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Allgemeiner Anzeiger : 24.10.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-10-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190610247
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19061024
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19061024
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1906
-
Monat
1906-10
- Tag 1906-10-24
-
Monat
1906-10
-
Jahr
1906
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 24.10.1906
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poUtilcke Kunälckau. Deutschland. * Der Kaiser wird, wie gerüchtweise ver lautet, von München aus, wohin sich der Monarch im nächsten Monat begibt, einen Besuch in Kiel machen. * Das Entlassungsgesuch des Prinzen Alexander zu Hohenlohe, bis herigen Bezirkspräsidenten von Kolmar, ist jetzt vom Statthalter von Elsaß - Lothringen ge nehmigt worden. * Der Bundesrat hat die Vorlage betr. den Entwurf eines Gesetzes über die Vor nahme einer Berufs- und Betriebszählung im Jahre 1907 dem zuständigen Ausschüsse über wiesen. * Der braunschweigische Landtag nahm unter starkem Andrange des Publikums seine Beratungen wieder auf. Der Vorsitzende, Präsident Semler, teilte zunächst verschiedene Eingänge mit, darunter den Briefwechsel zwischen der braunschweigischen Regierung einerseits und und dem Kaiser, dem Reichskanzler und dem Herzog von Cumberland anderseits. Ferner eine Eingabe von Bürgern der Stadt Königs lutter, in der um Weiterführung der Regentschaft auf die Dauer eines Jahres durch den Regentschaftsrat nachgesucht wird, da man der Hoffnung ist, daß sich die Meinungs verschiedenheiten zwischen Preußen und Gmunden in dieser Zeit ausgleichen werden. An die öffentliche Sitzung, die eine halbe Stunde dauerte, schloß sich eine anderthalbstündige ver trauliche Beratung. Am Dienstag findet eine weitere Sitzung statt, in der die Vorlage des Regentschastsrates über dieWahl eines neuen Regenten zur Beratung angesetzt ist. * Mit dem 1. Januar 1907 wird die Leitung der Schutztruppen-Trans Porte für Südwestafrika auf die Seetransport-Ab teilung des Reichs-Marineamts übergehen. Österreich-Ungarn. *Die ungarischeOpposition gegen den gemeinsamen Minister des Äußeren Grafen Goluchowski ist im Abnehmen begriffen. Die Besorgnis, daß in einen Sturz Goluchowskis auch das ungarische Ministerium verwickelt werden würde, wirkt dazu wohl ebeuso mit wie die Möglichkeit von Mißdeutungen der ungari schen Absichten im Auslande. Die Stellung Goluchowskis gilt daher trotz aller gegenteiligen Mutmaßungen als neu befestigt. In Budapester parlamentarischen Kreisen macht sich schon eine ruhigere Auffassung gegenüber dem Minister be merkbar, seitdem in einer jeden Zweifel aus schließenden Weise bekannt geworden ist, daß der Ministerpräsident Wekerle in der nächsten Delegationstagung für Goluchowski nachdrucks voll eintreten werde. Diese Stellungnahme Wekerles wird damit begründet, daß Goluchowski besonders in der Frage des Zollkonflikts mit Serbien im vollsten Einvernehmen mit der ungarischen Regierung vorging. Solange dieser Konflikt andauert, erscheint es für die ungarische Regierung unzulässig, daß Goluchowski von der ungarischen Delegation gestürzt werde. * Im österreichischen Wahlreform- Ausschuß haben die Tschechen erklärt, daß sie eher die ganze Wahlreform zu Fall bringen, bevor sie den von den Deutschen verlangten Schutz der Wahlkreiseinteilung zu gestehen. Namens der tschechischen Feudalen erklärte Frhr. v. Dobrschensky offen, daß die Tschechen dabei auf die immer weiter schrei tende Tschechisieruug deutscher Bezirke Böhmens rechnen. Frankreich. *Aus Paris kommt völlig überraschend die Nachricht, daß der französische Minister präsident Sarrien seine Entlassung eingereicht habe. Wenngleich die Entscheidung darüber noch aussteht, ist als nahezu sicher an zunehmen, daß der Minister des Innern Clemenceau die Leitung des Kabinetts übernehmen wird, in dem er auch bisher schon die wichtigste Rolle gespielt hat. Die zahl reichen politischen Reden, die er in letzter Zeit in verschiedenen Teilen Frankreichs hielt, und in denen er sich weit über die Angelegenheiten seines Ressorts hinaus, besonders über Fragen der Wehrkraft und der auswärtigen