Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 19.10.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-10-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191210198
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19121019
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19121019
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-10
- Tag 1912-10-19
-
Monat
1912-10
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 19.10.1912
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Uelne zriedenraurstchten mehr! Kämpfe zwischen Türke« uns Lerbcu. — Griechenland nimmt Kreta. Wenn hier und da noch schwache Hoffnung vorhanden war, daß der drohende Lallanbrand im letzten Augenblick verhindert werden könnte, so haben die letzten Ereignisse diese Hoffnung gründlich zerstört: man ist eben auf der ganzen Linie fest zum Kriege entschlossen. Las zeigt die Antwortnote, die Bulgarien, Serbien und Griechenland auf die Vorstellungen der Mächte überreicht haben. Die Note läßt erkennen, daß die drei Regierungen ihre korrekte Haltung den Mächten und der Türkei gegenüber möglichst lange zu wahren suchen, und daß sie über ihren großen Nachbar nicht so unvermittelt herfallen wollen, wie der König der Schwarzen Berge es getan hat, aber es darf doch nicht übersehen werden, daß — alles in allem — der Grund gedanke der Antwort ist: Wir wollen keine Ariedcnsvermittlnng. Das geht auch aus den für die Türkei unan nehmbaren neuen Forderungen hervor, die Bulgarien ausstellt, nämlich: Vollständige Selbst verwaltung für die Provinzen mit christlicher Bevölkerung, belgische oder Schweizer General gouverneure, aus Wahlen heroorgegangene Provinziallandtage, Landesgendarmerie und Milizen und freien Unterricht. Die Ausführung dieser Reformen soll einem höheren Rat an vertraut werden, der sich aus Christen und Mohammedanern in gleicher Zahl zusammen setzt und unter der Aufsicht der Botschafter der Großmächte und der Gesandten der vier Balkan- staaien in Konstantinopel steht. Die Türkei wird aufgesordert, zu erklären, daß sie diese Forderungen annimmt und sich verpflichtet, die Reformen binnen sechs Monaten durchzusühren. Außerdem soll die Türkei sofort den Mobilisationserlaß rückgängig machen. In der Antwort an die Mächte heißt es, die bul garische Regierung sei der Ansicht, daß es grau sam gewesen wäre, nicht den Versuch zu machen, für die christliche Bevölkerung des türkischen Kaiserreiches radikalere und bestimmtere Refor men zu erlangen, die allein ihr elendes Los wirklich besser gestalten könnten. Daß diese Forderungen zum überwiegenden Teile sür die Türken unannehmbar sind, leuchtet ohne weiteres ein. Als Antwort darauf hat denn die Türkei auch Maßnahmen ergriffen, die keinen Zweifel darüber lassen, daß sie entschlossen ist, diesen schwierigen Kavipf um die nationale Existenz aufzunehmen. Um den Serben nicht länger Zeit zu lassen, ihre Vereinigung mit den Bul garen zu vollziehen, haben türkische Truppen die serbische Grenze überschritten und den Ort Ristowatz angegriffen. Natürlich lauten die Nachrichten über den Ausgang des Gefechts, das angeblich 10 Stunden gedauert haben soll, widersprechend, je nachdem sie aus Belgrad oder Konstantinopel stammen. Aber schließlich ist der Erfolg der einen oder andern Partei unwichtig gegenüber der Tatsache, daß die Feindseligkeiten ohne besondere Kriegserklärung eröffnet worden sind. Damit sind alle Friedensaussichten er loschen. Aber auch die dritte Balkanmacht, von der es in