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Allgemeiner Anzeiger : 31.08.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-08-31
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191208315
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1912
-
Monat
1912-08
- Tag 1912-08-31
-
Monat
1912-08
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 31.08.1912
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Zur und wider die Todesstrafe. O Auf dem vom 4. bis 6. September d. Js. in Wien abzuhaltenden deutschen Juristentage wird u. a. über Abschaffung und Beibehaltung der Todesstrafe im kommenden österreichischen und deutschen Strafgesetzbuch verhandelt werden. Die ,Neue Freie Presse' ist in der Lage, schon jetzt zwei Gutachten zu veröffentlichen, die, aus berufenen Federn stammend, zu dieser bedeut samen Frage Stellung nehmen. Das erste stammt von Prof. Dr. Liepmann (Kiel). Prof. Liepmann beginnt sein Gutachten mit der Fest stellung, daß die Strafgesetzgebung nur dann ein Recht hat, an der Todesstrafe festzuhalten, wenn sie unentbehrlich ist. Läßt sich der Nach weis erbringen, daß die Abschaffung der Todes strafe heute kein gefährlicher Versuch mehr ist, sondern ohne Schaden für die Rechtssicherheit des einzelnen, wie die Erhaltung des Staats- organismus durchgeführc werden kann, so ist damit die Entbehrlichkeit der Todesstrafe für den modernen Staat dargetan. — Die abschreckende Wirkung der Todesstrafe rechtfertigt, sagt man, dieses äußere Mittel des Staatszwanges; diese Behauptung wird von Liepmann einer eingehenden Untersuchung unter zogen. Es werden verschiedene Gründe dafür angeführt, daß die Strafdrohung als gänzlich untauglicheHemmungsvorstellungerscheint. Eltern, die durch größte Nahrungssorgen sich zu dem Entschluß allmählich festmachen, ihr Kind zu löten, Männer, die durch jahrelange Verbitterung und Lieblosigkeiten bestimmt werden, die un geliebte oder allmählich gehaßte Frau zu be seitigen — in allen solchen Fällen pflegt die Tat der ganz plötzliche Abschluß einer Seelen tragödie zu sein, in deren Entwicklung ganz allmählich der Abscheu vor der Tat verdrängt und dem immer tiefer wurzelnden Entschluß zur Tal gewichen ist. — Eine andre Gruppe von Mmoeru bilden die aus politischem oder an archistischem Fanatismus Handelnden. Niemand, der diese Menschen oder die Literatur über ihre Taren kennt, kann es heute auch nur im ge- rmgsten zweifelhaft sein, daß gerade bei ihnen die abschreckende Wirkung der Todesstrafe voll kommen fehlt; ja wir wissen von vielen an archistischen Mördern, daß der Gedanke, auf dem Schafott als Märtyrer für eine „Idee" zu enden, auf das Hirn dieser Menschen nicht ab schreckend, sondern geradezu aufreizend wirkt! Den entscheidenden Grund für die Abschaffung der Todesstrafe sieht aber Liepmann in ihrer Unwiderruflichteit. Jede, auch die schwerste Strafe kann aufgehoben werden, wenn sich nachträglich der „Wahrspruch" als .Falschspruch" erweist; die vollstreckte Todes strafe aber ist nicht wieder gutzumachen. Das Gutachten bespricht eingehend die Möglichkeit von Justizirrtümern und gelangt zu folgendem Ergebnis: „Die mir gestellte Frage, ob die Todesstrafe beibehalten werden soll, beantworte ich für die Zivilstrafgesetzbücher Deutschlands und Österreichs, soweit es sich nicht um Aus nahmezustände der Revolution, des Kriegsrechts oder kolonialer Verhältnisse handell, mit „nein". — Zu einem entgegengesetzten Ergebnis kommt Professor Finger in seinem Gutachten. ! Er führt aus: Für die Entscheidung des j Streites um Abschaffung oder Beibehaltung der Todesstrafe sind zwei Fragen zu beantworten: > 1) Erfüllt das Gesetz, das eine Todesstrafe j kennt, seinen Zweck als Drohung? 