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Allgemeiner Anzeiger : 28.08.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-08-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
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- Saxonica
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1912
-
Monat
1912-08
- Tag 1912-08-28
-
Monat
1912-08
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 28.08.1912
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General kootk. In dem Manne, um den jetzt zwei Millionen Seelen auf der Welt in Trauer weiße Kleider, oder doch wenigstens weiße Armschlchen tragen, hat man einst — 30 und mehr Jahre sind es her — einen sozialen Reformator geiehen.. Und weil heute noch, auch in deutschen Landen, einige Zeitungen von dem 83 jährigen Greise als von einem ganz Großen im Reiche der Idee schreiben, weil sie an ihm rühmen, daß er der Bringer neuer Heilswahrheiten gewesen sei: darum lohnt sich's, noch einen kurzen Rückblick auf den Mann und sein Lebenswerk zu werfen. Um die Zeit, da der Afrikaforscher Stanley sein Werk über „Das dunkelste Afrika" erscheinen ließ (1890), gab William Booth ein Buch heraus: „Aus dem dunkelsten England", mit der Titelergänzung: „und Wege heraus." Vorher schon hatte er dreißig Jahre lang für die Ärmsten der Armen, für die Gefallenen, Ausgestoßenen, Verworfenen und Verlorenen gewillt. Ein Abtrünniger der englischen Hoch kirche, war er Methodistenprediger geworden und hatte bald durch seine glühende Beredsam keit die Augen ganz Londons auf sich gezogen. Dann — von den Methodisten weKn seines Übereifers ausgeschlossen — halte er in dem verrufensten Teile Londons sein eigentliches Lebenswerk begonnen. Hier unter Menschen, die seit frühester Kindheit Tagen nie eine Kirche besuchten, lehrte er sein neues Evangelium, hielt er Predigten nach seiner Art, in der derben Manier, die seine Leute verstehen konnten. Und während der Pöbel ihn umjohlte, wetterte er gleich dem Propheten Jesaias gegen die eitle Lust der Welt. Und mit den wachsenden Schwierigkeiten erstarkte sein Glaube an sich selbst, bis endlich nach dreißigjährigem Kampfe ein Lichtstrahl winkte. Sein Buch, das sein soziales Programm enthielt, wies! auf die Notwendigkeit hin, Ar beiterkolonien, Werk- und Heimstätten, Rettungs- Häuser und dergleichen zu gründen. Zwei Mil lionen forderte der seltsame Schwärmer, um einen gtoßen Teil des schlimmsten Elends in London zu mildern — und in weniger denn zwei Wochen hatte er mehr, als er in glühender Begeisterung verlangt hatte. Gaben doch auch diejenigen, die seine religiöse Betätigung um ihrer burlesken Äußerlichkeit willen verlachten, weil sie eben fühlten, daß in diesem Manne bei all seiner Religiosität, bei allem Heilseiser, doch auch Geschäftstalent und praktischer Sinn wohnten, denen man zutraueu durfte, daß sie den Schwerpunkt der zukünftigen Tätigkeit des Wanderpredigers auf die soziale Arbeit legen würden. Und Booth hat das Vertrauen nicht enttäuscht; denn schließlich auf sozialem, nicht auf religiösem Gebiete etwa, suchte er, und liegt sein eigentliches Lebenswerk. Begabt mit einem seltenen Rednertalent, ein Kenner der Menschen seele, ward es dem Verstorbenen leicht, einmal im Besitz einer großen Summe, mit Hilfe seiner „Armee", das Vermögen, das er im Dienste Ler Armen, ohne in über 50jähriger Tätigkeit je einen Pfennig für sich zu nehmen, zusammen- beitclte, ins Riesenhafte zu steigern. Während er selbst außerordentlich