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Allgemeiner Anzeiger : 07.12.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-12-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1912
-
Monat
1912-12
- Tag 1912-12-07
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Monat
1912-12
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 07.12.1912
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Vas Echo der Uanzlerrede. Mancher Hörer und Leser der Worte, die Ler Kanzler im Reichstage über die deutsche Balkan-Politik gesprochen hat, mag enttäuscht gewesen sein: man hatte mehr erwartet. Nach all den Unmhen der letzten Tage hoffte man auf eine ausführliche Erklärung über den Stand der Dinge, wollte man einen Blick hinter die Kulissen tun und vor allem wissen, ob denn die Krise, die seit nahezu drei Wochen schwer auf Europa lastet, endlich und endgültig vor über sei. Herr v. Bethmann Hollweg hat so hoch gespannte Erwartungen nicht erfüllt, er konnte sie nicht erfüllen, weil — wir eben noch in mitten der Krise sind, weil jeder Tag neue Schwierigkeiten bringen kann. Darum hütete sich der Reichskanzler nach bewährtem Diplo matenmuster, ein unbedingtes „Ja" oder ein unwiderrufliches „Nein" zu sagen. Dennoch dürfen die kurzen Kanzlerworte eine hohe sach liche Bedeutung für sich in Anspruch nehmen. Mit bemerkenswertem Nachdruck wiederholen sie zwischen den Zeilen die Versicherung der Friedensliebe; aber sie lassen auch nicht das Rückgrat vermissen, dessen gerade in solchen Krisentagen ein großes Reich nicht entraten kann. Während in Deutschland vielfach das zum Ausgangspunkt der Kritik genommen wird, was der Kanzler nicht gesagt hat, tragen die aus wärtigen Organe der schwierigen Lage, in der sich der Kanzler befand, durchaus Rechnung. Besonders in England begrüßt man die Aus führungen sehr sympathisch, ja ein Londoner Blatt meint, daß mit dieser Kanzlerrede die internationale Klärung beginnen müsse. Und ein andres Blatt erklärt: „Die hochwichtige Rede Bethmann Hollwegs reinigt die Lust, was Gerüchte von Angriffsabsichten des Dreibundes anbetrifft, und bestätigt die Meldungen, daß Berlin mit London zwecks friedlicher Beilegung der nach dem Kriege entstehenden Fragen zu sammenarbeitet." Ähnlich urteilt man in Frankreich. Ein Diplomat, der den Dingen sehr nahe steht, sagte nach der Bekanntgabe der Kanzlerrede durch die Pariser Blätter zu einem Journa listen: „Seit dem Bestehen der beiden großen europäischen Staatengruppen, des Dreibundes und des Dreiverbandes, hat kein leitender Staatsmann die Bundestreue und die sich aus ihr ergebenden Notwendigkeiten so volkstümlich warm und dabei mit so staatsmännisch be sonnener Wahl der Ausdrücke betont, wie der deutsche Reichskanzler. Wir in Frankreich nehmen mit Befriedigung zur Kenntnis, daß Deutschland fortfahren will, sich mit allem Eifer an den diplomatischen Bestrebungen zur Erhal tung des Weltfriedens zu beteiligen." Mit besonderer Genugtuung ist die Rede des deutschen Reichskanzlers natürlich in Oster reich-Ungarn ausgenommen worden. Entzieht sie doch urplötzlich gewissen Ausstreuungen den Boden, die in den letzten Tagen in Wien Be unruhigung hervorgerufen hatten. Angeblich eingeweihte Berliner Blätter hatten von einer liefen Verstimmung zwischen Berlin und Wien geschrieben und orakelt, daß Österreich in seinen Maßnahmen gegen etwaige Übergriffe Serbiens weder auf Deutschland noch auf Italien werde zählen können. Wenn also irgendwo die An- ichauung vertreten worden ist, daß man Öster reich einschüchtern könne, weil der Dreibund verjage, so ist die Unhaltbarkeit solcher An nahme durch die Kanzlerrede erwiesen. Wie schon öfter, so wird sich auch diesmal der Drei bund