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Allgemeiner Anzeiger : 25.12.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-12-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190912257
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19091225
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19091225
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1909
-
Monat
1909-12
- Tag 1909-12-25
-
Monat
1909-12
-
Jahr
1909
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 25.12.1909
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Der fall Mannesmann. G Der Fall Mannesmann ist in der Presse nur wenig beachtet worden. Der Herr Staats sekretär des Äußern bat im Reichstage erklärt, daß mit der französischen Regierung im „Falle Mannesmann" eine freundschaftliche Verständi gung herbeigefübrt worden sei. Um aber zu versieben, was das beißt, muß man sich kurz die Vorgeschichte dieses merkwürdigen und für die deutsch-französischen Beziehungen be zeichnenden Falles vergegenwärtigen. Schon vor seiner Anerkennung durch die Mächte hatte der Sultan Muley Hafid gegen eine angemessene Ent schädigung den Gebrüder Mannesmann im Norden Marokkos Bergwerksgerechtsame erteilt und diese nach seiner Anerkennung durch die Mächte nochmals bestätigt. Diese Rechts lage blieb auch unverändert nach dem Erlaß eines Berggesetzes durch den Sultan. Die Gebrüder Mannesmann hatten also einen für Deutschland wichtigen Handelsabschluß gemacht, denn die überaus reichen Eisenerzlager Nord marokkos, deren Schätze sie nach ihrem Ver trage mit dem Sultan zu heben sich berechtigt wähnten, sind für die deutsche Industrie von nicht zu unterschätzender Bedeutung, zumal die Eisenerzausfuhr aus Schweden sich mit jedem Jahre schwieriger gestaltet und die übrigen Ausfuhrmärkte der Welt von der englisch-amerikanischen Konkurrenz mehr und mehr in Anspruch genommen ^werden. Wenn Frankreich nun den Sultan unter allen Umständen zur Einsetzung einer Bergbehörde überreden will, an deren Spitze ein französischer Ingenieur steht, und wenn es ferner behauptet, daß es ein gültiges marokkanisches Bergrecht nicht gebe, weil das vom Sultan erlassene von Frankreich nicht anerkannt sei, so ist leicht er sichtlich, welchen Zweck die Regierung der fran zösischen Republik verfolgt. Wenn jetzt die Konzession der deutschen Kaufleute von einem französischen Syndikat angefochten wird, so ist damit lediglich beabsichtigt, Deutschland vom wirtschaftlichen Betriebe in Marokko zu ver drängen. Was mit den Anrechten der deutsche« Firma auf dem Spiele steht, zeigt eine Zuschrift, die der ,B. L.-A/ veröffentlicht und in der es u. a. heißt: „Die Mannesmannfche Marokko-Minen- Gesellschaft ist als deutsche Gesellschaft mit dem Sitze Berlin und der Zuständigkeit deutscher Gerichte, wodurch den Beieiligten eine vor urteilsfreie Rechtsprechung gesichert ist, begründet worden. Die Marokkanische Mmengesellschaft dagegen ist eine französische, in Paris ange meldete Gesellschaft, deren deutsche Teilhaber bei etwaigen „Mißverständnissen" auf franzö sische Rechtshilfe gegen Franzosen angewiesen wären. Bei der Mannesmann-Gesellschaft ist die absolute Mehrheit des Kapitals in den Händen von Reichsdeutschen, die Dreiviertel mehrheit in den Händen von Deutschen und Deutsch-Österreichern, und es ist Vorsorge ge troffen, daß das Verhältnis nicht zuungunsten der Deutschen verschoben werden kann. Bei der Marokkanischen Minengesellschaft dagegen beträgt die deutfche Beteiligung weniger als ein Drittel. Die Folgerungen daraus find sehr einfach zu ziehen. Die deutsche Gesellschaft hat es traft dec deutschen Mehrheit in der Hand, die großen Aufträge an Bergwerksmaschinen der heimischen Indus rie zuzuführen, die französische nicht. Die deutsche Gesellschaft würde die Erzeinfuhr durch deut che Reedereien nach Deutschland leiten; die fran zösische nicht. Vor allem aber ist das französische Syndikat fast ganz in den Händen von Eigen verbrauchern, die das