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Allgemeiner Anzeiger : 11.12.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-12-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1912
-
Monat
1912-12
- Tag 1912-12-11
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Monat
1912-12
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 11.12.1912
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Vie ValkLnkrise. Obwohl die Feindseligkeiten auf dem Balkan eingestellt worden sind und wohl kaum wieder ausgenommen werden dürsten, spricht man in unterrichteten Kreisen nach wie vor von einer Balkankrise, an der alle europäischen Nationen mehr oder minder beteiligt sind. Und wenn auch bald von dieser, bald von jener Regierung versichert wird, daß der Friede unbedingt er halten bleiben werde, so ist doch nicht zu leugnen, daß die Lage noch immer sehr gespannt ist und daß noch immer mit etwaigen Verwicklungen ge rechnet werden muß. Unter solchen Umständen gewinnen die Äußerungen verantwortlicher Staatsmänner ganz besondere Bedeutung, und wie die Welt vor einigen Tagen die Rede des deutschen Reichs kanzlers besprochen hat, so haben jetzt die Worte, die der französische Ministerpräsident Poincarö in der Kammer gesprochen hat, weit hin Beachtung gesunden. Herr Poincarö sagte u. a. über die gegenwärtige Lage: „Bisher waren sich die Mächte darin einig, anzuerkennen, daß die militärischen Operationen dem Balkan noch keine endgültige Neugestaltung gegeben haben, und sie waren glücklich genug beraten, keine gesonderte Maßnahme zu ergrei fen, die nicht wieder gut zu machen wäre. Das Ergebnis einer besseren Garantie für den euro päischen Frieden ist besonders dem Fortdauern des Meinungsaustausches der Kanzleien in der letzten Woche zu verdanken. Aber eine gemein schaftliche Besprechung, in der alle Probleme in ihrem Zusammenhang ins Auge gefaßt und alle ausgetauschten Schriftstücke vorgelegt werden, wird voraussichtlich allein in friedlicher Weise die Gegensätze der Ansichten lösen können, die zwischen gewissen Großmächten und den Balkan staaten oder zwischen den Großmächten selbst bestehen." Mit besonderem Nachdruck tritt Poincarö hier ganz plötzlich abermals für den Konferenz gedanken ein. Während der drei Tage, die zwischen den Ausführungen des deutschen Reichskanzlers und den Poincaröschen Mit teilungen liegen, sind die Aussichten auf Ver meidung internationaler Verwicklungen ent schieden günstiger geworden. Demnach hielt es der Ministerpräsident nicht für angemessen, bei der an die Adresse Rußlands gerichteten allge meinen Zusicherung der ununterbrochen fort wirkenden Bundestreue sich kräftiger Ausdrücke zu bedienen. Man versichert, daß auf aus drücklichen Wunsch Rußlands jene besondere Erwähnung des Verhaltens der französischen Streitkräfte im Falle einer ernsteren Verschlechte rung der österreichisch-russischen Beziehungen unterblieb. Eine Anspielung auf die englisch-französischen Streitigkeiten in Kleinasien will man in der im Laufe der Rede an die Türkei gerichteten Auf forderung finden, sich mit der Durchführung der von Frankreich verlangten Reformen in der Libanonprovinz, wo vorwiegend französische Interessen in Frage kommen, zu beeilen. Eine gewisse Enttäuschung bereiteten die den Groß mächten gewidmeten Worte. Hier berief sich Poincard nachdrücklich auf die berufsmäßige Verschwiegenheit. Das Wort Botschafterkonfe- renz blieb unerwähnt. Man hatte den Eindruck, daß dieser Plan aufgehört habe, die französische Regierung zu interessieren, da Paris als Kon- ferrnzort nicht mehr in Frage kommt. In den nächsten Tagen ist nun eine Äuße rung des russischen Kabinetts zu erwarten. Hoffentlich klingen auch aus Petersburg