2) Sprechen irgend welche Gründe gegen den Vollzug der Todesstrafe? Die erste Frage ist zu bejahen. Die Perbrecher sind meist stark selbstsüchtige Naturen; auf solche wirkt die Vorstellung des Verlustes des Lebens abschreckend. Hierzu kommt, daß dieser Tod ein schimpflicher ist, wodurch die abschreckende Wirkung noch erhöht wird. Als ein wesentlicher Mangel der Todesstrafe, der gegen den Vollzug derselben spreche, wird die Unwiderruflichteit heroorgehoben. Der Ein wand wiegt indessen nicht so schwer, als gemein hin angenommen wird. Well die Todesstrafe rhrer Natur nach unwiderruflich ist, wird sie mehr gefürchtet, schreckt sie mehr ab als andre Strafmittel. Auch trifft der Einwand dec Un ¬ widerruflichkeit keineswegs die Todesstrafe allein; auch die andern Strafmittel sind nich^ ohne weiteres widerruflich. Die Jahre, diW jemand infolge eines Justizirrtums im Zucht hause verbracht hat, sind unwiederbringlich ver loren, die Einbuße an Gesundheit, körperlicher und geistiger Spannkraft ist nicht zu ersetzen. Zugunsten der Beibehaltung der Todesstrafe wäre noch ein Moment zu erwähnen, das ins besondere auch in den Gründen eine Rolle ge spielt hat, die die Verfasser des österreichischen Vorentwurfes veranlaßt haben, auf diese Strafe in dem Vorentwurfe nicht zu verzichten: es ist die Schwierigkeit, für die abzuschaffende Todes strafe eine Ersatzstrafe zu finden. Zweifellos gibt es heute noch Verbrechen, deren Begehung emen solchen Abgrund von Scheußlichkeit dar- tut, daß es nimmer dem Gerechtigkeitsgefühl der Gesellschaft entsprechen würde, derartige Menschen einfach zu einer lebenswierigen Anhaltung in Kerker mauern, die mit keinerlei weiteren Übeln ver bunden ist, zu verurteilen. Professor Finger er innert hier an den Mörder der Kaiserin Elisabeth und an jene französischen Verbrecher, die aus viehischer Lust an Grausamkeit einen kleinen, zehn jährigen Jungen banden, ihn auf die Schienen des heranbrausenden Eilzuges warfen und im Versteck sich an dessen Qualen weideten. Diese Beispiele zeigen, daß es ein Maß von Schlech tigkeit gibt, demgegenüber jedes andre Mittel, als das der Vernichtung, ein zu geringes ist. Aus allen diesen Gründen beantwortet Professor Finger die vom Juristentage gestellte Frage: „Ist die Todesstrafe im künftigen deutschen und österreichischen Strafgesetzbuche beizubehalten?" bejahend. — Schon die abweichende Stellung nahme dieser beiden hervorragenden Gelehrten läßt erkennen, daß auch auf dem bevorstehenden Juristentage, wie schon mehrmals, um die Ab schaffung oder Beibehaltung der Todesstrafe eine äußerst lebhafte Debatte entbrennen wird. Politische Kuncischau. Deutschland. D Das Befinden Kaiser Wilhelms, der in Wilhelmshöhe an einer Erkältung, ver bunden mit einem schmerzhaften, aber ungefähr lichen Rheumatismus der rechtsseitigen HalS- muskel erkrankt ist, hat sich bereits so weit ge bessert, daß der Monarch am Dienstag auf einige Stunden das Bett verlassen konnte. Dem Kaisermanöver wohnt der Monarch zwar nicht bei, doch bleiben im übrigen die Reise- Pläne des Kaisers unverändert. Das Gerücht, die Reise nach der Schweiz sei abgesagt worden, trifft also nicht zu. — Über die Er krankung des Kaisers ist der folgende amtliche Bericht ausgegeben worden: „Nachdem sich am Freilag, dem 23. August schon eine Steifheit der rechten Halsmuskulatur gezeigt hatte, machte sich am Tage darauf unter Schüttelfrost und starkem Krankheitsgefühl eine An schwellung der