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Allgemeiner Anzeiger : 04.09.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-09-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Urheberrechtsschutz 1.0
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- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191209043
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19120904
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19120904
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-09
- Tag 1912-09-04
-
Monat
1912-09
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 04.09.1912
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ue an- egierung gibt von erwiesen habe. Die Meuterer sollen vom jung- türkischen Komitee zu ihrer Handlungsweise gestiftet worden sein. Die Regierung gibt den Ereignissen folgende Darstellung: Die in den Straßen umhe^iehenden Patrouillen waren von einem Offizier und Trompeter begleitet. Die wachhabenden Mannschaften eines im Hafen Galatas liegenden rumänischen Dampfers erklären, daß sie bereits gegen 1V, Uhr nachts in Galata dem Kai entlang Infanterie mit auf treten deS Gesetzes verurteilt worden find, E' Strafe aber noch nicht verbüßt haben. Auf den jetzt erstatteten Bericht deS Justizministeriums hat der Prinz-Regent eine große Zahl von Verurteilten begnadigt. Manchen Verurteilten wurde die Strafe völlig erlassen, darunter be finden sich Strafen bis zu drei Monaten Ge fängnis. Bei vielen Verurteilten wurde die Freiheitsstrafe erheblich gemindert, bei vielen eine Gefängnisstrafe in eine mäßige Geldstrafe Meuterei m Konstantinopel. Während sich die Mächte den Kopf darüber zerbrechen, wie man dem kranken Manne am Bosporus helfen könne, spielen sich in Konstan tinopel Dinge ab, die erkennen lassen, daß sich die Lage am „Goldenen Horn" immer ernster gestaltet. Während in der Kalifenstadt sich das Volk der Ramasan-Feier hingegeben hat, ist um Mitternacht ein militärischer Putschversuch unter nommen worden. Bei den Gendarmen einiger in den Stadtteilen Galata und Kassim-Pascha garnisonierender Truppenteile ist eine Meuterei ausgebrochen. Der Versuch ist jedoch voll kommen fehlgeschlagen. Die Bewegung brach kurz nach Mitternacht los. Es wurden sofort ausgedehnte Schutzmaßnahmen getroffen. In fanterie und Kavallerie wurde nach den wichtigsten Punkten der Stadt entsandt. Im Kriegs ministerium wurde die Auskunft erteilt, daß sich bei dem Zwischenfall die Treue der Regieruugstruppen gepflanztem Seitengewehr sahen, die sich ver steckte. Als etwa 15 bewaffnete Soldaten, von der Brücke kommend, sich ihnen näherten, gaben sie Signale und nahmen eine Stellung zum Angriff ein. Die 15 Soldaten erwiderten das Signal und vereinigten sich mit der zuerst auf getauchten Abteilung. Gegen 3V- Uhr zogen sie ab. Der Gouverneur Galatas und Peras erklärte, der ganze Vorfall sei nur eine Er findung oder eine maßlose Übertreibung. Der Sachverhalt soll folgender sein: Im Patronen depot von Sakisaghatsch in Pera hielten vierzig Soldaten Wache, die abends durch Truppen aus der Kaserne von Taxim ersetzt wurden. Anstatt aber direkt in die Kaserne zu gehen, machten sie eine Vergnügungsreise nach Tatawla. Die dortigen Gendarmen wurden hiervon benachrichtigt. Das Marineministerium, der Platzkommandant und die Polizeipräfektur erhielten Nachrichten, daß eine Menge auf rührerischer Soldaten die Banken plündern wollten. Der Platzkommandant gab Befehl, mit mehreren Jnfanierie-Regimentem alle Straßen zu besetzen. Um drei Uhr nachts waren alle Stellungen eingenommen. Die Banken