Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 27.07.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-07-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191207270
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19120727
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19120727
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-07
- Tag 1912-07-27
-
Monat
1912-07
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 27.07.1912
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Vie Vermehrung der englischen 8ckl?cktflotte. Marineminister Churchill hat im Unterhause seine angekündigte Rede zur Begründung deS Ergänzungs-Flottenetats gehalten. Der Minister sagte u. a.: Die direkte Mache des Nachtrags etats ist das neue deutsche Flottengesetz. Dessen Ziel und Wesen wurden in Deutschland bisher vom Ministertisch nicht erklärt, vom Lande nicht er- kanm. Der Cbarakter des deutschen Gesetzes ist nicht die Vermehrung der Linienschiffe, sondern die Vermehrung der Schlachtbereitschaft der Schiffe aller Klaffen, die unmittelbar zu allen Jahreszeiten verfügbar sein werden. Ein drittes Geschwader aus acht Schlachtschiffen wird geschaffen und in voller Bemannung als ein Teil der aktiven Schiacht flotte erhalten werden. Vor dem neuen Gesetz bestand die aktive Schlachtflotte aus 17 Schlacht schiffen, vier Schlachtkreuzern und zwölf kleinen Kreuzern. In naher Zukunst wird die aktive Flotte aus 25 Schlachtschiffen, acht Schlacht kreuzern und 18 kleinen Kreuzern bestehen, und während jetzt nach dem geltenden deutschen Rekrutierungsstzstem die deutsche Flotte im Winter weniger Bewegungskrast besitzt als im Sommer, wird sie kraft deS neuen Gesetzes nicht nur verstärkt, sondern viel schneller verfügbar sein. Ungefähr vier Fünftel der gesamten deutschen Seemacht würden ständig im Dienst und in voller Megsbereitschaft gehalten. Eine solche Vorbereitung wäre bemerkenswert und, soweit er es feststellen könne, gäbe es kein ähn liches Beispiel in dem bisherigen Verhalten der modernen Seemächte. Die Anspannung, die England infolge der deutschen Rüstungen zu tragen haben würde, würde eine lange und langsame sein, und keine Hilfe könne von einer überstürzten ziellosen Handlungsweise gewonnen werden. England müsse von den deutschen Nachbarn lernen, bei denen die Flottenpolitik unerschütterlich auf ihr Ziel losgehe. „Wir müssen,* fuhr der Mi- mster fort, „einen großen Uberschuß an Stärke haben, der'sofort bereit steht." Es ist deshalb vorgesehen, weitere Unterseeboote zu bauen und der Bau von leichten Kreuzern ist beschleunigt worden. Die Vermehrung der Streitkraft der deutschen Flotte, wie sie durch das deutsche Flottengesetz festgesetzt ist, zieht eine Reorganisie rung der englischen Streitkräfte nach sich, um den notwendigen Sicherheitsüberschuß zu er halten. Demgemäß wird vom Jahre 1914 an England fünf Schlachtschiffgcschwader haben von im ganzen 41 Schlachtschiffen. Die vorge schlagenen Maßnahmen würden nach Ansicht der Admiralität den Bedürfnissen von 1914 bis 1915 angemessen sein. Die Regierung habe be schlossen, sechs ältere Schlachtschiffe aus dem Mittelmeer zurückzüziehen und sie durch vier moderne Schlachtschiffe zu ersetzen. In jedem Falle werde England alles daran setzen, um seine Überlegenheit zur See austecht zu ei halten. — Uber die Rede des Ministers