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Allgemeiner Anzeiger : 21.09.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-09-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Urheberrechtsschutz 1.0
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- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191209212
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19120921
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19120921
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-09
- Tag 1912-09-21
-
Monat
1912-09
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 21.09.1912
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Vie kommende Vefitzsteuervorlage. — Noch keinerlei endgültige Beschlüsse. — Da die amtlichen Stellen bezüglich der in Vorbereitung befindlichen Besitzsteuervorlage nach wie vor strengstes Stillschweigen bewahren, so tauchen natürlich in der Presse allerlei Ver mutungen über die Gestaltung dieser heiß- umstrittenen Steuervorlage auf. Demgegenüber ist eine halbamtliche Auslassung von Interesse, die gegen alle Vermutungen und Berechnungen Stellung nimmt. Es heißt in dieser Ausein andersetzung u. a.: „Als Grundlage für alle die Zeitungsnotizen dient die Tatsache, daß die Einbringung einer allgemeinen Besitzsteuer ge setzlich festgelegt ist. Ms allgemeine Besitzsteuer gelten nach einer Erklärung der Reichsregie rung eine Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer. In diesem Rahmen kann also die kommende Vorlage sich überhaupt nur bewegen. Nun sind aber sowohl für die Vermögenssteuer wie für die Erbschaftssteuer eine ganze Reihe von Spiel arten denkbar, deren jede naturgemäß ihre be sonderen Vorteile und Nachteile besitzt; Nachteile, die liegen können in der Unsicherheit ihrer Er tragfähigkeit, in der parlamentarischen Behand lung oder in der Beeinträchtigung des Finanz wesens der Bundesstaaten usw. Da nun der Bundesrat an erster Stelle berufen ist, über die Vorlage eine Entscheidung zu sällen, so ist es naheliegend, daß man zunächst mit den Bundes regierungen sich über die vorhandenen Möglich keiten für die Gestaltung des Gesetzentwurfs verständigen wird. Ms Einleitung zu solchen Erörterungen dient eine Darstellung aller in Frage kommenden Steuerformen. Auf Grund einer derartigen Denkschrift ist jede Bundes regierung in der Lage, ihren Standpunkt zu er klären. Unwidersprochen ist mitgeteilt, daß im Spätherbst dieses Jahres eine Beratung der bundesstaatlichen Finanzminister in Berlin stattfinden wird, wie sie in den letzten Jahren bei jeder finanzpolitisch bedeutenden Vor lage stattgefunden hat. Daß dann bei dieser Beratung auf Grund des vorher unterbreiteten Materials die Entscheidung über die Auswahl der Steuerform von feiten der Bundesregierun gen erfolgen wird, ist sehr wahrscheinlich. Aus diesen Erwägungen geht hervor, daß gegen wärtig und auch in der nächsten Zeit niemand in der Lage ist, auch nur mit einem Schein von Berechtigung Mutmaßungen übek die kommende Besitzsteuer anzustellen. Aber auch noch in bezug auf den Zeitpunkt ihrer Ein bringung im Reichstag lassen die voraufgehen den Erwägungen gewisse sichere Schlüsse zu. Denn wenn erst im Spätherbst bei den Be ratungen mit den bundesstaatlichen Finanz ministern die Entscheidung über die zu wählende Steuersorm fallen wird, dann ist es klar, daß auch erst nach diesem Zeilpunkt das Reichs schatzamt