Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 14.08.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-08-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191208148
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19120814
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19120814
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-08
- Tag 1912-08-14
-
Monat
1912-08
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 14.08.1912
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Kaiser MWelm bei äer Krupp-feier. Kaiser Wilhelm, der aus Anlaß der Jahr- hundertfeier der Firma Krupp in Essen weilte, hielt bei dem Festakt folgende Begrüßungs ansprache an die Jubelfirma: „Die Geschichte des Werkes, dessen hundertjähriges Bestehen wir heute feiern, ist ein Stück preußischer und deutscher Geschichte: seine Gründung fällt in das Jahr, mit dessen Schluß für Preußen und Deutschland die Morgenröte der Befreiung von der Fremdherrschaft anbrach, und die Zeit be gann, die von Leipzig bis nach Versailles zur Einigung Deutschlands unter preußischer Vor herrschaft führte. Tie ersten Jahrzehnte müh seligen Ringens, durch die das Werk hindurch mußte, fallen in die Zeit, da in Preußen unter einer freien Gewerbegesetzgebung, lebhast ge fördert und unterstützt durch meine Vorfahren, in stiller, emsiger Arbeit eine Industrie entstand, die inzwischen in hundertjähriger Entwicklung den heimischen Markt eroberte und auf dem Weltmarkt zum erfolgreichen Wettbewerber aller Kulturstaaten erwachsen ist. Die Geschichte dieser politischen und wirtschaftlichen Entwicklung wird den Namen Krupp stets mit Ehren nennen. Kruppsche Geschütze haben in den preußischen Linien auf den Schlachtfeldern gedonnert, auf denen Deutschlands Einheit vorbereitet und erkämpft wurde. Kruppsche Geschütze werden auch heute noch vom deutschen Heere und von der deutschen Marine geführt, auf Kruppscher Werft erbaute Schiffe führen die deutsche Kriegsflagge und Kruppscher Stahl bewahrt Schiffe und Forts. Zahlreiche Armeen des Auslandes bedienen sich Kruppschen Kriegsmaterials. Aber die waffen- technischcn Leistungen des Werks werden fast noch übertroffen durch Leistungen auf Gebieten, die der friedlichen Entwicklung der Völker dienen. Die gesamte Technik des modernen Verkehrs, die Eifenbahnrädcr, -achsen, -schienen, die Wellen des Schiffs wie des Kraftwagens beruhen heute noch auf dem Gußstahl und den genialen Erfindungen Alfred Krupps. So ist denn auch nicht ein kriegerisches, sondern ein kulturelles Fabrikat, der Radreifen, in der Fabrikmarke und im Familienwappen versinn bildlicht. Das Kruppsche Werk war nicht nur der erste Großbetrieb Deutschlands, sein großer Leiter war auch der erste, der in Deutschland die sozialpolitischen Probleme erkannte und zu lösen versuchte, die aus der neuen Betriebs weise erwuchsen. Die Kranken-, Invaliden- und Hiuterbliebenenfürsorge der Firma, ihre Ver- trauchsanstatten und Fortbildungsschulen, ihre mustergültige Wohnungspolitik haben in der deuychen Großindustrie bahnbrechend gewirkt und die sozialpolitische Gesetzgebung des Deutschen Reiches vorbcreiien helfen. So haben die in Krieg und Frieden dem Vaterlands geleisteten Dienste für dies Werk eine besondere Stellung in meinem Staa s geschaffen und durch nunmehr drei Generationen feine Inhaber und ihre Familien zu memen Vorfahren und mir in ein Ver hältnis ireundschafilichen Vertrauens gesetzt. Es gereicht mir zur freudigen Genugtuung, das Werk, seine Inhaber