Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 19.12.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-12-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190612193
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19061219
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19061219
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-12
- Tag 1906-12-19
-
Monat
1906-12
-
Jahr
1906
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 19.12.1906
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Ver keiedstag aufgelöst. Der 13. Dezember wird in der deutschen Parlamentsgeschichte ewig denkwürdig bleiben, wird ein Markstein in der Politik des vierten Reichskanzlers sein und wird vor allen Dingen allen Gegnern des Fürsten Bülow gezeigt haben, daß er — wenn's die Sache fordert — jene Energie zu zeigen vermag, die seine Tadler oft an ihm vermißten. Wie in den letzten Tagen immer waren die Tribünen dicht besetzt — über dem ganzen Hause herrschte eine gedrückte Stimmung, die sich immer peinlicher bemerkbar machte, je mehr der Zeitpunkt der Abstimmung über die Regierungsforderung für die deutsch-afrikanischen Schutzgebiete herannahte. Mit Deutlichkeit und Entschiedenheit, mit Worten von tiefinnerer Schönheit und die durchweht waren von der Ahnung eines großen Ereignisses, hatte der Reichskanzler noch einmal die Notwendig keit hervorgehoben, die Kolonien in jedem Falle zu halten und für diesen Zweck die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. Mit immer wachsender Erregung — die ihn vielleicht zum erstenmal im Reichstage befiel, — hatte der Reichskanzler gesprochen und schloß: „Was würde es für einen Eindruck machen im Innern und nach außen, wenn die Regierung in einer solchen Lage, in einer solchen Frage kapitulieren und nicht die Kraft in sich finden sollte, ihre nationale Pflicht zu erfüllen? Wir werden unsre Pflicht tun im Vertrauen auf das deutsche Volk." Aber die Würfel waren gefallen! Bei der nachfolgenden Abstimmung ergab sich, daß die Regierungsvorlage, die 29 200 000 Mk. für die Schutzgebiete forderte, mit 178 gegen 168Stimmen abgelehnt war. Unter lautloser Stille des Hauses erteilte Präsident Graf Ballestrem dem Reichskanzler das Wort. Und was man ge ahnt, wovon man, beinahe mit dem Gedanken spielend, schon seit 8 Tagen gesprochen, ward Ereignis. Der Reichskanzler verlas — ost vom Beifallsjubel der Tribünen und vieler W- geordneten unterbrochen — folgende Botschaft seines kaiserlichen Herrn: „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden deutscher Kaiser, König von Preußen usw., verordnen auf Grund des nach Artikel 24 der Verfassung vom Bundesrat unter Unsrer Zustimmung ge faßten Beschlusses im Namen des Reiches, was folgt: Der Reichstag wird hierdurch aufgelöst. Urkundlich unter Unsrer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Jn- siegel. Gegeben, Bückeburg, den 13. Dezember 1906. Wilhelm. ggz. v. Bülow. Die Auflösungsorder hatte der Reichskanzler bereits fertig in der Tasche, als er um 1 Uhr zu der Sitzung kam, und wenn das nicht, so war sie jedenfalls gegen Mittag bereits aus gefertigt. Sie ist aus Bückeburg datiert, wo der Kaiser zur Jagd weilte und das er am Mittag verließ. Zurzeit der Auflösung des Parlamentes weilte der Monarch im Neuen Palais zu Potsdam. Die Regierung wendet sich also an das Volk und hofft vom neuen Reichstage, daß er ihr die Verantwortung für das als unbedingt notwendig Erkannte leichter machen wird wie der alle. Und wie auch immer sich einzelne Volks vertreter dazu verhalten mögen, die Negierung hält fest an dem Vertrauen zu dem deutschen Volke, das in der kommenden Wahl seine Meinung zum Ausdruck bringen soll. Diese Stellungnahme spiegelt ein Artikel der ,Nordd. Allgem. Ztg/ wieder, in dem es u. a. heißt: Wie