einfach von den Spenden lebte, die reiche Gönner ihm ausgesetzt hatten, scharte er Millionen für die Armen zusammen; denn er war der „Bettler für die Welt". Sein Wort reichte über den Erdkreis, in dreißig Sprachen wird seine Lehre ver breitet, in nahezu 8000 Stationen sind mehr als 2V- Millionen Menschen organisiert, an tausend Arbeitsstätten, Nettungsheime und andre Wohltätigkeitsanstalten verdanken ihm ihr Ent stehen. Und alles erreichte er — auf Grund seiner Lehre? Doch wohl nicht ganz! Es tpielten da doch wohl die Spekulation auf die menschliche Eitelkeit und die Erwägung eine Stolle, daß diejenigen, die seine Armee retten sollte, vom Elend des Daseins abgestumpft waren, und daß auf ihre Sinne nur lärmende Außcrlichlenen wirken konnten. So gab er denn seiner Anhängerschaft eine militärische Orga ¬ nisation, in der jeder vom einfachen Heils soldaten, vom Gemeinen zum Offizier auf- steigen konnte, und verband seine Bekehrungs botschaft mit einem der Zirkuswelt entlehnten Tamtam, so daß man anfangs in London im Zweifel war, wen seine Posaunenbläser zur Heilsver sammlung luden, ob „Barnum und Balays große Wanderschau" nicht zur Besichtigung rief. In dieser, deutschem Wesen fremden Verquickung von religiöser Andachtsübung, sozialer Liebes tätigkeit und englisch-amerikanischer Rellamedürf- tigkeit lag das Geheimnis des Erfolges, der sich an die Fahne des Greises mit dem wallenden Bart heftete, zugleich aber auch der tiefinnere Grund, weshalb die Heilsarmee nur in den angelsächsischen Ländern besonders festen Fuß fassen konnte, weil dort eine Verschmelzung von Religion und Geschäft nichts Außergewöhnliches ist. So stellt sich uns bei unbeeinflußter Betrachtung das Lebenswerk William Booth' dar als die Tat eines be geisterten Menschenfreundes, der voller Glauben an sich selbst und an Gott auf seltsamen Wegen in Liebe den Menschen diente, jenen Menschen, die sonst nicht zu organisieren, von der Liebes- werbuag andrer unerreichbar und dem Leben verloren sind, weil sie mit dem Glauben auch sich selbst aufgegeben haben. In unsrer Zeit, da wir über Mangel an Originalen klagen, war William Booth eine einzigartige Persön lichkeit: kein Bringer neuer Wahrheiten, aber ein starker Tröster, kein sozialer Refor mator, aber ein die ärmsten Menschen Liebender, der Balsam auf ihre Wunden legen durste, weil er den Weg zu ihren Herzen, wenn auch mit drastischen Mitteln, fand. Man unterschätzt den Toten also nicht, wenn man feststellt, daß er eine starke, zielbewußte Persönlichkeit, aber kein überragender war, der weder dem Geistesleben seiner Zeit neue Wege, noch dem Problem der sozialen Frage neue Lösungen wies. H. 0. Politische Auncllchau. Deutschland. *Kaiser Wilhelm hat nach der Ge fechtsübung, der er in Mainz beiwohnte, einen Besuch aus der Saalburg gemacht und ist dann nach Wilhelmshöhe zurückgekehrt. * Verschiedene Zeitungen des In- und Aus landes wußten in den letzten Tagen zu be richten, Für st Bülow, des Reiches vierter Kanzler, habe in Privatgesprächen geäußert, es sei nicht unmöglich, daß er noch einmal „ins Amt" zurückkeyre. Demgegenüber läßt der frühere Kanzler halbamtlich erklären, daß es ihm nicht eingefallen sei, derartiges zu äußern, und daß er nicht daran denke, noch einmal irgend ein Amt zu übernehmen. * Die für die Erweiterungsbauten des Kaiser-Wilhelm-Kanals ins gesamt veranschlagten Kosten belaufen sich auf 224 Millionen Mark. H ervon sind 156 Mil lionen einschließlich des laufenden