rechten Halsseite bemerkbar. Bei der Untersuchung fand sich eine Schwel lung der rechten Gaumenmandel und große Schmerzhaftigkeit der rechtsgelegenen Drüsen. Das sehr erheblich gestörte Allge meinbefinden hat sich inzwischen wieder gehoben. Die Fiebererscheinungen haben sich verloren und die Entzündung ist im Rückgang ! begriffen. Immerhin besteht noch eine derartige Bewegungshemmung und Schmerzhaftigkeit der Halsmuskulatur, daß Seine Majestät doch ge zwungen sind, sich noch einige Tage völlige Schonung aufzuerlegen." — In Vertretung Kaiser Wilhelms wohnte der Kronprinz mit seiner Gemahlin den Festlichkeiten in M er s eb u r g bei. Er verlas auf dem Stände haus eine Kaiserliche Botschaft, in der Kaiser Wilhelm sein Bedauern ausdrückt, auf den Besuch Sachsens verzichten zu müssen. Zugleich bringt die Botschaft die herzlichsten Wünsche für das weitere Gedeihen der Provinz zum Ausdruck. * Als aussichtsreichster Kandidat für den Kölner Erzbischofs st uhl, als Nach folger für den kürzlich verstorbenen Erzbischof Fischer, wird jetzt von gutunterrichteter Kölner Seite der dortige Domkapitular Dr. Blank genannt. * Nach dem Finanzplan der Reichs- finanzvrrwaltung ist vorgesehen, daß die Anforderungen der Schutzgebiete an den Reichshaushall in der Finanzperiode von 1913 bis 1917 einen gewissen Beharrungszustand er reichen werden. Man nimmt an, daß sich die jährlichen Reichszuschüsse in den künftigen Etats für die Kolonien in der bisherigen Höhe mit rund 29 Mill. Mk. bewegen werden, und zwar für Ostafrika mit 3 650 000 Mk., Kamerun mit 2 350 000 Mk., Südwestasrika mit 13 900 000 Mark, Neu-Guinea mit 1210 000 Mk. und Kiautschou mit 7 Mill. Mk. Togo und Samoa erhalten bekanntlich keine Reichszuschüsse, da sie ihre fortlaufenden Ausgaben aus eigenen Ein nahmen decken. Balkaustaaten. G Die Spannung auf dem Balkan hält unvermindert an. Zwar wird von italieni scher Seite bestätigt, daß in der Schweiz Friedensverhandlungen zwischen Italien und der Türkei schweben; indessen ist man in Bulgarien, Montenegro und in Serbien der Hoffnung, daß nicht so sehr der Krieg mit Italien, als die inneren Wirren die Kriegstüchtigkeit der Türkei beeinträchtigen. Diese Sachlage will man sich zunutze machen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß diese drei Staaten Kriegsvorbereitungen treffen und man munkelt, daß Rußland ihnen zumindest nicht von ihrem Vorhaben abrät. Angesichts dieser kritischen Lage ist es doppelt anerkennenswert, daß Osterreich- Ungarn sich angelegentlichst um den Frieden bemüht. Gras Berchtold, der Minister des Äußeren, ist von einer Reise nach Bukarest heim gekehrt, von wo er die Versicherung mit gebracht hat, daß Rumänien sich auf keine Balkan- adenteuer einlassen werde. Hoffentlich gelingt es den vereinten ausrichtigen Bemühungen der Mächte, auch die übrigen Balkanstaaten davon zu überzeugen, Latz die Zeit zur „Lösung der Balkanfcage" denkbar schlecht gewählt ist. Afrika. T Der französische Oberkommandierende General Lyautey, der sich mit dem größten Teile der ihm zur Verfügung stehenden Streit kräfte gegen die Truppen des Gegensultans El Hiba gewandt hat, läßt die Regierung vollständig im Ungewissen über den Ausgang seiner Expedition. Man weiß nur, daß die Franzosen in einzelnen Vorpostengefechten das Feld behauptet haben. Was aber aus der Hauptmacht El Hibas und aus den in Marra kesch gefangen gehaltenen Franzosen geworden ist, weiß in Paris niemand. Rian ist dort übrigens überzeugt, daß die auffallend gute Organisation und Bewaffnung des El Hibaschen Anhanges nur durch europäische und aller