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Allgemeiner Anzeiger : 16.10.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-10-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
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- SLUB Dresden
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1912
-
Monat
1912-10
- Tag 1912-10-16
-
Monat
1912-10
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 16.10.1912
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Der Kriegs auf äem Kalkan. Vergebliche Friedensvermittlung. — Kampf zwischen Türken und Montenegrinern. — Allgemeine Kriegsbegeisterung — Wioer- sprechende Meldungen. G Es darf jetzt als sicher angesehen werden, dak die Vermittlung der Mächte vergeblich ge wesen ist. Allerdings tauchen auch jetzt noch birr und da Nachrichten auf, wonach eine fried liche Lösung des Konflikts möglich sei, aber diesen Nachrichten kommt wohl kaum eine ernste Bedeutung zu; denn die Balkanvölker sind in einem förmlichen Kriegstaumel, so daß an eine Zurücknahme der Mobilisation nicht zu denken ist. Auch der Schritt, den die Mächte gemein sam bei der türkischen Regierung unternommen haben, kommt jetzt wohl z« spät, denn wenn die Türkei auch vor einigen Tagen noch bereit gewesen ist, die Garantie für die Durchführung der Reformen zu übernehmen, so hgt sie jetzt, nachdem es zwischen Türken und Montenegrinern schon zu einem blutigen Kampfe gekommen ist, die Herrschaft über die Volksleidenschast verloren. Das türkische Volk will, wie die andern Balkanvölker, den Krieg. Natürlich hat eine allgemeine Nervosität nicht nur in den Balkanländern, sondern auch in den Hauptstädten Europas Platz gegriffen. Sie spiegelt sich am besten in der Fülle der wider sprechenden Nachrichten wider, von denen folgende die interessantesten sind: Blutige Schlacht bei Podgoritza. Bei Podgoritza, unweit der montenegrinischen Grenze, ist es zwischen überlegenen montenegrini schen Streitkräften und den Türken, die die An höhen besetzt hielten, zu einem schweren Kampf gekommen. Nach dreistündigem Artilleriegefecht erstürmten die Montenegriner die wichtigste Be festigung gegenüber Podgoritza, den Berg Detschitsch, das Zentrum der türkischen Stellung, trotz heldenmütigen Widerstands der Türken. Viele montenegrinische Offiziere sind gefallen. Auf beiden Seiten find die Verluste gross. Die Montenegriner haben vier Geschütze erobert. Niederlage der Montenegriner? Im Gegensatz zu der vorstehenden Meldung wird sowohl aus Konstantinopel, wie auch aus Wien berichtet, dass zuverlässige Nachrichten ein getroffen seien, wonach die Montenegriner bei Podgoritza eine schwere Niederlage erlitten hätten. Ihre Artillerie hätte ihre, ganze Munition verschossen und sei darauf von den Türken zurückgeschlagen worden. Der komman dierende General soll Selbstmord begangen haben. Dreifaches Ultimatum an die Türkei. Das Vorgehen der Montenegriner hat offen bar die noch schwankenden Verbündeten zum Ent schluß gedrängt. Die Negierungen von Griechen land, Bulgarien und Serbien haben beschlossen, die Vermittlung der Mächte, die ihnen keine genügenden Garantien biete, abzulehnen und an die Türkei eine gemeinsame Note zu richten, die ein Ultimatum enthält. Überführung Abdul Hamids nach Konstantinopel. Der Exsultan Abdul Hamid wird angesichts der Kriegslage und der Möglichkeit eines Befreiungs- veriuches im Verlaufe des Krieges von Saloniki nach Konstantinopel gebracht. Vermutlich wird