und Angehörigen zu dem heutigen Ehrentage persönlich beglückwünschen zu können, und ich kann das Bekenntnis der Treue zu Kaiser und Reich, das ich soeben ver nommen habe, nur mit dem Wunsche beant worten, daß es den jetzigen Leitern des Hauses gelingen wöge, es weiter zu führen, treu den Traktionen des Hauses, zur Ehre des Namens Krupp, zum Ruhme unsrer Industrie und zum Wohle des deutschen Vaterlandes." Polmlcke Kunälckau. Heulschlaud. * Kaiser Wilhelm hat aus Anlaß der Hundertjahrfeier der Firma Krupp in Essen dem jetzigen Inhaber derselben, bisherigen! Herr v.Merlen-wachter über die deutsch-französischen Beziehungen. Wie der Pariser .Figaro' in einem spalten langen Artikel mitteilt, hat sich der deutsche Staatssekretär des Nutzeren v. Kiderlen-Wächter gelegentlich seines Aufenthaltes in Kissingen zu einem Redakteur dieses Blattes sehr eingehend und freimütig über die deutsch-französischen Be ziehungen und in Verbindung damit auch über die Abrüstungsfrage geäutzert. Bei der Betrach tung dieser angeblichen Ministeräutzerung drängt sich sofort die Erkenntnis auf, daß der ,Figaro' oder sein Gewährsmann Dichtung und Wahr heit ziemlich willkürlich gemischt haben; denn niemand wird glauben können, daß einem modernen Staatsmann aus Bismarcks Schule als Ideal weisester Staatskunst der „Zusammen schluß Europas", der europäische Staateubund, gilt. Nach dem ,Figaro' aber soll sich Herr v. Kiderlen-Wächter zu diesem Ziel der Politik bekannt und erklärt haben, er sei ein Feind der sogenannten „großen Politik", die die Ver ständigung zwischen den Völkern erschwere. Europa müsse sich angesichts der von Amerika in wirtschaftlicher und von Asien in politischer Beziehung drohenden Gefahr einig sein. Und mit Rücksicht auf die vielen gemeinsamen Interessen in der Welt müßten besonders Deutschland und Frankreich einig sein. In Frankreich aber „schmolle" man jetzt, „nachdem die Marokkofrage für immer erledigt sei", nach wie vor wegen des Frankfurter Friedens und man könne sich mit dem Verlust Elskst-Lothringens nicht abfinden. „Aber," so fragte angeblich Herr v. Kiderlen-Wächter, „was hat die Politik der teilweisen Verständigung mit dem Frank furter Frieden zu tun?" Könne Frankreich nicht seine Hoffnungen im Herzen bewahren und sich trotzdem am Leben der Welt betätigen; sollen in einer Zeit, wo die wirtschaftlichen Probleme alle andern überwiegen, die historischen Streitigkeiten die notwendige Entwicklung der Nationen bedingen? Sei es z. B. nölig, daß Frankreich aus dem einzigen Grunde die chinesische Anleihe ableyne, weil Deutschland Was er nicht verstehe, sei ein zu wagen. förde unter dem Verdacht der Spionage festgenommen worden waren, sind aus der Haft entlassen worden, nachdem sich ihre Schuld losigkeit herausgestellt hat. — Dabei ist zu be merken, daß die Herren alle Unannehmlichkeiten vermieden hätten, wenn sie nicht, wie viele ihrer Landsleute, bei ihrer Fahrt nach Deutschland, jede Rücksicht außer acht gelassen hätten. Wer in England Verteidigungswerke photographiert, gilt als der vollendeten Spionage überführt. Der Fall zeigt aufs neue, daß unser Spionage gesetz dringend einer Verschärfung bedarf. *Die preußische Justizverwaltung richtet gegenwärtig die erste Gefängnisschule ein, an der Anwärter für die Aufseherstellen im Gefängnisdienst praktisch und theoretisch unter richtet werden sollen. Die Schule wird mit dem neuen Gefängnis in Freiendiez in Hessen- Nassau verbunden. — Die Errichtung von Ge- fängnisschulen ist seit