wir durchhalten, ob wir mit zäher Opferwilligkeit vorwärts gehen oder, nach kaum erreichter Beseitigung der größten Gefahr, wieder ermatten, ist bei der heutigen politischen Gesamt- lage uns selbst und unsern Mitbewerbern im überseeischen Wettkampf zum Prüfst ei ' dafür geworden, ob Deutschland überhaupt der Ent wickelung aus einem europäischen Großstaat zur Weltmacht fähig ist. Unter unsern Augen voll zieht sich von verschiedenen Seiten her ein kraft volles Ausgreifen auf die der Kultur noch nicht erschlossenen Gebiete. Wir erleben als Zeit genossen den Aufschwung der englischen, der amerikanischen, der japanischen Weltmacht. Frank reich gründet sich ohne Zaudern und Knausern ein riesiges Kolonialreich in Afrika. Und Deutschland soll nicht einmal in energischer Be hauptung und Verwertung des Erworbenen Schritt halten dürfen? Die Regierung legt also die Entscheidung dieser Frage in die Hände des Volkes, das durch die Neuwahlen zeigen wird, wie es sich zu der Abstimmung des 13. Dezember stellt. Die Wahlen für den neuen Reichstag müssen verfafsungsgemäß spätestens am 11. Februar 1907 stattfinden und die neue Tagung spätestens am 13. März 1907 (90 Tage nach der Auf lösung) beginnen. Wahrscheinlich aber werden die Wahlen schon Mitte Januar vorgenommen werden. 11. v. veullcker Keicbstag. Am 13. d. steht auf der Tagesordnung die zweite Beratung des Nachtragsetats für Südwestafrika. (Gefordert werden aus An laß des Eingeborenenaufstandes 29 220 MO Mk.) Die Budgctkommission beantragt Ablehnung der Forderung für Südwestafrika. Berichterstatter Abg. Spahn (Zmtr.) berichtet über die Kommissionsverhandlungcn. Reichskanzler Fü r st v. B ü l o w: Die Ihrer Beschlußfassung heute unterbreitete Vorlage der ver bündeten Regierungen ist vor ihrer Einbringung der Gegenstand sorgsamer Prüfung aller beteiligten Stellen gewesen. Es wird nur diejenige Truppen stärke gefordert, die für die Niederwerfung des Ausstandes und die Beruhigung unsrer Kolonie unerläßlich ist. Wir werden die Truppen in Süd westafrika bis zum April künftigen Jahres aus rund 8000 Mann vermindern, je nach dem Fortschritt der Operationen und der Verbesserung der Etappen im Laufe des nächsten Etatsjahres weitere Ermäßi gungen eintreten lassen und nach Beendigung der Operationen nur die notwendigste Besatzungstruppe zurückbehalten. Ihre Kommission ist zu einem vositivcn Resultate nicht gelangt, sie hat vielmehr alle Anträge und die Regierungsvorlage abgelehnt. Der Vorschlag, uns schon jetzt für das Etatsjahr 1907 auf eine bestimmte, gegenüber der jetzigen wesentlich verminderte Truppenzahl festzulegcn, ist für die ver bündeten Regierungen unannehmbar. Meine Herren, es ist Ihrer Kommission von sachverständiger, militärischer Stelle dargelegt worden, daß die ver langte Truppenstärke wirklich notwendig, und daß eine Verminderung der Truppen tatsächlich unmöglich ist, weil dadurch die Durchführung der militärischen Operationen verhindert werden würde. Ein Ein stellen der militärischen Aktion vor völliger Niederwerfung des Aufstandes würde aber die schwer wiegendsten Folgen nach sich ziehen. Diese Folgen Würden nicht nur bestehen in dem Verluste des Südens unsres Schutzgebietes, wir würden auch die Mitte und den Norden schwer gefährden. Nicht nur die militärischen Autoritäten, sondern alle Sach verständigen stimmen darin überein, baß es sich um eine letzte Anstrengung handelt, um unsren Kolonien dauernd Ruhe und Sicherheit wiederzugeben. Wenn Wir vor diesem letzten Opfer zurückschcuten, so würden wir uns nach meiner Ansicht einer schweren Unterlassung, einer nationalen Versündigung schuldig machen. Ich kann nicht annehmen, meine Herren, daß dieses hohe Haus einen solchen in finanzieller und militärischer, in politischer und nationaler Hin sicht gleich bedauerlichen