er von dort nach Brussa überführt werden. Die türkische Regierung scheint demnach mit der Möglichkeit zu rechnen, daß Saloniki in die Hände ihrer Gegner fallen könnte. In jedem Falle zieht sie es vor, Abdul Hamid an einem Ort, der weiter vom Kriegsschauplatz entfernt ist, in Sicherheit zu bringen. Brussa liegt etwa 20 Kilometer südlich des Marmarameeres. Es leben dort etwa 80 000 Türken und 15 000 Griechen und Armenier. In neuerer Zeit wurde Brussa wiederholt von Erdbeben und Bränden heimgesucht. Die deutsche Botschaft in Pera als Lazarett. Der deutsche Botschafter hat der Türkei einen > Teil des Botschaftspalais in Pera zur Unter- i bringung der Verwundeten angeboten. Ivie türkische Regierung hat das Anerbieten dankend angenommen. Amerika als Geldgeber der Türkei. In Washington verlautet, daß auf diplomati schem Wege Unterhandlungen betreffend die Über nahme einer türkischen Anleihe im Betrage von 50 Millionen Dollar durch ein amerikanisches Bankensyndikat stattfänden. Überführung russischer Staatsgelder von Polen nach Moskau. Das russische Finanzministerium hat die Über führung sämtlicher Barbestände der Filialen der Reichsbank im Weichselgeb'et nach Moskau an geordnet. An amtlicher Stelle sagt man, diese Verfügung sei seit längerer Zeit geplant und stehe in keinem Zusammenhang mit der poli tischen Lage. (?) Die Ziele der Balkanmächte. Obwohl die Mächte in ihrer gemeinsamen Note an den Balkanvierbnnd keinen Zweifel darüber gelassen haben, daß sie — wie immer der Krieg auch enden möge — keinem Staate Gebiets erweiterungen zugestehen würden, istman besonders in Sofia sehr zuversichtlich. Dort will man nicht mehr die Selbstverwaltung von Mazedonien, Epirus und Kreta, sondern Abtrennung von der Türkei. Wie verlautet, soll übrigens auch der russische Zar in einer Unterredung mit dem englischen Gesandten geäußert haben, er. werde etwaigen Gebietserwerbungen der christlichen Balkanvölker nicht entgegentreten können. Sollte sich dieses Gerücht bestätigen, so würde allerdings die ganze Lage auf dem Balkyn in ein eigenartiges Licht gerückt werden. Dann wäre auch der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, daß Rußland insgeheim den Brand geschürt hat, wie es denn überhaupt kaum glaubhaft ist, daß gerade Montenegro los geschlagen haben sollte, ohne sich der Zustim mung mindestens einer Großmacht zu versichern. Die Entwicklung der Dinge wird vielleicht recht interessante Vorgänge hinter den Kulissen ent hüllen. Politische Kuncllckau. Deutschland. *Kaiser'Wilhelm hat dem russischen Minister des Äußeren Sasonow, der dieser Tage in Berlin weilte, um mit den leitenden Staatsmännern Rücksprache über die Lage auf dem Balkan zu nehmen, den Verdienstorden der Preußischen Krone verliehen. *Über das Befinden des Prinz-Regenten Luitpold von Bayern wird von zu verlässiger Seite berichtet, daß in den letzten Tagen neue Atembeklemmungen nicht aufgetreten sind. Dagegen ist das allgemeine Befinden des hochbetagten Fürsten hinfällig. Dies war be sonders bei seiner Ankunft in Berchtesgaden zu bemerken, während der weitere Aufenthalt in dem Bergklima eine gewisse Kräftigung zur Folge gehabt hat. Immerhin machen sich die Beschwerden des Alters so stark bemerkbar, daß der Prinz-Regent bei seinen Ausfahrten den Wagen nicht allein besteigen und verlassen kann, sondern hinein- und herausgehoben werden muß. *Eine Kaiserliche Verordnung erklärt, daß die durch das vorjährige deutsch-französische