langer Zeit- von den Be amten erstrebt und auch im Landtag wiederholt angeregt worden. Amerika. * Der Präsident der Negerrepublik Haiti, General Leconte, ist durch ein Dynamit- Attentat, das seinen ganzen Palast in Trümmer legte, getötet worden. Leconte war erst seit dem vergangenen Jahre Präsident, nachdem es ihm gelungen war, den greisen langjährigen Eräsidenten Nord Alexis durch eine Revolution zu vertreiben. Es heißt, daß bei einem auf die Dynamitexplosion folgenden Brande vier hundert Menschen umgekommen sein sollen. schmollendes Frankreich. Hier seien Wege auf gezeigt, die schließlich zu einer dauernden Ver ständigung führen müßten. Der Franzose fragte darauf, ob der Staatssekretär wirklich ein Einverständnis zwischen Frankreich und Deutschland für möglich halte. „Sicherlich," antwortete Herr v. Kiderlen-Wächter, „aber," fügte er hinzu, „nicht einmal dieses Einverständnis würde die Frage der Rüstungen lösen." Damit war ein neues Gesprächsgebiet gestreift, das dem,Figaro'- Mitarbeiter Gelegenheit bot, Herrn v. Kiderlen- Wächter über seine Meinung bezüglich der all gemeinen Abrüstung zu fragen. Der Staats sekretär griff diese Frage lebhaft auf. Er er klärte zunächst, daß er den Gedanken der all gemeinen Abrüstung für eine Schwärmerei halte, die nicht verwirklicht werden könne und be gründete seine Ansicht etwa wie folgt: „Glauben Sie, es genüge, um die allgemeine Abrüstung zu verwirklichen, daß zwei oder drei Staaten sie erklären? Und wenn ein vierter, unter irgend einem Vorwand, sich weigert, sie zu unter schreiben, wie soll man ihn dazu nötigen, wenn man nicht eine genügende Macht bewahrt hat, um ihn zwingen zu können? Und so kommen wir wieder auf einem Umwege zur Idee der organisierten Macht zurück, nicht um den Krieg zu entfesseln, aber um den Frieden durchzusetzen. Ich will annehmen, wir entschlössen uns beide, abzurüsten. Ich sage Ihnen: Sie sind vierzig Millionen, wir 63; Sie werden also 200 000 Mann haben, wir 300 000. Werden Sie das annehmen? Schwerlich! Aber wir sollen dahin gelangen, uns zu verständigen, daß jeder nur 250 000 Mann haben darf; nun, Sie haben die zweijährige Dienstzeit, wir teilweise die dreijährige; am Ende würden Sie also mehr waffeukundige Leute haben als wir. Sie. sehen, welche praktischen Schwierigkeiten sich ergeben, sobald man das Problem zu lösen versucht." Der Franzose deutete nun auf die jüngsten Armeeverstärkungen hin, worauf Herr. v. Kiderlen- Wächter angeblich sagte: „Man schien uns zu bedrohen. Mußten wir da nicht zeigen, daß wir fähig wären, uns zu verteidigen? — Wer schien Deutschland zu bedrohen? England. Gegen wen müssen aber die 50 000 neuen Soldaten ihr Vaterland verteidigen: gegen Frankreich!" Der Franzose sagte: Frankreich bedroht Sie nicht" und er erklärt, folgende Antwort erhalten zu haben: „Angenommen, wir seien in einen Krieg gegen die Engländer verwickelt, kennen Sie eine Negierung in Frank- rei, die fähig wäre, mehr als drei Stunden dem Druck des Volkes zu widerstehen, der das Heer an die Grenze werfen würde?" Hier bricht der ,Figaro' seinen Bericht ab. . Ä. D. Botschaftsrat Dr. Krupp v. Bohlen und dazu Anfang gemacht habe? Warum will Halbach, Titel und Rang eines außer- Fran kriech nicht gleichberechtigt an der Bagdad ordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Mi- bahn mittun? Herr v. Kiderlen-Wächter würde nisters verliehen. ,^in kriegerisches Frankreich verstehen, das bereit * Die fün Engländer, die bei Eckern-Vv^re, das Schwert zu ziehen