entspann sich nun eine kurze Debatte, aus der die Ausführungen des ehemaligen (unio- nistischen) Premierministers und früheren Führers der Unionisten, Lord Balfour, besonderes Interesse beanspruchen. Balfour sagte u. a., mit nur geringer Küstenausdehnung und keiner über seeischen Besitzung sei Österreich jetzt im Begriffe, eine der starken Seemächte der Welt zu werden, er wisse nicht genau, auf welche Eingebung hin. Das wi eins Tatsache von größter Bedeutung. Jeder würde zugestehn, daß das leine angenehme Aussicht für Europa sei. Aber er hoffe, daß, wenn England seine Schuldigkeit tue, es den Frieden erhalten würde, obschon er sich nicht weiter verhehlen wolle, daß j ein moderner Friede fast ebenso kostspielig sei, als ein Krieg in früheren Zetten, aber aller dings immer noch viel billiger als ein moderner Krieg. „Meine Hoffnung auf den Frieden," fuhr Balfour fort, „ist jedoch auf die Tatsache ge ¬ gründet, daß ein moderner Krieg, insbesondere ein alles umfaßender Krieg, ein so nieder schmetterndes Unglück sein würde, daß der un überlegteste Staatsmann erschreckt vor der Aus sicht auf ihn zurückweichen würde. Ich lege daher einen großen Wert und eine große Wich tigkeit auf die Art und Weise, in welcher die Großmächte jetzt im Begriffe sind, sich zu sammenzuschließen. Ich kann mir nicht denken, daß irgendeine der Mächte so von Sinnen ist, Bündnisse zu schließen, die sie in einen Angriffskrieg verwickeln könnten, in einer Sache, in der sie überhaupt keinen Streitgrund hat. Ich nehme an, daß in der Menschheit noch genügend Ver nunft übriggeblieben ist, um sicherzustellen, daß diese Organisationen von Mächten lediglich auf der Grundlage der Verteidigung stehen." — Der Ergänzungs-Etat wurde mit 291 gegen 42 Stimmen angenommen. Es darf dabei nicht vergessen werden, daß die Regierung für die Beratung der Mehrforderungen sehr geschickt den Zeitpunkt nach den Flottenmanövern gewählt hat. Diese haben nämlich ergeben, daß sehr wohl eine Flotte (die deutsche!) in der Lage sei, umfangreiche Truppenlandungen an Englands Küste vorzunehmen. Augenzeugen behaupten, daß die Manöver darauf eingerichtet waren, Stimmung für eine Flottenvermehrung zu machen. Eigenartig genug verlief das Manöver. Die rote (feindliche) Flotte hat nämlich bei Nacht und Nebel in 4 Stunden 28 000 Mann ausgeschifft. Als dann die blaue Motte nahte, opferte die rote einen Teil ihrer Schiffe, um mit dem Rest zu flüchten. Die 28 000 Mann überließ man ihrem Schicksal. Und mit diesem unmöglichen Schein kriege begründet man die großen Mehrfor derungen. Ganz England ist wieder einmal überzeugt, daß ein Überfall durch deutsche Kriegs schiffe, die durch Zeppelin-Luftschiffe unterstützt werden, zu den leichtesten und natürlichsten Dingen von der Welt gehört. Kein Mensch redet mehr von Verständigung, sondern alles ist erfüllt von dem Gedanken an schleunige und gewaltige Rüstungen. Politische Rundschau. LeuLschlavd. * Kaiser Wilhelm ist auf der Nord landsreise wieder in Bergen eingetroffen. Das Wetter hat sich wieder aufgeklärt. Der Monarch wird daher Ausflüge ins Innere des Landes unternehmen. *Das von mehreren Blättern verbreitete Gerücht von einer Erkrankung des Reichs kanzlers v. Bethmann-Hollweg be stätigt sich nicht. Der Kanzler weilt gegen wärtig auf seinem Gute Hohenfinow und wird sich voraussichtlich