wurden von starken Truppenmassen bewacht. Die Sol daten glaubten, daß die Gendarmerie revoltiert hätte, als die vergnügte Wache des Patronendepots von Sakisaghatsch nach der Kaserne zurückkehrte. Man hat sie beruhigt und alle zusammengezogenen Truppen wurden in ihre Kasernen zurückgeschickt. Der Platzkomman dant Safet erklärte, daß das Verhalten der Mehrzahl der Truppen eine sichere Gewähr dafür geboten habe, daß sie auch bei einer ernsten Gefahr zur Stelle sein würden. — Diese ganze Darstellung läßt erkennen, daß man ein Interesse daran hat, den wahren Sachverhalt zu verschleiern. Jedenfalls zieht über die Türkei eine neue schwere Krise herauf, deren Tragweite noch nicht zu übersehen ist. Politische Kunclscbau. De«tschla«d. "Kaiser Wilhelm ist von seiner Er krankung völlig wieder hergestellt. Der Monarch wird entgegen den Erwartungen seine geplante Schwerzerreise machen, wenn auch mit einem etwas eingeschränkten Programm. * Der Prinz-Regent von Bayern hat sofort nach Verkündigung des Gesetzes vom 19, Juni 1912, eine Änderung des Strafgesetze buches betreffend, den Wunsch geäußert, durch Gnadenerweis die vorgesehenen Milde rungen des Gesetzes auch denjenigen Per sonen zuteil werden zu lassen, die vor Jnkraft- umgewandelt. * Reichskanzler v. Bethmann- Hollweg begibt sich am 5. September von Berchtesgaden nach Ungarisch - Hradisch, wo er bis Mitte September zu bleiben gedenkt. * Die Anfrage einer Berufsgenossenschaft, ob nach der Reichsversicherungsordnung die Post an st alten der deutschen Schutzge biete zur Auszahlung der Renten befugt seien, hat das Reichsversicherungsamt verneint und darauf hingewiesen, daß die Reichsversicherungsordnung nur in einzelnen bestimmt bezeichneten Fällen die deutschen Schutzgebiete als Inland gelten läßt. Hieraus und aus dem allgemeinen Grundsatz, daß für die Schutzgebiete ohne besondere Bestimmung die für das Inland maßgebenden Reichsgesetze nicht anwendbar sind, folgt, daß es nicht angeht, die Vorschriften der Reichsverstcherungsordnung über die Auszahlung der Renten durch die Post auf die Schutzgebiete auszudehnen. England. * Die Bank von England hat ihren Wechselzinsfust von drei Prozent auf vier Prozent erhöht. Schweiz. * Allem Anschein nach wird der Friede zwischen der Türkei und Italien noch nicht geschlossen werden. Wie aus der Schweiz gemeldet wird, sind die Friedensverhand lungen zwischen den türkischen und italie nischen Delegierten abgebrochen worden, weil die Italiener die Annahme der türkischen Bedingungen (Anerkennung deS Besitzrechtes auf die Cyrenaika) verweigerten. "Die Internationale Vereini gung fürgesetzlichenArbeiterschutz, die vom 10. bis 12. September ihre 17. Gene ralversammlung in Zürich abhält, zählt gegen wärtig 15 Landessektionen gegen sieben Landes- sektionen bei ihrer Gründung. Außerdem be teiligten sich noch vier weitere Landesregierungen, also insgesamt 19, an ihren Arbeiten. Die Einwohnerzahl der in der Internationalen Ver einigung vertretenen Länder beträgt rund 510 Millionen. Die bevorstehende Tagung in Zürich hat ein sehr reichhaltiges Programm, aus dem nur einige Punkte herausgehoben seien: Bekämpfung gewerblicher Gifte, Heim arbeitsfragen, Regelung der Arbeitszeit in ununterbrochenen und gefährlichen Betrieben, Abkürzung der Arbeitszeit an den Samstagen, Arbeiterurlaub, Eisenbahnerschutz, Kinderschuh, Stellung der Ausländer in der sozialen Ver sicherung, Vollzug der Arbeiterschutzgesetze, internationale Darstellung des Arbeitsrechts usw. Man wird aus diesem Programm sehen, daß sich die Vereinigung, nachdem sie bisher für