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Allgemeiner Anzeiger : 09.11.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-11-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
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- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191211097
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1912
-
Monat
1912-11
- Tag 1912-11-09
-
Monat
1912-11
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 09.11.1912
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Der Zusammenbruch -er Türkei. Rückzug auf Komtantinovel. — Bitte um Friedeusvermittlung. Die türkische Heeresleitung wie auch die türkische Regierung können nun nichts mehr ver schleiern. Sie sehen ihre besten Truppen vor dem unaufhaltsam nachdrängenden Gegner auf die Hauptstadt zurückfluten und erkennen, daß ihnen nun nichts andres übrig bleibt, als der Wahrheit mutig ins Auge zu schauen. Der Entschluß dazu ist gefaßt und wird unverzüglich ausgesührt. Amtlich wird nämlich in Konstan tinopel mitgeteilt, daß die Armee sich genötigt gesehen hat, sich auf die Tschataldschalinie, das letzte Bollwerk vor der Hauptstadt, zurückzu ziehen. Die Türkei hat daher die Mächte um ihre Vermittlung zwecks Einstellung der Feind seligkeiten und Einleitung von Friedensver handlungen gebeten. Die Aussichtslosigkeit weiteren Wider standes. Zur Vorgeschichte der Entschließung des türki schen Kabinetts, den Beistand Europas anzu rufen, wird in Paris erzählt, daß bis zuletzt der Sultan, die Prinzen der kaiserlichen Familie, der Großwesir und die Mitglieder der Regierung durch die zuversichtlichen Depeschen der Generale vollständig irregeführt waren. Eine Wendung in der Stimmung der maßgebenden Kreise trat erst seit dem Eintreffen des englischen Kreuzers vor den Dardanellen ein. Durch die kurz darauf erfolgte Unterredung des englischen Bot schafters mit dem Großwesir und dem Minister des Äußeren Noradunghian erhielt die türkische Regierung ein klareres Bild von der allge meinen Kriegslage und der Aussichtslosigkeit einer allerletztenKrastanstrengung beiTschataldscha zum Schutze der Hauptstadt. Der Sultan er klärte sich, wie es heißt, unter Tränen bereit, Rodosto räumen zu lassen und die Sorge für die Sicherheit Konstantinopels der Gendarmerie der Hauptstadt und den Polizeichefs von Stambul und Pera anzuvertrauen. Die Botschafter sollen die Ermächtigung erhalten, Truppen nach Gut dünken landen zu lassen, um ihre Häuser zu schützen. Die Haltung der Mächte. Die Bitte um diplomatische Vermittlung, mit der die Türkei sich angesichts ihrer verzweifelten mili tärischen Lage an die Großmächte gewandt hat, ist auch an die deutsche Regierung gerichtet worden. Die Großmächte sind bereits in eine Beratung getreten, um festzu stellen, ob und in welcher Weise dem Antrags der Türkei Folge gegeben werden könne. — Inzwischen Hal die französische Negierung auf das Ersuchen der Türkei geantwortet, daß sie, ohne das Völker recht zu verletzen und ohne den Anschein einer Stellungnahme gegen die Balkanstaaten zu er wecken, nicht vermitteln könne. Sie würde in Übereinstimmung mit allen Großmächten nur ein direkt ausgesprochenes Ersuchen um Ver mittlung prüfen können, wenn es von allen Beteiligten an sie gerichtet sei. Halbamtlich wird in Paris zu diesem Entscheid erklärt - Eine Vermittluna ohne Angabe sofor tiger Zugeständnisse der Türkei, die den Preis des gewünschten Waffenstillstandes zu bilden hätten, ist