Abkommen in N gu a to ri a la frika er worbenen deutschen Gebiete vom Zeit punkt der Übergabe an unter ddn Schutz des Reiches genommen und mit dem Schutzgebiet Kamerun vereinigt würden. *Bei dem zuständigen Reichsressort wird eine Bundesratsvorlage vorbereitet, die sich mit der Prägung von Erinnerungs münzen für das Jahr 1913 befaßt. Es ist ein besonderer Bundesratsbeschluß für die Prägung dieser Münzen notwendig, da sie wesentliche Veränderungen der gesetzlich sestge- legten Anordnungen aufweisen. Es handelt sich einmal um eine Erinnerungsmünze, die aus Anlaß des 25. Regierungsjubiläums geprägt wird, einen besonderen Hinweis auf diese Feier enthalten soll und daher Abweichungen von der bisherigen Prägung aufweisen wird. Voraus sichtlich werden die Dreimarkstücke als Münzen hierfür gewählt werden. Welche Zahl zur Aus prägung gelangen wird, steht zurzeit noch nicht fest, doch läßt sich annehmen, daß nicht unter einer Million solcher Münzen in den Verkehr gelangen sollen. Außer dieser Münze soll eine Erinnerungsmünze zur hundertjährigen Feier der Erhebung Preußens gegen die französische Fremd herrschaft zur Ausgabe gelangen. * Die .Braunschweigische Landeszeitung' er fährt aus angeblich bestunterrichteter Quelle, daß der Reichstag in kürzester Frist ein - berufen werden solle. Die Einberufung soll einerseits mit der Fleischteus-rung, anderseits mit der weltpolitischen Lage zusammenhängen. An amtlicher Stelle ver lautet nichts über einen solchen Entschluß der Regierung. *Der frühere Reichstags- und Landtags abgeordnete Dr. Müller-Sagan (fortschr. Vp.) ist in Berlin an den Folgen einer Operation, 55 Jahre alt, gestorben. Afrika. * Nach den Berichten französischer Blätter herrscht jetzt in Südmarokko völlige Ruhe. Der französische Oberkommandierende General Lyautey hielt nach seinem Einzug in Marrakesch auf dem Hauptplatz der Stadt eine Truppen schau ab, die auf die Einwohner einen sehr starken Eindruck gemacht haben soll. Die Fa milie El Glauis, die in dem bisher so un ruhigen Gebiet den größten Einfluß ausübt, hat sich öffentlich auf die Seite der Franzosen gestellt und ihr Oberhaupt Hadsch Thami el Glaui, Pascha von Marrakesch, wurde zum Lohne dafür mit dem Ritterkreuz der Ehrenlegion aus gezeichnet, das ihm General Lyautey vor dem versammelten Kciegsvolke an die Brust heftete. — Schon vor 100 Jahren hat Napoleon er kannt, daß man auf diese Weife auch die sprö desten Menschen gewinnt. Asten. * über die Lage in Persien erklärte im englischen Unterhause auf eine Anfrage ein Mitglied der Regierung, daß besonders der Süden des Landes sich im Zustande der Gesetz losigkeit befinde. Vas MMtarluMiff „M. Z" verbrannt. Gefährliche Gasexplosion- — „M. 1" und „M. 2" beschädigt. Am Mittwoch abend hatte der Militärluft kreuzer „M. 3" einen wohlgelungenen Flug über Berlin gemacht und war gegen 11 Uhr abends auf dem Tegeler Schießplatz gelandet, von wo er in die Halle geschleppt und verankert wurde. Am andern Morgen sollte das Luft schiff zu einem neuen Fluge aussteigen, um noch im Laufe des Tages die Fahrt nach Metz an zutreten. Gegen 6 Uhr früh wurde mit der notwendigen Nachfüllung begonnen; dabei ent stand eine Explosion, das Gas entzündete sich, eine Stichflamme schoß empor, und in kurzer Zeit war das Luftschiff total vernichtet, während die Halle beträchtlich beschädigt wurde. Auch die Hüllen der gleichfalls in der Halle befind lichen Militärluftschiffe „M. 1" und „M. 2" sind ziemlich stark