den letzten Tagen hieß, sie habe sich von der gemeinsamen Sache losgesagt, hat jetzt den Kampf begonnen: Griechenland hat die Einverleibung Kretas erklän. Das klingt fast wie ein Märchen, wenn man bedenkt, was die Schutzmächte der Insel in den letzten Jahren aufgeboten haben, um eine solche Lösung der gefährlichen Kretafrage zu verhindern, aber es ist trotz Schutzmächten und Großmächten Tatsache. Freilich, die Re gierung in Athen hat kein Manifest erlassen, das ihren Entschluß aller Welt kundtut; die Sache wird einfach mit Hilfe eines Kammer beschluffes gemacht. Die kretischen Abgeordneten, ' die von den Schutzmächten mit Gewalt ver- i hindert worden waren, nach Griechenland zu , fahren, die Griechenlands Ministerpräsident noch s vor wenigen Wochen durch gütlichen Zuspruch . und dann durch Schluß der ParlamenteNMng i m Besuch der Kammer sernhielt, sind un- i gehindert im Parlament erschienen und mi Beifall begrüßt worden. Ministerpräsidmu Venizelos erklärte, trotz der Kriegsgefahr teste die Regierung die Wünsche der kretischen , Versammlung (nach Vereinigung von Kreta und i Griechenland) und erkläre in aller Form, daß ' in Zukunft nur eine einzige Kammer sür Kreta und Griechenland bestehe. Er fordere die kretischen Abgeordneten auf, sich nach Kreta zu begeben, wo Neuwahlen gemäß der griechischen Verfassung vorzunehmen seien. Venizelos er klärte weiter, trotz des Wunsches nach Frieden werde Griechenland, das sich nicht nur moralisch und materiell, sondern auch durch die HUfe der verbündeten Staaten stark fühle, siegesgewiß allen Gefahren die Stirn bieten. Schlimmer als durch dieses Ereignis kann die Uneinigkeit der Mächte kaum noch gekennzeichnet werden. Die Balkan staaten, die von vornherein bei ihrem Vorgehen auf diesen Zwiespalt in Europa gerechnet haben, spekulierten also durchaus richtig. Es wäre un nötig gewesen, daß die russische Regierung das Gerücht amtlich widerlegen läßt, wonach sie in Montenegro Einspruch erhoben habe. — Die Welt weiß, daß die Leiter dieser Tragikomödie, die sich jetzt auf dem Balkan abspielt, aber auch die für das Blut, das dieser unglückselige Krieg erfor dern wird, Verantwortlichen in Petersburg sitzen. Es sind dieselben Leute, die die Friedenspolitik des russischen Ministers des Äußeren Sasonow durchkreuzten und deren Helfer und Verbündete in — London wohnen. Wahrlich, die Kabinette von Petersburg und London sind um die Rolle nicht zu beneiden, die sie in diesem weltgeschicht lichen Drama gespielt haben und noch spielen. V estw»rm. * * * Allerlei vom Kriegsschauplatz. Tätigkeit bulgarischer Banden. Bier bulgarische Banden in der Gesamtstärke von hundertfünfzig bis zweihundert Mann drangen in Knwa ein, um die Bevölkerung zum Aufstande zu zwingen. Der Bürgermeister und die Beamten wurden im Regierungslokale eingesperrt. Als eine Truppenabteilung ankam, entspann sich ein heftiger Kampf, der unent schieden verlief, weil die Bulgaren in den steinernen Häusern des Ortes Schutz fanden. Zwei Geschütze schossen endlich die Häuser, aus denen die Bulgaren fortgesetzt auf die Gendarmen und das Militär feuerten, zusammen. Erfolge der Montenegriner. Infolge der Umzingelung und in der Einsicht, daß weiteres Blutvergießen zwecklos sei, da Hilfe von Skutari nicht zu erwarten sei, haben die Türken Tust, Vranja und Schipschtani den Montenegrinern übergeben. Nur Fort Nanhelm wird gehalten. Tust hat sich mit der gesamten Besatzung von 5000 Manu ergeben. Die Beute umfaßte ferner 8 Mitrailleusen, 