anfangs August zum Kur gebrauch nach Bad Gastein begeben. *An Zöllen und Reichs st euern find im ersten Viertel des Rechnungsjahres 1912 rund 32 Mill. Mk. weniger auf gekommen als in dem gleichen Zeitraum des Vorjahres. Grund hierfür ist der Ausfall an Getreidezöllen und Zuckersteuer. Die Getreide zölle brachten 20 Mill. Mk. weniger — darunter 12 Mill. Akk. Mehranrechnungen auf Getreide einfuhrscheine — die Zuckersteuer 12 Mill. Mk. weniger. Mit derartigen Ausfällen ist bei der .Etais - Aufstellung gerechnet. Für die Zucker steuer sind für das gesamte Jahr 26 t- Mill. Mark, für Zölle 34'/« Mill. Mk. weniger ein gesetzt, als die Jsieinnahme des Vorjahres betrug. Ob der Unterschied der Einnahmen zwischen 1911 und 1912 noch größer wird, als im Etatsvoranschlag angenommen, wird von der Weiterentwicklung der Ernte abhängen. *Die Überführung des unter Spionagever- dacht stehenden russischen Hauptmanns Koste- witsch nach Leipzig hat nunmehr stchtgefunden. Der russische Geschäftsträger in Berlin hatte vor der Abfahrt vom Untersuchungsrichter Sprech erlaubnis erhalten und den Hauptmann Koste- wilsch im Untersuchungsgefängnis besucht. Koste- witsch bat den Geschäftsträger, ein Telegramm in seinem Namen an den Zaren Nikolaus zu richi n des Inhalts, er schwöre auf seine Ojfiziersehre, daß er unschuldig sei. — Durch die bisherige Untersuchung sind sowohl Koste- witsch wie auch der Ingenieur Nikolski und mehrere andre Mitschuldige bereits der voll endeten Spionage als überführt zu erachten. Die Verhandlung des Prozesses wird anfangs September stattfinden. Norwegen. * Wie aus Christiania gemeldet wird, hat die Regierung erklärt, künftig unter keiner Be dingung mehr sozialdemokratische Be werber um Beamtenpo st en zu berück sichtigen. In der Erklärung, die im Lande gleichermaßen Zustimmung und Gegnerschaft wachgerufen hat, heißt es u. a.: „Die sozial demokratische Partei bekämpft die Verteidigung des Vaterlandes, ihre Mitglieder werden daher Angelegenheiten, die diese Verteidigung betreffen, unmöglich unparteiisch beurteilen können." Balkanstaaten. G Die Nachrichten aus Albanien lauten immer ernster. Im Bezirk Kossowo haben die Aufständischen, denen sich viele meuternde Offiziere und Soldaten angeschlossen haben, drei Bataillone- türkischer Truppen g e - saugen genommen. In Konstantinopel hofft man noch immer, auf gütlichem Wege die Ruhe wieder Herstellen zu können, zumal der neu- ernannte Großwesir Ahmed Mukhtar (der Vertreter des früheren Kriegsministers, nicht dieser selbst) das Vertrauen der Albanesen besitzt. Indessen beharren diese bei ihrer Forde rung der Kammerauflösung, die gleichbedeutend mit einem Sturz des jungtürkischen Komitees und seiner Militärherrschaft wäre. Andern Nachrichten zufolge stößt die Bildung des neuen Kabinetts bereits auf Schwierigkeiten. Jeden falls ist die Lage in der Türkei so verworren, wie in den Apriltagen des Jahres 1909, die den Sturz Abd ul Hamids brachten. Amerika. * Der erste Kongreß der neuen Roose- veltschen fortschrittlichen Partei hat in Jackson stattgefunden. Er befürwortete die Kandidatur Roosevelts und nahm ein Pro gramm an, daß sich für die Aufrechterhaltung der Schutzzölle im Interesse der Industrie und der Arbeiterklasse ausspricht außer in den Fällen, wo Monopole den Wettbewerb erdrücken und der Tarif die Kosten der Lebenshaltung