Frievens- aktorde durch die Welt. Allerdings müßte dann die Regierung energisch von ihrem Gesandten in Belgrad abrücken. Hat dieser Diplomat, Herr v. Hartwig, doch jetzt noch einem Bericht erstatter gesagt: „Die Ansprüche Serbiens auf Albanien sind berechtigt. Serbien führte seinen Krieg mit der Türkei erfolgreich und kann jenen Teil der eroberten Gebiete okkupieren, der ihm genehm ist. Österreich hatte ja keinen Krieg mit der Türkei; mit welchem Rechte verlangt es jetzt gewisse Anrechte auf Gebiets wie Albanien?" Hartwig betonte auch, er tue nur das, was seine Regierung ihm befehle, uns daß alle Beschuldigungen, daß er aus eigene Faust Politik treibe, unrichtig seien. K Ver Sturm brickt lös. 11s Historische Novelle von A. Lindner. (Fortsetzung.) „In demselben Augenblick," fuhr Seydlitz fort, „meldete man den General Augerau zur Audienz. Noch einmal bat ich hastig, mir zu sagen, wie Exzellenz in einem kritischen Falle zu handeln hätten. Es war zu spät. Augcrau erschien bereits auf der Schwelle. Das Gesicht des Königs war wie verwandelt. „Nach den Umständen, lieber Seydlitz," sagte Se. Majestät in gleichgültigem Tone, .„immer nach den Umständen!" Darauf entließ er mich mit einer gnädigen Handbewegung." Dork, der sich zusehends an den Worten des Erzählers belebt und, von der Hoffnung geiragen, bereits halb aus dem Sessel gehoben hatte, sank bei den letzten Worten wieder kraft los zurück, als wenn ihn der Schlag zum zweiten Male getroffen hätte. Stein war fertig mit Schreiben. Er warf die Feder hin und wandte sich an Seydlitz. „Waren Nachrichten über die große Armee in Berlin?" „Die Bürgerschaft," so antwortete Seydlitz, „hatte noch keine Ahnung von ihrem Geschick. An den Toren handhabten die französischen Wachen in dieser Beziehung strenge Kontrolle. Nur der General Augereau schien Kuriere empfangen zu haben. Sein Gesicht war finster und verbissen, als ich ihn beim König ein- treien sah." * „Und was sahen Sie auf der Rückreise, Herr Adjutant?" Sind diese Äußerungen wirklich gefallen, so würden sie zeigen, daß entweder die russische Regierung ein doppeltes Spiel treibt, oder daß es neben der amtlichen und verantwortlichen Negierung noch eine unverantwortliche Neben regierung gibt. Die erstere, die sich rückhaltlos zum Frieden bekennt, hat übrigens den Mächten bezüglich Albaniens einen Vorschlag unterbreitet, der vielleicht Aussicht auf Verwirklichung hat. Danach soll Albanien unter türkischer Ober hoheit bleiben. Alle Großmächte möchten ihr Nichtinteressiertsein in Albanien unzweideutig zu erkennen geben. Ein albanischer Hafen und eine zu demselben führende Eisenbahn sollten als neutral erklärt werden und Serbien die kommerzielle Benutzung der Eisenbahn wie des Hafens zugesichert werden. Es ist durchaus nicht unmöglich, daß auf diese Weise eine der heikelsten Balkanfragen ihre Lösung findet. Politische Kunälckau. Deutschland. *Jn der Reichstagskommission zur Vorbe reitung eines Reichswohnungsgesetzes gab ein Regierungsvertreter die Erklärung ab, daß sich die verbündeten Regierungen aufs ernsteste mit der Frage der Schaffung eines Reichswohnungsgesetzes beschäftigt haben und daß eine Umfrage an die Regierungen der Einzelstaaten gerichtet worden ist. Bei einigen Bundesregierungen liegen aber noch Widerstände vor. Dis Kommission beschloß, sich nicht zu ver tagen, sondern die Subkommission mit der Prü fung der Frage zu beauftragen, welche Teile des Wohnungswesens in erster Linie reform bedürftig sind. Dort sollen die Vorarbeiten zu nächst einsetzen. "Der Reichstags- und Preuß. Landtags- Abgeordnete des Wahlkreises Stotp-Lauenburg (Pommern) Will (Schweslin) ist im Alter von 64 Jahren in Schweslin verstorben. Schweiz. * Im