unmöglich. Keine Großmacht dürfe dem Balkanvierbund zumuten, ohne Unterpfand in einen Waffenstillstand zu willigen, den die Türkei zur Sammlung der versprengten Truppen- lürver benutzen könnte. Die Pforte möge also positive Vorschläge unterbreiten," welches Unter pfand sie für die Erzielung eines Waffen stillstandes zu bieten hätte. Nur wenn diese Bürgschaft erheblich genug schäme, um auf ihre Annahme durch die vier Verbündeten rechnen zu können, würde Frankreich die Vermittlung in die Wege letten. Die Rückzugsgefechte der türkischen Hauptarmes. Jetzt endlich treffen die Berichte über die Ge fechte ein, die sich in den letzten Tagen auf dem östlichen Kriegsschauplatz abgespielt haben. Danach haben die Türken trotz des Durchstoßes der Bulgaren, namentlich auf dem rechten Flügel noch kräftigen Widerstand geleistet, ja sie scheinen sogar die erschöpften Bulgaren bei Bunar Hifsar angegriffen zu haben. So sind den Bulgaren die Früchte ihres Angriffs erst einige Tage später in die Hände gefallen, und da eist hat die energische Verfolgung des aiff die Tschataldscha-Linie zurückflutenden Gegners eingesetzt. Am 1. und 2. d. Ms. sind die Sieger in der Richtung Tschorlu vorgedrungen. Die Schlacht endete mit der vollständigen Nieder lage der Türken, deren Stärke auf 150000 Mann geschätzt wird. Die Schlacht bei Lüle Burgas. Verläßliche Nachrichten bestätigen, daß die Schlacht bei Lüle Burgas sich zu einem furcht baren Schlag für die Türkei gestaltet hat. Die Bulgaren, in deren Reihen zahlreiche siebzehn jährige Rekruten waren, griffen mit großem Ungestüm an, so daß sich die Türken nach über aus schweren Verlusten — man spricht von 40 000 Toten und Verwundeten bei einer Ge samtstärke von 90 000 Mann auf türkischer Seite — zurückziehen mußten. Auch die Ver luste der Bulgaren sollen überaus groß ge wesen sein. Auf dem westliche« Kriegsschauplatz spielen sich nur noch kleine Kämpfe mit den versprengten türkischen Abteilungen ab. Serben und Griechen rücken immer näher an Saloniki heran, während schwächere Kolonnen beider Verbündeten von Norden und Süden auf Monasttr marschieren. Es wird jetzt klar, daß die Türken bei Mitrowitza die Entscheidungs schlacht liefern wollten, aber nicht konnten infolge der großen Niederlage bei Kumanowo durch die Serben. In Usküb wurde so viel Kriegsmaterial vorgefunden, daß es noch nicht möglich war, es arffzuschreiben. Nach der jetzigen richtigen Feststellung waren an der Schlacht bei Kumanowo 80 000 Türken 150 Geschütze, 5000 Reiter und gegen 20 000 Arnauten beteiligt. In die Hände der Serben fielen mehr als zwei Drittel der türkischen Geschütze. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht! Unter Vorsitz des türkischen Ministers des Innern hat sich eine Kommission, bestehend aus dem Generaldirektor der Polizei, dem Kommandeur der Gendarmerie und dem Präfekten von Konstan tinopel gebildet, die sich ständig mit den Maß nahmen befassen soll, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Hauptstadt erforderlich sind. Angesichts der Meldungen über den Rückzug des türkischen Heeres rät die türkische Prelle dem Volke, Festigkeit, Ergebung und Kalt blütigkeit zu zeigen. — England, Frankreich, Deutschland und Italien haben Kriegsschiffe nach Konstantinopel enffandt, die den Fremden schlimmstenfalls Schutz und Umerkunft gewähren sollen. jtlolmscke Kunölckau. reutschlaur *Kaiser Wilhelm hat den italienischen Minister des Äußeren diSanGiuliano in längerer Audienz, an der auch