und^das Abenteuer Cxplolrons-katal'tropke aus Tecke „Volbringen". In der Steinkohlengrübe „Gerthe" bei Bochum hat sich eine Schlagwetter-Explosion ereignet, die von furchtbaren, verhängnisvollen Folgen war und einen trüben Schatten auf das glänzende Fest der Arbeit in dem nahen Essen warf. Ob wohl die genaue Zahl der Tooesopfer nicht festsieht, da die Nachrichten, die aus dem Unglücksort kommen, einander vielfach wider sprechen, so ist es doch leider sicher, daß die Katastrophe eine der schwersten ist, von der eine deutsche Gewerkschaft je betroffen wurde, und daß die Zahl der Todesopfer 100 über steigt. Die Ursache des entsetzlichen Mafsenunglücks ist, wie endgültig angenommen werven kann, darauf zurückzuführen, daß beim Anschietzen eines Querschlages auf der vierten Sohle eine Gasquelle frei geworden ist, und datz sich das Gas entzündet hat. Ein amtlicher Bericht über die Katastrophe besagt folgendes: Bei der Schlagwetter-Explosion auf Zeche „Lothringen" I und ll in Gerthe sind über 120 Bergleute ums Leben gekommen und 25 Bergleute verletzt worden, von ihnen eine größere Anzahl leicht. Bei der Rettungsarbeit ist es gelungen, mehrere Betäubte im Schacht durch die Be handlung mit Sauerstoff ins Bewußtsein zu rückzurufen. Vermutlich ist die Explosion an zwei verschiedenen Stellen entstanden. Mehrere kleine Brände wurden in verhältnismäßig kurzer Zeit gelöscht. Die Zerstörung in der Grube ist nur gering. Die Bergungsarbeiten waren insofern schwierig, als die Unglücksstelle etwa zwei Kilometer von dem Schacht entfernt liegt. Die Ursache der Schlagwetter-Explosion ist ver mutlich darin zu suchen, daß Gase, die in Felsspalten eingeschlossen waren, durch einen Sprengschuß wieder frei wurden und sich ent zündeten. Im Auftrage Kaiser Wilhelms, der sofort 15 000 Mk. für die Hinterbliebenen der Verunglückten zur Verfügung stellte, besuchten der Handelsminister Sydow und der Ober- Präsident von Westfalen, Prinz von Ratibor und Corvey, die in Essen zur Jubelfeier weilten, sofort die Unglücksstätte. Die Herren begaben sich direkt zum Krankenhaus Bergmannsheim, um den verwundeten Bergleuten einen Besuch abzustatten und ihnen das Mitgefühl des Kaisers an dem Unglück zum Ausdruck zu bringen. Die Zeche „Gewerkschaft Lothringen" ist bisher von größeren Unfällen verschont geblieben. Es ist dies das erste Massenunglück, das sich auf „Lothringen" ereignet hat. — Vor dem Eingang der Zeche spielten sich herzzerreißende Szenen ab. Frauen und Kinder standen weinend und jammernd vor den Toren der Zeche. Automobile mit Schwerverletzten oder Vertretern der Berg behörden fuhren hin und her. Die meisten Verletzungen bestehen hauptsächlich in schweren Verbrennungen. Körper und Gesicht der Berg leute sind schwarz gebrannt. Die Verwundeten, die nach dem Verbandshaus gebracht wurden, erhielten sofort eine Sauer stoffmaske über das Gesicht. Bei den Sachverständigen hat die Explosion der Wetter sehr überrascht, da die Sicherheitsmastregeln der auf das modernste eingerichteten Zechen allen Anforderungen bisher vollauf genügt haben. Den Leichen fehlten meist einzelne Glieder. Fast alle sind an Erstickung gestorben und erst dann verbrannt. Sie sind bis zur Un kenntlichkeit entstellt, so datz ein Erkennen viel fach völlig ausgeschlossen ist. Erst durch eine Feststellung der Kontrolllisten liehen sich die Namen der Opfer der Katastrophe ermitteln. An den Kleidern der unglücklichen Opfer ist zu erkennen, datz sie sich das Zeug in Fetzen vom Leibe gerissen