Erz vorzugsweise eigenen Betrieben zuführen würden, während die Aus beute aus den Mannesmann-Minen bis auf die letzte Tonne der deutschen Gesamtindustrie zu gute käme." Nun soll die Streitfrage einem Schieds gericht unterworfen werden, obwohl es in dem Abkommen, das Deutschland und Frankreich am 8. Februar d. geschlossen haben, ausdrücklich heißt, „dem Deutschen Reiche sei die freie Be ¬ tätigung von Handel und Gewerbe in Marokko gewährleistet". Wenn die „freundschaftlichen Abkommen" mit Frankreich immer so ungünstig für uns ablaufen, so werden sie bald ihre Be liebtheft im Volke einbüßen. Väebtsr. Politische Kunäscbau. Deutschland. * Die belgischen Zeitungen äußern sich sehr befriedigt darüber, daß Kaiser Wilhelm den Prinzen Heinrich von Preußen mit seiner Vertretung bei der B eis etz un g K ö ni g Leopolds beauftragt hat. * Die deutschen Werften haben im Wettstreit mit den Wersten Englands einen bedeutsamen Sieg zu verzeichnen. Die argen tinische Regierunghat auf der Schichau werft und auf der Germaniawerst mehrere Hochseetorpedoboote bestellt, nachdem der argentinische Ministerrat zu der Überzeugung gekommen war, daß beide Werke vorzügliches Material verarbeiten. (Um aber diplomatische Schwierigkeiten zu vermeiden, hat Argentinien auch in England und Frankreich Schiffs bestellungen aufgegeben.) — Bemerkenswert ist ferner, daß auch die Türkei umfangreiche Munitionsbestellungen in Deutschland auf gegeben hat. * Die am 11. Januar im Reichstage zur Verhandlung gelangenden Anfragen wegen der Kattowitzer Beamtenmaßregelun gen will der Reichskanzler selbst beantworten. Wie das ,B. Tgbl/ meldet, wird im Regierungs blatt zu Oppeln jetzt auch ein Erlaß des Ministers des Innern veröffentlicht, worin der Minister seine Beamten warnt, sich weder zu bewußter noch Zu „fahrlässiger" Begünstigung von Personen großpolnischer Richtung im öffent lichen Leben verleiten zu lassen. * Gegenüber den Gerüchten, es sollen dem Reichstage drei Ergänzuugsvorlagen zur Gewerbeordnung zugehen und zwar über die Heimarbeit, die Frauen- und die Kinder arbeit, wird halbamtlich erklärt, daß, wie bereits in der Thronrede angekündigt, die Regelung der Heimarbeit nicht mehr im Rahmen der Ge werbeordnung, sondern durch ein besonderes Gesetz, das anfangs des nächsten Jahres an den Reichstag gelangen wird, erfolgen soll. Daneben wird eine zweite Vorlage zur Ge werbeordnung eingebracht werden, die auf ein zelnen Gebieten der geltenden Gewerbeordnung Reformen vorschlägt. Die Fragen der Lohn arbeiter, die weitere Beschränkung der Arbeits zeit und die Ausdehnung der Wirksamkeit von Tarifverträgen auf die beim Abschluß nicht be teiligt gewesenen Arbeiter werden in dem Gesetz entwurf keine Berücksichtigung finden. *Die Einbringung der Wahlrechts- reformvorlage im Preuß. Landtage, die kürzlich im Ministerrat beschlossen wurde, soll noch vor Ostern 1910 erfolgen. Die Ver öffentlichung des Entwurfes wird bereits Ende Januar oder anfangs Februar erfolgen. Frankreich. * Der am 18. d. in Cannes (Frankreich) verstorbene Großfürst Michael Niko lajewitsch von Rußland, der Großvater der deutschen Kronprinzessin, die sich an sein Totenbett begeben hat, hat ein Alter von 78 Jahren erreicht. Mit ihm ist das älteste Mitglied des russischen Kaiserhauses, der letzte Sohn des Zaren Nikolaus I. aus seiner Ehe mit Prinzessin Charlotte von Preußen, der Tochter Friedrich Wilhelms 111., dahin gegangen. England. * Der Wahlkampf treibt merkwürdige Blüten. Es war vorauszusehen, daß die unionistischen (konservativen) Kreise ihn zu einer Flotten- Hetze in großem Stile ausnutzen würden. Der ,Observer' macht denn auch in einem längeren Artikel den Vorschlag, eine Flottenanleihe von einer Milliarde Mark aufzu nehmen, um für eine kurze Frist'von Jahren die zur Erhebung der Flotte auf einen Zwei- Mächte-Maßstab notwendigen Kosten zu be schaffen, sodann Anfang des nächsten Jahres wenigstens zwölf, am liebsten jedoch gleich vierzehn große Panzer mit all