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Allgemeiner Anzeiger : 28.09.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-09-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191209287
- PURL
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19120928
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-09
- Tag 1912-09-28
-
Monat
1912-09
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 28.09.1912
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Botschafter §rhr. Marschall v. Bieberstein Die verhältnismäßige Stille dieier Herbst wochen ist durch eine erschütternde Nachricht unterbrochen worden: Der frühere Botschafter in Konstantinopel, Frhr. Marschall v. Bieber stein, ist unerwartet in Badenweiler, wo er zur Kur weilte, infolge von Herzlähmung gestorben. Frhr. v. Marschall, der demnächst sein siebzigstes Lebensjahr vollendet hätte, hat also die schönste Aufgabe seines Lebens — so bezeichnete er die Berufung zum Botschafter in London — nicht erfüllen können; er hat die Spannung zwischen Deutschland und England, die er längst als die schlimmste Gefahr für den europäischen Frieden erkannt hatte, nicht beseiti gen können, es war ihm nicht vergönnt, seine glänzende politische Laufbahn mit solchem Erfolge zu krönen. Freiherr Marschall von Bieberstein ist am 12. Oktober 1812 in Karlsruhe geboren. Er studierte in Heidelberg und Freiburg die Rechte. Von 1878 bis 1^1 war er Mitglied des Reichstages für den 10. badischen Wahlkreis, wo er sich der deutsch-konservativen Fraktion anschloß. Im Jahre 1883 erfolgte seine Be rufung zum badischen Gesandten in Berlin und zum Bevollmächtigten beim Bundesrat. Von 1384 bis 1890 gehörte er als vom Bundesrat gewähltes Mitglied dem Reichsversicherungsamt an und beteiligte sich namentlich an der sozial politischen Gesetzgebung. Nm 1. April 1890 er folgte seine Ernennung zum Staatssekretär des Auswärtigen Amtes und zum Wirklichen Geheimen Rat, am 30. Oktober 1894 wurde er zum preußischen Staatsminister und Mitglied des Staaismini- sterinms ernannt. Ende Juni 1897 trat Frhr. v. Marschall von seinen Ämtern zurück, nach dem er kurz vorher die aufsehenerregenden Pro zesse gegen Leckert-Lützow und v. Tausch mit ihren Enthüllungen über die politische Polizei veranlaßt hatte. Am 18. November desselben Jahres wurde er zum deutschen Botschafter in Konstantinopel ernannt. 1907 vertrat er Deutschland als erster Delegierter auf der zweiten Haager Friedenskonferenz. 15 Jahre lang hat Frhr. v. Marschall in Konstantinopel unter den sckwierigsten Verhältnissen die deutschen Inter essen mit Nachdruck vertreten. Man bezeichnete ihn vielfach als den Mittelpunkt der ganzen Orientpolitik. Ms im Frühjahr ein Wechsel in der Leitung der Botschaft zu London not wendig wurde, erfolgte am 14. Mai 1912 seine Ernennung zum Nachfolger des Grafen Wolff- Metternich, der diesen Posten 11 Jahre inne hatte. Man hatte vorher in Deutschland viel fach damit gerechnet, der Verstorbene werde zum sechsten Kanzler des Reiches berufen werden. Seine Sendung nach London zeigte, daß man an maßgebender Stelle ihn besser für geeignei hielt, die deuisch-englische Frage zu lösen, als hier in der Heimat den Kampf der Parteien zu schlickten. Ende Juni überreichte der neue Boischafter dem König Georg sein Beglaubigungsschreiben und wurde nach der formellen Vorstellung in langer Privat audienz empfangen. Gelegentlich der Be grüßungsfeier in der Londoner Deutschen Kolonie gab Frhr. v. Marschall