Rechnungsjahres zur Verwendung gelangt. Davon erforderten die Bauausführungen 155177 000 Mark, die militärischen Anlagen für Landesverteidigung 823 000 Mark. * In ganz Süddeutschland hat eine energische Bewegung gegen die erneute Fleischteuerung eingesetzt. In zahlreichen Städten wurde in öffentlichen Versamm lungen eine Sperre der Fleischer beschlossen. In Hessen wollen die über 3000 Einwohner starken Gemeinden eine gemeinsame Ein gabe an das Ministerium des Innern richten, daniit dieses beim Bundesrat Anträge auf Er leichterung der Einfuhr von lebendem und ge schlachtetem Vieh und wegen Aufhebung des Zolles für dänisches Fleisch stelle. Im Ruhr gebiet machen sich Bestrebungen geltend, ange sichts der Fleischteuerung sämtliche Verwaltungen der Städte des rheinisch-westfälischen Jndustrie- bezirks erneut zu gemeinsamem Vorgehen in dieser Frage zu veranlassen. In den nächsten Tagen werden bereits mehre Stadtverordneten versammlungen der rheinisch-westfälischen Städte über die zu ergreijenden Maßnahmen beraten. Frankreich. G Die französische Regierung, die sich bisher gegenüber den Vorgängen in Marokko völlig schweigsam verhalten hat, gibt jetzt amtlich be kannt, daß El Hiba, einer der vielen Gegen sultane, die ganze Gegend um Marrakesch (also das wertvolle Südwestgebiet) in seine Gewalt gebracht hat, und beabsichtigt, auf die Haupt stadt Fez zu marschieren. Der französische Ministerrat hat angesichts der drohenden Gefahr beschlossen, neue Truppenverstärkun- gen nach Marokko zu entsenden. *Der französische Kriegsminister Mille rand hat einen Erlaß unterzeichnet, durch den zehn Luftschifferabteilungen ge schaffen werden. Italien. O Endlich haben englische Blätter heraus gebracht, weshalb Italien den Krieg gegen Tripolis so sehr beschleunigt habe. Schuld daran ist — D euts chland, das gerade im Begriff gewesen sei, Tripolis zu besetzen. Diese Erfindung ist so plump, daß sogar italienische Blätter, die in der letzten Zeit nicht gerade deutschfreundlich waren, ihre völlige Unhaltbar keit erklären. Rußland. * Petersburger Gerüchten zufolge hat die Mannschaft desKreuzers „Kagul" der Sch w a rz- meer-Flottegemeutert und ihre Offi ziere ermordet. Da es kein andres Mittel gab, die Meuterei zu unterdrücken, wurde der Kreuzer durch das Feuer der Küstengeschütze zerstört und ging mit seiner ganzen Be satzung unter. Von amtlicher Stelle wird die Nachricht nicht bestätigt. Balkanstaaten. G Obwohl zwischen denAlbanesen und der türkischen Regierung Friede ge schlossen worden ist, darf die Krise immer noch nicht als überwunden angesehen werden. In Mittelalbanien macht sich nämlich eine geheime Bewegung bemerkbar, die die Abdankung des Sultans Mohammed erstrebt, weil man sich von dem Thronfolger Jussuf Jzzedin die Gewährung besonderer Vorrechte an Albanien verspricht. Asten. *Nach Berichten aus Tokio wird Fürst Katsura, der seine Europareise in Petersburg unterbrach, als ihn die Nachricht vom Tode Kaiser Mutsuhitos erreichte, demnächst Japan verlassen, um zunächst noch einmal nach Petersburg, dann nach Berlin, London, Paris und Wien zu fahren. * Wie aus Peking berichtet wird, ist zwischen China und Tibet eine völlige Einigung erzielt worden; Tibet verzichtet auf Selbständig keit, erhält aber weitgehende Verwaltungs freiheiten. Onterleklagungen bei einer Derlmer Sank. Wiederum ist man einer umfangreichen Ver untreuung auf die Spur gekommen, durch die ein großes Berliner Bankinstitut, der A. Schaaff- hausensche