den dazugehörigen Schiffen auf Stapel zu legen. Das allein würde das deutsche Volk bewegen, mit seiner Flottenpolitik innezuhalten. — Dian sieht auch aus diesen Äußerungen wieder, daß man in England die deutsche Flotte immer als eine Bedrohung Englands betrachtet und ver gißt, daß Handel und Kolonialwirtschaft eine starke Flotte erfordern. Holland. *Der Minister des Auswärtigen erklärte in der Kammer, das Erwachen der Völker Ostasiens mache es notwendig, daß Holland auf ein internationales Abkommen zum Schutze seiner Interessen im Stillen Ozean hinarbeiie. Großfürst Michael von Rußland -j-. Am 18. d. ist in Cannes Großfürst Michael Nikolajewitsch von Rußland, der Großvater der Kronprinzessin Cecilie, in seiner dortigen Villa im 78. Lebensjahre gestorben. — Mit dem Großfürsten Michael Nikolajewitsch ist das älteste Mitglied des russischen Kaiserhauses, der letzte Sohn des Zaren Nikolaus I. aus seiner Ehe mit Prinzessin Charlotte von Preußen, der Tochter Friedrich Wilhelms III., dahingegangen. Großfürst Michael, der am 13. Ok tober 1832 in Petersburg geboren war, trat als Artillerie-Offizier in die Armee ein und wurde schon in jungen Jahren Generalseldzeugmeister. 1863 ging er als Statthalter in den Kaukasus und erhielt im russisch-türkischen Kriege den Oberbefehl über die gegen Armenien marschierenden Truppen; nach dem Friedensschtuß wurde er zum Generalfeldmarschall ernannt. Die Kammer stimmte dem Minister begeistert zu. Ob freilich die Mächte, die ihre eigenen Interessen im Stillen Ozean in ausdauernder diplomatischer Arbeit verteidigen müssen, bereit sein werden, auch Hollands Gebiet (in West- indien) unter ihre Fittiche zu nehmen, ist sehr zweifelhaft. Spanien. *Der Ministerrat hat beschlossen, die Cortes nicht einzuberufen und das gegenwärtig in Kraft befindliche Budget für das Jahr 1910 zu verlängern. Dieser Beschluß des neuen Ministeriums hat nicht nur bei fernen Gegnern, sondern auch im Lager der Freunde Befremden erregt, da jetzt die Volksvertretung von der Teilnahme an der Gesetzgebung so gut wie ausgeschaltet ist. Australien. * Das australische Bundesparla ment hat nunmehr endgültig beschlossen, eine Flotte zu bauen, die erforderlichenfalls dem Mutterlande zur Verfügung gestellt werden soll. Römg -Mert I. von Belgien. Noch ehe König Alberti, tatsächlich der Be herrscher Belgiens geworden ist (nach der belgischen Verfassung muß der König nach dem Leichenbegängnis des verstorbenen Königs erst den Eid auf die Verfassung leisten), hat er sich über seine Herrscherziele im vertraulichen Meiss ausgesprochen — und was ein Herrscher im vertranten Kreise erzählt, weiß ja bald die ganze Welt. An die Spitze seiner Ausführungen fetzte König Albert I. die Versicherung, er werde versuchen, den Arbeitern nützlich, cästr ein sozialer König zu sein. Seiner Ansicht nach sind Republik und Monarchie keine unausgleichbaren Gegensätze. Man muß abwarten, wie König Albert Wer seine Anschauung denken wird, wenn er im Kampfe mit den wirksamen Elemente« des Parlaments die Wahrheit des Satzes empfinden wird: „Leicht beieinander wohnen die Ge danken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen". Er wird in unsrer Zeit, die auf den Kampf für den sozialen Ausgleich gestimmt ist, sicherlich viele Freunde finden, wenn er sich zu einer gesunden Sozialpolitik bekennt — in Belgien fehlt es daran — aber ob er die aus verschiedenen Gedankenwelten stammenden An schauungen über Monarchie und Republik einen kann, muß bis zum Beweise des Gegen teils bezweifelt werden. König Albert, der als 24 jähriger Prinz (es sind just zehn Jahre her) die Ver. Staaten bereist hatte, kam aus dem Wmcker- lande der unbegrenzten Möglichkeiten heim mit dem Herzen voller hochfliegenden Pläne. Er hatte das amerikanische Wirtschaftsleben nicht an seinen Quellen, wo es Schattenseiten trauriger Art aufweist, sondern an der glänzenden Ober fläche gesehen, die der höfliche Amerikaner dem fürstlichen Gast wies. Das eifernde