Frauen und Jugendliche bedeutsame Erfolge er- nmgen hatte, ibre Fürsorge den erwachsenen Männern in besonders schweren und gefähr lichen Industrien zuwendet. Nmerita. * Eine anscheinend wahnsinnigeFrau versuchte den Präsidenten Taft beim Betreten eines Hotels in Kolumbus (im Staate Ohio) anzugreifen. Sie stürzte sich auf ihn, wurde aber zurückgehalten und verhaftet. Bei ihr wurde ein Messer vorgesuuden. — Es ist nicht das erstemal, daß das Leben des Präsidenten Taft in Gefahr gerät. Ein Anschlag aut ihn wurde vor Jahresfrist verübt, als ec sich aus der Rückreise von der Grundsteinlegung zur Panama-Ausstellung :n San Francisco befand. Unter einer Stahlbrücke der Southern Pacific- Eisenbahn wurden zahlreiche DyriSKLpakMrn entdeckt, kurz bevor der Zug mir dem Präsi denten Tast dis Brücke passierte. Einige Tuge darauf wäre Lair beinahe einem andern An schläge zum Opfer gefallen. EL waren Lie Räder der Lokomotive seines Sonderzuges ge lockert worden, so daß sie sich zu lösen begannen, als der Zug die sog. amerikanische Wüste bei Saltlake City durchfuhr. Es gelang, den Zug zum Halten zu bringen, ehe ein Unglück ge schehen war, worauf die Räder wieder festge schraubt wurden. "Das Statistische Bureau in Washington hat vor kurzem Zahlen über die stimm berechtigten Frauen in den Ver. Staaten veröffentlicht. Es ergibt sich, daß in nicht weniger als sechs Staaten alle Frauen über 21 Jahre bei allen Bundesstaats- oder Gemeindewahlen mitstimmen können. Bis zum April 1910 waren in diesen sechs Staaten 1 346 925 Frauen stimmberechtigt. Von diesen waren 654 784 Weiße von amerikanischer Ab stammung, 333 925 hatten fremde (weiße) Eltern und 327 681 waren Einwanderer. Die Zahl der stimmberechtigten Negerinnen betrug 13 488, die der Indianerinnen und andrer nicht weißer Frauen 17 046. Viele dieser Frauen haben bisher wenig oder gar keinen Gebrauch von ihrem Stimmrecht gemacht, sie legen jedoch für die bevorstehende Präsidentenwahl, die zwischen Taft und Roosevelt entscheiden soll, ein außer ordentliches Interesse an den Tag. * Aus Mexiko kommen immer schlimmere Nachrichten. Es heißt, daß ein neues Ge fecht zwischen den Rebellen und Regierungs truppen stattgefunden habe. Angeblich sollen 1800 Rebellen, die Alamo angriffen, in Nordmexiko geschlagen sein, über 300 Mann sollen getötet und verwundet sein. Vie Keickskliegerttittung. M Die zum Besten der deutschen Flieger gegründete Reichsfliegerstiftung hat ihre segens reiche Tätigkeit bisher in aller Stille ausgeübt. Obwohl die Stiftung erst seit kurzer Zeit be steht, hat sie doch schon in vielen Fällen ihre Notwendigkeit erwiesen nnd bei allen Unfällen, die sich seit ihrer Gründung ereigneten, mit augenblicklicher Hilfe eingreifen und helfen können. Es liegt in der Natur dieser Hilfe, daß sie in aller Stille erfolgen muß. In fünf Todesfällen war es möglich, den Hinterbliebenen sofort eine größere Unterstützungssumme zu überweisen, ferner wurden verschiedene regel mäßige Renten ausgezahlt und in vielen Fällen wurden verunglückten Fliegern, die durch den Unfall an der weiteren Ausübung ihres Berufes gehindert wurden, Reisegelder und Kurkosten erstattet. Neuerdings ist es der Stiftuug gelungen, für die deutschen Flieger eine Maßnahme von weitgehendster Bedeutung durchzusetzen. Sie ist an sämtliche deutschen Bade- und Kurverwal tungen und Sanatorien mit der Bitte um Unter stützung ihrer Bestrebungen herangetreten. Die Folge war, daß sich bereits eine große Anzahl Bäder und Sanatorien, darunter die größten Bäder und bekanntesten Kuranstalten in Deutsch land, bereit