Bankverein, geschädigt wurde. Bei einer Revision, die unvermutet m den Tresors des genannten Bankhauses vorgenommen wurde, entdeckte der mit der Durchsicht betraute Revisor, daß nicht weniger als 170 000 Akk. preußische Konsols fehlten. Es wurde sofort festgestellt, daß der Täter ein Beamter des Hauses, und zwar der Depotoerwalter Friedrich Klotsch auS Charlottenburg ist. Nach der Entdeckung wurde die Kriminalpolizei sofort benachrichtigt und das Bezirksamt Berkin-Mitte erließ einen Steckbrief, der an sämtliche Berliner Bahnhöfe und an alle Polizeireviere mit genauem Signalement gesandt wurde. Während die Kriminalbehörden nun ihre Tätigkeit nach allen Richtungen hin entfalteten, traf plötzlich die Nachricht ein, daß Klotsch vor seinem Wohnhause in Charlottenburg gesehen worden sei. «sofort entsandte das Präsidium einen Kommissar und zwei Beamte dorthin. Man fand die Wohnungstür verschlossen. Auf mehrfaches Klopfen wurde nicht geöffnet. Als die Beamten näher hinhorchten, hörten sie, daß im Jnnenraum mit einem Revolver hantiert wurde. Anscheinend hatte Klotsch die Absicht, sich zu erschießen. Jetzt war die höchste Eile notwendig. Die Tür wurde erbrochen. Schon hatte Klotsch, der ausgezogen in seinem Dette lag, den Revolver gegen seine Schläfe gerichlei, als die Beamten eindrangen und ihm die Waffe aus der Hand rissen. Der ungetreue Depot verwalter wurde jetzt für verhaftet erklärt. Er kleidete sich an und wurde gefesselt in einem bereitstehenden Automobil dem Präsidium zu geführt. Klotsch gestand bei seinem Verhör ein, daß er die Unterschlagungen begangen habe. Er gab auch zu, daß es sich bei seiner Veruntreuung um 170 000 Mk. preußische vierprozentige Konsols gehandelt habe. Auf die Frage, was er mit dem Gelbe gemacht habe, erklärte er, daß er im Spiel, bei Wetten und auf Renn plätzen große Summen verloren habe. Klotsch will nichts mehr von dem entwendeten Gelbe besitzen. Bei der Durchsuchung seiner Woh nung wurde ein erheblicher Betrag nicht mehr gefunden. Man glaubt aber, daß Klotsch das Geld verborgt hat. Der A. Schaaffhausensche Bankverein ist im ganzen um etwa 100 000 Mark geschädigt, weil Klotsch bei der Bank selbst ein Depot von etwa 71000 Mk. hatte. Da es ihm nicht mehr möglich war — jeden falls fürchtete er, daß seine Verfolgung bereits in die Wege geleitet sei — dieses Geld abzu heben, so hat die Bank sofort Beschlag darauf gelegt. Bei der Einzahlung seines Depots, dessen Höhe den andern Beamten der Bank recht auffällig erschien, erklärte Klotsch, daß er dieses Geld von seinem Vater, der kürzlich ge storben sei, geerbt habe. Abnahme der Zoldatenmitzhand- lungen im deutschen Heere. Lk Im Jahre 1910, über das jetzt eine Kriminalstatistik des deutschen Heeres vorliegt, ist wieder ein ganz erheblicher Rückgang der Kriminalität im deutschen Heere, besonders ein Rückgang der Soldatenmißhandlungen festzu stellen. In den Jahren 1901 bis 1905 war der Durchschnitt der Soldatenmißhandlungen 670 gewesen, im Jahre 1907 sank die Zahl auf 421, 1908 auf 393, 1909 auf 386, das Jahr 1910 brachte den größten Rückgang seit 1907, nämlich 340 Fälle gegen das Vorjahr. Daraus geht hervor, daß die Maßnahmen, die von allen maßgebenden Stellen gegen die Mißhandlungen Untergebener durch Vorgesetzte ergriffen wurden, auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Bon der günstigen Wirkung, die die erzieherischen Erlasse im Heere gehabt haben, kann man sich einr Vorstellung machen, wenn man bedenkt, daß in den