Wahrscheinlichkeit nach durch spanische Unterstützung zustande kommen konnte. Deswegen Md wegen der sich häufenden Be schwerden französischer Zivil- und Militärorgane in Marokko gegen die Parteinahme spanischer Kolonisten und Konsulatsbeanuen für die fran- zosenfeiMichen Stämme hat die französische Regierung in Madrid Aufklärung erbeten. Das AeicdörmigungSL'Mt. Halbamtlichen An^.migcn zufolge wird im Reichsam: des Inner» au eine?. Gesetzentwurf betr. die Einrichtung eines Reichseinigungs- amtes gearbeitet. Alan hofft auf diese Weise „die Arbeitskämpfe an Umfang und Stärke zu vermindern und unser Land vor schweren Er schütterungen zu bewahren, denen andre In dustriestaaten in letzter Zeit ausgesetzt gewesen sind". Es kann gar keine Frage sein, daß ein Reichseinigungsamt eine äußerst erfreuliche Ein richtung wäre, wenn es nur die daran geknüpf ten Hoffnungen erfüllt und erfüllen könnte. Der ganzen Namr unsrer Wirtschaftskämpfe nach scheint das aber völlig ausgeschlossen. Wir haben ja erst kürzlich beim letzten großen Streit in England die Erfahrung gemacht, daß ein Versagen der Einigungsämter nicht nur im Bereiche der Möglichkeit liegt, sondem durchaus wahrscheinlich ist. Von mancher Seite wird allerdings immer wieder behauptet, daß „Friedenseinrichtungen" und eine gesetzlich» Regelung der Kartellverträge ein unfehlbares Mittel seien, um wirtschaftlichen Kämpfen, di» an sich ja unvermeidlich sind, alle Bittemis zu nehmen. Man übersieht dabei nur, daß eL nahezu keine Möglichkeit gibt, den Schieds sprüchen der Einigungsämter die. Anerkennung sowohl der Arbeitgeber, wie die der Arbeit nehmer zu sichern und daß es ebenso unmöglich ist, den Kartellverträgen Vertragstreue der Be teiligten zu erzwingen. Nun soll der in Vor bereitung befindliche Entwurf zwar eine Be stimmung enthalten, die gegen die streitenden Parteien gewisse Zwangsmittel vorsieht. Wer diese können sich doch immer nur in sehr engen Grenzen halten. Man wird Arbeitgeber und Arbeitnehmer dem Verhand- lungszwange unterwerfen, d. h. sie durch Strafandrohung zwingen, den Sühnetermin zu besuchen, aber damit dürste die Macht deS Einigungsamtes (wenn es nicht größere Verbitterung anstatt des Friedens bringen will) zu Ende sein. Niemand wird eine Partei, deren Ansprüche im Einigungstermin abgewiesen oder gemindert worden sind, zwingen können, sich dem Schiedsspruch zu fügen. Aber selbst, falls durch einen Schiedsspruch ein Ausgleich zustande käme, so erscheint es doch mehr als fraglich, ob diese Einigung von längerer Dauer wäre, ob nicht auf dem bisher üblichen Wege der Streiks und Aussperrungen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestrebt jein würden, ihre Forderungen durchzusetzen. Bei der ganzen Struktur unsres Wirtschaftslebens, das nicht getrennt von der Entwicklung der Parteien betrachtet werden kann, ist zu befürchten, daß das Reichs-Einigungsamt, wenn es zustand» käme, seine soziale Friedensmission nur unvoll kommen erfüllen könnte. Auf der andern Seite ist nicht zu verkennen, daß durch daS Reichseinigungsamt, in dem die Verhandlungen natürlich öffentlich geführt werden müßten, der Blick weiter Kreise aus die Gegensätze in unserm Wirtschaftsleben gelenkt würden. Jedenfalls wird ja den Interessenten noch Gelegenheit ge geben werden, zu dem Entwurf des Reichs amtes des Innern Stellung zu nehmen, und wie immer, wird sich auch hier aus dem Streit der Meinungen das Brauchbare absondern. L.