7000 Mauser gewehre, viele Pferde, 800 Zelte und Lebens mittel für zehn Tage. Die Garnison bestand aus sechs Nijambataillonen. Drei Bataillone wurden des Abends nach Podgoritza (Monte negro) gebracht. Nachmittags rückten die Monte negriner im Triumph mit Musik in die Studt ein, wo sie von der christlichen Bevölkerung und den Malissoren mit Jubel empfangen wurden. (Aus welchen Gründen der Kommandant von Tust sich zu der zunächst abgelehnten Übergabe dann doch ohne Schwertstreich entschlossen hat, läßt sich nur vermuten. Wenn sein Beispiel von oem Befehlshaber von Skutari, dem nächsten Marschziel der Montenegriner, befolgt wird, könnten diese mit ihren Erfolgen sehr zu frieden sein.) Tie Verluste der Monte negriner seit Beginn des Krieges betragen 256 To'e und 800 Verwundete. Die türkisch-serbischen Grenzkämpfe. Während die Türken bei Ristowatz in Serbien eindrangen, überschritt eine serbische Truppen abteilung die türkische Grenze weiter südlich und schlug die kleine türkische Grenzwache zurück. In Belgrad verursachte der unerwartete Aus bruch des Krieges große Erregung, die Stadt ist jedoch vollkommen ruhig. Len Oberbefehl über die gesamte serbische HeereZmacht hat Generalstabsches / General Putnik inne. Zwei Flügelkorps stehen unter dem Befehl des Prinzen Georg und des Thronfolgers Alexander. Der Aufmarsch der Türken. In einem sechsstündigen Ministerrate wurde beschlossen, die türkische Hauptstreitmacht bei Adrianopel (also gegen die vereinigten serbisch bulgarischen Truppen) zusammen zu ziehen. Der Kriegsminister erklärte, daß die Erfolge der Montenegriner und Serben an der Grenze des Reiches völlig bedeutungslos seien, und ver sicherte, daß Skutari, das die Montenegriner angreifen wollen, nicht eingenommen werden könne. Abbruch der diplomatischen Beziehung«« zwischen der Türkei und den Balian staaten. Nach einem 12 stündigen Ministerrat hat die türkische Regierung beschlossen, die Noten Griechenlands und Bulgariens abzulehnen bezw. nicht zu beantworten. Zu gleicher Zeit wurden die türkischen Gesandten aus Sofia, Belgrad und Athen abberufen. Damit ist der Balkankrieg auf der ganzen Linie entbrannt. Politische Kunctsekau. Deutschland. -Die Reichstagsersatzwahl in Berlin I, die durch die Mandatsniederlegung des Reichstagspräsidenten Dr. Kämpf erforder lich geworden ist, findet am Dienstag, den 5. November, statt. * Nachdem sich in rh ei ni s ch e nW i nz er- kr eisen immer mehr die Erkenntnis durch - gerungen hat, daß ohne Notstandsgesetz eine Verwertung eines großen Teiles der dies jährigen Ernte unmöglich sei, ist der Vorsitzende der nationalliberalen Partei, Bassermann, beim Staatssekretär des Innern darum vor stellig geworden. * Auf dem Jugendgerichtstage, der dieser Tage stattfand, wurde auch die Frage be handelt, ob zu den Jugendgerichten auch Frauen als Schöffen herangezogen werden sollen. Nach längerer Debatte beschloß der Kongreß, von einer Abstimmung über den Anttag auf Zuziehung von Frauen zum Schöffenamte Ab stand zu nehmen. -Der Landtag der beiden Groß- herzogtümer Mecklenburg wird am 12. November in Malchin eröffnet werden. Auf der Tagesordnung stehen u. a.: Fortsetzung der Beratungen über dieÄnderung der bestehen den Landesverfassung und Beratungen über eine Vorlage bett. Neuregelung der Steuer gesetzgebung. * Das bayrische Verkehrsministerium hat den Anttag der Handelskammer München, den Verkauf von Reichspo st Wertzeichen durch die bayrischen Po ft an st alten zu gestatten, mit der Begründung