und bedenklichen Entschluß fassen wird. Sollte ich mich hierin täuschen, so würde ich als Verantwortlicher Leiter der Reichs geschäfte nicht in der Lage sein, vor dem deutschen Volk und der Geschichte eine solche Kapitulation zu unterschreiben. Abg. Schmidt-Elberfeld verliest namens der freisinnigen Volkspartei eine kurze Erklärung, daß auch sie die Festlegung einer Mindestzahl von Truppen für unmöglich halte und sich daher darauf beschränke, die Zurückziehung von Truppen in dem von der Negierung bereits zugcstandcucn Umfange zu verlangen, und daß sie zu diesem Behufe den Antrag Ablaß eingebracht habe. Abg. Nörcn (Zentr.) kommt auf die in seiner neulichen NcichStngsredc wegen der in Sädwcst- afrika von Kolonialbeamien begangenen Grausam ¬ keiten gegen die Schwarzen und aus die Angriffe gegen den Kolenialdirektor zurück. Die Wistuba- Angelegenheit habe er nur nebenbei berührt. Trotz dem hat der Herr Kolonialdirektor, ohne aus die von mir gerügten Vorgänge selbst näher einzugehen, gerade diese Angelegenheit zur Unterlage genommen, um daraus eine Pression, eine Nebenregierung, eine Beeinflussung zu folgern. Von einer Nebenregierung kann keine Rede sein, da ich in Sachen der Mission Togo in das Kolonialamt erst gegangen bin, nach dem ich dazu brieflich aufgefordert bin. In den Gang des gerichtlichen Verfahrens gegen Schneider, Götz und Wistuba habe ich mich mit keinem Worte eingemischt. Stellvertr. Kolonialdirektor Dernburg: Ich erinnere daran, daß der Abg. Nören seine Behaup tungen gestützt hat auf Anschuldigungen, die gegen den Beamten Kersting ausgesprochen waren, und die sich als absolut unbegründet ergeben haben. Niemand kann hinweg disputieren, daß der Negie rung das kaudinische Joch zugemutct worden ist. Es ist ganz gleichgültig, ob die Einmischung von Herrn Nören oder von einen: andern Mitglied seiner Pattei oder von einer zweiten oder dritten Partei kommt, ich werde mich dagegen wehren und die Flucht in die Öffentlichkeit antreten, das eine wie das andre Mal, wie es sehr gut gewesen ist. Schließ lich habe ich noch gegenüber der verlesenen Er klärung des Abg. Schmidt-Elberfeld folgendes zu erklären: Im Mai 1906 waren im Schutzgebiet 14 500 Köpfe, diese sind jetzt auf 10062 Köpfe reduziert, 600 sind unterwegs, 1194 von den 4000, deren Zurückziehung gewünscht wird, bleiben noch. 2806 find schon zurückgekehrt, 1000 sollen im Laufe des Februar zurückgeführt werden, der Rest von 194 möglichst im März. Abg. Schmidt- Elberfeld: Die eben abgegebene Erklärung des Kolonialdirektors veranlaßt uns, unsern Antrag dahin zu ändern, daß es heißen mutz: Die Forderung des Nachttagsetats zu bewilligen mit der Maßgabe, daß neben der im Gange befind lichen Hcimsendung von weiteren 4000 Mann bis zum Ablauf des Rechnungsjahres die Vorbereitungen zu einer erheblichen weiteren Verminderung der Ge samtstärke der Schutztruppc getroffen werden. Abg. Ledebour (soz.) wirft dem Kolonial direktor vor, daß er in ungerechter Weise gegen den Abg. Nören vorgegangen sei. Im weiteren Verlauf der Debatte führten die Reden des Abg. Czarlinski (Pole) und des Abg. Lattmann (wirtsch. Vgg.) zu einer stürmi schen Szene. Herr v. Czarlinski zog sich eine Rüge des Vizepräsidenten von Stolberg-Wernigerode zu, weil er sagte, daß die Regierung Schandtaten zu lasse, und einen Ordnungsruf für eine Beleidigung, die in dem wachsenden Lärm auf der Tribüne nicht zu hören war. Erst als der Schriftführer Hermes den Vizepräsidenten über den Vorfall aufklärte und dieser nun Herr Lattmann zur Ordnung rief, legte sich der Lärm, so daß die Diskussion weiter gehen konnte. Nach dem Abg. Lattmann ergriff Abg. Spahn das Wort, um, was Herr Rören versäumt hatte, den Standpunkt des Zentrums darzulegen. Er stellte den Antrag dieser Partei, binnen einer be