un gebührlich vermehrte, auch für das Frauen stimmrecht spricht sich das Programm aus. *Die Regierung in Washington hat eine Untersuchung der Greuel in den Kaut« schukwäldern von Peru, die jüngst durch einen Bericht in England veröffentlicht wurden, angeordnet. Die Angabe des Berichts, wonach in den letzten zwölf Jahren 300O0 bei der Gummi-Gewinnung beschäftigte Indianer zu Tode gemartert würdest seien, wird von der peruanischen Regierung angezweiselt. Auch sie hat eine Untersuchung eingeleitet. Asien. *Jn der chinesischen National versammlung sind in der Beratung über die Zusammensetzung des künftigen chinesischen Parlaments bisher folgende Bestimmungen an genommen worden: Das Parlament soll aus zwei Häusern bestehen. In dem Senat soll jede der 22 Provinzen durch zwei Mitglieder ver treten sein, Tibet durch zehn, die Mongolei durch dreißig. Die im Ausland lebenden Chinesen werden sechs Vertreter haben und die Erziehungs gesellschaft acht. Ein Drittel der Senatoren wird alle zwei Jahre neu gewählt werden. — Man sollte sich über die Vertretung Tibets und der Mongolei nicht den Kopf zerbrechen. Viel leicht wird es zu einer Vertretung von Tibet und der Mongolei gar nicht mehr kommen aus Gründen, die mit dem rusftsch-japanisch-englischen Abkommen zusammenhängen. SooirrmMck bei der deutschen Hochseeflotte. Unsre Marine, die erst vor wenigen Tagen den Lod dreier Matrosen zu beklagen hatte, die bei dem Zusammenstoß des Torpedoboots „E 110" mit dem Linienschiff „Hessen" umS Leben kamen, hat wiederum den Verlust zweier Kameraden zu betrauern. Das zweite Geschwader der Hochseeflotte, das aus 25 Schiffen besteht, ging am Sonntag früh bei Nidden auf der Kurischen Nehrung vor Anker. Die Offiziers und ein Teil der Mannschaft erhielten Land urlaub und begaben sich auf Barkassen und Jollen an den Strand. Gegen Abend war di« Brandung stärker geworden, so daß sich die Rück kehr der Beurlaubten, die gegen 11 Uhr nachts erfolgte, sehr schwierig gestaltete. Dennoch wurde mit Todesverachtung versucht, die Jollen und Barkassen durch die Brandung zu bringen. Hierbei kenterte eine Jolle des Schiffes „Thüringen", die mit vierzehn Offizieren, Unteroffizieren und Marinebeamten besetzt war, in der Brandung. Die am Land» weilenden Offiziere sprangen sofort in die Flut hinein und holten den größten Teil ihrer Kameraden heraus. Sechs Deckoffiziere wurden bewußtlos an den Strand gebracht. Die Wiederbelebungsversuche hatten zunächst nur bei vieren Erfolg. In völlig erschöpftem Zustande wurden sie auf Wagen geladen und in ein Niddener Hotel gebracht. Hier erholten sie sich wieder. Zahlmeister v. Thunen und Intendantur- sekretär Melke wurden erst später aufgefischt bezw. tot an den Strand geworfen. Der größte Teil der Mannschaften mußte in Nidden Notquartiere für die Nacht beziehen und wurde am andern Morgen wieder an Bord der Schiffe 'gebracht. Eine große Barkasse des Schiffes „Pommern" wurde von der See auf den Strand gesetzt und dabei beschädigt. Einem Torpedoboot gelang es im Laufe des Vor mittags, die große Barkasse vom Strande abzu schleppen und sie an die Seite der „Pommern" zu bringen. Bis in die Mittagsstunden war man damit beschäftigt, das Inventar, das dis Barkasse verloren hatte, und das am Strande herumlag, aufzulesen und ihr wieder zuzuführen. k)eer unci floNe. H Der