letzten zehn Jahren die Soldatenmißhand lungen um rund 50 Prozent zurückgegangen find. Das Bemerkenswerte dabei ist die Tat sache, daß die Vermehrung des Heeres bei der Berechnung in Ansatz gebracht wurde, und daß darum der tatsächliche Rückgang der Soldaten mißhandlungen bezw. der Verurteilungen wegen Soldatenmißhandlungen noch bedeutend größer anzusetzen ist. An dem Rückgang sind alle Truppenteile ziemlich gleichmäßig beteiligt, die besten Erfolge hatte Sachsen aufzuweisen. Sehr wesentlich ist die Tatsache, daß Vie früheren Mißbräuche, die von den sogenannten „alten Leuten" gegen die Rekruten ausgeübt wurden und des öfteren zu Prozessen und Verurteilun gen wegen Soldatenmißhandlungen führten, in folge des energischen Einschreitens der vorge setzten Stellen fast gänzlich abgenommen haben. Zu dieser Abnahme der Soldatenmißhandlungen, sowie im allgemeinen der Verbrechen im Heere trägt der Umstand viel bei, daß der Alkohol» mißbrauch im Heere sehr zurückgegangen ist. So sind die Verbrechen, die im trunkenen Zu stande begangen worden sind, im letzten Jahre ganz beträchtlich gesunken. Während im Jahre 1909 323 Verurteilungen wegen Verbrechen in Trunkenheit erfolgten, waren es un Jahre 1910 nur noch 267, d. h. in einem einzigen Jahren betrug der Rückgang 56 Fälle oder runo zwanzig. Prozellt. K l)urck eigene Kraft. S) Novelle von Hans Lingg. sKirtsetzmlgo Ein gewaltiger Strohschober stand in der Nähe. Dahinauf stellte Walden seinen Posten, Mährend er selbst sich mit der übrigen Mann schaft nach der Farm begab. Hier fanden sie ungedroschene Gerste im Überfluß, und gleich dabei, wie ein Wink des mitleidigen Schicksals, stand eine Dreschmaschine. Ohne Besinnen setzten sie diese in Bewegung und nach kurzer Zeit schon hatten sie einige Säcke der schönsten goldgelben Gerste gewonnen. Das Geräusch der Arbeit war weithin hör bar und erregte die Aufmerksamkeit des Majors. Sofort ließ dieser beim Leutnant Walden nach der Ursache des Geräusches anfragen. „Wir dreschen," ließ Walden dem Major antworten und schickte ihm zugleich zwei Säcke des gewonnenen Getreides mü. Nach kurzer Zeit erschien der Major selbst. Er machte ein ernstes Gesicht; aber nachdem er sich den Posten auf dem Strohschober angesehen und die Leute bei der Arbeit beobachtet hatte, sagte er: „Es ist zwar nicht ganz instruktionsmäßig, Herr Leutnant, aber unter den obwaltenden Verhältnissen kann man nicht wohl etwas da gegen Haden. Dreschen Sie also weiter und schicken Sie mir auch noch einige Säcke." So wurde denn munter fortgearbeitet. Diese ausnahmsweise Beschäftigung machte den Ulanen großen Spaß, und noch größer wurde ihre Freude, als durch weitere Requisition in der Farm auch für ihre hungrigen Magen gesorgt wurde. — Wie sehr übrigens der Krieg das ganze Sein und Denken der Truppen erfüllte, wurde dadurch bewiesen, daß Leutnant Walden seinen Geburts tag, der auf diesen Tag fiel, vergessen hatte. Erst am späten Abend kam ihm dieses zum Bewußtsein. Einige kleinere Beunruhigungen ausge nommen, ging der Tag und die Nacht ruhig vorüber. Am nächsten Tage gegen Mittag wurde die Feldwache zurückgezogen und sie marschierte dem Negimente nach, das unterdessen eine andre Stellung eingenommen hatte. Auf diesem Marsche kam die Schwadron an der Stelle vorbei, wo sie am achten Dezember gegen die französische Übermacht gekämpft und von der Granate so arg mitgenommen war. Des Leutnants Brauner und drei andre tote Pferde lagen noch friedlich nebeneinander, sogar