-4.I). Deer unä flotte. — Der Bedarf an Kraftfahrtruppen hat eine solche Steigerung erfahren, daß er durch die beim Kraftfahrbataillon ausgebildeten Mann schaften zurzeit noch nicht gedeckt werden kann. Mit Rücksicht hierauf wurde die General- Inspektion des Militär-Verkehrswesens er mächtigt, 381 Mann der Reserve andrer Waffen, die sich zur Verwendung bei den Kraftfahr truppen eignen (z. B. Kraftwagensührer, Aulo« mobilmonteure, Automobilschlosser und Leute verwandter Berufsarten auf dem Gebiete der Eisenindustrie) und bisher bei dem Kraftfahr- Bataillon weder gedient, noch geübt haben, zu einer vierwöchigen ltbung bei diesem Bataillon einzuziehen. Außer diesen Mannschaften deS Beurlaubtenstandes werden noch 250 Mann der Reserve auf 28 Tage sowie 100 Mann der^, Landwehr der Krastfahrtruppen auf 14 Tage eingezogen. Auch bei den Telegraphentruppen werden zahlreiche Mannschaften des Beur laubtenstandes eingezogen, darunter auf 42 Tag« 105 Mann aus der Reserve der bei den Tele graphen-Bataillonen im Dienst der Fernsprech abteilungen Ausgebildeten der Infanterie. Dies» Mannschaften werden auch bei den Kaiser- manövern Verwendung finden, wo sämtlich« Infanterie-Regimenter mit dem Feldfernsprech gerät ausgestaltet sind, das die Truppe während des Gefechts mit den vorgesetzten Stellen zu verbinden Hal. Hl l)urcb eigene Kratt. Ivj Novelle von Hans Lingg. 'Forucsung. „O, ich habe eine gute Natur. Ich bitte Sie, überlassen Sie das mir und setzen Sie meiner Entlassung kein Hindelnis entgegen." „Nun, so mögen Sie Ihren Willen haben." Karl wurde entlassen, bestieg fein Pferd und ritt leichten Herzens davon. Aber er hatte sich über seine Kräfte doch getäuscht. Denn als er etwa eine halbe Stunde unterwegs war, fühlte er, wie ihn die Schwäche und Schwindel all mählich übermannten. Mit Gewalt wollte er sich anfrechterhalten, denn wieder nach dem Lazarett zurückzukehren, schien ihm eine Lächerlichkeit, der er sich nicht aussetzen durfte. Aber er war diesmal seinem Feinde nicht gewachsen. Loser nnd loser hielt er die Zügel, bis sie zuletzt seiner Hand ganz entglitten. Er befürchtete, vom Pferde zu fallen und wollte absteigen. Da, als er die Füße aus den Bügeln gehoben hatte, sank er widerstandslos zn Boden. Noch fühlte er, wie das Pferd ihn beschnüffelte und sich dann entfernte. Wie im Traume hörte er das Gebell eines Hundes, dann schwanden ihm die Sinne. Karl Wilde war verschollen. In den Ver lustlisten des Regiments stand sein Name unter den Vermißten. 7. Während Karl auf dem Schlachtfelde dem Feinde gegenüberstand, hatte seine Schwester Elite im väterlichen Hause manchen Kampf zu bestehen, der kaum weniger Mut und Aus dauer erforderte, als jener Kampf auf dem Schlachtfelde. Ihr Feind war die nimmer ruhende Miß gunst der Stiefmutter, die sich bald zum offenen Haß gesteigert hatte. Die Waffen, mit denen Elise diesen Feind bekämpfte, waren Fleiß, Ge duld und ihr inniges Gottvertrauen. Wie hatte die Mutter über Karls Abschied aus dem Vaterhause triumphiert! Denn eines Teils war sie mit ihm den gefürchteten Feind losgeworden, der ihr auf die Dauer im Hause und bei der Bürgerschaft hätte gefährlich werden können, andernteils gab ihr dieses Hinaus gehen in die gefahrvolle Fremde auch Gelegen heit, über den „Abenteurer" und „arbeitsscheuen Tagedieb", wie sie Karl nannte, den verleum derischen Mund nach Belieben aufzureißen. Daß Elise dabei auch ihre einzige Stütze verlor und gewissermaßen auf Gnade und Ungnade der Stiefmutter überlassen blieb, war der dritte Vorteil, den die letztere aus ihres Stiefsohnes Abschied gewann. Und diesen Vorteil nützte sie mit einem wahrhaft dämonischen Raffinement aus. Die schwersten und unangenehmsten Arbeiten lud ne auf