abgelehnt, daß zur Beschaffung von solchen Postwertzeichen anderweitig hinreichend Gelegenheit geboten sei und daß dem bayrischen Postpersonal aus der Übernahme des Verkaufs eine zu erhebliche Be lastung erwachsen würde. Belgien. * Die Leitung der sozialistischen Partei soll den für November geplanten Generalaus stand der Arbeiterschaft bis Mitte März auf - geschoben haben. Die Streikmittel sollen mit Hilfe der internationalen Unterstützung zwanzig Millionen Frank erreichen, um einen Ausstand von 200 000 Mann auf den Eisen werken, Zechen und Docks durchsetzen zu können. Nutzland. -Eine außerordentlich interessante Nachricht kommt aus Petersburg. Es heißt, das Justiz ministerium bereite einen Gesetzentwurf vor, der die vollständige Aufhebung der Zwangs arbeit in Sibirien vorsieht. Dafür wird die Zwangsarbeit (als Zuchthausstrafe) aber in ganz Rußland eingeführt, und zwar unter Fortfall der Bestimmung, daß jeder Zwangs arbeiter nach Ablauf der Strafe anzusiedeln ist. Baltanftaaten. * Wie aus Ouchy, wo seit Wochen die ! Verhandlungen zwischen Italien und der Türkei flattsauden, amtlich berichtet wird, ist endlich der Friede unterzeichnet wor den. Der endgültige Verttag wird schon in wenigen Tagen vollzogen werden. Damit ist der Tripoliskrieg, der länger als ein Jahr ge dauert hat, beendet; die Türkei hat alle Kräfte für ihre neuen Gegner frei. Amerika. - Der ehemalige Präsident der Ver. Staaten, Roosevelt, der sich auf einer Rundreise befindet, um für seine Wiederwahl zu wirken, wurde in Milwaukee von einem Arbeiter in der Nähe seines Hotels durch einen Revolverschuß erheblich, jedoch nicht tödlich verwundet. Der Attentäter wurde ergriffen und konnte nur mit Mühe vor der Lynchjustiz der empörten Menge bewahrt werden. — Roosevelt hielt trotz seiner Verwundung seine Wahlrede, mußte aber infolge starken Blutver lustes abbrechen. »- ' üi— ---Mi Vas Petroleum-Monopol. Die vor einigen Tagen aufgetauchte viel fach bestrittene Nachricht von der bevorstehenden Einführung eines Reichshandelsmonopols für Petroleum wird jetzt halbamtlich bestätigt, indem ein Gesetzentwurf veröffentlicht wird, der dem Reichstage sofort nach feinem Wiederzusammen- trilt zugehen soll. Schon seit mehr als zehn Jahren hat die Öffentlichkeit wiederholt und dringend ein Eingreifen des Reiches in den Petroleumhandel gefordert, um die Gefahr einer Beherrschung des deutschen PettoleummarkteS durch die Standard Oll Komp, und ihre Tochter gesellschaften abzuwenden. Diese Gesellschaften haben bereits den Großhandel mit Leuchtöl in ihre Hand gebracht und versuchten neuerdings auch den Kleinhandel, der schon jetzt in starkem Maße durch Lieferungsverträge von ihr abhängig ist, durch Einführung des sogenannten Kannen geschäfts auszuschalten. Alle Versuche deutscher Gesellschaften, mit der Standard Oil Komp, in Wettbewerb zu treten, sind gescheitert. Nachdem am 15. März 1911 der Reichstag fast einstimmig einen Beschluß angenommen hat, die verbündeten Regierungen um eine Prüfung zu ersuchen, ob gegenüber der drohenden Monopolisierung des deutschen Petroleumhandels eine unter Aufsicht des Reiches stehende Anstalt zum Vertriebe des Petroleums im Interesse der deutschen Volkswirtschaft liege, sind eingehende Erhebungen angestellt worden, die schließlich zu einer Bejahung der Frage ge führt haben. Demgemäß ist nun ein Gesetzentwurf über den Verkehr mit Mineralöl ausgearbeitet worden. Voraussetzung für die Durchführbarkeit einer gesetzlichen Regelung des Pettoleumhandels