an die Ausarbeitung der Lteuervorlage gehen kann. Infolgedessen ist der Schluß ohne weiteres berechtigt, daß das Jahr 1912 jeden falls auf die Neige geht, ehe die Vorlage dem Bundesrat zur endgültigen Beschlußfassung unterbreitet wird. Da dann aber über die grundsätzlichen Fragen die Entscheidung bereits gefallen ist, wird es sich bei den Beratungen des Bundesrats wohl nur noch um Einzel heiten des Entwurfs handeln. Ob man dafür eine Zeit von vier oder mehr Wochen annehmen will, ist lediglich Sache der Mutmaßung. Jeden falls aber dürfte die Reichsregierung in der Lage sein, den Gesetzentwurf noch etwa zwei Monate früher dem Reichstage vorzulegen, als die gesetzliche Bestimmung es verlangt." Politische Kuncllckau. Deutschland. *An der Flottenparade, die in Gegenwart Kaiser Wilhelms bei Helgoland stattfand, nahmen 41 große Fahrzeuge teil. * Kaiser Wilhelm hat an die Witwe des am Herzschlage plötzlich verstorbenen früheren Berliner Oberbürgermeisters Dr. Kirschner ein in herzlichen Worten gehaltenes Beileids telegramm gerichtet. — Der Verstorbene hat sich übrigens, wie aus seinem 1901 verfaßten Testament hervorgeht, alle Trauerfeierlichkeiten, Kranzspenden und Nachrufe verbeten, insbesondere verfügt, daß seine Beisetzung in keinem Falle vom Berliner Rathause, sondern von der Leichen halle des Friedhofes aus stattfindet. * Im ReichshaushaltSetat für 1913 wird sich zum ersten Male eine volle Jahres betragsforderung für die auf Grund des Ver- sicherungsqesetzes für Angestellte begründete Reichsversicherungsanstalt befinden, über die Höhe der dafür nötigen Summe werden gegen wärtig Verhandlungen gepflogen. Die be treffende Summe wird in den Etat des Reichs amts des Innern eingestellt werden. Man wird auch in der Annahme nicht fehlgehen, daß die Jahresausgaben für die neue Reichsver- sicherungsanstalt eine ganz beträchtliche Summe ausmachen werden. * Zwischen dem bisherigen Gouverneur von Togo, Oberregierungsrat Brückner, und den in Togo niedergelassenen deutschen Firmen hat kürzlich eine Bestechung über den Ausbau der Eisenbahnen in der Kolonie statt gefunden. Das Ergebnis dieser Konferenz ist dem Reichskolonialamt in der Form einer Denkschrift überreicht worden. Ms äußerst dringend wird darin der Bau einer Eisenbahn in das Anecho-Gebiet bezeichnet, um die großen Olpalmstände dieses Bezirkes erschließen zu können. * Bei der Ersatzwahl im Reichstagswahlkreise Schlettstadt, die infolge des Ablebens des bisherigen Zentrumsabgeordneten Dr. Will erforderlich geworden war, wurde der Zentrums nationalist Dr. Haegy mit 6500 Stimmen gegen den Weingutsbesitzer Andlauer (fortschr. Vp.) gewählt. Bei der Hauptwahl im Januar d. Js. hatten die Liberalen keinen eigenen Kandidaten aufgestellt, sondern die Parole ausgegeben, den Sozialdemokraten Jmbs zu unterstützen. Der Zentrumskandidat Dr. Will erhielt damals 8340 Stimmen, während für Jmbs 4065 Stimmen abgegeben wurden. *Bei der Ersatzwahl zum preußi schen Landtage im Wahlkreise Schleu- singen-Ziegenrück für den verstorbenen Land tagspräsidenten ^rhrn. v. Erffa erhielten Landrat Wagner- Schleusingen (kons.) 135 Stimmen, Kaufmann Dörr- Suhl (nat.