beschädigt worden. Uber den Unfall wird berichtet: Nm 6 Uhr waren Mannschaften der 1. und 2. Kompanie des Luftschiffer-Bataillons ange treten, um Hilfe beim Aufstieg des „M. 3" zu leisten, der unter Hauptmann von Jena um 7 Uhr erfolgen sollte. Während die Mann schaften die Tore öffneten und die Zäune nie derlegten, um den Ballon nach dem Tegeler Schießplatz zu bringen, ließ Obersteuermann Metze, der für gewöhnlich das Steuer des „M. 3" bediente, in der Halle am Hintern Ende des Ballons die vor jedem Aufstieg übliche Nach füllung vornehmen. Dabei zeigte sich in dem Füll ansatz eine kleine Flamme. Der dicht daneben auf der Leiter stehende Mann versuchte sofort durch Ausschlagen mit der. Mütze die Gefahr zu be seitigen, aber es war vergeblich. Da zog er den Rock aus, um womöglich durch Umlegen um den Füllansatz die Flammen zu ersticken. Auch das war umsonst; aus dem Flämmchen drohte rasch ein Flammenmeer zu werden. Scharf tönte das Kommando: „Zurück!" durch die Halle, in der mittlerweile auch die Hilfs- Mannschaften neben dem Ballon angetreten waren. Im Nu stand alles in Flammen. Der Mann am Füllansatz gelangte fast ohnmächtig auf festen Boden; er wurde von den Kameraden ausgefangen und schleunigst ins Freie gebracht. Mit dumpfem Knall explodierte gleich danach der Benzinvorrat des „M. 3", wodurch die auf der Erde stehende Gondel völlig zerstört wurde. Die bald eintreffende Feuerwehr hatte schwere und gefahrvolle Arbeit. Die Halle enthielt einen unterirdischen Benzintank mit etwa 500 Flaschen Wasserstoffgas nebst einigen Fässern Benzin. Natürlich wurde die größte Vorsicht beobachtet und dadurch verhütet, daß weiteres Unglück geschah, als kurz darauf 100 bis 150 Flaschen Gas und das in Fässem befindliche Benzin explodierten. An der Halle selbst, die ganz aus Well blech erbaut ist, sind das mit Dachpappen ab gedeckte Dach und sämtliche Scheiben zer stört. An einigen Stellen wurden auch die miteinander vernieteten Platten nach außen ge trieben und zerrissen. Die Hauptarbeit der Löschmannschaften mußte sich darauf beschränken, die explosiven Stoffe aus der brennenden Halle zu entfernen, und erst als dies gelungen war, konnte an eine planmäßige Ablöschung des Brandes gedacht werden. Wie nach Ablöschung des Brandes festge- stellt wurde, sind auch die beiden in der Halle befindlichen abmontierten Militärluftschiffe „M. 1" und „M. 2" beschädigt worden. Die Hüllen der beiden Luftschiffe befanden sich im Hinteren Teile der großen Halle, in deren vorderem Teil der „M. 3" lag, und waren zugedeckt. Die Untersuchung hat ergeben, daß die Hülle des „M. 1" wenig, dagegen die des „M. 2" durch die Flammen stark beschädigt ist. Es wird einer mehrwöchigen Reparatur bedürfen, um die GaS« hüllen wieder betriebsfertig zu machen. Das Halbstarre Militärluftschiff „M. 3" ist seit seiner Inbetriebnahme (Januar 1911) wieder holt von mehr oder minder schweren Unglttcks- fällen heimgesucht worden. Der schwerste Un fall ereignete sich am 12. September 1911 während des Kaisermanövers in Treptow an der Tollense. „M. 3" war am letzten Manöver tage mit sieben Personen zu einer Erkundungs fahrt gufgestiegen. Durch eine Explosion geriet das Luftschiff in den Lüften in Brand und wurde fast völlig vernichtet. Die Besatzung konnte sich durch Abspringen retten. Aus den unbeschädigt gebliebeneü Teilen wurde dann auf der Werft des Luftschiffer-Bataillons das jetzt zerstörte Fahrzeug erbaut. Ende AugUst d. Js. unter