Nationalrat stand der Kredit zur Beratung, den der Bundesrat in Höhe von 146 000 Frank zur Bestreitung der Kosten des Besuches des Deutschen Kaisers ge fordert hatte. Die Sozialdemokraten lehnten diese Summe ab. Dessenungeachtet erklärte Bundespräsident Ferrer, daß die Schweiz über den Besuch Kaiser Wilhelms ihre volle Genug tuung und Freude aussprechen müsse. Belgien. *Die nächste internationale See rechtskonferenz sollte bereits im Herbst dieses Jahres abgehalten werden, doch wurde ihre Verschiebung zunächst auf unbestimmte Zeit vorgesehen. Die Konferenz soll nunmehr im Frühjahr 1913 in Brüssel statt finden. An ihr ist auch das Deutsche Reich beteiligt, und das Programm sieht die internationale Regelung der Haftung der Reeder sowie der Vorrechte und Hypotheken für Seeschiffe vor. * Die vom Ministerpräsidenten in der Kammer eingcbrachten neuen Militär.vorlagen erfüllen alle Forderungen, die die Kammer mehrheit iür die wirksame Verteidigungsfähig keit der Neutralität des Landes gestellt hatte, wie z. B. die allgemeine Dienstpflicht. Diese wird freilich dadurch gemildert, daß ausgedehnte Befreiungsvorschriften etwa 45 Prozent der Gestellungspflichtigen freilassen. Außerdem wird die Einrichtung des Einjährig-Freiwilligendienstes nach deutschem Muster geschaffen. Die Dienst zeit wird nicht verkürzt. Man hofft, daß die Vorlagen noch vor Weihnachten Gesetz werden und bereits im Jahre 1913 in Kraft treten können. Amerika. * Der Marinesekretär der Ber. Staaten hat dem Kongreß eine bedeutende Erweite rung des Flottenbauprogramms vorgeschlagen. * Dem kanadischen Parlament ist ! ein Gesetzentwurf vorgelegt worden, in dem 35 Millionen Dollar für den Bau von drei Uber - Dreadnoughts für die englische Reichs flotte gefordert wurden. „Meinen Ritt nach Königsberg hemmten die fliehenden Franzosen. Es war kein Heer mehr, es war der hohläugige Jammer. Die ersten, die ich in dichteren Gruppen traf, gehörten den Milhaudschen Schwadronen an, die zu Pferde dem übrigen Heere fliehend vorausgeeilt waren, aber schon in Polen meist ihre Tiere verloren hatten. Ich beritt einen Kirchhof voll unbe grabener Leichen. Alles Land zwischen dem Schwarzen Meer und der Ostsee ist eine reich gedeckte Festtafel für Krähen und Wölfe. Von 600 000 stolzen Soldaten sahen 10 000 Gerippe die Weichsel wieder. Se. Majestät der Kaiser Napoleon ließ ein Bulletin nach Paris gehen, folgenden Inhalts, wie ich hörte: „Das Heer hat den Rückzug angetreten, aber die Gesund heit Sr. Majestät ist niemals besser gewesen"." Es entstand eine minutenlange Pause. Jeder bedurfte dieser Zett, um sich die ungeheure Tragweite des Erzählten zurecht zu legen. Dann näherte sich Stein dem General und ließ die Hand schwer auf die Schulter des Hin- träumenden fallen. Ruhig, aber nachdrücklich rollten seine Worte durch den Raum: „Nach den Umständen, Dork! Wollen Sie mehr Instruktionen? Es gibt Lagen in der Geschichte, wo es zur Pflicht wdd, sich außer Gesetz zu erklären, weil eine Tat geschehen muß, die alles Gesetz beleidigt. Vorsicht, Pflicht erfüllung, Geduld werden zum Hochverrat, alles, was dem menschlichen Herzen heilig ist, unter den kühnen Entschluß des Einen gebeugt, dessen Schultern in solcher Stunde die Achsen des Himmels tragen. Nach den Umständen, Jork! Und mehr verlangt kein sterblicher Aus clem Keickstage. Das HauS setzte am Donnerstag die allgemeine Aussprache über den Etat fort. Abg. Paasche (nat.