der Reichskanzler teilnahm, empfangen. *Der Reichskanzler hatte im preußisch Z Abgeordnetenhause bei Beantwortung der Teue- rnngsanfragen mitgeteilt, daß im Reichsamt des Innern in Kürze eine Kommission zusammen- treten werde, deren Aufgabe es ist, die Zu stände auf dem Vieh- und Fleisch markt einer Erörterung zu unterziehen. Wie gemeldet wird, beabsichtigt der Staatssekretär des Innern, die Kommission noch im Lame des Monats November zusammentreten zu lasten. Ihre Mitgliederzahl wird sich auf 30 belaufen, von denen die Hälfte von den beteiligten Interessenten benannt, die andre unmittelbar berufen werden soll. Die Kommission wird sich aus Vertretern der Wissenschaft und Statistik, der Landwirtschaft, der landwirtschaftlichen Ge nostenschaften, des Viehhandels, der Kom missionäre des Fleischergewerbes, der Schlachthoi- direktoren sowie aus Vertretern der Kommunal verwaltungen zusammensetzen. * Wie in parlamentarischen Kreisen verlautet, Wird die erste Sitzung des Reichstags nach der Sommerpause auf Donnerstag, den 28. November, anberanmt worden. Soweit seststeht, <ehen zunächst dem Reichstag zu: Der Mat für 1913, das Postscheckgesetz, das Petro leummonopolgesetz, ein Entwurf betreffend Maß nahmen zur Linderung der Fleischnot (Zoll erstattung für ausländisches Fleisch), ein Saug flaschengesetz, Novellen zur Gewerbeordnung über die Erschwerung der Konzessionserteilung für Rummelplätze und Damenkneipen sowie zur Regelung des Kinematographenwesens, ein Nach ttag für Neukamerun (Erforschung und Ver messung der neuen Kolonien), ein Entwurf über die Konkurrenzklausel, ein Entwurf über die Neuregelung der Sonntagsruhe im Handels gewerbe, eine Novelle zum Patentgesetz, schließ lich später Besitzsteuerentwürfe. Eine Reihe weiterer Vorlagen sind vorbereitet, dürften jedoch erst später dem Reichstage zugehen, wie der Entwurf betreffend Unfallfürsorge bei freiwilligen Hilfeleistungen, das Haftpflichtgesetz für Neben bahnen, ein Nahrungsmittelgesetz, ein Reichs- komptabilitätsgesetz, das Reichstheatergesetz, No vellen zur Neuregelung der Wandergewerbe scheine und der Wanderfürsorge. Aus dem Frühjahr ist das Staatsangehörigkeiisgesetz noch zu erledigen. *Die Ersatzwahl im ersten Berliner Reichstagswahlkreise hat zu allge meiner Überraschung gleich im ersten Wahlgang die Entscheidung gebracht. Es erhielten Kämpf (Vp.) 4888 Stimmen, Düwell (soz.) 3840, Ulrich (kons.) 586, Erzberger (Ztr.) 180, zer splittert 47. Insgesamt wurden also abgegeben 9541 Stimmen, die absolute Mehrheit beträgt 4771. Kämps ist demnach mit 117 Stimmen über die abwiute Mehrheit gewählt. * Die Reichstag sersatzwahl im Wahlkreise Greifenberg-Cammiu wurde auf den 16. November festgesetzt. Spante«. *Aus Madrid wird gemeldet, daß die ge plante Zusammenkunft des Königs Alfons mit dem Präsidenten FalliLres infolge der Umtriebe der Arbeiterivndikate vielleicht in einer Stadt im Südwesten Frankreichs erfolgen werde. Batkanstaaten. *Die Araber-Unterwerfungen in Tripolis schreiten günstig fori. In der letzten Woche haben sich 6054 Araber den Italienern unterworfen. Amerika. * Nach den vorläufigen Berichten über die Präsidentenwahl in den Ver. Staa ten ist der demokratische Kandidat Wilson als Sieger aus dem Ringen hervorgegangen. fremäe Sckiffe im Kaiser-MMelm-Aanai. In welchem nicht unbeträchtlichen Umsange die ausländischen Schiffe den Kaiser-Wilhelm- Kanal benutzen, geht aus jetzt vorliegenden statistischen Mitteilungen über das Jahr 1911 