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IN Stellung zu gehen, mitgeteilt, die Antwort wurde ihr mündlich durch den Justizvat sötersen zugestellt, daß der Vater nichts einzuwenden habe — und ihr die jährliche Zubuße nach wie vor gezahlt werden solle. Dazu würden noch die Zinsen von dem ihr von Leonore zugefallenen Kapital kommen, setzte Sötersen hinzu, indessen hielte es der Regierungsrat für besser, nm ihrer Schrulle das Relief zu geben, ihr diese Gelder einstweilen vorzuenthalten lind Zins auf Zins zum Kapital zu schlagen, bis sie über ein und ein halbes Jahr mündig sei. Rose bestimmte, daß die ihr bisher gezahlte Summe an Fräulein Neinbeck anznweisen sei, — sie habe an ihrem Gehalt genug. Zum Weihnachtsfest blieben die beiden Damen still in ihrem Häuschen, in Erinnerungen an das vergangene traurige Esahr, Lorens frühen Tod und die Trennungsschmerzen, die vor ihnen lagen, versunken. Am ziveiten Feiertag fuhren sie nach Neuhof zu Pastors, um die Gräber zu besuchen, und Rose fand zu ihrem Staunen Leonorens Hügel über und über mit Veilchen bedeckt. Niemand wnßte, woher sie kamen. Der übliche Kranz aus Steinbach hing, lässig hingchan- gen, an dem einfachen Marmorkreuz, das Lorens Namen trug, — zu Füßen des Hügels war ein einfacher Maiblumen tuff niedergelegt, von Zinneck. Rosens Wangen wurden heiß, als sie ihn sah, — so lange, lange hatte sie keine Nachricht von ihm. Der Pastor erzählte später, daß der junge Herr zum Früh jahr heimkehren wolle. Ach, — zum Frühjahr! — wo war da Rose? Sie seufzte tief. Im Abeudschimmer ging sie noch einmal nach den Grenz- linden und warf den letzten Abschiedsblick auf Vaterhaus und Heimat. Im Schloß schimmerten die Lichter. Sie sah fremde Wagen im Hof, — sie sah Menschengestal ten sich in den Räumen bewegen, jn den Räumen, die ihre Jugend umschlossen, — fremde Menschen! Ach, und ihr Vater, ihr lieber, guter Vater, ihr nun der Fremdeste von allen. Ihr war, als müßte sie hineineilen, die Türen aufreißen, durch die Gemächer fliegen, bis sie ihn gefunden, und sich satt welneN, — o, einmal — einmal nnr noch — ein einziges Mal. Und dann sah sie wieder die große Frau an seiner Seite mit den Luchsaugen und den spitzen Fingernägeln, und. hörte ihre girrende, falsche Stimme und sah ihre ostentativen Lieb kosungen, — und Rose wendete sich um und tief, lies wie ge hetzt den Hügel hinab, — nach Neuhof. In der Pfarre wurde sie schon erwartet, es waren Besucher aus der Nachbarschast da, die sie von früher kannte, — und Sötersens! — Mieten hatte nach bestandenem Examen keine Lust mehr zur „weiteren Bücherweisheit", wie sie erklärte, saß bei Muttern und lernte kochen! Sie war heimlich verlobt mit einem Sohn von Senator Gehrens und wartete, daß er, der Deckoffizier war, sie nach der Heimkehr auch offiziell von den Eltern fordern würde. Rose, der Mieten ihr liebendes Herz auszuschütten liebte, hatte sehr wenig Verständnis für Hinning Gehrens' schöne Augen und Hinning Gehrens wonnigen Leberfleck über dem linken Ohr. . Um diese beiden Vorzüge drehten sich Mietens Ent zückungsergüsse, höchstens sprach sie nochmal davon, daß sie „dann" in Eckernförde wohnen würde bei seinen Eltern, — und Mahagonimöbel wollte sie haben, und einen Silberkasten sollte der alle Senator Gehrens stiften. Es war Rose wirklich vollkommen gleichgiltig, und Mie tens Schwadronieren rauschte wie Mühlradsgetriebe an ihrem Ohr vorüber, — sie dachte dabei an ganz andere Sachen. — „Roschen!" rief Fräulein Neinbeck von, Whisttisch, „hast's schon gehört, Frau Pastor erzählt eben, den Gärtner Holz mann hätten sie ins Irrenhaus bringen wollen, weil er sich als Nachbarssohn und Kindheitsgespiele der Frau von Gilden- havdt ausgab: er hat aber das Weite gesucht und bombardiert die Familie jetzt mit unverschämten Briesen!" „Und ivas tut mein Vater?" fragte Rose kühl. „Gott, der liest die Wische gar nicht mehr," sagte die Pa storin, „Frau Klotilde nimmt sie an sich und verbrennt sie, sagte Kröger." > Rose erblaßte. Welche