von den gefallenen Manen waren noch einige unbeeidigt. Auf der französischen Seite sah es noch furchtbarer aus. In Reihen lagen die Leute, das Gewehr im Arm. Als der Leutnant auf der Stelle stand, wo ihm der Tod so wunderbar aus dem Wege gegangen war, faltete er seine Hände und dankte seinem Schöpfer. Beide, Leutnant Walden und Karl, waren bis jetzt in allen Kriegsschicksalen glücklich ge wesen. Der Tod, so oft er ihnen auch nahe getreten war, hatte sie verschont, und während um sie her die tödlichen Geschosse einschlugcn und Roß und Reiter zu Boden stürzten, blieben sie selbst unberührt und guten Mutes. Es schien, als ob sie zu den Wenigen gehörten, die der Herr der Schlachten gleichsam gezeichnet hatte, daß der Tod an ihnen seine Macht nicht ausüben konnte. Aber auch ihre Stunde hatte geschlagen. Das Regiment bekam den Befehl, dem Feinde in den Rücken zu gehen und womöglich die Bahnlinien zu zerstören. Leutnant Walden mit seiner Schwadron zog wieder an der Spitze, das Gros des Regiments weit hinter ihnen. Ihr Weg war die Rve Imperiale, eine jener breiten, großartigen Straßen, die von der Hauptstadt Frankreichs strahlenförmig nach allen Richtungen auslaufen. Die Straße war zu beiden Seiten von Bergen eingeschlossen, die den Ausblick verhinderten. Als sie so dahinzogen, brach plötzlich in kurzer Entfernung eine Abteilung französischer Kürassiere hervor, die, an Zahl der Vorhut wett überlegen, mit wehenden Helmbüschen und gezogenen Schweriern auf sie einstürmten. Aber so schrecklich drohend auch die Gefahr war, der Leutnant verlor keinen Augenblick die Be sinnung. Er hätte sich mü seinen Ulanen ein fach auf das Gros zurückziehen können, in dessen schien es ihm für diesen Fall richtiger, den Feind aufzuhalten, bis das Regiment da wäre. Schnell schickte er seine Meldung dorthin ab; er selbst aber zog sich mit seinen Leuten auf eine günstige Stellung zurück, besetzte dann die ganze Breite der Straße und erwartete nun, auf das Schlimmste gefaßt und zum Äußersten entschlossen, den Angriff. Wie ein brausender Sturmwind jagten die Kürassiere heran auf die kleine Schar, die todesmutig, wie einst die dreihundert sparta nischen Helden bei dem Engpaß Thermopylä, dem Feinde entgegensahen. In einigen Minuten hatten sie dieselbe erreicht. „Feuer!" kommandierte Walden. Rosse und Reiter stürzten auf französischer Seite und über die Gefallenen hinweg stürmten die andern Kürassiere. Der Kampf begann. Es war ein heißer und blutiger, aber ehr licher Kampf. Wie oft hatte Walden voll In grimm die Faust geballt, wenn er sehen mußte, wie der wackerste Reiter von der Kugel eines Infanteristen schon aus weiter Entfernung niedergestreckt wurde. Hier war das anders. Persönlicher Mut, persönliche Gewandtheit und Umsicht kamen hier zur vollen Geltung. Wie die Augen blitzten, die Klingen sprangen, die Lanzen splitterten, wie sie sanken hier und dort! Soeben hatten sich die beiden Offiziere aufs Korn genommen. Ein verwundeter Kürassier richtete sich halb von der Erde auf und hob seinen Revolver gegen Walden. Dieser sah es. „Nieder mit dem Revolver!" donnerte er den Kürassier in dessen Sprache an, und wie gelähmt von den Worten, ließ dieser die Waffe sinken. Inzwischen hatte der französische Offizier ausgeholt. Walden aber wandte sein Roß zur Seite und stieß dem Feinde, dessen Roß weniger gewandt und geübt war, seinen Degen unter der Schuppenkette durch den Hals. Unterdessen
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