stimmten Frist auf eine Mindestzahl von 2500 Mann Truppen in Südwestafrika zunickzugehen, als durch aus harmlos und für die Regierung günstig hin. Wenn der Reichstag einen solchen Beschluß fasse, entlaste er den Kommandeur im Schutzgebiet von der Verantwortung, die jener jetzt allein trage, Während der Regierung „kein Mann und kein Groschen" verweigert werde. Diese Worte riefen Staunen hervor, sein Hinweis auf die Vermehrung der Steuern aber fand ein lautes Echo in der Mitte und auf der äußersten Linken, und seine Verwahrung gegen den Vorwurf der Nebenregierung oder der Ausübung unerhörter Pressionen lebhafteste Zu stimmung bei seinen Freunden. Reichskanzler Fürst von Bülow: Ich halte mich für verpflichtet. Sie nochmals in letzter Stunde auf die schwere Verantwortung hinzuweisen, welche Sie durch Ihre bevorstehenden Beschlüsse auf sich nehmen. Es handelt sich hier nicht um die Frage, ob für unsre Kolonien einige Millionen mehr oder weniger bewilligt werden sollen. Es handelt sich, wie Ihnen der Herr Vertreter des Generalstabs soeben überzeugend dargelegt hat, um die Frage, ob wir unsre Kolonien behaupten wollen oder nicht. Das ist die Frage, auf welche die verbündeten Regierungen eine Antwort wünschen, eine Antwort klipp und klar. Es handelt sich, wie ich als Verantwort licher Leiter oer Reichsgeschäfte hinzufüge, um die Frage, ob wir unser Ansehen in der Welt, ob wir unsre Waffcnehre, ob wir unser Ansehen gefährden wollen, um eine verhältnismäßig geringfügige Summe zu ersparen, am Ende eines Feldzuges, der uns Hunderte von Millionen gekostet hat. Man hat mir das Wort in den Mund gelegt: „Nur keine inneren Krisen". Ich habe das alberne Wort dementieren lassen, es kehrt immer wieder zurück. In Wirklichkeit 'habe ich natürlich nie etwas Der artiges gesagt. Es gibt Situationen, wo ein Zuruckschrecken vor Krisen ein Mangel an Pflicht gefühl wäre. Wenn Sie wollen, haben Sie die Krisis I Parteien können Forderungen annehmen oder ablehnen, denn sie tragen keine Verantwortung. Die Negierung darf sich nicht vor Wünschen und Interessen einzelner Parteien beugen, wenn ihre höchste Ausgabe, die nationale, in Frage steht. ES handelt sich um unsre ganze kolonialpolitische Stellung, um mehr als das, um unsre Stellung in der Welt. Glauben Sie, meine Herren, daß so was keine Rückwirkung auf das Ausland hat? Was würde es für einen Eindruck machen im Innern und nach außen, wenn die Regierung in einer solchen Lage, in einer solchen Frage kavi- tulieren und nicht die Kraft in sich finden sollte, ihre nationale Pflicht zu erfüllen? Wir werden unsre Pflicht tun im Vertrauen auf das deutsche Volk. (Stürmischer, anhaltender Beifall, Zischen bei den Sozd.) — Damit schließt die Diskussion. In namentlicher Abstimmung wird der Antrag Ablaß auf Ergänzung des Dispofltivs zur vollen Forderung des Nachtragsetats mit 175 gegen 171 Stimmen abgelehnt. Hierauf wird über die unveränderte Vorlage ebenfalls namentlich abgestimmt. Das Ergebnis ist die Ablehnung der Regierungsvorlage mit 178 gegen 168 Stimmen; ein Mitglied (Abg. Strom- beck, Zentr.) hat sich der Abstimmung enthalten. Hierauf verliest der Reichskanzler Fürst Bülow die kaiserliche Verordnung, wonach der Reichstag aufgelöst ist. poüMcde Kunerlckau Deutschland. * Der Kaiser ist aus Bückeburg nach Potsdam zurückgekehrt. * Der Bundesrat erteilte seine Zu stimmung den Ansschnßberichten zu der Vor lage betreffend die Verlängerung der Frist für den steuerfreien Verkauf von Zigarettenblättchen und zu der Vorlage betreffend den Entwurf znm Besoldungs- und Pensionsetat des Reichsbank- direktoriums für das Jahr 1907. *DieUnterseebootflotille, gegen wärtig aus einem Unterseeboot mit drei Begleit fahrzeugen bestehend, soll im nächsten Jahre auf sechs Unterseeboote mit sieben Begleit