Auge des jungen Prinzen aber sah nur den grenzenlose« Großbetrieb» der mit Hilfe scheinbar in glänzenden Ver hältnissen lebender Arbeiter aus Kohle und Eisen, aus Baumwolle und Büffelfleisch Gold zu machen verstand. Die Kehrseite blieb ihm fremd. Das zeigten seine Vorträge, die er über feine Erlebnisse und Eindrücke in Brüssel und Antwerpen hielt. Zwar lobte man sie, denn sie zeigten den regen an allem und allem interessierten Geist eines auf den Herrscherthron Berufenen, aber sie reichten doch nicht auf die Tiefe der Dinge. Der Prinz hat während der Regierung seines Onkels Zeit gehabt, nach zudenken, und seine Anschauung vom Wesen des Königtums ist die Frucht dieser einsamen Denkarbeit. Als um die Wende des Jahres 1830, nachdem sich die Belgier von Holland losgerissen hatten, der Nationalkongreß über die zukünftige Negierungs form beriet, da entschieden sich 174 Mitglieder für die Monarchie und nur 13 wünschten die Republik. Kennt der neue König die Kämpfe seiner Zeit, die Juste in seiner „Geschichte Bel giens" -so anschaulich beschreibt? Dann muß er wissen, daß heute der Nationalkongreß, wenn auch keine Mehrheit, so doch eine beträchtliche Stimmenzahl für die Republik aufbringen würde, daß also die Annahme, Monarchie und Republik seien nicht unver söhnliche Gegensätze, unhaltbar ist. Dennoch wird dem sozialen Fortschritt Belgiens zugute kommen, was herbe Enttäuschungen von dem wirklichkeitsfremden Königstraum Alberts übrig lassen; denn er kmnt die Bedürfnisse seines Landes und hat nach seiner Reise ins Kongo land mit staatsmännischem Blick Reformmöglichkeiten errechnet, die zum Segen für den Kongo und für Belgien werden müssen. Er beginnt feine Regierung unter einem günstigen Stern; denn die Kammer hat nach langen Kämpfen eine Hesresreform angenommen, die alle Volkskräfte in der Armee einen will. Belgien hofft von dem neuen Herrscher, daß er als Kaufmann seinen Oheim ersetzt und ihn als Sozialpolftiker übertrifft. Das verspricht Albert l., indem er sein Herrscheramt mit der Zusage der Verwirk lichung des sozialen Königtums antritt. K ZuLeräienstUck. 1j Erzählung von Fritz Reutter.*) „So wünsche ich Ihnen gute Reise," sagte Max Warburg, der Konsul in Panama, und erhob sich. „Hoffentlich erholen Sie sich in den Ver. Staaten, Herr Nippold. Sie reisen natürlich direkt nach San Francisco?" „Gewiß, Herr Konsul." „Es wird auch das beste sein. Ich fragte Sie auch nur für den Fall, daß Sie vielleicht mrterwegs Luft bekämen, in Nikaragua zu landen. Vielleicht wissen Sie, daß dort eine Revolution ausgebrochen und sich der Nachbaar staat Honduras in ihre inneren Angelegenheiten gemischt hat. Soviel ich Sie kenne, sind Sie ein Pechvogel, der allzugern in die Patsche gerät, aus der er sich nur mit Mühe und Not wieder befreit. Also setzen Sie sich nicht irgend welcher Gefahr aus — es wäre nicht gut für Sie, und auch das Deutsche Reich vermöchte Ihr« selbstgesuchten Abenteuer nicht immer gut zu heißen. Ich glaube, das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe." Karl Nippold hatte sich auch erhoben und drückte seinem Vorgesetzten lachend die Hand. „Der Ruf nach Abenteuern bleibt auch hier an mir hängen," bemerkte er gutmütig, „und ich habe mich hier doch so ruhig verhalten. Auf Wiedersehen, Herr Konsul. Sollten Sie meiner vor Ablauf des Urlaubs bedürfen, so brauchen Sie mir nur nach den Staaten zu tele graphieren." *) Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. „Ich danke Ihnen," sagte der Chef mit ernster Miene. „Wir müssen aber schon ver suchen, die nächsten zwei Monate auch ohne Sie zureckt zu kommen." Vom Schicksal und vom Auswärtigen Amt in Berlin war Max Warburg die anstrengende Aufgabe überwiesen worden, die Interessen des Deutschen Reiches in Panama und in den mittelamerikanischen Republiken der Küste des Stillen Ozeans entlang zu überwachen und zu hüten, um so mehr als diese Kleinstaaten sich des östern den Luxus einer kleinen Revolution gestatteten. Die gleichen