-lib.) bezeichnete den Etat als nicht so günstig, als ihn der Schatziekretär hingestellt hatte. Abg. Wiemer (fortschr. Vp.) erklärte sich mit den Worten des Kanzlers gegen das Zentrum einverstanden und bezeichnete den Etat als solid. Abg. Arendt (Retchsp.) sah den wirtschaftlichen Aufschwung als eine Folge der Reichsfinan;resorm von 1909 an. Abg. Seyda (Pole) erklärte sich gegen das Ver hallen der preußischen Regierung in der Enteignungs frage. Nachdem Abg. Alpers (Welfe) sich gegen neue Steuern und neue Schulden ausgesprochen hatte, richtete Abg. Lensch (soz.) neue Angriffe gegen das Büraertum, dem er vorhielt, es behandle die großen Massen nur als Hintersassen der Nation. Am 6. d. Mts. stehen zunächst auf der Tages ordnung kleine Anfragen. Eine Anfrage des Abg. Liebknecht (soz.) über die Verunreinigung der Wasserläufe bezw. ob inter nationale Abmachungen über die Reinhaltung der Flüsse geplant sind, beantwortet Staatssekretär Delbrück: Es schweben Ver handlungen über die Abstellung der Ubelständc durch den Ausbau des vorgesehenen schiedsgerichtlichen AuSirages von Streitigkeiten auf diesem Gebiete. Die Anfrage des Abg. Herzfeld (ioz.), ob auf dem Wege der Reichsgesetzgebung eine Ordnung der mecklenburgischen VerfassungszusiLnde beabsichtigt wird, beantwortet Staatssekretär Delbrück dahin, daß die ver bündeten Negierungen keine Veranlassung haben, ihren bisherigen Standpunkt zu ändern. Auf die Anfrage des Abg. Bernstein (soz.), eine Ausstellung der Summen, die die Staaten Eu ropas für Arbeiterversicherung ausgeben, dem Reichs tage zugehen zu lassen, erklärt Staatssekretär Delbrück, daß hier eine An regung vorltegt, deren mögliche Befolgung zu prüfen sein wird. Auf die Anfrage des Abg. Bell (Ztr.), ob die Einbringung eines Reichsberggesctzes zu erwarten sei, erwidert Staatssekretär D elb rück, daß ein hinreichender Anlaß hierzu nicht vorhanden ist. Schließlich liegen drei Anfragen des Abg. Frhrn. v. Richthofen (nat.-Iib.) über Marokko vor, die Geh. Legationsrat v. Lehmann dahin beant wortet, daß es zutreffend ist, daß sich der spanisch- französische Vertrag auf den Bahnbau Tanger—Fez und die Zollbehandlung des Tabaks bezieht, daß eine Anregung zur Aufhebung der deutschen Post in Marokko den Verbündeten Negierungen bisher nicht zugegangen ist, und daß die Vergebung öffentlicher Arbeiten in Marokko durch Submission eine Tatsache ist, die in jedem Einzelfall geprüft und entschieden werden muß. Die allgemeine Aussprache über den Etat wird fortgesetzt. > Abg. Gröber (Zentr.): Wir haben nicht zu erst vom Bundesratsveschluß über das Jesuitengefetz gesprochen, sondern der sozialdemokratyche Redner. Die Frage ist keine konfessionelle Frage, sondern es handelt sich um die Gewissensreiheii, die staatliche Gleichberechtigung der Konfessionen. Woher nimmt der Bundesrat das Recht, so in Ge wissensfragen einzugreifen, wie es nur der französische Konvent getan hat? Nationalliberale und Fort- schräller haben sich gegen das Jesuitengesetz aus gesprochen. Wir warten bei unserem Verhallen gegenüber dem Bundesrat nicht auf ungebetene Rat geber. Unser Ziel ist die Gerechtigkeit. Staatssekretär Dr. Lisco: Der Abg. Gröber hat den Bundesratsbeschluß von 1872 angefochten. Der Bundesrat war damals jedenfalls der beste Interpret für das, was Bundesrat und Reichstag gewollt Haven. Jetzt sind im Bundesrat Zweisel an der Rechtsgültigkeit nicht ausgetreten. Wenn der BundesrcusbeMuß von 1872 nicht der damaligen Reichstagsmehrhett boll und ganz entsprochen hätte, würde er ge wiß nicht lautlos bestanden Haden. Die jetzige Auslegung bedeutet keine Verschärfung. In einzelnen Bundesstaaten bestehen schon längst viel schärfere Bestimmungen. Darum kann der kleine Unterschied, der in dem Buudesratsbefchluß getadelt wird, hier nicht in Betracht kommen. Abg. Liebknecht (soz.): Die Kommission zur Behandlung der Teuerungsfrage hat eine befremd liche Verschleppungstaktik inszeniert — Vizepräsident Dove: Sie dürfen einer Kom mission