als ein Friedensfaktor erweisen, mit dem Europa rechnen muß. Das kurz und klar in ernster Stunde zum Ausdruck gebracht zu haben, ist das unleugbare Verdienst Herrn v. Beth mann Hollwegs. Väebtsr. Politische l^uncilckau. Deutschland. * Kaiser Wilhelm hat den rumänischen Thronfolger Prinzen Ferdinand in Potsdam empfangen. Daß diesem Besuche eine gewisse politische Bedeutung innewo^t, das geht schon daraus hervor, daß zu einem Frühstück in der rumänischen Gesandtschaft, das dem Thronfolger zu Ehren veranstaltet wurde, auch der Staats sekretär deS Äußeren von Kiderlen-Wächt^ge- laden war. * Prinz Heinrich von Preuße n ist zu einem privaten Besuch inLondon eingetroffen. Angesichts dieser Reise deS Prinzen, die man allgemein als eine politische Sendung auffaßt, gewinnen die Erklärungen des Staatssekretärs v. Kiderlen-Wächter über die Besserung der Be ziehungen zwischen Deutschland und England erhöhte Bedeutung. "Der Reichsetat für das Jahr 1913 hat eine Erhöhung des Fonds zur Gewährung von Veteranenbeihilfen um zwei Millionen vorgesehen, um dem steigenden Bedürfnis nach Veteranen-Fürsorge zu entsprechen. Es wird auf diese Weise möglich sein, den Kreis der zu unterstützenden Veteranen nicht unwesentlich zu erweitern. Der Fonds wird damit im nächsten Jahre die Höhe von 31 Mill. Mk. erreichen. In den letzten Jahren sind die Aufwendungen zu Beihilfen an hilfsbedürftige Kriegsteilnehmer des Feldzuges von 1870/71 von rund zwanzig Millionen im Jahre 1908 auf 29 Millionen im Jahre 1912 angewachsen. Die Erhöhung des Fonds um zwei Millionen für das nächste Jahr ist aber nur als eine vorläufige Regelung anzusehen, da bekanntlich beabsichtigt ist, falls das Petroleum-Handelsmonopol zustande kommt und dem Reiche daraus Einnahmen zufließen, diese wenigstens zum Teil für eine Erweiterung der Veteranen-Fürsorge zu verwenden. Im Deutschen Reiche beläuft sich gegenwärtig die Zahl der Veteranen aus dem Kriege von 1870/71 auf mindestens 400000. * Die dem Landtage von Reuß j. L. zu gegangene Wahlrechtsvorlage wird von der Regierung damit begründet, daß seit dem Inkrafttreten des Landtagswahlgesetzes vom 17. Januar 1871 in den Verhältnissen, die für dessen Ausarbeitung maßgebend waren, insofern ganz wesentliche Verschiebungen eingetreten seien, als inzwischen die Einwohnerzahl des Staates und dementsprechend auch die Zahl der Landtagswähler eine erhebliche Steigerung er fahren und der Staat sich in immer wachsen dem Maße zum Jndustriestaate entwickelt habe. Die Folge sei, daß sich unter den zur Vor nahme der allgemeinen Wahl berufenen Wähler eine Zunahme der industriellen Arbeiter be merkbar macht, die bei dem gegenwärtig herr schenden Wahlsystem, das jedem Wähler unter schiedslos ein gleiches Stimmrecht verleiht, all mählich dahin zu führen droht, daß die sozial demokratische Partei das Übergewicht erlangt. Aus clem Aeickstage. Am Montag begann die erste Lesung des Etats, die zunächst eine Aussprache über die äußere Politik brachte. Reichskanzler v. Bethmann Hollweg eröffnete die Besprechung mit kurzen Erklärungen zur deutschen Balkanpolitik. Er betonte unter leb haftem Beifall, daß, wenn einer unsrer > Bundes genossen von dritter Seite angegriffen würde, das Deutsche Reich getreu seiner Bundespflicht fest ent schlossen an seine Seite zu treten habe. — Abg. Ledebour ssoz.) war durch diese Auskunft nicht befriedigt. Als der Redner Angriffe gegen den russi schen Zaren richtete, erhob sich Staatssekretär v. Kiderlen-Wächter, um gegen diese An griffe Verwahrung einzulegen. Zugleich wiederholte der Staatssekretär die Erklärung, daß die Beziehungen des Reiches zu England in den letzten Wochen außerordentlich herzlich gewesen seien. - Abg. Spahn (Zentr.) forderte Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Beziehungen des Reiches zu den Staaten des Balkanbundes wie zur Türkei. — Abg. Graf Kanitz skons.) und Abg. Bassermann (nat.