-lib.) 68 Stimmen. Landrat Wagner ist somit gewählt. O^terreick-Unqar«. * Zwischen Kaffer Franz Joseph und dem Pap st hat im Anschluß an den eucharisti schen Kongreß, der in Wien tagte, ein herzlicher Telegrammwechiel stattgefunden. * Die Regierungsgegner in Ungarn, deren Mehrheit aus dem ungarischen Parlament gewaltsam ausgeschlossen worden fft, haben beschlossen, auch nach den Ferien im Widerstande gegen die Regierung zu verharren, solange Lukacz Ministerpräsident und Tisza Präsident des Abgeordnetenhauses ist. Dem gemäß haben sie die Beteiligung an der ge meinsamen Beratung der Parlamentsausschüsse abgelehnt. Auf das Ende dieses einzig da stehenden Kampfes darf man gespannt sein. Frankreich. * Kriegsministsr Millerand gab ein Frühstück zu Ehren der fremden Offiziere. Im Verlaufe des Frühstücks hielt der Kriegs minister eine Rede, in der er dem Leiter der Manöver und allen Offizieren sein Lob aussprach. Durch ihre Bemühungen sei die Armee ein Instrument der nationalen Sicherheit und Würde. Er schloß mit einem Hoch auf die fremden Offiziere, insbesondere auf den Großfürsten Nikolaus Nikolajewitsch, der mit einem Hoch aus Frankreich und sein Heer antwortete. Balkanstaaten. *Das Schicksal der Friedensverhandlungen zwischen Italien und der Türkei ist voll ständig in Dunkel gehüllt. Bald heißt es, sie seien unterbrochen, dann wieder, sie seien ergeb nislos abgebrochen, und französische Blätter be haupten, es sei bereits eine Verständigung erzielt. Unter diesen Umständen tut man gut abzuwarten, bis die Nächstbeteiligten den Schleier des Ge heimnisses lüsten. * Die serbische Regierung, die sich der kriegerischen Stimmung im Lande nur noch mit Mühe widersetzen kann, hat den Vertretern der Mächte eine Denkschrift über die während des vorigen Jahres in Novibazar und Alt serbien an Serben verübten Morde, Plünderungen und andre Greuel zugehen lassen. Darin wird betont, Serbien könne nicht länger ruhig der Aus rottung seiner Stammesbrüder in der Türkei zusehen, und es müßte auf eigene Faust handeln, wenn die Mächte die Türkei nicht zur Durch führung der Reformen in den von Serben bewohnten Landesteilen zwängen. Daß man, im Grunde genommen, in Serbien nur ein wenig mit dem Säbel rasselt, ohne ernste Kriegsabsichten, zeigt die Aufhebung des vor einigen Tagen erlassenen Verbots der Ausfuhr von Getreide und Futter mitteln. Amerika. *Jn der Republik San Domingo ist eine Revolution ausgebrochen. Die amerika nischen und fremden Interessen sollen gefährdet sein. Die Feindseligkeiten richten sich vor allem gegen die Amerikaner, da die Neger äußerst unzufrieden sind mit der Art und Weise, in der die Amerikaner die Zölle festsetzen und ein sammeln. Japan. *Wie das Sterben des Generals Nogi, der sich am Begräbnistage seines Kasters den Hals durchjchnitt, so ist auch das Testament dieses tapferen Altjapaners merkwürdig. Es läßt darauf schließen, daß der Tod seiner Frau zur Zeit der Abfassung des Testaments noch nicht beschlossen war. Nogi erklärte in seinem Testa ment, daß er seinem Kaiser folge, da seine Dienste nicht mehr notwendig seien. Er ver mache seine Güter seiner Frau, seinen Freunden und öffentlichen Anstalten. Seinen Leichnam vermachte er der ärztlichen Hochschule; nur seine Zähne, Haar und Nägel sollten beerdigt werden. Tumulte im ungarischen Hbgeoränetenbaule. Ausschluss aller Regterungsgegner. — Kampf mit der Polizei. OJm ungarischen Abgeordnetenhause, das nach längerer Sommerpause am 17. d.Mts. seine Sitzungen wieder ausnehmen sollte, haben sich Szenen ereignet, die selbst im Budapester Parlament, das schon manche Stürme iah und Scblachten zwischen Abgeordneten