nicht den Vorwurf der Verschleppung machen. Abg. Liebknecht (fortfahrend): Ler Regierung wäre es gewiß sehr erwünscht, wenn der Reichstag in der Jemuenfrage einig wäre, damit sie mit einem hochpatnotlschen Reichstage renommieren könnte. Wir können die von den sogenannten nationalen Parteien betriebene Verdunkelungstaktik nicht mit- machen. Was den Jesuiten geschieht, geschieht den Sozialdemokraten schon längst. Warum hat der Aba. Gröber nicht den Minister darüber befragt. Mensch von uns, aber weniger darf das Vaterland nicht verlangen. Nach den Umständen, General. O, ich will Ihnen dies Wort in die Ohren rufen bis an Ihr Grab, will dies Wort be schwören wie eine Erynnie, die Sie ruhelos über die Erde jagt, wenn Sie mir die Stunde ver säumen. Hören Sie, Dork! Nach den Um ständen! Beim lebendigen Gott, kein König hätte königlicher antworten können, als Friedrich Wilbelm!" Die Stimme des gewaltigen Freiherrn klang wie fernhin rollender Donner. Dork erhob sich und heftete einen hilfesuchenden Blick auf seine Offiziere, indem er Stein anzusehen vermied. „Kleist — Seydlitz" — rief er, „schützet mich vor dem Freiherrn! Der Mann ist schrecklich!" Stein nahm das Blatt Papier, worauf er vorher geschrieben, vom Tische auf und reichte es Dork. „Prüfen Sie diesen Vertragsentwurf, er wird alles tun, um Ihre Ehre zu schonen." Dork zog sich an die enlegene Ecke des Tisches zurück und rückte das Talglicht näher, um lesen zu können. „Kleist," fuhr der Freiherr fort, „mir war, als hört' ich Knabenstimmen, als ich ins Lager einritt. Welcher Gesang war das?" „Es sind ostpreußische Knaben von der Grenze," war Kleists Antwort, „die sich bis zu uns gewagt haben, um vor den Quartieren ihre Weihnachtslieder zu singen." über Steins erzgegoffene Züge lief es wie augenblickliche Rührung. „Weihnachten!" seufzte er laut. „Und wir Abg. Graf v. Kanitz (kons.): Wenn der Vor redner meinte, dis Konservativen wollen durch einen äußeren Konflikt die inneren Schwierigkeiten über winden, so kann ich erklären, daß mir davon nichts bekannt ist. Der Vorredner hat die Arbeit der Tenerungskommisston als VerschlcvvungS- taktik bezeichnet. Die Sozialdemokraten haben An träge gestellt, die geeignet sind, die einheimische Viehzucht durch die Einfuhr ausländischen Fleisches schwer zu schädigen. Damit war eine ausgedehnte Ausrollung der ganzen Frage gegeben und wir haben deshalb die Beratungen vertagt, um eine eingehende Beratung zu ermöglichen. Die Abgg. Wiemer (fortschr. Vp.), Giesberts (Zentr.), Paasche (nat.-lib.) stellen Ausführungen der Vorredner richtig. Abg. Hoch (soz.): Die Konservativen wollten in der Teuerungskommifsion nur Obstruktion treiben. Unser Standpunkt lag ja schon vorher fest. Abg. Sieg (nat.-lib.): Ich trete den Aus führungen des Abg. Graf Kanitz bei. Abg^ Liebknecht (soz.): Abg. Giesberts hat draußen im Lande die deutschen Bischöfe Wege lagerer genannt. Ec hat mit vergifteten Pfeilen ge schossen. (Präsident Kämpf rügt diesen Ausdruck.) Abg- Giesberts (Zentr.): Ich weise das mit allem Nachdruck zurück. Ich habe mich,in keiner Weiss gegen dw Bischöfe gerichtet, sondern lediglich gegen gewisse AgitaüonSmethoden. Abg. Liebknecht (soz.): Giesberts bestätigt lediglich meine Vorwürfe. Seins völlige Hilflosig keit ist ein Schuldbekenntnis. So spielt er wieder den Wolf in Schafsklcioern. Präsident Kämpf: Wölfs in Schafskleidern gibt es in diesem Hause nichr. i Die üblichen Etatsteile gehen an die Budget- kommission. Das Haus vertagt sich. vsr vergrabene 5chatz Uassmräubers VrMng. In dem kleinen Dorfe Engter bei Osnabrück wurden auf dem Gehöft des Schwagers des flüchtigen Berliner Bankdesraudanten Brüning 67 000 Mk. gefunden und beschlagnahmt. Das