hervor. Naturgemäß ist auch die Zahl der den Kanal benutzenden deutschen Kriegsschiffe erheb lich geringer, als die Zahl der Handelsschiffe, die ihn passieren. Ganz gering ist aber die Anzahl der fremden Kriegsschiffe. Während im Jahre 1911 1233 deutsche Kriegsschiffe den Kanal durchfuhren, benutzten ihn nur vier fremde, nämlich zwei dänische Schiffe und je ein italie nisches und russisches Schiff. Alle übrigen Schiffe waren Handelsschiffe. Den stärksten Anteil am Gesamtverkehr hat naturgemäß die deutsche Flagge aufzuweisen. Ebenso im Küstenfrachtoerkehr und im Durch gangsverkehr. Ihr Anteil am Gesamtverkehr beträgt über 60'/- Prozent der gesamten Tonnen zahl und fast 84 V- Prozent der gesamten Schiffe. Am deutschen Küstenfrachtverkehr ist sie mit über 92 V- Prozent des Raumgehalts und mit über 96 Prozent der Schiffe be teiligt ; am Durchgangsverkehr mit fast 57 Pro zent des Raumgehalts und mit über 71V-Pro zent der Schiffs. Nächst der deutschen ist hinsichtlich der Schiffszahl die nieder ländische Flagge am stärksten vertreten, aller dings in einem sehr weiten Abstande, nämlich mit etwas über 4V- Prozent, dann folgt die dänische mit säst 3'/« Prozent, die russische mir ebensoviel, endlich die norwegische mit etwas über 1V- Prozent. Hinsichtlich der Tonnenzahl ist das Verhältnis insofern anders, als nächst der deutschen Flagge die dänische mit 9Pro zent kommt, dann die russische mit 7,3 Prozent, Wetter die norwegische mit etwas über 6 Pro zent, die englische mit ungefähr 5Vg Prozent, die schwedische mit etwas mehr als 5 Prozent, endlich die niederländische mit ungefähr 4'/« Prozent. Die Gesamtzahl der abgabepflichtigen Schiffe deutscher Flagge, die den Kanal passierten, be trug 44 597, die Zahl der Registertonnen 5140000. Dann folgt in weitem Abstande die niederlän dische mit 2449 Schiffen von 406 207 Register tonnen, weiter die dänische mit 1977 Schiffen von 805 676 Registertonnen, die russische mit 1969 Schiffen von 618 760 Registertonnen, die nor wegische mit 802 Schiffen von 513 882 Register tonnen, die schwedische mit 509 Schiffen von 486 532 Registertonnen, die englische mit 392 Schiffen von 450 769 Registertonnen, die bel gische mit 49 Schiffen von 35 412 Registertonnen, und endlich die französische mit 32 Schiffen von 39 157 Registertonnen. Am geringsten waren also die belgische und die französische Flagge ver treten. Hk. Eine Luftschiffgondel als Augzeug. Eine bemerkenswerte Erfindung für Luft schiffe hat ein Berliner Erfinder zum Patent angemeldet. Verschiedene Luftschiffkatastrophen, z. B. die Fälle der Luftschiffe „Mpubügue", „Erbslöh" und „Akron", haben gezeigt, daß die Gondelinsassen eines Prall-Luftschiffes, dessen Hülle zerstört wird, rettungslos dem Tode preisgegeben sind, da in dem Augenblick, wo die Tragfähigkeit der Hülle infolge des Gasverlustes aufhört, die Gondel unaufhaltsam zur Tiefe stürzen muß. Es gibt in diesem Fall also bei gewöhnlichen Luftschiffen keine Rettung für dis Lustschiffer. Aus diesem Grunde haben sich schon viele Erfinder mit dem Problem der gegen Absturz gesicherten Lustschiffgondel be schäftigt. Eine solche Erfindung wurde kürzlich bekannt. Es handelte sich dabei um eine Vor richtung, die es gestattete, im Augenblick der Katastrope durch einen Druck einen Fallschirm über der Gondel auszubreiten, der ein langsames Niedergleiten der Gondel im Gleitfluge ermöglichte. Diese Erfindung hat wdoch den Nachteil, daß die Insassen der Gondel keinerlei Einfluß auf