sahrzeugen gebracht werden, darunter ein eigener, mit allen Einrichtungen zur schleunigen Hebung gesunkener Boote versehener Bergungsdampscr, bis zu dessen Fertigstellung das Hebefahrzeug „Oberelbe" des Nordischen Bergungsvereins gechartert worden ist. Österreich-Ungarn. *Graf Montecuccoli erklärte im Marineausschuß der ungarischen Delegation, der geforderte Ersatz für ver altete Schiffe bezwecke nur, daß der große Unterschied der österreichisch-ungarischen Marine gegenüber der Marine andrer Staaten nicht noch größer werde, als es bisher der Fall Die österreichisch-ungarischeFlotte sei ausschließlich zur Küstenverteidigung berufen, müsse aber gegebenfalls auch im stände sein, angriffsweise vorzngehen, da sie bedeutende Handelsinteressen im Adriatischen Meere zu schützen habe, die im Kriege gefährdet seien. Frankreich. *Bei der Haussuchung in der Wohnung des ausgewiesenen päpstlichen Ver treters Monsignore Montagnini sind etwa 2000 Schriftstücke beschlagnahmt worden, wovon aber ein Teil zurückgegeben wird. Dem Untersuchungsrichter Ducasse, der die Papiere zu prüfen hat, wurde nämlich im Auftrage des Ministers des Äußern, Pichon, mitgeteilt, daß alle aus der Zeit vor dem Abbruche der diplo matischen Beziehungen mit dem Vatikan her rührenden Schriftstücke den diplomatischen Schutz genießen. Diese werden dem Ministerium des Äußern übergeben und , sodann dem Vatikan zurückerstattet werden. Aus den beschlagnahmten Schriftstücken soll angeblich hervorgehen, daß die Bischöfe nur ungern den letzten Weisungen des Papstes (zum Widerstand gegen das Gesetz) gefolgt seien. Schweiz. * Die Bundesversammlung wählte zum Bundespräsidenten für 1907 den bisherigen Vizepräsidenten des Bundesrates Müller - Bern (radikal) und zum Vize präsidenten den Bundesrat Brenner-Basel (radikal). K Der Meg rum Zerren. 9j Novelle von F. Stöckert. (Fortsetzung.) Dr. Bergen sieht im Geiste Melitta in einem kleinen, ärmlichen Stübchen, in schwarzen Trauer kleidern an der Staffelei sitzen; auf dem Tisch daneben steht ein Glas mit halbverwelkten wilden Rosen. Ach, alles was von Poesie und Romantik in seinem Herzen lebt, umgibt diese einsame Mädchengestalt. Eine heftige Unruhe ersaßt ihn, ihm ist, als müsse er eilends der Stadt mit ihren ehrlichen Philisterseelen den Rücken wenden, als wäre das Leben, was er hier gelebt, ohne allen Wert. Mächtig zog es ihn nach der Heimat; was ihm verloren gegangen, hier in diesem alltäglichen Leben, er wollte es dort suchen und finden, dort, wo eine wilde Rose einsam schmachtet nach Licht, Luft, Leben und Liebe. Melitta malte schon längst kein; Blumen mehr, sie stickte wieder für die Weißwarenhand lung und war sehr traurig, sehr unglücklich. Das wenige, was sie und ihre Mutter mit ihren Arbeiten verdienten, reichte natürlich nicht aus zu ihrem Lebensunterhalt. Ein kostbares Schmuck stück nach dem andern wurde zum Juwelier ge tragen und verkauft; dazu war der Winter vor der Tür, dessen Schattenseiten die beiden Damen jetzt wohl kannten. Sonst war er für sie hingegangen in einem Rausch von Zerstreuungen, jetzt wußten sie, was es heißt, wenn 20 Grad Kälte sind, und die Fenster bei der geringen Wärme, die dem Leinen Ofen entströmt, den ganzen Tag nicht abtauen wollen. Und dann mit den erstarrten Fingern die feine Handarbeit vollenden und damit zum Abend durch die winterlichen Straßen eilen, geduldig harrend in dem kalten Laden stehen, bis eine von den schnippischen Laden fräulein die Arbeit abnimmt und die wenigen Groschen dafür bezahlt. An dies alles dachte Melitta mit kummer vollem Herzen an einem trüben Novemberabend. Der Regen schlug gegen die Fensterscheiben, in der Stube war es kalt. Die Mutter saß fröstelnd am Ofen, in welchem das Feuer aus gegangen. „Soll ich nicht lieber noch einmal Feuer an