in einer Rede seiner Hoffnung Ausdruck, daß er seine schöne und große Aufgabe, die deutsch-englischen Be ziehungen zu pflegen, erfüllen werde, ohne fremde Interessen antasten zu müssen. — Mehrere Wochen blieb der Freiherr in London, dann ging er zu Beginn der Ferien mit seiner Familie nach Deutschland. Welche starke Per sönlichkeit in dem Toten dahingegangen ist, spiegelt sich in den Presseftimmen des In- und Auslandes deutlich wider. Die Londoner Presse beschäftigt sich besonders ein gehend mir der Aufgabe, die der Verstorbene in London lösen sollte. Die ,Pall Mall Gazette' schreibt: „Das Gefühl der politischen Streitigkeiten zwischen beiden Reichen ist für den Augenblick aufgehoben durch einen jener dramatischen Schläge menschlichen Schicksals, welche die ganze Welt gleichmachen. Man wiliL allgemein tiefste Teilnahme für den Kaiser uiU sein Volk suhlen angesichts des plötzlichen Dahinscheidens einer der größten Gestalten der modernen Diplomatie von der europäischen Bühne." Gleichermaßen erkennt die französische, wie die italienische und türkische Regierung daS Talent des dahingeschiedenen Staatsmannes an. m SS SS.— ! > i I» m iiUHSS-s politische Kunclsckau. Deutschland. * In München ist Herzog Franz Joseph in Bayern im 24. Lebensjahr nach kurzer Krankheit gestorben. An demselben Tage ist auch die Schwester des Königs Alfons von Spanien, Infantin Maria Theresia, Gemahlin des Prinzen Ferdinand von Bayern, Jnfanten von Spanien, in Madrid gestorben. Das bayrische Königshaus, das bereits durch den Tod des Herzogs Franz Joseph in tiefe Trauer versetzt worden ist, hat an dem gleichen Tage dadurch einen neuen schweren Verlust er litten. *Die Ausschüsse des Bundesrats werden in diesen Tagen zusammentreten, um die Arbeiten für die Beratungen vorzubereiten, u. a. wird der Justizausschuß sich auf Antrag Bayerns mit der Auslegung des Jesuitengesetzes beschäftigen. *Die preußische Eisenbahnverwaltung hat Erhebungen angeordnet über den Einfluß, den die im vorigen Jahre infolge der Dürre aus geführten Notstandstarife auf die w i r t- schaftlichenBerhältnisse gehabt haben. Zu diesem Zwecke sind die Handels- undLand- wirtsckastSkammern und sonstige Jntereffen- vereinigungen von den Eisenbahndirektionen um gutachtliche Erklärungen ersucht worden. * Mit Rücksicht auf die immer fühlbarer werdende Teuerung haben die Stadtverordneten von Hildesheim beschlossen, der ärmeren Bevölkerung bis zu einem Steuersatz von 6 Mk. für die Zeit vom 1. Oktober bis zum 1. April 1913 die Steuer ganz zu er lassen. * Das gothaische Staatsministerium hat eine Verfügung erlassen, durch die die erziehliche Gewalt der Volksschullehrer über die Schuljugend wesentlich erweitert wird. Während die Lebrer bisher im allgemeinen nur Ver fehlungen von Schülern ihrer eigenen Klasse, und zwar solche, die während der Schulzeit vorgekommen waren, in geeigneter Wesse zu bestrafen hatten, soll sich fortan die Sckulzucht auch aus Schüler andrer Schulen erstrecken. Vor allem aber soll unter den Begriff der Schulzucht auch das Verhalten der Schulkinder außerhalb der Schule fallen. So sollen z. B. di Lehrer berechtigt sein, Fälle von Straßen- u. fug, gröblicher Beleidigung, Schädigung andrer, Tierquälerei, mutwilliger Verletzung fremden Eigentums, Beschädigung öffentlicher Denkmäler und Anlagen usw. in der Schule in geeigneter Weise zu bestrafen. Wenn ein Schüler aber schon von den Eltern besttast ist oder wenn nach Lage der Sache zu erwarten ist, daß