in dem gewünschten Sinne war die Feststellung, daß es möglich sein würde, den Verbrauch an Leuchtöl wenn nötig ohne Heranziehung der Standard Oll Komp, zu decken. Die zu diesem Zwecke eingeleiteten Verhandlungen mit den Produzenten in Amerika, Rußland, Rumänien und Galizien haben ergeben, daß es nicht un erreichbar erscheint, durch geeignete Verträge sich die sür Deutschland erforderlichen Qlmengen zum größten Teil ohne Inanspruch nahme der Standard Oil Komp, zu sichern. Der Entwurf sieht nicht etwa die Bildung einer Reichsanstalt, sondern eine Aktiengesell schaft vor, deren Kapital teils durch große Fi- uanzgesellschaften, teils durch deren Vermittlung auf dem Kapitalmarkt aufgebracht wird. Es ist Vorsorge getroffen, daß die Aktien nicht etwa in die Hände ausländischer Gesellschaften ge raten. Die Gesellschaft soll sich auf den Groß handel mit Leuchtöl beschränken, während der Kleinhandel unberührt bleibt. Anlagen und Vorräte der Großhandelsgeschäfte werden über nommen, und zwar, falls eine gütliche Verein barung nicht zustande kommt, im Wege der Enteignung; die Unternehmungen werden hier für in vollem Umsange entschädigt. A Ans lUckt gebracht. 11) Roman von H. Köhler. <F»rtssHms.) „Beantworte mir erst eine Frage, Vater/ „Was, mein Kind?* „Welche Strafe wird der Verbrecher er halten — wenn er schuldig ist?- fragte das Mädchen mit leiser, kaum hörbarer Stimme. „Welche Strafe? Ei, mein Kind/ ant wortete der Justizrat, „das hängt ganz von dem Ergebnis der Untersuchung ab. Stellt sich die Tat — was allerdings schwer zu beweisen oder nachzuweisen ist — als ein vorbedachter Mord Hera»?, dann verdient er den Tod —* „Großer Gott/ „Ist das aber nicht der Fall, hat er bloß in der Erregung des Augenblick gehandelt, so ist es möglich, daß er mit langer Zuchthausstrafe davonkommt/ „And ich, Vater/ sagte das junge Mädchen m großer Erregung, „ich soll dazu helfen, eine so furchtbare Strafe über einen Menschen zu verhängen? — Es wäre entsetzlich, und der Gedanke daran würde auch mein ganzes Leben lang quälen rmd peinigen/ „Du möchtest also einen Mörder — wenn er wirklich ein solcher ist — nicht seiner Strafe überliefern, aber deine Freundin seinen Armen?* „Meine arme, arme Klara!* rief Elisabeth, ihr Antlitz in den Händen bergend. „Komm', gib mir den Bries/ sagte der Vater ruhig, „und das andre überlaß vor der Hand «ir. Ich werde dich nicht mehr damit be- Helligen, als unumgänglich nötig ist. Vielleicht zeigt es sich ja auch, daß dieser Berger, den wir kennen, mit der ganzen Sache gar nichts zu tun hat, und dann ist es um so mehr unsre Pflicht, einen so schweren, jetzt auf ihm ruhenden Ver dacht zu entfernen — ist er aber schuldig, dann hat er auch ein so schweres Verbrechen ver übt, daß es Pflicht jedes braven Menschen ist, ihn deshalb zur Verantwortung zu ziehen — ja die Selbsterhaltung zwingt uns dazu, denn wer von uns wäre sicher, nicht in der eigenen Familie von solchen Buben angesallen und beraubt oder ermordet zu werden, wenn die Vergeltung solcher Tat nicht auf dem Fuße folgte? Also gib mir den Brief, Schatz, denn wie du selber sagst, haben wir nicht mehr viel Zett, um deine Freundin Klara vor einem viel leicht recht traurigen Schicksal zu bewahren/ „Hier ist der Brief, Vater/ sagte Elisabeth, während jeder Blutstropfen ihr Antlitz ver lassen hatte, „ich fühle, es muß sein — In' deine Vflicht/ „Ich danke dir, mein Kind/ sagte der Justizrat, und verglich schon, noch während er sprach, die beiden Schriftstücke