die Richtung und ans den Winkel des Abstiegs haben würden, also immer nochderGeiahreinesschwerenZusammenstoßes mit Häusern, Hochspannungsleitungen usw. ausgesetzt wären. Aus diesem Grunde ist die neue, von dem Ingenieur Wedekind in Berlin angemeldete Erfindung interessant. Er hat eine Lnftschiff- gondel erfunden, die als selbständiger Drachen flieger ausgebildet ist und die im Notfall wäh rend der Fahrt vom Gasttagkörper getrennt werden kann. Die ausgelöste Gondel ist augenblicklich als Drachenstieger zu verwenden. Bei günstigem Landungsgelände kann sofort in den Gleitflug übergegangen werden, bei schlechtem Gelände läßt man den Motor weiterlaufen, und die Flugzeug-Gondel setzt ihren Flug als selbständiges Flugzeug fort, bis der Führer ein geeignetes Landungsterrain gefunden hat. Diese Vorrichtung hat noch wettere Vorteile. Die Tragflächen sind verstell bar, so daß sie während der Fahrt des Luft schiffes zur Unterstützung der Wirkung des Höhen steuers und auch zur gänzlichen Entlastung des Tragkörpers beim Aufstieg verwendet werden können. Der Motor treibt die Propeller während der Fahrt sowohl wie während des selbständigen Fluges; für den Fall, daß ein Niedergehen auf Wasser notwendig wird, kann er mit einer an der Gondel angebrachten Schiffsschraube ge kuppelt werden, so daß die Gondol auch in diesem Falle die Insassen zu retten vermag. Nach Entfernung der überflüssigen Teile, d. h. der Tragflächen, Propeller usw. dient der auch mit einem Steuer versehene bootartige Gondel körper als Motorboot, mit dessen Hilse es mit Sicherheit möglich sein wird, Land oder ein rettendes Schiff zu erreichen. Mau dar: auf die Ausführung dieser Erfindung gewann: sein. E, Ki Oer Sturm brickt los. 2j Historische Novelle von A. Lindner. Das Mädchen schüttelte traurig den Kopf. „Ich — ach Gott!" war alles, was sie leise herausbrachte. „Ich sah," fuhr Gräff fort, „den jungen Ge freiten auf kalter Erde liegen und im Schlafe lächeln; vielleicht gedachte er seines Mädchens, deren Bildnis seine Hand gepreßt hielt. Er fühlte nicht Frost noch Regen. Ich hörte den Vorvosten auf windiger Heide sein Liedchen summen: er sang's der Braut in der fernen Heimat zu, und die russische Steppe schien ihm ein Paradies. Warum kann ich das nicht auch haben?" Die letzten Worte waren kaum hörbar, mehr geseufzt als gesprochen. Elise sah chn fest an. „Sie sind ein Mann, Gräff, und es werden größere Forderungen au den männlichen Mut in unstrn Tagen gemacht, als i diesen Augenblick noch an Sie richte." . „Rechnen Sie auf olle menschliche .Kraft, Elise, wenn Sie meines Mutes bedürfen!" „Ist denn so Vie! nötig, wenn es gilt, auf ein unbedeutendes Mädchenherz zu verzichten?" Der Hauptmann trat erschrocken einen Schritt zurück. „Ist das Ihr Ernst, Elise?" „Leien Sie diesen Brief." Die junge Dame stand auf, bot ihm den bisher verborgen gehaltenen Brief, ging an ihm vorüber und blieb an ihres Vaters Tisch stehen, auf den sie ihr Gesicht senkte, nicht um in dem Buch zu lesen, das dort aufgeschlagen lag, sondern sich der unruhigen Erwartung hin- zugeben, was Gräff sagen werde. Ihre ar beitende Brust bewies, da es nutzlos sei, jetzt dem Auge eine Lektüre zuzumuten. Gräff las: „Ich bin im Auftrage Sr. Majestät, meines glorreichen und erhabenen Kaisers, zu dem Grafen Jork nach Tauroggen gesandt worden und bin also nach vier Jahren zum erstenmal wieder in Deiner Nähe. Dir lebt eine Tante in Tilsit. Frage Dein Herz, teuerste Elise, wenn Du wissen