militärischeErnte-Urlaub wird in diesem Jahre so umfangreich wie nie zuvor gewährt. Der Mangel an Landarbeitern ist so groß, daß die Landbesitzer wegen der bevorstehenden Ernt» in die größte Verlegenheit geraten. Auf mini sterielle Anordnung hin sollen soviel Mannschaften wie nur irgend möglich zur Leistung von Ernte arbeit beurlaubt werden. Es gibt wohl nicht einen einzigen Truppenteil, der nicht hundert bis zweihundert Mann zur Erntearbeit beurlaubt. Die betreffenden Landwirte muffen sich natürlich vorher verpflichten, nicht nur einen angemessenen Lohn zu zahlen, sondern auch für alle Unfälle aufzukommen, die sich während der Arbeit ereignen sollten. Von dem gewährten Lohn fließt ein geringer Teil in die Truppen kassen und dient bei großen Übungen oder während der Manöver zur Beschaffung von Er frischungen aller Art. Im allgemeinen dauert der Ernte-Urlaub eines Mannes zehn Tage. Dann wird Ablösung entsandt. Nicht nur zur Kornernte werden militärische Ernte-Urlauber entsandt, auf Antrag erhalten, soweit der Dienst eS zuläßt, Mannschaften auch Urlaub zum Ein ernten von Rüben usw. Selbstverständlich er folgt eine Erntebeurlaubung nur auf freie Meldung hin, eine Kommandierung militärischer Ernte-Urlauber darf nicht stattfinden. Als äußerster Termin der ErrMUrlaubssrist ist der 20. Sep tember festgesetzt. H Ein interessantes Verkehrs - Bauwerk über den Kaiser-Wilhelm-Kanal bei Rendsburg wird in der nächsten Zeit begonnen werden. Es handelt sich um die Anlage einer Schwebe fähre zwecks Hebung des Personen- und Wagen verkehrs. Nach den Bauplänen wird die Fähre aus einem Fahrwagen bestehen, der sich durch elektrische Kraft auf einer Laufbahn bewegt und an Drahtseilen eine Fahrbühne zur Aus nahme von Lasten trägt. Die Gesamtbrette der Schwebefähre beträgt sechs Meter. Beim Ver sagen des elektrischen Stromes kann der Betrieb der Fähre durch Handwinden bewerlstelligt werden. .A Siegende I^iebe. L9Z Roman von Paul Bliß. 18. Schon am Nachmittag wußte es die ganze Stadl, daß die „Plättgräfin" mit ihrer Mutter oben in der „Linde" zur Erholung weilte. Von Haus zu Haus ging die Neuigkeit. Jeder sab den andern vielsagend und erstaunt an. Und niemand konnte sich den Grund des Besuchs erklären. Aber kaum war der Nachmittag da, ass sich auch schon die ersten Neugierigen einstellren. Sonderbar, was für einen Kaffeedurst die guten Seelen des Städtchens heute batten! Fast alle weiblichen Weien des Orts pilgerten nach und nach hinauf, so daß der dicke Wirt sich ob des guten Geschäftes schmunzelnd die schriften, grüßten mit ruhiger Freundlichkeit, wer sie grüßte, und benahmen sich so würdevoll und sicher, als machten sie alljährlich ihre Sommerreise. Heimlich freilich furpperte der alten Frau das Herz und sie bangste sich: „Was werden n«r die Menschen sagen, wenn sie «ns hier ss vornehm sitzen sehen!" Aber Elsbeth nickte ihr belustigt zu. — „Ärgern sollen sie sich, daß sie bersten vor Neid." Und ärgern tat sich auch so manche der lieben Frauen, die lächelnd und mit schönen Worten dastanden und sich nach dem Ergehen der beiden Gäste erkundigten; sie ärgerten sich, weil es so ganz anders gekommen war, als man vermutet hatte, denn niemand hätte den beiden zugetraut, daß sie es in Berlin zu etwas bringen würden. Lächelnd und ruhig ließen Mutter und Tochter alles über sich ergehen, bis man sich