erklärt haben, den deutschen Fliegern die Kurtaxe zu erlassen, freie Bäder, freie Unter kunft, ganze Freistellen oder erhebliche Ermäßi gungen zu gewähren. Die Zahl dieser Bereit erklärungen wächst täglich. Es wird der Reichs- fliegerstistung auf diese Weise ermöglicht, kurbedürftigen Fliegern kostenlos oder sehr er mäßigten Aufenthalt in den Bädern und Anstalten zu ermöglichen, die zur Heilung ihrer Verletzun gen besonders geeignet sind. Die Reichs-Fliegerstiftung beabsichtigt, sich in Zukunft nicht nur derjenigen anzunehmen, die seit ihrer Gründung hilfsbedürftig wurden, sondern auch der Hinterbliebenen der früher verunglückten deutschen Flieger, soweit sie der Hilse bedürfen. Dafür bedarf es naturgemäß ganz bedeutender Mittel. Die heute verfüg- daren Summen werden durch Mitgliedschaften vieler Siüdte und Gemeinden, die je nach ihrer Größe von 5 bis 500 Mark Beitrag zahlen, ferner durch Beiträge der Vereine des Deutschen Luftsahrerverbundes, die sich zum größten Teil verpflichtet haben, einen bestimmten Anteil aller Lon ihnen für Flugveranstaltungen ausge- ! Unebenen Preise der Stiftung zu überweisen, ! und durch die von den Ministerien zur Ver ¬ fügung gestellten bedeutenden Summen auf gebracht. Diese Mittel reichen jedoch nicht. Aus diesem Grunde hat sich die Reichsfliegerstiftung entschlossen, aus der Stille in die breite Öffent lichkeit zu treten und in ganz Deutschland Blumentage zu veranstalten. Es soll durch die aufgebrachten Gelder ein Grundfonds geschaffen werden, der der Stiftung eine möglichst große Erweiterung ihres Wirkens gestattet. Leider hat die Absicht viele Gegner gefunden, und es ist auf den Mißerfolg der vorjährigen Blumen tage zum Besten der Veteranen hingewiesen worden. Demgegenüber kann darauf hinge wiesen werden, daß die Dinge in diesem Falle anders liegen. Im vorigen Jahre handelte es sich um viele Tausende, so daß auf den ein zelnen naturgemäß nur ein geringer Betrag entfallen konnte, die Blumentage der Reichs fliegerstiftung kommen aber der unendlich viel kleineren Zahl der deutschen Flieger zugute, denen viel leichter zu helfen ist. Veer uncl flotte. — Der Reichstag hat mehrfach bei der Heeresverwaltung angeregt, ob es aus Erspar- nisrücksichien nicht angängig wäre, die Kom mandantur- und Gouvernementsgerichte auszu heben. Eine solche Maßregel erscheint jedoch nicht angängig, weil einmal Bestimmungen der Militärstrafgerichtsordnung dem entgegenstehen. Es wäre aber auch nicht möglich, durch eine Änderung der Militärstrafgerichtsordnung die Aufhebung der Gerichte bei den Kommandanturen und Gouvernements durchzuführen, weil Gründe dienstlicher und disziplinarer Art dagegen sprechen. Die Heeresverwaltung ist jedoch schon seit längerer Zeit der Frage näher getreten, inwieweit der Geschäftsumfang dieser Gerichte eine Verringerung der Beamtenzahl zuläßt, ohne die Interessen einer schnellen Militärjustiz zu gefährden. Es ist infolgedessen bereits bei mehreren Gerichten eine Verringerung des Richterpersonals eingetreten, und zwar in Mainz, Metz, Spandau und Thorn. Bei andern Ge richten ist die Wahrnehmung der Dienstgeschäfte nebenamtlich den Justizbeamten am Orte be findlicher Divisionsgerichte übertragen worden. Von I^ak unci fern. Der Friedenspreis der Nobelstiftnng für Kaiser Wilhelm. Präsident Wheeler von der Universität Kalifornia (Ver. Staaten) hielt eine Ansprache, in der er anregte, daß der Nobelpreis dem Deutschen Kaiser verliehen werde, der die deutsche Armee, einen machtvollen Faktor deS Friedens, 25 Jahre hindurch aus- gebaut habe, ohne sich ihrer zum Kriege