die Eltern ihre Kinder selbst bestrafen werden, so soll sich im allgemeinen die Tätigkeit des Lehrers nur auf eine Ermahnung be schränken. * Im Finanzausschuß der bayrischen Abgeordnetenkammer wurde gegen die Stimmen der Sozialdemokraten derLotterie - vertrag mit Preußen angenommen. Osterreich-Ungarn. *Der ehemalige König von Portugal, Manuel, ist in Wien vom Kaiser Franz Joseph empfangen worden. Diesem Besuch dürften kaum irgendwelche politische Absichten zugrunde liegen; vielmehr handelt es sich um gewisse Hetratspläne, die jetzt verwirklicht werden sollen. * Der Versuch der ungarischen Oppo sitionsführer, die Beratungen der Dele gattonen in Wien durch Kundgebungen zu stören, ist vollständig mißglückt. Das Gebäude, in dem die Beratungen stattfanden, wurde durch Polizei abgesperrt, nur wenige Hörer wurden zugelassen, unter ihnen Graf Karolyi, der nach einem Zwischenruf das Haus verließ. Jfrankretch. * Infolge der mannigfachen Unfälle, die das französische Pulver in letzter Zeit hsrvorgerufen hat, beschloß die Regierung, umfangreiche Pulverbestellungen in Schweden und Itali en zu machen. Die Presse nennt den Fall, „daß ein Land sich nicht allein mit geeignetem Pulver versorgen kann," ganz außergewöhnlich. Schweiz. *Jn Bern ist unter großer Beteiligung der 19. Welt-Friedenskongreß eröffnet worden. Balkanstaaten. "Die Nachrichten von der serbischen, bul garischen und montenegrinischen Grenze lauten fortwährend ernst: ununterbrochen werden Zu sammenstöße der türkischen Truppen mit den Grenzbewohnern gemeldet. Trotzdem ist die Auffassung der Lage in den maßgebenden Kreisen sehr zuversichtlich. Man hält es für vollkommen ausgeschlossen, daß sich wegen der Grenzkonflikte irgendwelche kriegerische Ver wicklungen ergeben können, obgleich man zu gibt, daß sich die Gegensätze bedenklich zuge spitzt haben. Angeblich haben England, Frank reich, Österreich und Rußland eine Note an Serbien gerichtet, worin die Mächte erklären, daß sie einen Krieg aus dem Balkan nicht zu lassen werden. Afrika. * GeneralresideM Lyautey geht mit der Ab sicht um, das gesamte dem französischen Einfluß bis jetzt unterstehende Marokko in vier bis fünf Militärzonen einzuteilen und jede Zone mit einer völlig unabhängigen Garnison zu belegen, die sich selbst genügen und Ruhe und Ordnung in ihrem Gebiet aufrechterhalten müßte. Fez, der wichtigste Punkt des Landes würde sieben Bataillone erhalten, davon drei als ständige Garnison und vier als fliegende Kolonne für die Sicherung der Umgebung nach allen Seiten hin. Im ganzen stehen augen blicklich rund 50 000 Mann in Marokko. Diese Truppen sollen vorderhand als genügend an gesehen werden, sodaß von weiteren Ver stärkungen vorläufig nicht mehr die Rede ist. - ' Sorckarät rmä Beinert vor äer Strafkammer. Wegen der Konflikte mit dem Präsidenten des preußischen Abgeordnetenhauses, die in der letzten Session so großes Aufsehen erregten, hatten sich die sozialdemokratischen Abgeordneten Borchardt und Leinert vor der Strafkammer des Landgerichts Berlin zu verantworten. Wie aus dem Eröffnungsbeschluß hervorgeht, sind die beiden Parlamentarier unter Anklage ge stellt, weil sie den Schutzleuten, die zur Voll streckung von Befehlen und Anordnungen der Verwaltungsbehörden berufen sind, in der recht mäßigen Ausübung ihres Amtes mit Gewalt Widerstand geleistet haben. Der Abgeordnete Borchardt wird außerdem beschuldigt, aus einem abgeschlossenen, zum öffentlichen Dienst bestimmten Raum, in dem er ohne