Macht übte doch diese dämonische Fran über ihren Vater aus! Die Unterhaltung kam in andere Bahnen. Die Gäste hatten von Rose von Gildenhardts Examen ge hört, es wurde von den Herren viel über die Art der Prüfung gesprochen, Rose hörte aufmerksam zu, wurde vom Pastor .mehrmals durch Fragen in das Gespräch gezogen, während Mieten Sötersen mit Ingo Paulsen, der Tochter des Pastors von Groß-Bäsheide, über Len nächsten Ball in der Societät flüsterte. Fräulein Neinbeck saß mit der Neuhofer Pastorin, Frau Sötersen und Frau Paulsen beim Whist. Die jungen Mädchen ärgerten sich, daß die allen Herren soviel Wesens aus Röse machten. Rose selbst war mit ihren Gedanken ganz wo anders. Sie stand noch immer droben unter den Grenzlinden und sah die erleuchteten Fenster des Vaterhauses schimmern. Plötzlich stand sie auf und trat zur Pastorin. „Frau Pastor," sagte sie leise, „wenn Sie einen Augen blick Zeit haben, bitte, ich möchte Sie nur mit Mei Worten etwas fragen." Die alte Dame, die eben gegeben hatte, stand sofort auf: „Aber bitte, liebes Fräulein von Gildcnhardt!" Sie öffnete die Tür zur Eßstube: „So . . ." bannt ließ sie die Portiere fallen, „was ist's, mein liebes Kind?" „Sie sagten neulich," begann Rose errötend, „Laß der Papa jetzt zuweilen bei Ihnen vorspricht, liebe Frau Pastor; - bitte, bitte, — sagen Sie ihm doch, daß Rose fortgeht — und sich sehnt nach einem Wort von ihm!" Es war eine unendliche Demütigung für Rose, das Be kenntnis, das sie bisher still verschwiegen im Herzen getragen hatte. Die gute Pastorin, die Rüfe ja von klein auf kannte, wußte das ja sehr gut und erkannte es innerlich sehr warm au, ver sprach auch nach Möglichkeit, bald die Bestellung auszurichten. Dann stand sie auf und ging an das alte Schapp in der Ecke, kramte da ein wenig drin herum und brachte ein Kuvert daraus an Rose. „Da, mein Herz, sehen Sie sich das an, und vielleicht wer den Sie ein bißchen versöhnlicher gestimmt!" „Unser Junker!" Roses Blick fiel auf ein süßes, holdes Kindermchcht, das Zug für Zug in seinem unentwickelten Antlitz die Spuren einer beinahe drollig wirkenden Aehnlichkeit mit dem Regie rungsrat von Gildenhardt aufwies. Rose starrte das Bildchen an: „Frau Pastor . . . liebe Frau Pastor, — ist das — mein Brüderchen?" „Ja!" Rosens stolze Augen füllten sich mit Tränen. „Mein lie ber Bruder!" sagte sie leise, — „o, daß Du jenes verhaßten Weibes Sohn bist!" Frau Pastor war leise hinausgegangen und hatte ihren alten Kutscher rufen lassen. „Johann," sagte sie, „schnall fahr' nach Steinbach, rüf Dir den gnädigen Herrn heraus, — wentt's anging, macht' er fünf Minuten herüberkommen, Herr Pastor hätt' was Wichtiges . . ganz >was Wichtiges!" Johann zog die Mütze und ging. Rose blieb still mit dem Bilde am,Fenster sitzen, hell be leuchtet von der großen Deckenlampe, die inmitten der Stube hing. Alle ihre Gedanken waren in Steinbach, bei dem Va ter, bei diesem reizenden Brüderchen. Wie lange sie so träumend allein vor sich hingestarrt, wußte sic nicht. Ihr Herz schlug laut in Sehnsucht und sie dachte an „Einst" mit einem Schmerz und einer Inbrunst, die sie zu überman nen drohten. Da ging leis die Tür, die Portiere flog znrück und Rose schaute auf. „Vater!" Der Regierungsrat von Gildenhardt stand vor ihr. Er breitete die Arme ans. „Mein lieber, alter Wildfang!" rief er mit, warmem Ton, „sie haben mich mitten ans der großen Gesellschaft hier- hcrzitiert, — ich denke, dem Pastor ist was zugcstoßen, aber, — es ist Rose, die mich rief, — Rose, — die Schnsuchtsträncn weint! Komm rasch, Kind, steig' niit ein!" „Wohin, — weshalb?" Rose sah ihn verständnislos an. ,„Die Pastorin sagt, Tu hast Heimweh, . . . komm, Rose," drängte er, „ich habe keine Zeit, das Souper beginnt um 8 Uhr, — ich muß heim — rasch — rasch!" : „Nein, Vater, — ich gehe in wenigen Tagen als Gouver nante nach Berlin," sagte sie, „ich kann das Vaterhaus nicht betreten, so lanae Deine Fran darin ist, — verzeih' mir, - aber i h r kann ich nicht begegnen!"