Politik, Ge breitete, sollten wohl schon dazu dienen, Lis Publikum auf Clemenceaus Aufrücken in eHn umfassenderen Wirkungskreis vorzubereiten. Eine Entscheidung ist noch nicht erfolgt, aber nahe bevorstehend. Alle Versuche, den bisherigen Ministerpräsidenten Sarrien zum Verbleiben im Amte zu überreden, sind gescheitert. Sarrien hatte mit Clemenceau eine lange Unterredung. * Mit der Demission Sarriens ist die des gesamten französischen Kabinetts dem Präsidenten der Republik offiziell unter breitet worden. * Der russische Minister des Nutzern, Iswolsky, wurde vom Minister Bourgeois empfangen und wird demnächst mit Vertretern der an den russischen Anleihen interessierten Banken eine Besprechung haben. Sollte Bour geois zurücktreten, so würde Iswolsky seinen Aufenthalt verlängern, um mit dessen Nach folger in persönliche Beziehungen treten zu können. Rußland scheint also trotz aller gegen teiligen Versicherungen wieder Geld zu suchen. *Die Regierung sicherte dem General Liotet, dem Befehlshaber der algeri sch- marokkanischen Truppen, alle Voll machten und Unterstützungen für den Fall der Erhebung der marokkanischen Stämme gegen die französischen Posten und die Bevölke rung in den Grenzbezirken zu. Liotet wird die vier Wochen bis zu dem angekündigten Los brechen der fanatisierten Stämme nach Mög lichkeit ausnutzen, rechnet aber auch mit der diplomatischen Unterhandlung Frankreichs beim Maghzen, die möglicherweise den Erfolg haben wird, den Verwandten des Sultans nach Fes zu bescheiden, um die Bewegung zu unter drücken. England. * Die Admiralität erließ eine Bekannt machung, die mitteilt, daß wahrscheinlich noch a ch t unterseeische Minen frei umherschwimmen. Mehrere solcher Minen wurden am 2. d. zur Übung beim Zugang zu Spithead gelegt. In folge schlechten Wetters habe man sie nicht alle gefunden. Die Minen seien für die Schiffahrt nicht gefährlich, außer wenn sie von ihrer Verankerung losbrächen und an der Ober fläche schwimmen. Sie könnten dann vielleicht einem Fischerboot oder anderm Schiff, das auf sie stieße, Schaden beibringen. Schweiz. * Im Großen Rat zu Basel begann die allseitig mit Spannung erwartete Debatte über die Trennung von Staat und Kirch e. Da eine Einigung nicht erzielt werden konnte, findet demnächst eine außerordentliche Ratssitzung zur Erledigung der Meinungsfrage statt. Italien. *Der deutsche Staatssekretär des Auswärtigen, Frhr. v. Tschirschky, ist in Nom eingetroffen. Diese Reise hat eingehende Betrachtungen über das Lieblingsthema der internationalen Presse, den Bestand des Drei bundes, veranlaßt. Einige italienische Zei tungen ergehen sich hierbei aus Anlaß der neulichen österreichisch-italienischen Zwischenfälle in ernsten Befürchtungen. Frhr. v. Tschirschky selbst spricht seiner Romreise jede bestimmte politische Absicht ab, doch bringt es seine Stellung mit sich, daß er seinen Aufenthalt im verbündeten Lande zu Erörterungen mit den dortigen verantwortlichen Leitern benutzen wird. Norwegen. *72 Storthingsmitglieder be schlossen in einer stark besuchten öffentlichen Versammlung, eine „Vereinigung der Linken des Storthings" zu bilden. Spanien. * Der Ministerrat nahm einen Gesetz entwurf gegen die Orden an. Dieser Entwurf unterwirft alle Ordensgesellschaften der Genehmigung des Staates, untersagt ihnen den öffentlichen Unterricht, ermächtigt die Gerichts behörde, gegebenenfalls Haussuchungen in Klöstern vorzunehmen, und unterwirft die industriellen Gesellschaften, also auch die indu striellen Orden, den Steuern. Ebenso gestattet das Gesetz, daß fremde Gesellschaften oder Gesell schaften, deren Chef im Auslande wohnt, auf gelöst werden. Portugal. *Das Budget, das der Finanzminister den Cortes dieser Tage vorgelegt hat, weist einen ungeheuren Fehlbetrag auf. Rustland. *Aus Petersburg wird gemeldet, daß das Urteil in der Verhandlung gegen Admiral Roschdjestwensky und die mit ihm an geklagten Offiziere wegen der kampflosen Schiffs übergabe in der Seeschlacht von Tsuschima ver kündet worden ist. Der Admiral wurde frei- gesprochen; der Kommandant des Kanonen boots „Bravy" wurde kassiert, ebenso Kapitän Clapier. Zwei andre Offiziere wurden außer Dienst gestellt. Der Zar hat das auf Frei sprechung Roschdjestwenskys lautende Urteil bestätigt. *Die