zu be dienen. H Die Rettungsmedaille als Geburts tagsgeschenk. Kaiser Wilhelm hat dem Fräulein Seeger in Metz eine hübsche Geburtstagsfreude bereitet. Die junge Dame hatte vor einigen Jahren unter eigener großer Lebensgefahr einen sechsjährigen Knaben vom sichern Tode des Er trinkens gerettet und erhielt in Anerkennung dieser braven Tat eine öffentliche Belobigung. Hierbei wurde zum Ausdruck gebracht, daß bei weiterer guter Führung bei der Vollendung des achtzehnten Lebensjahres die Verleihung der Rettungsmedaille erfolgen werde. Kürzlich be ging Fräulein S. ihren achtzehnten Geburtstag. Unter den Glückwunschschreiben befand sich auch ein solches aus dem Kaiserlichen Zivilkabinett mit der Mitteilung, daß der Kaiser dem Ge burtstagskinde die versprochene Rettungsmedaille am Bande verliehen habe. Im Laufe des Vor mittags erschien ein Vertreter der Regierung und überreichte dem freudig bewegten jungen Mädchen die genannte Ordensauszetchnung. Grotzfeuer ans Helgoland. Auf der Insel Helgoland ist das Maschinen- und Kessel haus der Harburger Baufirma Hagemann, die Fortifikationen ausführt, in Brand geraten. Durch den starken Südwestwind wurden die Nebengebäude vom Feuer ergriffen und ver nichtet. Infolge des Brandes gerieten die Be- ! wohner in große Aufregung. K Vurck eigene Kratt. Hj Novelle von HanS Lingg. iFortiktzimg.I Die Leiche Pauls wurde der schwergeprüften Mutter in ihrem Wahn zum Leichnam Karls, und als sie plötzlich nach langem Hinbrüten in die Worte ausbrach: „Ich habe ihn Hinaus getrieben ! Ich habe ihn ermordet!" da wurde es jedem klar, daß ihre Seele vom Wahnsinn umnachtet war. So ging sie, ihr eigener böser Dämon, fortan umher, und wie sie früher Karl ver leumdet hatte, so klagte sie sich jetzt jedem Fremden und Einheimischen gegenüber als die Mörderin ihres Stiefsohnes an. Wer ihren abgemagerten, schlotternden Körper, die einge fallenen Wangen, die stieren Augen sah, ging ihr aus dem Wege, und wäre die erbarmende Liebe Elises nicht gewesen, sie hätte niemand ge habt, der ihr mitleidig die Hand gereicht hätte. — Da eines Tages erhielt Elise plötzlich zu ihrer großen, herzlichen Freude endlich wieder Nachricht von Karl, der ihr mitteille, daß er wieder gesund und munter bei seinem Regiments angelangt sei. Er erzählte kurz, daß, nachdem er seinerzeit das Lazarett in dem Glauben verlassen hatte, wieder vollständig hergestellt zu sein, er auf dem Wege zu seinem Regiments von plötzlich austretender großer Schwäche vom Pferde gesunken und dann später von einem menschenfreundlichen alten Ehepaar, von dem die Frau eine geborene Deutsche war, auf gefunden und wochenlang bis zu seiner voll ständigen Genesung liebevoll gepflegt worden sei. Elise teilte diese Freudenbotschaft ihrer Stiefmutter mit, hoffend, dieselbe werde den Irrwahn zerstören und ihr den Verstand wieder geben. Aber die Unglückliche war bereits zu tief iu die Nacht des Wahnsinns versunken, als daß sie Elise hätte verstehen können. So blieb dieser nichts weiter übrig, als das Samariterwerk weiter zu betteiben und ihrer Stiefmutter alle die Dienste zu leisten, die deren hilfloser Zustand erforderte. Inzwischen kam der Friede zustande. Das Vaterland jauchzte auf vor Freude, denn der Friedensengel erschien in der ruhmreichen Gestalt der Viktoria mit dem Lorbeerkranze, und alles rüstete sich zur Feier des holden Friedensfestes. Da stieg am Nachmittage eines Sonntags aus dem Postwagen, der vor dem Postgebäude auf dem Marktplatze hielt, ein junger Offizier in der kleidsamen Uniform eines preußischen Ulanen. Manches Auge blickte