erlebte, noch nicht dagewesen sind. Bekanntlich hatte der Präsident Graf Tisza vor den Parla mentsferien eine Anzahl der regierungsgegne» rischen Abgeordneten, die fortdauernd lärmten und die Verhandlungen zu stören versuchten, am längere Zeit von den Sitzungen ausge schlossen. Sie kamen indes täglich wieder und gingen erst, wenn die Polizei auf Verlangen deS Präsidenten eingriff. Diese aus Anlaß der Be ratung der Wehrvorlage herausbeschworene Kampfstimmung der Opposition hat sich in den Ferien trotz mannigfacher Ver mittlungsversuche (an denen sich auch die Re gierung verschiedentlich beteiligte) nicht ver mindert. Das zeigte der Beginn der Sitzung schon, als Graf Tisza den Saal betrat. Man nannte ihn Schuft, Feigling, Elender und be zeichnete den Ministerpräsidenten Lulacz als Halunken, weil er das Vorgehen TiszaS billige, indem er einen Gesetzentwurf eingebrucht habe, der den Widerstand der Regierungsgegner ge waltsam brechen solle. — Man sang also, während Graf Tisza sich vergeblich bemühte, eme Ansprache an das Haus zu richten. Man trommelte, johlte, trompetete und pfiff — und nur der Mangel aller Wurfgeschosse wurde von den streiibaren Abgeordneten mißlich empfunden. Graf Tisza hatte nämlich in Er innerung an Vorgänge früherer Tage alle Bücher, Lineale, Tintenfässer, Pultdeckel ulw. vor dem Beginn der Sitzung aus dem Hause schaffen lassen. Der Lärm währte von etwa 11 Uhr bis um 4 Uhr. Der Präsident hat also offenbar Proben einer beneidenswerten Geduld abgelegt. Mitten in den ohrenbetäubenden Lärm hinein, der noch anschwoll, als sich Tisza erhob, verlas der Präsident das Königliche Schreiben, wovon natürlich niemand etwas hörte. Endlich entschloß sich Tisza, die Hilfe der Polizei iu Anspruch zu nehmen. Er forderte die Ab geordneten auf, den Saal zu verlassen, — die Regierungsgegner aber blieben. Nunmehr er schien ein Polizeiinspeltor mu etwa 400 Poli zisten, um die Oppositionellen aus dem Saale zu entfernen. Der Saal war mittlerweile bei den Ausgängen von derOpposition verbarrikadiert worden. Der Polizeiinspektor hatte einen Bogen in der Hand, auf dem die Namen der Abgeord neten standen, die herauszubefördern waren. Diese aber leisteten Widerstand und wichen nicht vom Platz. Die Polizei wurde mit ungeheurem Spektakel und Schmährufen empfangen. An welchen Abgeordneten sich auch der Inspektor wandte, um ihn aussufordern, den Saal zu ver lassen, immer begegnete er höhnischem Gelächter und drohenden Gebärden, ja, man stürzte sich sogar auf den Nolizeimtpektor und schlug ihn. Als sich der Polizeiinspektor dem Grafen Apponyi nähern wollte, rief man ihm entgegen : „Wer Apponyi berührt, ist des Todes!" Nun forderte der Inspektor einen Polizisten auf, den Abgeordneten anzupacken. Der Polizist erklärte, daß er das nicht tue. Gleichzeitig gab er seinen Namen an. Er wiederholte, daß er diesem Befehl nicht Folge leiste. Stürmische Begeisterung wurde dadurch bei der Opposition erweckt, die dem Polizisten lebhaft zujubelte. Der Polizist wurde sofort von zwei Polizei offizieren aus dem Saal geführt und verhafiet. Gegen 7 Uhr abends verließen schließlich einige Mitglieder der Opposition freiwillig den Saal, während die Polizei nunmehr gegen den Rest mit Gewalt vorging und einzelne Abgeordnete aus dem Saal hinausbesörderte. Dabei kam es zu einem Handgemenge mit der Polizei, das von 7 Uhr bis 9 Uhr dauerte. Dann endlich