Befugnis verweilte, auf die Aufforderungen des Be rechtigten sich nicht entfernt zu haben und in diesen Raum widerrechtlich eingedrungen zu sein. Der Angeklagte Borchardt erklärte zunächst: „Es liegt mir vor allem daran, eine Legende zu zerstreuen, die sich in der Öffentlichkeit ge bildet hatte, nämlich die Behauptung, als ob ich den Vorfall im Abgeordnetenhause hervor« gerufen hätte. Am Vortage hatte ich als letzter Redner zum Besitzbefestigungsgesetz ge sprochen. Als ich fertig war, kam Dr. Schifferer zu mir zu einer persönlichen Unterredung. Er sagte mir, daß darin nach seiner Ansicht sich verschiedene Irrtümer befunden hätten, und bat mich, am nächsten Tage, es war am 9. Mai, in der Sitzung anwesend zu sein, da er mir zu entgegnen hätte. Deswegen konnte ich nicht darauf verzichten, genau zuzuhören. Ms ich mich am andern Tage, wo es wie immer zu Be ginn der Sitzung recht unruhig im Hause war, an die Tribüne stellte, um genau zu hören, gab der Präsident den Befehl, von dieser Stelle die Zwischenrufe zu unterlassen. Der Präsident hat zu solchem Befehl kein Recht und er kann einem Abgeordneten nicht vorschreiben, wohin er sich zu stellen hat. Ich habe von da ab aber nur noch zustimmende Zwischenrufe: „Sehr richtig I", „Bravo!" gemacht und nur einmal gerufen: „Das ist ein Irrtum!" Der Präsident wiederholte daraufhin seine Mahnung, und ich unterließ von da ab jeglichen Zwischenruf. Mit einem Male sagte der Präsident aber in einer Art und Weise, die mein starkes Mißfallen er regte, ich solle mich auf meinen Platz be geben. Ich antwortete, daß ich da hinten nicht hören würde, was der Redner sagt. Als nun der Präsident wegen dieser Bagatelle mit seinen Machtmitteln drohte, rief ich dem Präsidenten zu: „Lassen Sie den Leutnant kommen!" Damit wollte ich sagen, wegen dieser Kleinigkeit sei es doch nicht angebracht, solch Aufhebens zu machen. Nachdem ich nun dem Präsidenten zu zeigen versucht hatte, daß ich nicht aus Schabernack, sondern aus sachlichen Gründen stehen blieb, um Herrn Schifferer zu hören, da war ich wie aus den Wolken gefallen, als der Präsident nun dennoch gegen mich mit der polizeilichen Ausweisung vorging. In diesem Moment wurde die Sache eine aanz andre. Bis dahin war es eine persönliche Angelegenheit. Wenn ich im Traume nur mir hätte denken können, daß der Präsident wegen dieser Bagatelle zu solchen Maßnahmen schreiten würde, dann hätte ich mich schon seiner Auf forderung gefügt. In dem Moment, wo ich ausgewiesen wurde, war die Sache nicht mehr meine persönliche Angelegenheit, sondern eine Angelegenheit des ganzen Hauses und der Wählerschaft. Nach der Auffassung der sozial demokratischen Partei haben einzig und allein die Wähler zu entscheiden, ob ein Abgeordneter in das Haus gehört, und niemand sonst, und wer es sich anmaßt, seinerseits darüber zu ent scheiden, überschreitet seine Befugnisse und muß den entschiedensten Widerspruch Hervorrufen. Deshalb bin ich nach meiner Entfernung wieder in den Saal gekommen. Mein Wiedererscheinen im Saale hatte den Zweck, mich zu überzeugen, ob man noch ein mal das Verbrechen begehen würde. Ich habe mich absichtlich auf die Bank zwischen Ströbel und Hoffmann gesetzt, um meine Wegsührung zu erschweren, und ich habe, wie ich zugebe, nach Kräften mich den Polizeibeamten wider setzt, nachdem ich den Polizeileutnant Kolb auf die W 105 und 106 des Strafgesetzbuches hin gewiesen hatte. Ich hielt es für meine Pflicht, mich gegen einen rechtswidrigen