-lib.) billigten die Politik des Reichskanzlers. — Abg. Schultz (Reichsp.) trat den beiden Vor rednern bei. Am Dienstag erledigte das Haus zunächst einige kurze Anfragen. Auf eine Anstage betr. den Entwurf eines Theatergesetzes erklärt Ministerialdirektor von JoncquiäreS, daß die Grundzüge für ein olches Gesetz bereits ausgearbeitet sind, daß aber noch nicht der Zeitpunkt für die Einbringung des Gesetzes festgesetzt werden könne. Aus eine andre Anfrage betr. den vielbesprochenen „Parsivalfchutz" erklärt der Staatssekretär des Reichs- justizamles Dr. Lisco, daß die verbündeten Re gierungen bisher zu dieser Frage keine Stellung ge nommen haben. Endlich wird die Anstage, ob Maßregeln gegen die Einschleppung der Cholera getroffen find, von einem Regierungsvertreter dahin beantwortet, daß besondere Maßregeln nicht notwendig erscheinen, da die geltenden sanitären Bestimmungen vollständig ausreichen. Darauf wird die erste Lesung des Etats fort gesetzt. Abg. v. Payer (fortschr. Vp.): Wir sind mit der auswärtigen Politik des Reichskanzlers einver standen. Es liegt keine Tatsache vor, die auf ein Versagen der Diplomatie deutet. Sie hat sich be müht, den Frieden zu schützen und mehr können wir nicht verlangen. Die Erklärung des Abg. Ledebour, daß das Proletariat sich einem Kriege widersetzen wird, nehmen wir nicht ernst. Die Sorge um Weib und Kind ist ausschlaggebender als alle revolutionären Maßnahmen. Unser Bundesvsrhältnis zu Österreich ist eine Gewähr für den Frieden. Die Besserung unsres Verhältnisses zu England ist erfreulich. Ge wiß ist auf beiden Seiten gesündigt worden. Es ist notwendig, daß Deutschland alle guten Beziehungen pflegt, die seiner Volkswirtschaft nützlich sein können. Wir müssen auch unserseits anerkennen, daß den aufstrebenden Balkanstaaten ihr Erfolg zu gönnen ist. Wenn unsre Regierung ihren Weg mit Festig lest verfolgt, wird sie die Mehrheit des Volkes hinter sich haben. Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt Zimmer mann: Auf die Anstage, die gestern der Abg. Spahn an das Auswärtige Amt richtete, ob der spanisch-französische Marokkobertrag die deutschen Interessen verletze, möchte ich erklären, daß dies nicht der Fall ist. Wir haben unsre Bedenken in Madrid und Paris zur Sprache gebracht und befriedigende Erklärungen erhalten. Abg. v. TrapczynSki (Pole): Religiöse Bedrückung nimmt niemals ein gutes Ende. Das hat der Zusammenbruch der Türkei gezeigt. Als der Redner im Verfolg seiner Ausführungen er klärt, der Gipfelpunkt der Schändlichkeit der preußi schen Polenpolitik sei das Enteignungsgesetz, erteilt ihm der Präsident einen Ordnungsruf. Abg. David (soz): Auch wir find für die Aufrechterhaltung des Dreibundes, für die Bündnis pflichten. Aber das Bündnis ist ein Bündnis zur Verteidigung und bezweckt den Schutz gegen einen Angriff von Rußland. Geht ein Staat zum An griff vor, dann fällt das Bündnis. Wenn Öster reich Serbien angreift, dann sind wir zum Bünd nis nicht verpflichtet, und das ist eine Sicherung gegen die österreichische Kriegspartei. Aber auch die Geschäfte Rußlands dürfen wir nicht führen. Das beste Mittel, den Frieden zu erhalten, ist Freund schaft zu England. Ein Bund zwischen Deutschland, England und Frankreich wäre ein Kulturbund. Das unerträgliche Wettrüsten muß zur Katastrophe führen. Dagegen protestieren wir. Es ist unwahr, daß der Krieg ein Volk aufwärts führt. Die Massen hören auf, willenlose Instrumente der Kriegs interessenten zu sein. Daß sich die Massen nicht willenlos in den