gelang es, den Saal zu räumen. Während des Tumultes wurden mehrere Abgeordnete ohnmächtig. Eine Anzahl von ihnen, wie auch von den Polizisten wurden durch Faustschläge verletzt. Nachdem der Saal geräumt war, kehrte Graf Tisza mit der Mehrheit zurück und die Sitzung wurde wieder ausgenommen. Das „Haus" billigte nun das Vorgehen Tiszas und bewilsigte das Budget für 1913. Währenddessen saß die Opposition — bei einem Festmahl, wo der Be schluß gefaßt wurde, Gut und Leben für den Widerstand einzusetzen und die Krawalle so lange zu erneuern, bis Graf Tisza sowohl, wie Ministerpräsident Lukaez aus dem Amte ge schieden seien. — Es mag sein, daß die Er bitterung in den Massen der Abgeordneten groß ist, weil die Regierung ihr Versprechen, die Wehrvorlage nicht vor der Wahlrechtsreform einzubringen, nicht gehalten hat. Man kann auch verstehen, daß das schneidige Auftreten Tiszas die Flammen nicht gelöscht hat, aber es will doch scheinen, als ob das Vorgehen der Opposition dem Parlamentarismus und seinem Ansehen im ungarischen Volte — und auch sonst in der Welt — unhaltbare Wunden schlägt. IVLedter. Von l^ak unci fern. Pestfälle im Hamburger Hafen. Auf einem englischen, aus Brasilien in Hamburg ein getroffenen Dampfer find zwei Pestfälle vorge kommen. Der erste Fall hat tödlich geenoet, der zweite Kranke befindet sich im Lazarett bei Kuxhaven. Die erforderlichen Vorsichtsmaß regeln sind unverzüglich getroffen worden, so daß zu einer Beunruhigung der Bevölkerung, wie amtlich versichert wird, ein Anlaß nicht vorliegt. Hk Ans gebracht. jener deren Hellen Fenstern damals noch — wenn auch jetzt Eulen und Raben darin nisten — die Sonnenstrahlen blitzten, und wo jedenfalls der Auserkorene wohnte, mit dem ihr unerbittlicher Vater leider in bitterer Fehde begriffen war. Und dort drüben Falkenburg. — Ein kleines oder kletterten an den zertrümmerten Wällen empor, und wie die Hämische da im Eiuzel- kampf rasselten und die Morgensterne nieder schmetterten, was sie mit ihrer furchtbaren Stachel wucht erreichten. Hu ! Elisabeth barg schaudernd ihr Antlitz in den Händen, als sie die herauf- beschworenen Greuel so lebhaft vor ihren Augen schaute. „Speisen Sie mit an der tsdl« ä'döts?" — Die Frage des höflichen Kellners, der, ein Notiz buch in der Hand und einen gespitzten Bleistift schon im Voraus mit den Lippen feuchtend, vor ihr stand, rief sie aus dem Gemetzel der wilden geharnischten Scharen rasch in die bestückte nüchterne Wirklichkeit zurück, und unwillkürlich lächelnd — denn das Bild des vor ihr stehen den Jünglings mit dem sorgfältig gescheitelten Kopfhaar stach doch zu sehr gegen die kernfesten Msenmänner ab, die sie soeben noch im Geiste fgeschaut — wies sie ihn an ihren Vater. ! „Die Loreley," tönte es in diesem Augen dblick von vielen Lippen, als der alte, mächtige Roman von H. Köhler. Und die zarten Burgstäulein aus Zeit! — An dem Fenster dort oben, das jetzt nur noch zur Hälfte in der heruntergebrvchenen Mauer hängt, hatte gewiß oft und ost die zücht'ge Maid, den Schlüsselbund an der Seite, die Spindel in der Hand, gestanden und nach jener andern Ruine hinübergeschmachtet, in 'elfen jetzt vor dem Bug des Dampfers auf- L tauckte, und die Salonpaffagiere bewegten sich langsam nach vorn, da die Sonnenzelte au den Seiten, der gedeckten Tische wegen, niederge- lüssen waren und vom Quartendeck ab die Aus sicht versperrten. Auf dem