Angriff zu wehren." — Der Abgeordnete Leinert schildert sodann den Vorfall, soweit er daran beteiligt war. Er erklärt, er habe der gewaltsamen Ent fernung von seinem Platz körperlichen Wider stand entgegengesetzt, da er der Meinung ge wesen sei, in seiner Eigenschaft als Abgeordneter könne nur der Präsident des Hauses ihm An ordnungen erteilen. Nach eingehender Beweisaufnahme hält Oberstaatsanwalt Preuß ein längeres Plaidoyer, an dessen Schluß er beantragt, beide Angeklagte für schuldig zu erklären und über Borchardt eine Gefängnisstrafe von fünf Wochen, über Leinert eine Geldstrafe von 200 Mark zu ver hängen. Da sich die Notwendigkeit ergab, den Vizepräsidenten des Abgeordnetenhauses als Heugen zu vernehmen, wurde die Verhandlung bis zum 28. d. Mts. vertagt. ——— Von j^ak uncl fern. Eine Sauerstoff - Explosion hat sich in einer Maschinenfabrik in Nürnberg ereignet. Beim Schweißen in der Kesselschmiede platzte mit gewaltigem Knall ein Sauerstoffbehälter. Die Erschütterung war so stark, daß sämtliche Fensterscheiben in der Umgegend zertrümmert wurden und die Nachbarschaft erschreckt aus den Wohnungen eilte. Die Kesselschmiede wurde verwüstet, das Dach abgebogen. Sechs Arbeiter haben Verletzungen erlitten, darunter zwei sehr schwere. O Ans lUckt gekrackt. Sj Roman von H. Köhler. sForNktznn^ „Ja, lieber Professor," stammelte der Über rumpelte, indem er seinen Schlafrock warm zu sammennahm und die Damen noch immer unsicher anstarrte. Da fiel sein Blick auf den Justizrat, und ihm die Hand entgegenstreckend rief er, ihn herzlich und erfreut bei seinem allen Spitznamen auf der Universität — „Raps"! „Junge, wo kommst du her? und das — das sind doch nicht . ..?" „Meine Töchter, alter Schwede," lachte der Justtzrat vergnügt, „nicht wahr, die Mädel sind herangewachsen? Aber wo ist die deine? — ah, Fräulein Klara — nun, daß muß ich sagen," setzte er rasch hinzu, „zurückgeblieben sind sie auch nicht. Sie blühen wie eine Rose," und ohne weitere Umstände ging er auf sie zu, nahm ihren Kopf zwischen die Hände und küßte sie auf die Stern. Jetzt erst bemerkte er den neben ihr stehenden jungen Herrn, der sich mit ihr zugleich vom Stuhl gehoben hatte. „Ein Freund unsres Hauses," stellte ihn der Medizinalrat vor, „Baron Berger, der Bräuti gam meiner Tochter, und das, lieber Berger, ein alter Jugendfreund, Justtzrat von Hoch- Weiler Ms Hoßburg." Die beiden Herren verneigten sich gegen einander. „Und hier," fuhr der Professor fort, „da wir doch einmal im Vorstellen sind, um die lang wellige Geschichte gleich abzumache«, Fräulein Elisabeth und Katharine von Hochweiler, besagten Justizrats liebenswürdige Töchter — so, jetzt kennen wir einander, und nun, ihr Mädels, steht nicht da wie die Stöcke und fallt euch m Micher Weise um den Hals." „Das hast du mit dem Herrn Justizrat auch gemacht, Papa," lachte Rosa. „Ich bekenne mich schuldig," nMe der Vater, „also da snd wir, Medizinalrat." „Herzlich — herzlich erfreut," rief dieser, nochmals des Justizrats Hand schüttelnd, „und nun alter Junge, wie geht's — jetzt erzähle; wir haben uns ja, glaub' ich, iu einer wahren Ewigkeit nicht gesehen." Die jungen Mädchen hatten sich indessen schm: rascher miteinander verständigt und plauderten zusammen; Elisabeth aber bemerke bald, daß die Röte, die Klaras Gesicht über strahlte, als sie ihr Vater anredete, nicht ihrem Antlitz natürlich war und rasch wieder ver schwand. Sie sah eher bleich und angegriffen aus, und um ihre Lippen lag ein