Behörden hatten dem Konsul, einem würdigen Mann, der diese Strafe nicht verdiente, den jungen Karl Nippold als zweiten Sekretär überwiesen. Nippold hatte leine Dienste schon fünf Jahre lang seinem Vaterlande und seiner eigenen Unterhaltung ge widmet, und diese beiden Beschäftigungen wollten nicht immer zusammenstimmen. Er war beliebt bei jedermann, außer vielleicht bei seinen Vor gesetzten; in vielen seiner Handlungen lag der Reiz unbewußter Selbstlosigkeit und er beging manch einen unverantwortlichen Streich — bom offiziellen Standpunkte aus betrachtet — mit jener Miene vollkommener Unkenntnis und Un- verantwortlichkeit, daß ihn selbst der gutherzigste Diplomat so rasch als möglich in seine Heimat zurückgesandt hätte. Nachdem er den Einfluß seiner zahlreichen Verwandten für sich in Anspruch genommen und die Geduld des Auswärtigen Amtes erschöpft und all die kleineren europäischen Gesandtschaften der Reihe nach besucht hatte, wurde er im eigensten Interesse nach einem Platze verbannt, wo die Gelegenheft, Böses zu stiften, nur sehr gering war. Die Ver setzung gefiel ihm natürlich nicht — denn der amerikanische Spanier ist gar leicht zur Eifer sucht geneigt, und die spanische Geschichte und heutige Politik in Mittelamerika riecht nach Blut — aber zwölf ganze Monate lang hatte er sich zusammengenommen und zu keiner Klage Anlaß gegeben. Jetzt war er für einige Zeit beurlaubt. Seine Absicht war, Kalifornien und das Felsengebirge zu besuchen und nach dem Muster des damaligen Präsidenten der Ver. Staaten Bären und Wölfe dort zu jagen. Aber Max Warburg hatte ihm in der Un schuld seines Herzens bereits eine neue Idee eingeflößt. Der Konsul verstand die Natur seines Untergebenen überhaupt nicht, sonst hätte er die Wirren in Nikaragua gar nicht erwähnt — und ihn noch weniger ermahnt, nicht dort hin zu gehen. Es muß gleich gesagt werden, daß Karl Nippold tatsächlich in Nikaragua landete und dort allerlei seltsame Abenteuer be stand. Deren Geschichte soll hier erzählt werden, weil sie sich in den Archiven zu Berlin sicherlich nicht vorfindet. An Bord des im Stillen Ozean kreuzenden Postdampfers „Idaho", der nach San Francisco fuhr und unterwegs an verschiedenen Häfen von Mittelamerita und Mexiko anhielt, war Karl bald zu Hause. Knapp vor der Abfahrt war er an Bord erschienen mit seinem Gepäck — einer Reisetasche und mit einer seine Gewehre enthaltenden kleinen Kiste. Der Obermaat stand schimpfend am Fallreep; „Beeilen Sie sich doch! Oder wir lassen Sie zurück!" „Einen Augenblick, bitte," erwiderte Karl und kletterte ohne irgend welche Eile die Treppen empor. „Machen Sie vorwärts I Vorwärts!" wieder holte der Maat. Karl zog gelassen die Uhr aus der Tasche und blieb stehen. „Warum auch?" fragte er mit beleidigter Miene. „Sie werden verzeihen, es ist noch zwei Minuten bis zu der für die Abfahrt bestimmten Zeit." Das war um fünf Ubr; noch ehe das Abendessen zu Ende war, hatte er aus dem Munde des Kapitäns bereits dessen ganze Familiengeschichte vernommen und ein Alas Champagner um das andre geleert und stand auch mit den andern Passagieren auf gutem Fuße. Jene Warnung des Konsuls wollte ihm die ganze Nacht nicht mehr aus dem Sinn; und akS die „Idaho" am folgenden Morgen in ihrem nördlichen Lauf immer in Sicht der blauen Berge von Nikaragua dahinfuhr, war sein Geist voll von Gedanken an diesen kleinen, unruhigen Smat. Es war doch eigentlich schade, daß er seinen Fuß noch nie auf den Boden dieks Landes gesetzt hatte. Während des vergangenen Jahres hatte es sein Vorgesetzter mehr als ein mal besucht, ihn aber fürsorglich immer in Panama zurnckgelassen. Er kannte das Land dem Rufe nach. Obgleich eine der kleinsten Republiken dieser Gruppe, war es doch zweifel los diejenige, die am schlechtesten regiert imd — am bestechlichsten — auch die meisten ftk- ruhen aufwies. Zehn Jahre lang hatte sie der General Melgarejo, von der Armee unterstützt,
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