Vorderdeck standen jetzt die Passa giere dicht gedrängt und alle schauten schweigend Ku dem kahlen Felskegel auf, dem eine unsrer schönsten deutschen Sagen Leben, Heinrich Heine diesem Leben Worte und Schubert ihnen keinen Klang verliehen hat, der solange bestehen wad, wie der Felsen selber. Elisabeth stand in Gedanken versunken da, als plötzlich vom Hinterdeck aus die Eßzstcke ertönte, und der Justizrat, der indessen drei Plätze belegt hatte, nach vorn kam, um söffe älteste Tochter zu suchen und zum Speisen ab zurufen. Hatte er sich doch lange schon auf den Moment gefreut, wo er ein Glas guten, echten Rheinwein auf dem Rhein selber trinken könne. Armer Justizrat — die Flaschen waren von der Kompanie selber versiegelt und auf der Etikette stand, daß sie nur in Gegenwart der Reifenden geöffnet werden dürfen — aber er bekam sie offen, und statt des erhofften roten Aßmannshäuser ein dunkelroteS, trübe« Fabrikat, das weit eher nach Magdeburg, als dem Rhein schmeckte. Er wollte dagegen protestieren, aber der Kellner hatte leider keine Zeit, sich mit ihm abzugeben, und der Niersteiner, den er hier noch versuchte, war so sauer, daß er nicht ein mal die Lippen mehr zu einer Klage aus einanderbringen konnte. Nur die Preise entsprachen den Etiketten, und der Justizrat ärgerte sich über sich selber, daß er sich über den schlechten Wein an Bord der Dampfschiffe ärgern konnte. Und das Diner dauerte ewig, so daß man dabei den schönsten Terl deS Rheins versäumte, bis zuletzt noch kalter Kaffee und warmes Eis herumgereicht wurde —, aber die jungen Damen waren schon lange wieder aufgestanden und kamen gerade noch zur rechten Zeit, um zu sehen, wie das Dampfboot bei Koblenz einen wahren Mensch-nschwarm an Bord nahm und dann wieder keuchend in den Strom hinaus hielt. Die Neugekommenen hatten natürlich schon diniert und zerstreuten sich auf dem Verdeck, und Elisabeth amüsierte sich damit, die verschiedenen Gruppen zu mustern, die jedes noch freie Plätz chen beichten. Aber es waren doch nur lauter stemoe Gesichter, denen sie hier begegnete: ge putzte Leute, die entweder eine kurze Ver gnügungsfahrt in der Nachbarschaft machten, oder auch nur den bequemeren Dampfer der Eisenbahn vorgezogen hatten, nm eine Streck« den Rhein hinab zu gehen. Aber plötzlich sah sie überrascht auf, denn sie entdeckte eine Gestalt, die ihr bekannt vorkam, wenn sie sich auch um- Leben nicht besinnen konnte, wo sie dieselbe j« gesehen. Es war ein junger, sehr elegant gekleideter Mann, der jedenfalls den bevorzugten Ständen angehören mußte. Sein Gesicht war etwa! bleich, aber edel und ausdrucksvoll, mit einem unverkennbaren Zug von Schwermut um die seingeschnittenen Lippen, und sein dunkles Auge schweifte forschend an Deck umher, als ob er jemand suche. — Sie mußte dies Gesicht schon gesehen haben. Der Fremde indessen, — mit den Blicken überall, nur nicht vor sich, kam gerade auf Elisabeth zu — so nah, das; er sie saft berührte — bestürzt wich er aber zurück, und höflich den Hut lüftend, entschuldigte er sich, in dem er vorüberging. — Keine Miene verriet jedoch, daß er sie kenne oder nur etwas Be kanntes in ihren Zügen gefunden hätte. Voll- kommen fremd wich er ihr aus — es mußte nur eine Ähnlichkeit mit irgend einem andern sei« — und in dem Gewirr von Menschen verlor sie ihn auch bald wieder aus den Augen.
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