Volltext Seite (XML)
einem angenehmen Orte verbringen zu können. Behaglich stu dierte er. die Vergnllgungsanzeigen und entschied sich dafür, ins Lyceum-Theater zu gehen. Es war das erstemal, daß er ein englisches Theater be suchte. Bisher hatte er seiner Börse diese Ausgaben nicht zuge- mutet und sich mit den Varietes begnügt. Er hatte ein Billett zum ersten Rang genommen und be trachtete mit Interesse das Treiben der englischen Gesellschaft, welche in den Logen und im ersten Rang Platz genommen. Herren und Damen befanden sich in Gesellschaftstoilette und gaben dem Theater ein farbenprächtiges und elegantes Bild. Nach dem Theater begab sich Bolko von Dannhäuser in ein in der Nähe gelegenes Restaurant und atz er gerade an einein Tische des vornehmen Lokals Platz nehmen wollte, stutzte er. Unfern von ihm bemerkte er ein älteres Ehepaar, welchem man, ohne besonders Menschenkenner zu sein, schon von weitem die deutsche Herkunft als Landedelleute ansah. „Das ist doch Dannhäuser," rief die fette, kommandoton- artige Stimme des alten Landjunkers, als er ihn erblickte. Bolko von Dannhäuser trat zu dem Rufenden, schlug die Hacken zusammen und antwortete: „Jawohl, Herr Landrat, Bolko von Dannhäuser." Der Landrat reichte Bolko von Dannhäuser seine gewichtige rechte Hand und drückte dessen Hand so kräftig, daß sie rot an lief. „Aber Menschenskind, — Dannhäuser, — was machen Sie denn hier in diesem englischen Sündenbabel?" Bolko von Dannhäuser antwortete nicht sogleich, sondern machte eine korrekte Verbeugung vor der ihn anstaunenden Gattin des Laudrats. „Gestatten, gnädige Frau?" Im schönsten Ostpreußisch antwortete die Landrätin: „Aber gewiß, mein lieber Herr Leutnant. Ach Gott, ich freue mich ja so, Sie frisch und munter zu sehen. Laß doch ein Kuvert mehr auflegen, Manuche." „Kellnerrrr!" tönte die Stimme des Landrats, welcher ehemaliger Artilleriehauptmann, dröhnend durch das vornehme Restaurant. Sofort eilten mehrere Kellner dienstbeflissen zu dem Tisch und der Landrat gab ihnen, die deutsche Sprache weiter ge brauchend, seine Order. „Wundern sich Wohl," wandte er sich an Bolko von Dann häuser, „daß ich deutsch spreche? Mein lieber Leutnant, das ist die einzige Sprache, welche ich derartig gut beherrsche, daß ich mich mit ihr verständlich machen kann. Den ersten Tag habe ich es englisch versucht, und jeder Kellner starrte mich an, als ob ich chinesisch spreche. Aber deutsch verstehen sie. Nun geben Sie mir aber mal Antwort. Was treiben sie hier in Loudon? Sehen tatsächlich nicht aus, als ob Sie wie andere Kameraden für irgend eine Firma als zweibeinige Reklame rumlaufen." Bolko von Dannhäuser lachte. „Sie müssen ihm nichts übel nehmen, mein lieber Leut nant," sagte die Frau Landrätin, „er hat schon zwei Flaschen Notspohn ausgetrunken, und da redet er mit jedem, als stände er auf dem Acker und spräche mit seinen Leuten." „Ruhe!" donnerte der LaUdrat, „ich bin deshalb nicht mit Dir nach London gefahren, damit Du mir den Rotwein tee löffelweise in den Hals zählst." Endlich wandte er sich wieder an Bolko von Dannhäuser. „Also was treiben Sie hier in London? Ob ich wohl noch eine Antwort von Ihnen bekomme? Wird doch die Ka meraden in Berlin scheußlich interessieren, wenn ich mit ihnen im Kaiserhof zusammentreffe und ihnen erzählen kann: Kruder, der Dannhäuser, der hat nicht umsonst am Scheibenstaud das Schwarze zu treffen gelernt, der steht da draußen ebenso tüch tig seinen Mann, wie im Bataillon." Bolko von Dannhäuser wußte eigentlich beim besten Willen nicht, was er dem Landrat antworten solle. Er mußte irgend eine Notlüge gebrauchen, so unangenehm es ihm war. „Ich stehe in diplomatischen Diensten." Jetzt Ivar der Landrat gleichfalls, wie seine Frau zuerst, starr vor Erstaunen. Dann brach ein lautes „Donnerwetter, ich gratuliere" aus seinem Munde, „und nun mache ich Ihnen einen Vorschlag, mein lieber Leutnant: Ich bin von jeher um das Wohl