nahm das wiederhergestellte Fahrzeug von Tegel ans seine erste Probefahrt, die das beste Ergebnis hatte. Wenige Tage später nahm eS bereits an der Kaiserparade teil, worauf es während der ersten Septemberhälfte im Kaiser manöver Verwendung fand. Auch hierbei zeichnete sich „M. 3" durch hervorragende Leistungen aus. Das Fahrzeug war der roten Armee zugeteilt und führte eine große Er kundigungstour aus, bei der es in der vor geschriebenen Höhe von 1300 Metern die ganze Stellung der blauen Armee auskundschaftete. l>eer unä flotte. — Von den Korpskommandos ist angeordnet worden, daß die Soldaten in bestimmten Zwischenräumen auf Erkrankungen der Zähne zu untersuchen sind. In den Garnisonlazaretten wurden besondere Zahnstationen eingerichtet, die von zahnärztlich ausgebildeten Sanitätsoffizieren geleitet werden. Auch erhalten einige Sanitäts unteroffiziere Unterricht in der Zahnhilfe und Zahnarzneikunde. Bisher wurde die Zahn behandlung beim Militär zwar nicht vernach lässigt, aber die Anfertigung von Zahnersatzstücken durch Zivilärzte stellte sich so teuer, daß solche Ersatzstücke nur in den dringendsten Fällen be willigt wurden. — Mit dem Dampfer „Kronprinz" der Ostafrikalinie ist von Cuxhaven aus der Schutz truppen-Ablöstmgstransport, 414 Mann, unter dem Kommando des Hauptmanns Boettlin aus gefahren. K Ins L,ickt gekrackt. 10) Roman von H. Köhler. (Fortsetzung.) „Erinnerst du dich, daß du gestern äußertest, eS gebe Beispiele, wo lang verheimlichte Ver brechen nur.durch Zufall an den Tag kämen?" „Allerdings," nickte der Justizrat, „aber was hat das hiermit zu tun?" „Willst du mich ruhig anhören?" „Setze dich, Kind, setz' dich, du bist so ernst und feierlich, daß ich fast selber neugierig auf das werde, was du mitzuteilen hast. Also, was ist es? Bitte, sprich!" „Beantworte mir erst eine Frage, Papa," bat Elisabeth. „Ist es Sünde, auf einen voll kommen fremden Menschen den Verdacht irgend eines Verbrechens zu werfen, ohne ganz be stimmte Beweise dafür in Händen zu haben?" „Mein liebes Herz," sagte der alte Herr, „wenn wir einmal ganz bestimmte Beweise in unsern verschiedenen Rechtssällen hätten, so brauchten wir fast gar keine Untersuchung. Erst diese ergibt sie, und ein ausgesprochener Ver dacht braucht den Betreffenden, wenn er wirk lich unschuldig ist, noch immer nicht zu schädigen, — ja es ist im Gegenteil viel besser, er wird laut, um entweder widerlegt oder bestätigt zu werden. — Aber gegen wen hast du Verdacht, denn etwas Derartiges scheint doch s aus deinen Reden hervorzugehen, und wie in des Himmels Namen kannst du einen Blick in diese furchtbare Sache getan haben, der du doch bis jetzt vollkommen fern standest'?" „Ich weiß nicht, wie ich beginnen soll, Papa," entgegnete Elisabeth, während ein schwerer Seufzer ihre Brust hob, als ob es ihr an Atem fehle, „aber ich habe in der Tat einen Verdacht, doch so wild und unbestimmt, daß ich fast sürchte, dir ihn mitzuteilen." „Gut," sagte der Justizrat, „dann wollen wir den Beamten jetzt einmal beiseite lassen — ich bin überdies noch im Schlafrock, Herz — und dem Vater kannst du alles offen sagen, was dich drückt. Auf wem also liegt dein Verdacht?" „Auf Herrn von Berger," entgegnete Eli sabeth mit leiser, fast tonloser, aber doch voll kommen deutlicher Stimme. „Alle Wetter I" rief der Justizrat, und sprang von seinem Sitz auf; „du bist kühn, Mädel, und greifst mitten hinein in die Masse, um dir deinen Mann herauszuholen. Was, um