miteinander — aber ein Verkennen war nicht möglich — die steil stehenden Buchstaben rührten unzweifelhaft von einer und derselben Hand her. — Jener Berger in Bonn war der nämliche, der au das alte Stiftsfräulein geschrieben und sie „Cousine- genannt hatte, und mußte damals außerdem m sehr großer Geldverlegenheit gewesen sein, denn seine beiden vorgefundenen Briefe lauteten dringend und waren voll Beteuerungen, daß es das letztemal sein solle, wo er sie um Unter stützung angehe, da er Aussichten habe, sich eine feste und bleibende Existenz zu gründen. Ganz anders klang freilich dieser, nur sieben Monat älrere Brief, der der Geliebten in jugendlichem Übermut die glänzenden, glück lichen Tage schilderte, die sie jetzt bald, recht bald zusammen und Seite an Sette verleben wollten. Der Justizrat legte das neue Blatt schweigend zu den Akten. „Und was schreibt dir Klara?* „Der Brief ist nur kurz, Papa/ sagte Elisabeth, während sie denselben entfaltete und las: „Meine liebe, liebe Lily? Ich bin jetzt glücklich — recht glücklich. Seit Ferdinand zurückgekehrt ist, scheint er ganz ver ändert — meine Befürchtungen waren unbe gründet — Bella hat recht — er liebt mich wirklich. — Wie danke ich Dir, daß Du so teil an mir nimmst, und Dich besonders für Ferdinand so interessierst — Du sollst auch einen seiner süßesten Briefe erhalten — erfahren darf er es freilich nicht, daß ich ihn Dir geschickt habe, er würde sonst vielleicht böse darüber werden — er kann ja aber nicht wissen, wie lieb ich Dich habe. Unsre Verbindung ist jetzt auf morgen in acht Tagen festgesetzt, und unsre Hochzeitsreise machen wir — rate, wohin? Du rietest es nicht, und wenn ich Dir ein Jahr Zett dazu ließe — denke Dir, nach Westindien. Er ist aber exzentrisch in allem, was er tut — eine gewöhnliche Reise nach Franlreich oder Italien genügt ihm nicht, und da er in West indien Geschäftsverbindungen hat, will er das' gleich benutzen, um alte Bekanntschaften zu er neuern und neue anzuknüpfen. Bella wird m der Zeit Papa die Wirtschaft führen, bis wir nach Boun zurückkehren. Aber heute kann ich Dir nicht mehr schreiben — Ferdinand ist erst seit gestern abend wieder hier eingetroffen und ich erwarte ihn jeden Augenblick — wenn er kommt, habe ich nachher natürlich keine Zeil mehr. Empfiehl mich Deinem Papa, küsse' wem herziges Käthchen und behalte lieb wie immer Deine glückliche Klara/ „Arme — arme unglückliche Klara/ „Also nach Westindien will der junge Herr die Hochzeitsreise machen/ sagte der Justizrat, dabei mit dem Kopfe nickend, „das wäre aller dings ein äußerst bequemer Platz, um von da ab im Notfall jede Spur zu verwischen. Lily, Lily, ich fange immer mehr an zu glauben, das dein Verdacht ein begründeter gewesen — aber geh' jetzt auf dein Zimmer, Kind — überlasse mir das Weitere. Ich weiß nun, wie sehr die Zeit drängt, und will nichts versäumen, um. sowohl einem möglichen Unglück zu begegnen, als auch das Geheimnis bis zum entscheidende« Augenblick zu wahren, falls jener Berger doch no'ch, wider alles Erwarten, unschuldig und der ganzen Sache fremd sein sollte/ Das waren jetzt zwei schwere Tage im Hause, die nächsten beiden, und Käthchen wußte nicht, was sie vom Vater und besonders von der Schwester denken sollte. War Elisabeth krank geworden? Bleich und elend genug sah sie aus, aver sie verrichtete ihre gewohnte Arbeit nach wie vor, nur auf die drängenden Fragen der Schwester gab sie ausweichende
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)