willst, was Du tun sollst. Karl Ostarp." Gräff hob den Kopf fragend nach Elise hin. „Wessen ist dieser Name, der mir da? Herz zuschnürt? Ein deusscher Name, Elise, der nach den ersten Zeilen dieses Briefes ttn Dienste jenes — o sprechen Sie doch ! Geben Sie mir eine Erklärung. Ich will ja gern verzichten, wenn Sie mtt sagen, daß Ihr Herz nicht un würdig gewählt habe — " Elfte ließ sich auf den Stuhl sinken, deutete dem Hauptmann mit der Hand «inen andern Stuhl an, und begann mit gefaßtem ruhigen Tone: „In meines Vaters Hause wohnte Karl Ostarp, seit er die Sexta unsrer Schule besuchte. Er war der verwaiste Knabe eines lieben Freundes, dessen mein Vater sich anaenommen. Wir wuchsen zusammen auf, er vier Jahre älter als ich, und wir hatten uns lieb und fieber. Ms aber der französische Kaiser seinen Sieges zug durch Europa begann, kam eine seltsame Unruhe über den Knaben. Grenzenloser Ehrgeiz war schon der Grundzug, der ihn in seinen Jugendfpiclen beherrscht hatte, und wenn er in den militärischen Knabenspielen nicht General sein konnte, 'spielte er lieber nicht mit. Er las und träumte vo« den Kriegstaten jener Marschälle, die aus Bauernsöhnen zu Fürsten geworden waren mü> vernachlässigte darüber seine Studien. So war er in die Prima ge treten. Da sollte er wegen eines Vergehens eise leichte Strafe erhalten. Ehe dies geschah, bat er mich um ein Zwiegespräch. Sein Ent schluß war, das französische Heer aufzusuchen und unter den Fahnen Napoleons zu dienen, weil das preußische Vaterland dazu keine Ge legenheit bot. In derselben Stunde verließ er die Stadt und mich als seine sechzehnjährige Braut, die ihm das Wort der Treue geschworen hatte." Gräff stand auf. Die Farbe seines schönen männlichen Gesichts war sm ewige Tinten bleicher geworden. Aber das war auch nicht weniger mit des Wangen Elises der Fall, als sie, ebenfalls den Stuhl verlassend, mit einer Handbewegung forssuhr: „Ich bin noch nicht zu Ende, Herr Haupt mann." „Und weiß ich damit mem Schicksal nicht klar genug?" sagte Gräff fast zornig, wie es ehrliche Leidenschaft im Gefühle des Grams zu sein pflegt. „Ich bin so selbstsüchtig, eine Bitte an Sie zu richten." „Ein Wort zuvor," unterbrach sie Gräff. „Karl Ostarp ist ein Preuße, focht er bei Eylas unter französischen Fahnen?" „Das ist nicht möglich. ZDne Schlacht geschah ein Jahr vor seinem Weggänge. Übrigens bin ich seitdem ohne Nachricht von ihm." „Wie kommt das, Elise?" „Es war eine Vereinbarung. Er gelobte mir, nicht eher Nachricht zu geben, bis er sich Rasg und Stand unter dem Kaiser erkämpft habe." „Es scheint, er hat es «reicht," sagte Gräff.. „Denn ein Botschafter des Kaisers an die Generale muß seinen Rang vom Major bis Oberst Habes. Aber wenn dieser Mann Ihrer unwürdig ge worden wäre?" Die junge Dame holte einen tiefen Seufz« und sah nach der Straße hinaus, als sie aA- wortete: „Eben deshalb mutz ich Karl Ostarp wiedev- sehen. Ich mutz wissen, wetz Braut ich bin." „Und was gedachten Sie zu tun, meftr Fräulein?" „Sie ersuchen wollt' ich, mich unter Ihre« Schutz nach Tilsit gelangen zu lassen." Gräff stand überrascht, fragte aber doch sofort : „Und was wirb der Vater dazu sagen? Weiß er bereits davon?" „Noch nicht. Ich war willens, ihm mein« Enttchluß nach Beendigung der Unterrichts stunden mitzuteilen. Er wird mich an einem Schritte nicht hindern, der das Glück des Lebess entscheiden soll." Eine kleine Pause trat ein. Gräff jchi«
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