Elsies Schultern, jede noch io freche und plumpe Lüge war ihr recht, mit der sie den Charakter des Stiefkindes verdächtigen konnte. Sie war täglich und stündlich darauf bedacht, ihr das herbste Los zu bereiten Md den Schein zu verbreiten, als ob sie es auch verdiene. Und wenn sie das arme Mädchen mit Schelten und Fluchen, mit Tadeln und Verleumdungen den Tag über gehetzt hatte, so klagte sie am Wend, daß es schwer sei, eine gute Stief mutter zu lein, Md daß sie dieses Los keinem Weibe auf Erden wünschen wolle. Dieses Weib hatte die schreckliche, aber glück licherweise nicht häufig vorkommende Eigenschaft, daß sie alles, was sie berührte, in sein Gegen teil verkehrte. Jener sagenhafte Midas durfte nichts anfassen, daß sich nicht unter seinen Händen in Gold verwandelt hätte; in ihren Händen, in ihrem Munde wmde das Edelste zum Gemeinen. So war Elsies Fleiß in ihren Augen listige Bosheit, ihre Geduld Halsstarrig keit und Trotz, in ihrer Allen Frömmigkeit sah nichts als heuchlerische Frömmelei, überhaupt sah sie in Elises Tugenden einen steten Vor wurf, den sie in ihrer Weise zu entkräften suchte. „Des Bösen Großmutter" nannten sie die jenigen, die sie näher kannten und sie hatten nicht unrecht damit. Sie hätte etwas darum gegeben, wenn sie Elise irgendeine Schande, eine wirkliche, verdiente, schmähliche Schande auf ihr reines Haupt hätte legen können. Daß Karl nicht mehr das väterliche Haus betteten würde, dafür, hoffte sie, würde der Krieg sorgen; und wenn Miss Leben nicht ebenso gefährdet war, wir das ihres Bruders, so konnte man der Stiefmutter wenigstens keine Schuld daran bei messen. In ihrer Bosheit übertraf sie noch ihren Ruf. Sie war ein Weib, vor dem selbst dem Bösen grauen mußte. Suchte man nach einem menschlichen Zuge in dem Wesen dieses WeibeS, so konnte man ihn in dem Verhältnis zu ihren beiden Söhnen finden. Diese, Paul und Gustav, letzterer erst elf Jahre alt, offenbarten in ihrem Charakter die Gutmütigkeit deS Vaters und waren des halb von Elise sowohl, als auch von ihren Spiel- und Altersgenossen wohl gelitten. Wer st« zeigten sich zugleich von so mangelnder geistiger Begabung, so einfältig und ungeschickt, daß sie» weder in der Schule noch im Hause zu gebrauchen waren. Das war ein Mangel, den alle Welt merkte, nur die Mutter sah ihn nicht, und wer sie etwa darauf aufmerksam machen wollte, hatte es mit ihr verdorben. Zwar kam die Roheit ihres Wesens auch diesen Kindern gegenüber in heftigen Schlägen und gemeinen Scheltworten oft genug zur Gel tung, aber das Gefühl, daß sie verpflichtet sei, für sie zu sorgen, der Umstand, daß sie für sie: geizte und zusammenraffte, für sie log Md be trog, verriet doch ein Gefühl von Mutterliebe. Diese beiden Knaben, das hatte sie oft genug ausgesprochen, sollten einst reich und geehrt in der Welt dastehen. Aber der im Himmel sitzt, lachte ihrer ver derblichen Pläne, das „Menetekel", „gewogen und zu leicht gefunden", war längst in das Buch ihres Lebens geschrieben. — Zunächst empfand sie den grimmigsten Ärger darüber, daß von Karl häufig Lebenszeichen in Gestatt von Briefen Md Karten eintrafen. Man sah eS denselben an, daß sie im Felde auf dem Pferde oder auf der Erde geschrieben waren, daß nur ein Baumstamm oder ein altes Brett als Sitz und Unterlage gedient hatten. Meist waren eS Bleistift-Notizen, die manchmal nichts weiter, als die innere Seite eines Kuverts bedeckten. Immer aber sprachen sie davon, daß Karl tro- aller Gefahren und Strapazen wohlauf sei und seinen fröhlichen Mut bewahre.
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