haben, um das Einatmen der giftigen Schwaden durch Zeugstücke, die sie sich in den Mund steckten, nach Möglichkeit zu ver hindern. Kaiser MWelm auf äer dnglücksLecke. Kaiser Wilhelm, auf dessen Wunsch die Festlichkeiten zur Hundertjahrfeier der Firma Krupp in Essen infolge des schweren Gruben unglücks abgebrochen worden sind, hat vor seiner Fahrt nach Wilhelmshöhe der Unglücks zeche einen Besuch abgestattel. Begleitet von seinem Bruder,dem Prinzen Heinrich von Preußen, dem Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg und Herrn Krupp v. Bohlen und Halbach, weilte der Monarch etwa eine Stunde auf dem Gelände t er Zeche „Lothringen". Ter Kaiser ließ sich noch einmal eingehend Bericht erstatten, erkundigte sich bei einzelnen Bergleuten nach ihren Eindrücken bei der Katastrophe, Uetz sich das Rettungswerl eingehend beschreiben und stellte allen daran Be teiligten Auszeichnungen in Aussicht. Dann besuchie j der Monarch das Krankenhaus „Bergmanns heil", wo er Anweisung gab, datz seinem Leib arzt über den Verlauf des Heilungsprozesses bei den einzelnen Erkrankten. Bericht erstattet: werde. Der Kaiserbesuch hat im Zechenrevier einen tiefen Eindruck gemacht. K Vurck eigene Kraft. 5t Novelle von Hans Lingg. (Fortsetzung.) Inzwischen war auf dem einen Ende der Terrasse der Tisch gedeckt worden, und die ganze Gesellschaft folgte der freundlichen Ein ladung Jägers und nahm an der Tafel Platz. Später kam auch noch die Frau des Ober lehrers, Mariannes Tante, hinzu, in der Karl die Begleiterin Mariannes von zuvor wieder- "erkannte. Eine weiche, linde Sommerluft umkoste die 'Gesellschaft, denn das Gewitter hatte die Temperatur des Tages gemäßigt. Karl und Marianne saßen sich gegenüber und zwar so, daß Karl die Aussicht auf das weite Tal hatte, dem Marianne den Rücken zukehrte. Die Finsternis senkte sich allmählich hernieder; Bäume und Sträucher nahmen eine schwarze Farbe an, und zuletzt glich das Tal einem dunklen Hintergründe, von dem sich das lieblichste Gemälde, das Karl jemals geschaut, Marianne, licht und freundlich abhob. Die Gesellschaft aß; Karl aber genoß mehr mit den Augen, als mit dem Munde. Das kindlich schöne, offene Gesicht, die Augen mit den langen Wimpern, das zierliche Näschen, der kleine, kirschrote Mund, die feinen Hände — das alles wurde der Gegenstand seiner stillen Bewunderung. Zierlich wie ihre Glieder waren auch die Bewegungen des jungen Mäd chens. Tie Art, wie sie die Speisen nahm und aß, wie sie die Teller der Nachbarschaft und dem immer noch schüchternen Kar! präsentierte, war so voll Anmut und Liebenswürdigkeit, daß Karl glaubte, noch nie so etwas Schönes in seinem Leben gesehen zu haben. „Sie ist schön wie ein Heideröslein," dachte er, „das im Verborgenen blüht und von seiner Schöhnheit nichts weiß." Aus dem Gespräch erfuhr Karl, daß das junge Mädchen elternlos sei und sich bei ihrem Onkel, dem Rittmeister von Liebenau, auf dem Gute Liebenau während der Ferien aufhalte, von wo aus die Tante, die Frau Oberlehrer Raden'feld, sie zum Besuch in Braunshöhe ab geholt habe. Hier wollte sie einige Wochen verweilen. Nach dem Essen wurden Aprikosen aufge- tragsn. „Die ersten in diesem Jahre," sagte Jäger. Als das zierliche Körbchen mit den Früchten Karl angeboten wurde, dankte er und reichte sie Marianne hinüber. Diese sagte: „Es ist ein Aberglaube in unsrer Gegend, in dem ein hübscher Sinn liegt. Man sagt nämlich, wenn zwei gute Menschen eine Frucht miteinander teilen, dann finde sich jeder von ihnen, wenn