Gottes willen, bringt dich auf den, und wie steht er in der geringsten Verbindung zu dem Morde in Hoßburg?" „Das weiß ich nicht, Papa — das letztere wenigstens nicht. Aber höre zu: an demselben Tage — doch du warst ja dabei, wie er er klärte, nie in Hoßburg gewesen zu sein." „Allerdings — und dann kann er hier auch kein Verbrechen verübt haben, selbst wenn er dessen fähig wäre, was ich noch sehr bezweifle..." „An demselben Tage," fuhr Elisabeth fort, „an dem der Mord verübt wurde, ja, kurz nach der Zeit selbst, bin ich Herrn Berger hier auf der Promenade begegnet." „Hast du ihn denn schon früher gekannt?" „Nein, er fiel uns damals, mir wenigstens, auf, da er zwar sehr anständig gekleidet, aber sein Beinkleid am Knie zerrissen war, was er gar nicht bemerkt haben konnte. Er trug ein in unsauberes Zeitungspapier nachlässig einge wickeltes Paket, beides auffällig für einen an ständig gekleideten Herrn. Gleich darauf nahm er eine Droschke und ich sah ihn dann erst in Bonn wieder." „Und erkanntest ihn nach so flüchtigem Be gegnen? Liebes Kind, kann das nicht ein Irrtum gewesen sein? Der Beweis ist aller dings zu schwach, um auch nur einen Verdacht darauf zu gründen." „Er leugnete, daß er je in Hoßburg ge wesen." „Könntest du es beschwören, daß er es war ?" „Ich glaube, ja," sagte Elisabeth nach einigem Zögern; „aber höre weiter: er leugnete nicht allein, sondern er erschrak auch, als ich ihm sagte, ich erriete seine Gedanken. Er hatte sich zufällig sein Beinkleid am Knie gerade so zer rissen, wie an jenem Tage, und ich riet das aufs Geratewohl." „Er erschrak?" „Klara sowohl wie ich hatten es bemerkt, aber damals weiter nicht beachtet. Doch mehr noch als das: der kleine Pello, der Hund der alten Dame, hat dem Mörder „ein Loch ins Bein gebissen", wie Jeanette sagt — es war das einzige, was ich aus ihr herausbringen konnte — jedenfalls nur in das Beinkleid, denn die Kleine kam von selbst darauf, als ich mir gestern mein Kleid am Koffer zerriß." „Und weil zwei Menschen das nämliche passiert ist, soll der zweite das Verbrechen des ersten verübt Huben?" „Höre mich weiter an. Den Akten sind zwei Briefe eines Mannes beigelegt, der wunder barerweise denselben Namen führt: Berger. Er ersucht darin seine Verwandte um eine Unter stützung." „Berger? — Berger? — Ja, wahrhaftig, du hast recht — jetzt erinnere ich mich — aber ob das derselbe ist? Der Name kommt doch sehr häufig vor. Eine Menge Menschen tragen ihn." „Der Vorname stimmt, wenigstens das F., mit denen sie gezeichnet sind. Herr von Berger in Bonn heißt Ferdinand." „Hm — hm — und die Handschrift?" „Das weiß ich nicht. Klara muß mir eine« von seinen Briefen schicken." „Und was bewiese das alles, wenn wir nicht feststellen können, daß er an jenem Tage wirklich hiergewesen ist?" * „Er hat seine Verwandte um Geld gebeten, also war er arm; jetzt ist er reich." Der Juftizrat schüttelte noch immer mit dem Kopfe. „Er hat sich durch Spekulationen in Paris viel Geld verdient, wie mir Freund Perler versicherte." „Er verkauft Brillanten," fuhr Elsbeth fort; „unter den Steinen aber, die er besitzt, sind einige unechte, und der Juwelier, der hier den Schmuck des alten Fräuleins in Händen gehabt, sagt, nach den Akten, aus, daß einige unechte Steine dabei gewesen wären." „Aber um Gottes willen, woher weißt du das alles?" rief der Justizrat wirklich erstaunt aus. „Nach jenem Abend," fuhr Elsbeth fort,
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