meiner teuren Gattin besorgt gewesen —" „Nein, nein, nein," unterbrach ihn die Landrätin, die schon wußte, welchen Plan diese Worte des Landrats einleiten sollten. „Laß mich ausreden," sagte der Lnndrat, und in seiner Stimme klang es, als ob am Horizont ein ferner Donner grollte. — „Laß mich ausreden, Marie, ich habe nicht Lust, mit einer kranken Frau nach Hause zu kommen, und wir werden Dich jetzt ins Hotel bringen, damit Du Deine Nachtruhe hast. Kellnerrr — zahlen!" Die Frau Landrätin schwieg. Sie kannte ihren alten Herrn zur Genüge und wußte, daß er niemals zum Rückzug blietz. Da mußte er erst auf der Nase liegen, wie er sich ausdrückte. „Aber Du versprichst mir doch," wagte sie noch einzuwen- den, „daß es nicht zu spät wird? Nicht wahr, Herr Leutnant?" Der Landrat schlug ein dröhnendes Gelächter an. „Könnte mein Junge sein, der Leutnant, und es wäre besser, wenn Du mir den Auftrag geben würdest, ihn nicht zu spät zu Bett zu bringen. Vorwärts, Kinder. Abgemacht ist, Mannschaft zur Ruh'." Er hatte dem Kellner ein fürstliches Trinkgeld auf den Tisch geworfen, und sie rissen sich förmlich darnach/ihm in den Mantel zu helfen. Aber auch sonst hatte ihnen die herrische, knurrige Art des altpreußischen Landjunkers Respekt eingeflößt. Eine halbe Stunde später stürzte sich der Landrat mit Bolko von Dannhäuser in den unergründlichen Strudel des Londoner Nachtlebens. „Immer druff," war die Devise des alten Herrn, „ein Mann der Kräfte hat, muß sich austoben, oder er ist ein elender Schlappschwanz, der nicht wert ist, in Preußen geboren zu sein!" Und Bolko von Dannhäuser hatte Mühe, mit dem Alten mitzukommen. Es graute bereits der Morgen, als die beiden in brüder licher Duzfreundschaft vor dem Hotel des. Landrats Abschied nahmen, und der Landrat mit tränenfeuchten Augen zum hun dertsten Male den jungen Leutnant umarmte, diesen auf beide Backen küßte und mit weinerlicher Stimme schluchzte: „Bolko — Mensch — Leutnant — Du bist der beste Mensch, den ich je getroffen. Donnerwetter, Junge, warum bin ich nicht Dein Vater geworden?" Sie hätten sich wahrscheinlich überhaupt nicht getrennt, wenn nicht Bolko von Dannhäuser, der eine bleierne Müdigkeit in den Gliedern fühlte, sich erinnert hätte, daß er um 9 Uhr früh bei Mr. Hobson sein mußte. Er riß sich von dem Landrat los, nahm ein gerade vor- überfahrendes Cab und fuhr von dannen. Eine Stunde später schlief er. Seinen Wecker hatte er auf 8 Uhr gestellt. Prompt rasselte und schnarrte der Wecker um 8 Uhr seine Feder ab. Aber Bolko von Dannhäuser hörte nichts. Man hätte Batterien abfeuern können, er hätte es nicht gehört. Gegen 2 Uhr nachmittags bekam es seine Wirtin, nachdem sie wiederholt versucht hatte, ihn zu wecken, mit der Angst. Sie hämmerte gegen die Tür, als wollte sie die Füllung heraus schlagen. Und jetzt endlich erhob sich Bolko von Dannhäuser, blickte einige Sekunden schlaftrunken und halb blödsinnig umher, er innerte sich im nächsten Moment, was er vorhatte, und sprang mit einem Satz aus dem Bett. Hastig beruhigte er die Wirtin und bestellte Kaffee. „Was, Kaffee? Jetzt um 2 Uhr nachmittags Kaffee?" Bolko von Dannhäuser faßte sich mit beiden Händen an den Schädel. Wie in einer Sägemühle rumorte es in ihm. Tann stürzte er auf den Wecker, ergriff ihn und starrte auf das Zifferblatt. Es war V? 3 Uhr. Mit einem militärischen Kernfluch feuerte er den unschul digen Wecker in eine Ecke, und begann sich anzuziehen. Währenddem brachte ihnr die Wirtin Kaffee. Er nahm sich kaum Zeit zum trinken, verbrannte sich an dem heißen Zeug fast den Mund, zündete sich eine Zigarette an und stürzte aus dem Zimmer. Fast endlos dünkte ihm die Fahrt in einem Auto zur Ha milton Rood. -Endlich hielt der Wagen. Er warf dem Chauffeur ein größeres Geldstück zu, und lief zur Haustür Mr. Hobsons. Deutlich hörte er das Klingeln der von ihm in Bewegung gesetzten Hausglocke. Aber nichts rührte sich. (Fortsetzung folgt.) 41*