er sich einmal verirrt habe, wieder zurecht, sobald er nur an den andern denke. Sie gehen in den Krieg," wandte sie sich jetzt an Karl, „dabei können wir Frauen nichts helfen. Aber ich will wenigstens dafür sorgen, daß Sie sich nie ver irren oder sich Kalo wieder zurecht finden." Sie nahm eine Aprikose, zerschnitt sie, legte beide Hälften auf ihre Hand und reichte sie Karl hinüber. „Bitte!" fügte sie hinzu. Alles Blut drängte sich Karl nach dem Kopf und es flimmerte ihm vor den Augen. Voll Glückseligkeit sah er in Mariannes Gesicht, ohne zuzulangen. Erst als sie ihr „Bitte!" wiederholte, faßte er sich und nahm eine der Hälften. Sie aßen beide und sahen sich lächelnd an. „Bitte, geben Sie mir auch den Stein!" bat Karl. „Ich will ihn immer bei mir tragen. Er soll mir Glück bringen." „Recht gern," antwortete das junge Mädchen. „Ich wollte ihn eigentlich einpflanzen und einen Baum daraus ziehen zrrm Andenken. Aber wenn ich Ihnen so mehr nützen kann —" Sie reichte Karl den Stein in einem silbernen Löffelchen hinüber. „Nun bin ich stich- und kugelfest," sagte dieser, indem er den Stein einsteckte. „Fräu lein, ich werde mich ihrer stets dankbar er innern. Wie die alten Ritter in den Kampf zogen, um für ihre Damen Lanzen zu brechen und Siege zu erringen, so werde ich Ihnen alle meine Erfolge weihen!" „Nun, dann bin ich gewiß, nach dem Kriege den Lorbeerkranz zu tragen," sagte Marianne Hester. „Tantchen, wie wird mir das gut stehen!" Die Gesellschaft hatte dem Gespräch mit ruhigem Lächeln zugehört. Die Plauderei hatte noch zu sehr den Charakter harmloser Kindlich keit, als daß jemand hätte glauben können, es entspinne sich da etwas zwischen den beiden jungen Leuten. Wohl war der Tante und dem Onkel die tiefere Bewegung Karls nicht ent gangen, indessen hatten sie viel zu viel Mit gefühl, als daß sie dem jungen Manne, der sein Leben dem Vaterlande zu opfern bereit war und vielleicht dem Tode entgegenging, die Freude an der kindlichen Teilnahme Mariannes hätten mißgönnen können. Die Herren nahmen ihr ernstes Gespräch über die Gefahren und Eventualitäten des Krieges wieder auf und die beiden jungen Leute setzten ihr Geplauder fori. „Es hat mir rechte Angst gemacht, als ich gestern von der Kriegserklärung hörte," sagte Marianne. „Ich habe nämlich in Paris einen Vetter, Namens Kurt. Er ist Jurist. Nach Paris ging er teils seines Studiums wegen, teils auch, um Nachforschungen nach unsren Ver wandten in Frankreich anzustellen. Denn dec Bruder meines Großpapas, der als preußischer Offizier die Freiheitskriege mitgemacht hat, hat auf seinem Zuge nach Frankreich eine Französin kennen gelernt und sie geheiratet. Er befaß ein Gut in der Gegend von 'Orleans. Es soll ihm gut gegangen sein, aber seit Jahrzehnten wissen wir nichts von ihm. Und nun denken Sie, der Vetter in Paris! Was werden die Franzosen mit den Deutschen machen, wenn sie alle Schlachten verlieren? Sie werden ihr Un glück an denen rächen, die sich in ihrer Gewalt befinden." Karl suchte Marianne zu beruhigen und ver sprach, sich des Vetters anzunehmen, wenn der Zufall des Krieges ihn mit demselben zusammen führen sollte. Er sprach wenig, denn in seiner Brust arbeitete ein mächtiges Gefühl. Die zarte Sorge, die das Mädchen bewegte, die Teil nahme, die sie für alle wirklichen und möglichen Leiden der Ihrigen zeigte, riefen wieder das Bild des Schutzengels in seiner Seele wach. Und als nun am dunklen Hintergründe dec
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)