fragend und forschend auf den schmucken Krieger, denn eS hielt schwer, in der kräftigen, elastischen Gestalt mit dem bartumrahmten Gesicht den ältesten Sohn des„Pelikan"-Wirtes wiederzuerkennen, der vor einem Jahre gleichsam als ein Verbannter das Vaterhaus verlassen hatte. Aber als man ihn erkannte und gewiß wußte: „Er sei es!" da kamen sie alle herbei, der Postmeister und die Frau Postmeisterin, der Apotheker, der nebenan wohnte, und der Kaufmann, der seine Waren in dem Laden gegenüber feilbot. Herzlich drückten sie ihm die Hand und stellten sich des Wiedersehens und aller Augen blickten bedeutungsvoll auf das Eiserne Kreuz an seiner Brust. Nun schlug Karl den Weg nach dem Vater hause ein, und als er um die Ecke am Markte bog, da staub er wie gebannt bei dem Auf tritte, der sich ihm darstellte. Eine Schar lärmender Kinder stand auf dem Straßendamm, gruppiert um eine alte Frau, deren entsetzliches Aussehen Karl erschreckt hätte, auch wenn diese Frau nicht — seine Stiefmutter gewesen wäre. Karl erkannte die Züge der selben trotz der krankhaften Verzerrung, und der Ruf der Knaben: „Sie ist wahnsinnig I Führt sie nach Hause!" nannte ihm den Grund für diese Erscheinung. Die Frau lärmte und tobte auf die Kinder und suchte sich ihrer zu erwebren. Da eilte Karl hinzu, nahm ihren Arm und führte sie nach Hause. Die „Pelikan"-Wirtin, die der Aufsicht Elises, wie so ost, entschlüpft war, ließ Karl ruhig ge währen und die Knaben blickten mit Ächtung und Verwunderung zugleich auf den schönen Reitersmann. Elise hatte die Abwesenheit der Mutter be merkt und wollte eben zur Haustür hinaus, um sie zu suchen und zurückzuholen, als ihr Karl mit der Mutter durch dieselbe entgegentrat. Sie stieß einen Freudenruf aus. Dann faßte sie den Bruder beim Arm, zog ihn mit der Mutter zugleich in die Wohnstube hinein und warf sich hier an seine Brust. Vor übergroßer Freude und Rührung vermochte sie kein Wort hervorzubringen, aber die Tränen, die sie an seinem Halse weinte, und die Küsse, die sie auf des geliebten, wiedergewonnenen Bruders Gesicht drückte, sagten mehr als Worte, was sie in seiner Abwesenheit entbehrt hatte und wie groß jetzt die Freude des Wiedersehens war. Mit offenen Augen hatte die „Pelikan"- Wirtin dem Auftritte zugesehen. Jetzt wandt» sie sich an Elffe mit der Frage, die die ganze Verwirrung ihres Geistes kundgab: „Wer ist das? Ist das dein Schatz?" „Nein," rief Elise, „das ist ja Karl, mem Bruder Karl, der jetzt eben aus dem Kriege glücklich zurückgekommen ist!" „Karl!" wiederholte di« „Pelikan'-Wirtin mit Entsetzen. Sie blickte ihn mit ihren tiefen Augen starr und durchbohrend an, als wollte sie die Wahrheit von seinem Gesichte ablesen. Dan« sank sie ohne einen Laut zu Boden. Der Schlag hatte sie getroffen. Karl hob sie auf und legte sie auf das Sofa. Da lag sie lebend noch diesen Tag und eine Nacht. Erft als die Morgenröte den nächste« Tag verkündete, gab sie ihren Geist auf. Karl und Elise waren wieder im Besitze des väterlichen Gutes. 8. An einem friedlichen, mondhellen Abend saßen die Geschwister in der großen, dicht umrankten Laube ihres Gartens. Es waren die erste« ruhigen Stunden, die sie seit dem Tode der Stiefmutter und nach all den Aufregungen eines großen Begräbnisses gefunden hatten, und Karl erzählte der gespannt zuhörende« Schwester von seinen Erlebnissen im Kriege. Mehr als einmal hatte sie ängstlich deS Bruders Arm gefaßt, wenn er von jenen Szenen sprach, in denen der Tod ihm hundert fach entgegengetreten war, und hoch atmete sie
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