Krieg hineinhetzen lassen, ist unser Verdienst. Abg. Fürst zu Löwenstein (Zentr.): Das Auswärtige Amt kann mit dem Verlaufe der Debatte zufrieden sein. In dem Bestreben, einen Krieg fern zuhalten, stimmen alle Parteien und Kabinette mit den Sozialdemokraten überein. Aber einen Krieg mit der Revolution zu beantworten, bedeutet doch den Bürgerkrieg an seine Stelle setzen. Wir werden die Politik der Regierung immer unterstützen. Abg. Ortel (kons.): Leider haben sich die Redner nicht so kurz gefaßt, als es nach außen er forderlich gewesen wäre. Besonders über den Drei bund ist viel zu viel geredet worden. Gewiß, wir sind nicht verpflichtet, alles mitzumachen, was die Dreibundsfreunde wollen, aber an dem Bündnis verträge darf nicht gedeutelt werden. Wir wünschen freundliche, jedenfalls korrekte Beziehungen zu Eng land, wobei das Vertrauen auf beiden Seiten vor handen lein muß. Der ewige Friede ist ein Traum. Die Schiedsgerichtsbestrebungen haben uns nicht einen Schritt vorwärts gebracht. Der Krieg kann notwendig werden, wenn es die Ehre, Sicherheit und Zukunft eines Volkes verlangt. Deshalb können wir unsre Jugend nicht in der Friedensduselei er ziehen. Die Börse hat leider in den letzten Krisen lagen gezeigt, daß sie der hohen volkswirtschaftlichen Aufgabe, deren sie sich rühmt, nicht gewachsen ist. Abg. Frhr. v. Richthofen (nat.-lib.): Beim jetzigen Konflikt stehen Lebensintcressen Österreichs auf dem Spiel. Käme es zum Krieg, so würde es sich um mehr handeln, als um einen serbischen Hasen an der Adria. In erster Linie handelt es sich doch um die Förderung des heimischen nationalen Wohl standes. Abg. Haase (soz.): Wir wünschen nicht zu schießen auf die Proletarier andrer Länder; das hat Scheidemann erklärt, das sagen wir alle. Wir wollen im Volk den Abscheu gegen den Krieg er wecken. Fürst Löwenstein fragte, ob wir einen Krieg Deutschlands durch eiste Revolution verhindern wollen. Schon Lassalle hat gesagt, man kann nie eine Revolution machen, man kann nur eine Revo lution durchbrechen lassen, die schon in den tatsäch lichen Verhältnissen besteht. Revolutionen werden nicht von Führern gemacht, sie entstehen von selbst. Der Massenstreik ist als Mittel gegen den Krieg nicht geeignet. Das HauS vertagt sich. Vom kriegssekLuplatL. Obgleich auf dem Balkan augenblicklich Friedensverhandlungen im Gange sein sollen, tauchen doch immer wieder Nachrichten auf, die von einer Fortsetzung des Krieges mit großer Bestimmtheit sprechen. Demgegenüber muß auf die bündigen Erklärungen der bulgarischen und türkischen Regierung verwiesen werden, die in dem festen Willen übereinstimmen, der Waffen ruhe möglichst bald den Friedensschluß folgen zu lassen. Noch ist man sich allerdings über einen der wichtigsten Punkte nicht einig: in welcher Form nämlich Adrianopel der Türkei verbleibt, ob als geschleifte Festung oder nur unter türkischer Oberhoheit, darüber gehen die Berichte auseinander. Bemerkenswert ist nur, daß bei den Verhandlungen im wesent lichen Bulgarien seinen eigenen Standpunkt in den Vordergrund stellt und bezüglich der andern Balkanstaaten sehr wenig Interesse zeigt. Auch tritt jetzt die Absicht Bulgariens, berechtigte Empfindlichkeiten der Türkei möglichst zu schonen, deutlich hervor. Es liegt in der Natur der kommenden Verhältnisse, daß, wenn zukünftig in Europa die Türkei nur eine Grenzlinie, und zwar gegen Bulgarien, haben wird, der bul garische Einfluß am Goldenen Horn zum herrschenden werden wird. Bulgarien iucht klugerweise sich jetzt schon darauf einzurichten. Ja, vertrauliche Nachrichten aus Sofia besagen, daß zwischen der Türkei und Bulgarien Sonder- Verhandlungen stattfinden, die auf den Abschluß eines türkisch-bulgarischen