recht weher, schmerzhafter Zug — aber sie war freundlich und lieb, und, wie wir das ja so ost im Leben haben, daß uns der erste Anblick eines Menschen wohl tut, so fühlte sie sich gleich vom ersten Moment ihrer Bekanntschaft hin zu der ernsten und sinnigen Elisabeth gezogen, als ob sie schon seit vielen, vielen Jahren Freunoe gewesen wären. Elisabeth teilte das Gefühl, das in solchen Fällen fast immer gegenseitig ist, und doch war ihre Aufmerksamkeit in dieser ersten Zeit mehr dem jungen Fremden, als der neuen Freundin zugewandt, der sich auch rasch Md leicht iu ihr Gespräch mischte und die jungen Mädchen bald zu fesseln wußte. — Aber Stimme wie Aus drucksweise blieben ihr vollkommen fremd, Md doch fühlte sie sich von seinem ganzen Wesen angezogen und mußte sich selber gestehen, lange niemand getroffen zu haben, der sie so ganz in Anspruch nahm. Berger zeigte sich auch in der Tat unendlich liebenswürdig; er war die Aufmerksamkeit selber, und als der Vater endlich zum Aufbruch mahnte — denn sechs Uhr war heran gekommen, und der Medizinalrat wurde schon unruhig — glaubten alle, daß ihnen die Zeit noch nie im Leben so rasch verflogen sei, als diese zwei kurzen Stunden. Aber man wollte sich wieder scheu, und der Professor, der sich selber in das Gespräch ge mischt und Freude, daran gefunden hatte, setzte dazu den kürzesten Termin. „Wie wäre es, meine jungen Herrschaften," sagte er, „wenn wir uns gar nicht trennten, sondern heute abend gleich zusammen blieben? Freund Medizinalrat ist unzurechnungsfähig, der muß pflichtschuldigst in sein langwelliges Kasino und L'hombre spielen, sonst wird er von seiner Partie in den Bann getan; uns andre aber bindet kein solcher Zwang, und wenn wir nun alle zusammen heute abend in unsern Garten gingen und dort vergnügt eine Taffe Tee — respektive ein Glas guten Wein — tränken, so glaube ich, daß wir Ms noch vor trefflich amüsieren könnte». Was sagen Sie, meine Damen?" „Ach ja, Papa, das wäre zu herrlich," rief Rosa rasch und freudig — „nicht wahr, du gehst mit, Mara?" „llnd Herr von Berger begleitet Ms viel leicht ebenfalls?" setzte der Professor hinzu. „Sie sind außerordentlich liebenswürdig, verehrter Herr," entgegnete der junge Manu, „und ich selber bin viel zu schwach, um einer solchen Verlockung zu widerstehen — vorausgesetzt natürlich, daß ich die Damen in ihrer Unter haltung nicht störe." „ Sie können auch boshaft sein, nicht wahr?" lachte Rosa, „als ob wir so wichtiges zu ver handeln hätten — und dann gehen wir gleich, nicht wahr, Papa?" „Ja, Kinder," sagte der Medizinalrat etwas verlegen, „das ist alles recht schön und gut, und Klärchen — aber die alte Bella ist dann ganz..." er wollte nicht recht mit der Sprache heraus. „Ganz allein?" ergänzte der Professor lachend, „und Klärchen soll doch nicht etwa der alten Person zur Gesellschaft zu Hause bleiben? — das wätt der Mühe wett. Alter, Aller, laß mich dich nicht auf einem faulen Pferde er wischen. — Und NM vorwärts, Kinder — da schlägt'S schon Sechs — Medizinalrat — mach', daß du in dein Kasino kommst, sonst mußt du Strafe zahlen." Der kleine ängstliche Mann wagte in der Tat keinen weiteren Einwand, und Klärchen, die rasch ihren leichten Schal umgeworfen Md ihren Hut aufgesetzt hatte, war in wenigen Sekunden gerüstet. 5. Unten an der Tür begegnete die kleine Ge- schäft allerdings wieder der alten Frau, di» hier iw Hause nicht allein die Wirtschaft, son-
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