machen, Mamachen?" fragte Melitta, „ich werde dir Tee kochen." „Ja, Kind, bester wäre es schon, aber Holz und Kohlen sind teuer und der Winter fängt erst an." „O, Mama, ich habe ja noch meine echte Perlenschnur, wenn ich die verkaufe, können wir beinahe den ganzen Winter dafür leben." „Aber dann, Melitta, was dann?" „Dann kommt der Frühling wieder," wollte Melitta recht sorglos heiter erwidern, aber es gelang ihr nicht recht; bei dem November sturm draußen klang es wie Hohn, vom Früh ling zu sprechen. Sie begann das Feuer wieder anzufachen, dann setzte sie sich, als es hell flackerte und knisterte, zu ihrer Mitter. Der Feuerschein warf rötliche Lichter auf ihr blasses Gesichtchen, auf daS blauschwarze Haar, das noch w" früher in schweren Flechten herunter hing Ein vertragenes schwarzes Samtkleid, das noch ans glücklichen Zeiten stammte, schmiegte sich weich um die jungen Glieder. Etwas von der alten Anmut und dem Liebreiz, der ihr einst in so großem Maße zu eigen, lag auch heute noch über dieses Mädchens Erscheinung ausgegoffen. „Es muß doch noch einmal anders werden, Mama," begann sie jetzt wieder die Unter haltung. „Ich glaube und hoffe fest, daß der liebe Gott auch für uns noch ein wenig Erden glück aufbewahrt hat. Wir könnten irgend einen reichen Verwandten in Amerika haben, den wir beerben, oder wir versuchen unser Heil einmal in der Lotterie!" „Gott erhalte dir diesen Glauben," erwiderte die Mutter seufzend, „es ist schon etwas wert, wenn man noch hoffen kann, ich kann es nicht mehr." Melitta blickte betroffen in das Antlitz ihrer Mutter, es lag ein Ausdruck darin, den sie sich nicht recht zu deuten vermochte, nicht Trauer, nicht Gram und Sorge, etwas Überirdisches lag in ihrem Blick, als ob ihre Seele sich langsam loslösen wolle von der Bürde des Körpers, von aller Erdenlast und Sorge. Das junge Mädchen hatte einst von schönen Frauenhänden gelesen, die nachts auf kraulen Herzen ruhen; solche Hände waren es wohl, die da ineinander gefaltet wie leblos auf dem dunklen Kleide ihrer Mutter lagen, dann und wann von dem rötlichen Licht des Feuers übergossen. „Mama, du bist krank!" rief sie plötzlich in heißer Angst und faßte die kalten, leblosen Hände. „Ich bin nicht krank, mein Kind, nur müde, sterbensmüde." Von diesem Abend an gewann eine neue Sorge Raum in Melittas Herzen, sie bangte für das Leben ihrer Mutter, die immer stiller, immer müder wurde. Der Doktor, es war der Armenarzt, ein andrer besuchte diese dunklen Häuser der Vor stadt nicht, kam jetzt täglich zu der Frau Kom- merzienrätiu. Er verschrieb Arzneien, verordnete kräftige Nahrungsmittel, nnd Melitta in ihrer bangen Sorge um das geliebte Leben befolgte alle seine Verordnungen aufs püuklichste. Die Perlenschnur, das letzte von ihren Schmuck stücken, hatte schon längst zum Juwelier wan dern müssen. Eine verstohlene Träne war darauf gefallen, als sie noch einmal did feucht schimmernden Perlen durch die Fingern hatte, gleiten lassen; sie riefen Erinnerungen wach M selig vergangene Zeiten. Sie gedachte eines Donnerstag-Abends, man hatte sich zahlreich in dem Salon ihres väter lichen Hauses eingefuuden. Tasso, diese herrliche Dichtung Goethes, sollte mit verteilten Rollen gelesen werden, und ihr und Doktor Bergen waren durch das Los die Hauptrollen in dem Stücke zugefallen. Sie sah sich im Geiste neben ihm sitzen in dem duukelrote^Samtkleide, worin er sie so gern gesehen, als" einzigen Schmuck die Perlenschnur um den weißen Hals ge schlungen. <Hie hörte seine tiefe, wohlklingende Stimme, wie er voll hoher Begeisterung die Worte sprach: „Beschränkt der Rand deS Bechers einen Der schäumend wellt und brausend überschwillt? Mit jedem Wort erhöhest du mein Mück, Mit jedem Worte glänzt drin Aug« Heller
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)