Bündnisses abzielen. Wenn diese Meldung auch sicher verfrüht ist, so läßt sie doch auf einen günstigen Stand der Verhandlungen zwischen diesen beiden Gegnern schließen. Anders verhält es sich mit den andern drei Balkanstaaten. Griechenland erklärt die Waffenstillstandsbedingungen immer noch für un annehmbar und. wünscht den Krieg wenigstens bis zum Fall der Festung Adrianopel fortzu setzen. „Die Gemeinsamkeit des Balkanvier- bundes erfährt," so erklärte ein griechischer Diplo mat, „wenn Bulgarien, entgegen seinen Inter essen und den schwer errungenen Vorteilen seiner Verbündeten einem solchen Waffenstillstand bei- stimmen sollte, einen Stoß. Adrianopel darf ebensowenig der Türkei verbleiben, als die ägäischen Inseln und der Landstrich zwischen Adrianopel und Tschataldscha." Griechen und Montenegriner verlangen außerdem die Übergabe Skutaris und Janinas. Auch die Serben stellen noch Sonderbedin- gungen. Es scheint aber, als ob Bulgarien der Bundesgenossenschaft, die zu weitgehende Forde rungen stellt, recht müde sei. Dazu kommt wohl auch die Verstimmung, die Griechenlands alleiniger Anspruch auf Saloniki in Sofia hervorgerufen hat. Bulgarien behauptet, daß Saloniki ohne Hilfe des bulgarischen Heeres nicht in die Hände Griechenlands gefallen wäre, und beansprucht den Hafen für sich, oder die Erklärung zum Freihafen. Man sieht, die Ver bündeten geraten sich bei der Verteilung der Beute in die Haare; und es ist nicht unmöglich, daß die Türkei, die seit je in der Diplomatie tüchtig war, wenn es galt, fremden Streit auszunutzen, aus den Blüten des Zankes der Bundesbrüder noch Honig saugt. Zunächst haben Bulgarien, Serbien und Montenegro, da mit Griechenland eine Einigung nicht zu erzielen war, einen Waffenstillstand von unbeschränkter Dauer unterzeichnet. Damit dürfte der Krieg beendet sein. Daß Griechen land den Krieg allein fortsetzt, ist nicht glaub haft; denn in Athen wird amtlich erklärt, daß die griechische Regierung trotz ihrer Weigerung, den Waffenstillstand zu unterzeichnen, die Frie denskonferenz, die nun sosort zusammentritt, be schicken wird. LH). O Der Sturm brickt los. 10j Historische Novelle von K. Lindner. sS-risetzuug.) Gräff legte seinen Degen auf den Tisch mit den Worten: „Ich bin dem Kriegsrecht ver fallen und bitte um meine Verhaftung!" „Melden Sie sich selbst, Gräff!" Der Hauptmann wollte der Tür zu. Ein Wort des Freiherrn hielt ihn auf. „Ein Wort noch!" rief derselbe. „Morgen ist entweder der General ein pflichtgetreuer Soldat, Preußen verloren und Sie mit ihm; oder Jork ist ein Verräter, Preußen gerettet und Sie sind Majori Gute Nacht, Gräff!" Dieser blieb wie angewurzelt stehen und sah, staunend über diese Worte, bald Jork, bald Stein an, bis der erstere aufseufzend sagte: „Ja, ja, es kann schon sein. Gehen Sie nur. Gute Nacht, Gräff." Dieser verließ das Zimmer. Der General wendete sich mü furAbarem Ernst au Kleist und sagte: „Sorgen Si«, Major, daß der Freiherr vom Stein mit sicherem Geleit aus dem Lager kommt. Unsre Verhandlungen find ab gebrochen." „Sie find es nicht!" rief Stein energisch und hielt mit dem Blitzen seiner Augen den Major zurück. „Sie sind es weniger Äs je, sag' ich." Die Augen des Generals gewannen Feuer und der Zorn schien in ihm aufsteigen zu wollen. Lauter und energischer herrschte er dem Major zu: „Kleist, machen Sie das Korps marschfertig und schicken Sie vorläufig Artillerie gegen den dritten Posten!" Kleist sah ihn staunend an, als begriffe er nicht. „Darf ich fragen, mein General —" „Was fragen!" fuhr Jork auf, „durch brechen will ich." „Aber wohin?" fragte Kteift, immer ver blüffter. „Nach Petersburg!" donnerte Jork, daß der Major entsetzt zurückprallte. Da schritt