Geld war im Keller des von dem Schwager bewohnten Hauses eingemauert. Man vermutet, daß in dem Hause weitere Summen verborgen sind. Der vo> läufig in Hast genommene Schwager, der sich durch mancherlei Reden verdächtig ge macht hatte, leugnet dies allerdings, wie er auch den jetzigen Aufenthalt Brünings nicht kennen will. — Der Kassenbote der Dresdner Bank in Berlin Gustav Brüning verschwand am Vormittag des 26. Juni d. Js. unter Mitnahme von 260 000 Mk. in barem Gelde. Trotzdem schon etwa eine Stunde nach der Flucht des verwegenen Verbrechers die Polizei alle nur erdenklichen Maßnahmen ergriff, um seiner hab haft zu werden, und die geschädigte Bank sofort 10000 Mk. Belohnung auf die Ergreifung des Defraudanten aussetzte, gelang diese bis jetzt nicht. Das ist um so verwunderlicher, als Brüning starke äußere Kennzeichen hat. Nach der Tat liefen zwar bei der Polizei aus allen Himmelsgegenden Anzeigen et«, denen zufolge der Defraudant bald da, bald dort gesehen worden sein sollte, immer aber zerrannen diese Spuren in nichts. Am 11. No vember endlich erhielt man ein sicheres Lebens zeichen von dem Defraudanten, und zwar eine an einen Kassenboten der Dresdner Bank gerichtete, ironisch gehalte Postkarte, datiert aus New Jork, 30. Oktober, die, wie Schreib- sachverstänoige feststellen konnten, unzweifel haft von der Hand Brünings herrührt. Eine Spur von dem Defraudanten konnte aber auch diesmal nicht gesunden werden. Vor einigen Tagen lief nun im Berliner Polizripräsidiusn eine Anzeige aus der kleinen Ortschaft Engter bei Osnabrück ein, in der der dort wohnende Schwager des Brüning verdächtigt wurde. Der Polizei war dieser Schwager, der eine Schwester des Defraudanten zur Frau hat, bereits bekannt und seinerzeit auch eingehend vernommen worden. Er wie seine Frau beteuerten aber, nicht zu wissen, wo sich der Flüchtige aufhalte.. Die Familie war dann auch überwacht wocoen? es zeigte sich aber nichts Verdächtiges. Je^ aber wurde bekannt, daß der Mann geäußert habe, er brauche gar nicht zu arbeiten, denk/ er habe einen vergrabenen Schatz. Die PÄIizei nahm diese 'Spur auf und es gelang enMch, § den Mann zu einem Geständnis zu Lciulgen. stehen in den Schneefeldern Rußlands^ ein ein sames Preußenhäuflein. Freunde, ob swohl unsre Frauen daheim den Kindern ein >BSumchen schmücken und aus den fröhlichen Kinhergesichtern bei Kerzenscheine die Züge der Väter lesen? Ja, wenn der Eroberer ihnen noch mnen Heller gelassen hat oder die französische Bombe das Haus verschonte. Es ist Weihnachtsabend, aber des Jammers Wolkenmassen hängen pechschwarz über die Erde nieder. Kein Trost, kein Stern? Nur über dem kleinen Fleck, den ein preußisches Korps an der Ostsee hütet, bricht sich das Ge wölk. An dieser kleinen Lichtung hängen Millionen Augen — tränenlos; denn sie haben keine Träne mehr zu vergießen. Ein Stern wird sichtbar; er beleuchtet ein einziges Haupt, das graue Haupt eines Generals. Es ist Weih nachtsabend, und die Hirten auf dem Felde sprechen von diesem Stern." Plötzlich fuhr die Stimme des Freiherr« aus der augenblicklichen Ergriffenheit empor. Er wendete sich an den General, der das Papier gedankenvoll in den Schoß hatte gleiten lassen und vor sich hin sah. »Dork, Dork!" rief Stein mit gewaltiger Stimme, „ehe sich der Himmel über dieser kleinen Lichtung schließt, reiße den Stern herab und bring' ihn deinem Volke zur Weihnachtsgabe; denn dieser Stern, Jork, ist die Freiheit und die Größe des Vaterlandes!" Aller Anwesenden Augen hingen an Dork. Erst nach einer Minute peinlichen Still schweigens hob er den Kopf und sagte mit vibrierender Stimme: „Kleist, rufen Sie meine Stabsoffiziere,
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