in das Unabänderliche gefunden hatte. I * * * I Prächtige Tage verlebte Elsbeth — vom lersten Sonnenstrahl an war sie auf den Beinen mnd lief in Wald und Mur umher oder lag »räumend oder nachdenklich in ihrer Hänge- mmtte — lauschte dem Gesang der Meisen und sinken oder jubelte mit der emporsteigenden kerche um die Wette. I Kaum eine Stunde war sie tagsüber da- veim, immer streifte sie umher, wie ein echtes Maturkind, das immer nur draußen in Gottes Ireier Natur sich wohl fühlt. I Manchmal leistete der Förster ihr Gesell ¬ schaft, oft aber geschah es nicht, denn seit der letzten Unterhaltung, in der fie ihm alle Hoff nungen genommen hatte, war er ziemlich wort karg, oft sogar düster und herb — und des halb hielt er sich meist fern von jeder Ge selligkeit. Langsam und doch so Mell gingen die Tage dahin; ehe man es sich versah, war schon die erste Ferienwoche vergangen. Aber Elsbeth erholte sich prächtig. Schon jetzt hatte fie ihre frische Farbe wiedxr, und die SchwSchezustäude blieben vollständig aus. Ihre Stimmung war die beste — keine laute Lustigkeit und ausgelassene Tollheit, wie es ihr in den ersten Tagen der Freiheit manchmal angekommen war — nein, jetzt hatte sie das ruhige Gefühl der inneren Zufrieden heit. — Eis stilles Lächeln des Glückes, das in ihrer Seele lebte, lag auf ihrem Gesicht und verlieh ihr etwas Madonnenhaftes — jetzt ge sundete sie an Körper und Seele, jetzt ahnte sie in stummen Wonneschauern, daß das Glück, das höchste, reichte Glück des Weibes auch ihr nun bald erschlaffen sein würde . . . Und immer, wo immer sie auch sein mochte, immer dachte sie an ihn, immer wanderten die Gedanken zu ihm, zu ihrem Herzaller- liebsten! Sie HM« ihm noch nicht geschrieben — sie wollte sich prüfen, sie wollte mit sich allem sein, ganz allein, um zu erlauschen, was ihre Seele suchte, um zu erfahren, wie ihr Herz empfand ... und nun war sie sich darüber klar, nun wußte sie, wo allein das Heil für sie war, wo das Glück ihrer Zukunft lag. — Ja, sie liebte ihn! . . . Mn wußte sie es klar — und wenn sie nun zvrkckkam nach Berlin und er sie nun wieder fragte, dar.« würde sie ihm wortlos m die Arme sinken und ihm angehören als sein Weib, fürs Leben, fürs ganze Lebe«. I« stummer Glückseligkeit sehnte sie de» hohen, heiligen Augenblick herbei . . . Auch Fritz Fröhlich dachte immer und im inet nur an fie — er fand zu nichts Ruhe, zu nichts Stimmung, und seine Arbeit lag unberührt dw — täglich und stündlich wartete er auf den ver sprochenen Brief — jedem Postboten sah er hoffend entgegen, und immer endete es mit einer Enttäuschung. Endlich ertrug er es nicht mehr — er mußte Gewißheit haben. Er schrieb an den Wirt der „Goldenen Kugel" und erbat umgehende Nachricht, ob die beiden Damen im Städtchen sich besuchsweise aufhielten. Schon am nächsten Morgen antwortete der Wirt, daß die Damen oben in der „Linde" wohnten. Und nun hielt ihn nichts mehr zurück. So fort setzte er sich auf und fuhr zur Bahn. Um neun Uhr ging der Zug, und um zehn Uhr war er bereits da. Und nun im Eilschritt hinauf nach dem Hügel, hinauf nach der „Lisds"! Mit schelmischem Lächeln begrüßt« ihn der Wirt. — „Die Damen sind nn Walde," sagt» er schmunzelnd, und beschrieb ihm dann!«» Weg, den er nehmen mußte, ms sie zu sivd«. Dankend eilte er davon.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)