Stein zwei Schritt gegen den General vor und mischte das energische Metall seiner Stimme in den Dialog: „Besinnen Sie sich, General Jork! Ich bin kein schlechterer deutscher Mann als Sie selbst und verlange, daß Sie dem Könige von Preußen daS Korps erhalten. Sie find im Begriff, es Ihrer Verzweiflung aufzuopfern." „Beweis!" donnerte Jork abermals. Stein schritt an den Tisch heran und zeigte auf dieselbe Karte, mit der Jork noch jüngst dem Oberst Ostarp die Flucht der großen Armee klar gemacht hafte. „Hier steht Diebitsch mit 30 000, hier steht Paluzzi mit 15 000 Mann. Ehe Sie die Türme von Mitau sehen, sind Sie von zwei Seiten zermalmt!" Jork fixierte eine halbe Minute die verhäng nisvolle Karte, dann wandte er sich, Schmerz und Verzweiflung in seinen Zügen, aber ruhig an den Major: „Kleist, brechen wir auf nach Süden, denn es rft, wie der Freiherr sagt. Mit den Kosaken will ich schon fertig werden. Ich muß nach Tilsit; denn dahin wird Macdonald seinen Marsch dirigieren, und ick habe dafür zu sorgen, daß ich mit meinem Oberst-Kommandierenden in Verbindung bleibe." „Dann weis' ich noch einmal auf die Karte," fiel Stein dazwischen. „Macdonald ist auf gebrochen, wie Sie richtig vermutet haben, um dem Rückzüge des Kaisers die Flanke zu decken." „Woher wissen Sie das?" fragte Jork scharf. „Sie vergessen," antwortete Stein, „daß Ihre Postenkette gesperrt ist. Wir fingen den Boten auf, der Ihnen den Befehl bringen sollte, Macdonalds Marsch auf Gumbinmn zu decken. Da ist das Schreiben." Jork nahm es, sah es flüchtig an, warf es auf den Tisch und sagte: „Weiter! ich bin noch nicht überführt!" „Da er Sie nicht findet, bleibt ihm nichts weiter übrig, als den Rückzug der großen Armee von hinten her zu schützen und sich östlich zu dirigieren." „Zugegeben I" „Sie sind aber nun genötigt, auf dem kür zesten Wege Königsberg aufzusuchen. Dazu haben Sie unter den gegenwärtigen Umständen 20 Tage nötig." „Meist, Ihre Meinung?" Dieser zuckte mit den Achseln und ant wortete : „Es ist Winter, keine fahrbaren Wege, ausgehungerte Pferde!" „Ehe Sie," fiel Stein sortfahrettd ein, „die Hälfte des Weges erreicht haben, ist die Hälfte Ihres Korps aufgerieben oder gefangen. Diebitsch aber wird die Provinz Ostpreußen mit Beschlag belegen." Das war das äußerste, was dem General in seiner Lage geboten werden konnte. Sein« Verzweiflung nicht mehr Herr, riß er des Säbel aus der Scheide und schrie: „Dann sag' ich Ihnen, daß die andre Hälfte genug ist, Men Diebitsch bis an die Dün« zurückzuwerfen, ehe er einen Fuß preußische» BodenS betreten darf. Stein, Stein! Bringe» Sie uns nicht in Verzweiflung! Sie kenne« ja Menschen auch und wissen, was Verzweiflung in einem deutschen Soldaten ausrichtet." Stein nickte ihm, wie es schien, befriedigt, . aber ernsten Blickes, mit dem Kopfe zu. „O Jork, so wahr ein Gott noch über de« deutschen Lande lebt, ich hoffe diese Verzweiflung noch zu erleben. Ich hoff —" Stein unterbrach sich lauschend. Die Gaffe des Dorfes hallte wider von Trompetenstgnale« und fernem Geschrei zusammenlaufender Sol daten. Die Töne kamen näher, und dicht hinter dem schweißbedeckten Rosse eines voraus eilenden Stabstrompeters jagte ein Offizier her, der hie und da flüchtig einen Offizier oder eine Soldatengruppe mit der Hand grüßte. Noch einmal ertönte dicht vor dem Hauptquartier daS Signal, dann warf sich der so gemeldete Kuri« aus dem Sattel und betrat den Krug, um de« General aufzusuchen. Der Offizier, der die Treppe Hinanstieg, be kümmerte sich um die dastehende Wache gar nicht, er trat ohne weitere Meldung ins Zimmer und konnte also nur von einer Sielle der Welt kommen: vom König selbst.
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