen Prätension, eine anständige Bibliothek zu besitzen, schon um es dem Geburtsaüel gleichzutun, mit dem die unter Eduard geadelten Bierbrauer, Zeitungsgrllnder, Börsenspekulanten, Industriellen sowie alle bürgerlichen Leute von unbesehen erworbenem großem Reichtum jetzt eine Klasse bilden. In den luxuriös eingerichteten Landhäusern dieser Em porkömmlinge wie in den Adelsschlössern finden die immer wechselnden Besuchsgesellschaften des Winters eine Bibliothek, die der Kaufmann vell-storeä nennen würde. Dem Besitzer dafür ein Verdienst anzurechncn, würde ganz unberechtigt sein: ivie er überhaupt keine Bücher liest, liest er erst recht keine Buchkritiken; die Auswahl hat sein Londoner Sortimenter getroffen; wie für Essen und Trinken, tzauseinrichtung und Dienerschaft, so spielt auch für Bücher das Geld keine Rolle, Die Frage eines Gastes: »Haben Sic dieses oder jenes Buch in Ihrer Bibliothek?« würde den Besitzer in Verlegenheit setzen. Aber sie wird selten gestellt werden; man besucht heute die Bibliothek ja nicht, um zu lese», sondern um ungestört zu sein, meist beim Flirten, Auch von dem deutschen reichen Kaufmann verlangt niemand, datz er die Bücher, die er kauft, auch lese. Aber er sollte es, wie der Engländer, als eine noble Verpflichtung seines Reichtums erkennen, sein Heim neben der würdigen Pracht der sonstigen Einrichtung mit der höchsten, unvergänglichen Zierde einer wert vollen Bibliothek auszustatten. Daß es auf diesem Gebiete in Deutschland in den letzten beiden Jahrzehnten besser geworden ist, steht man an der Fülle innerlich gehaltreicher, äußerlich prachtvoller und daher sehr kost spieliger Buchschöpfungen, die, da sie eben geschaffen wurden, doch auch gekauft werden muhten. Aber das Vorurteil gegen diese! eine Art des allein gediegenen Luxus, eben des Bücherluxus, ist in Deutschland immer noch groß, und jeder Bücherfreund müßte sich persönlich verpflichtet fühlen, mündlich, soweit sein Wirkungskreis reicht, und in Zeitschriften dagegen anzukämpfcn. Ich habe das früher selbst bei meinen Schülern getan, indem ich sie einfach nach den: Bestände und Umfang ihrer Bibliothek fragte, und wen» ich keine rechte Antwort darauf erhielt, mein höchstes Befremden darüber ausgesprochen, daß ein Obersekundaner oder Primaner noch nicht an die Anlage einer Bibliothek gedacht hätte, da doch Büchcrliebe ihnen allen'längst anerzogen wäre. Ich habe billige Ausstattungen der Klassiker gutgeheitzen als Schulklcider; zu Hause aber müßten die Werke der großen Dichter in einem ihrem Wert entsprechenden würdigen Gewände stehen; es wäre eine Schande für einen Angehörigen der besseren Gesellschaft, in zerrissenem Rock über die Straße zu gehen, eine viel größere aber, ein edles Geisteswerk in schlechtem Papier und Druck und ruppigem Einbande zu besitzen. Wir wissen ja, daß vermö gende Eltern ihren Söhnen zwar gern zu ihrem Geburtstage einen deutschen Klassiker schenken, aber die höchste Genugtuung em pfinden, wenn sie ihn in einer möglichst billigen Ausgabe ergattern können, sie müssen daher mittelbar, durch ihre Söhne, an ihrer Ehre gefaßt werden. Kommen wir zum Schluß, Die deutsche Wissenschaft, sofern sie sichtbar und für alle erreichbar und nutzbringend ist, ist die Summe der Hunderttausende von wissenschaftlichen Büchern, die gedruckt vorliegen. Diese Wissenschaft hätte in ihrer überragen den Größe nicht erstehe» können ohne den Idealismus der deut schen Gelehrten, denen Opfer an Zeit und persönlicher Kraft wenig oder nichts gewesen sind gegenüber derSache, der sie dienen wollten. Sie hätten aber auch nicht erstehen können — das wollen wir Gelehrte nicht vergessen — ohne einen entsprechenden Idealismus der Verleger, die bei der Herausgabe vieler Tau sende von Büchern sicher gewußt haben, datz ein Gewinn nicht z» erwarten sei. Der materiellste Gedanke des Verlegers mag hier bei gewesen sein: das Buch gehört einem Gebiete an, das ich kul tivieren will; es kann manche andere, viel ausstchtsvollere Ange bote nach sich ziehen. Immerhin hat er einen unmittelbaren sichere» Verlust in den Kauf genommen um eines unsicheren späteren Gewinnes wegen. Vielfach aber ist der bewegende Ge danke des Verlegers gewesen: ich kann das Buch nicht zurück- weisen um des Mannes willen, der es geschrieben, und den ich als Mitarbeiter nicht verlieren möchte — oder: das Buch muß er scheine» wegen der Sache, die es vertritt, und die ich Hochhalte (das ist also genau der Standpuirkt, von dem aus der deutsche Gelehrte schasst) — oder schließlich: das Werk mutz zum Leben erweckt werden trotz der materiellen Bedenken, die ich habe, weil es ein Stolz deutscher Wissenschaft sein wird, und was ich zur Ehre der deutschen Wissenschaft tue, das tue ich zu meiner Ehre, Denn der Mensch lebt nicht vom Gelbe allein, sondern - wenigstens in Deutschland — auch von dem Ansehen unter seinen Mitmenschen; und die große Geistestat, wie es ein epochemachen des Werk der Wissenschaft ist, hat ihren Urhebern bei uns noch immer hohes Ansehen eingetragen, selbst in dem Vierteljahr hundert gedankenlosester Ichsucht, das diesem Kriege vorausgc« gangen ist. So soll es mit Gott bleiben: und wenn der furcht bare Druck dieses von sinnlosen Verbrechern angeslistelen Welt gemetzels, der auf der Verlagstätigkeit schwerer liegt als auf den meisten andern Gewerben, erst von ihr genommen sein wird, dann wird der deutsche Buchhandel sich wieder zu seiner allen Höhe erheben und weiter schaffen im Interesse der höchsten Kultur leistung, die cs auf Erden gibt, zur Ehre der deutschen Wissenschaft, Zur Schriftfrage. Auf meine unter L, H, in Nr, 54 d, Bbl, ausgesprochene An sicht, daß die Lateinschrift deshalb vor unserer Deutschschrift bevorzugt zu werden verdient, weil nur sie unter den gegebenen Umständen die Möglichkeit bietet, mit einer Schriftart auszu- kommen, erwidert Herr Peter Hobbing in Nr, Kg in nicht sehr freundlichem Ton, Er schiebt alle Vernunflgründe beiseite und 431