Moskauer Universität soll, da Premierminister Stolypin den Professoren versprach, die Polizeipatrouillen zurückzuziehen, wieder geöffnet werden. Balkanstaaten. * In der Skupschtina wurde ein Ukas verlesen, durch den die serbische Regie rung zur Vorlegung eines Handelsvertrages mit der Türkei und mit Montenegro ermächtigt wird. Amerika. * Wie verlautet, erfolgte die Entsendung einer Anzahl von Kriegsschiffen nach China, weil die Regierung der Ver. Staaten die Aufhebung der Sperre der amerikanischen Waren in China erzwingen will. Zum Uöpenicker Uaffenraube. Die Nachforschungen nach dem Urheber des raffinierten Handstreiches auf die Köpenicker Stadthauptkasse bewegen sich nach verschiedenen Richtungen, doch ist bisher ein bestimmter Anhalt über die Persönlichkeit des Räubers noch nicht gefunden. Eine Untersuchung seitens des Regierungs präsidenten in Potsdam in seiner Eigenschaft als Aufsichtsbehörde der Stadt Köpenick ist einge leitet worden. Zweck und Ziel der Ermitte lungen sind: festzustellen, ob die Köpenicker städtische Beamtenschaft, zu welcher auch die dortige Polizei gehört, die Ausführung des Schelmenstücks, durch welches das Ansehen der Behörde arg geschädigt wird, nicht hätte bei pflichtgemäßer Sorgfalt verhindern können. Bei aller Achtung, die Herr Dr. Langerhans als Bürgermeister bei denjenigen genießt, die mit ihm in amtlichen Verkehr getreten sind, scheint die Ansicht Oberhand zu gewinnen, daß er bedauerlicherweise nicht bis zum Äußersten pro testiert hat. Würde er es auf Zwangsmaßregeln haben ankommen lassen, so erscheint es mehr als zweifelhaft, ob sie ausgeführt worden wären. Auch der Hauptkassenrendant hat nach seiner ersten Weigerung anscheinend allzuleicht klein beigegeben. Herr Dr. Langerhans erklärt dem gegenüber, daß er sich in einer verzweifelte» Zwangslage befunden hat. Bei dem geringsten Versuche, das Zimmer zu verlassen, wurde ihm von dem Doppelposten daS Bajonett auf die Brust gesetzt. Ebenso äußert sich der Haupt rendant v. Wiltberg. Der Bürgermeister erklärt, daß seiner ganzen Auffassung der Sachlage nach die Grenadiere unbedingt, falls er sich widersetzte, gefeuert hätten. Das wird von den Soldaten selbst bestätigt. Von der Fortbringung der Hauptkasse hatte der Bürgermeister keine Ahnung. Dieses Gaunerstück hat er erst auf der Neuen Wache in Berlin erfahren. Der Droschkenkutscher, der den falschen Hauptmann gefahren hat, hat sich jetzt bei der Kriminalpolizei gemeldet. Es ist ein Kutscher Wilhelm Knopnadel. Seine Bekundungen be weisen, daß der Offizier, der in der Friedrich straße in Berlin neue Zivilkleider kaufte, und der, der auf dem Mittenwalder Kleinbahnhof in Nixdorf gesehen wurde, ein und dieselbe Person sind. Wie aber der Hauptmann nach der Friedrichstraße gekommen ist, steht noch nicht fest. Knopnadel hat ihn nicht dorthin gefahren. Er fuhr mit seiner leeren Droschke langsam von Norden nach Süden die Friedrich straße entlang, als ein etwa 15 Jahre alter Bursche ihn anrief und nach dem Herren konfektionsgeschäft wies. Dort fand er auf dem Bürgersteig einen „Hauptmann", den er genau so beschreibt wie alle andern Zeugen, die den Gauner gesehen haben. Der Hauptmann be deutete ihm, daß er warten solle, und ging dann in das Geschäft hinein. So kam es, daß man im Geschäft glaubte, der Kunde sei in der Droschke vorgefahren. Nach einiger Zeit kehrte der Hauptmann zurück und setzte sich in die Droschke, während ein Hausdiener einen Karton und dann eine Tüte mit einem neuen Hut in den Wagen legte. Hierauf ließ sich der Fahr gast nach dem Halleschen Tor und durch die Belle-Alliancestraße bis an das Steuerhaus am Tempelhofer Felde fahren. Dort sagte der Hauptmann „Nach dem Bahnhof", ohne einen bestimmten Bahnhof zu nennen. Der Kutscher fuhr nach dem Kleinbahnhof Hermannstraße in Nixdorf, an den er zuerst dachte, und weil er glaubte, daß dieser gemeint sei. Auf dem Bahn hof stieg der Fahrgast aus und bezahlte 1,90 Mark, die der Zeiger anwies. Dem Kutscher fiel an dem Offizier nichts auf als sein etwas müder Gang. Der schien ihm aber begreiflich, weil er den alten Hauptmann für einen inaktieven Offizier hielt. Ohne sich weiter Gedanken zu machen, fuhr Knopnadel nach der Stadt zurück. Die Militärmütze und Hose, die der falsche Hauptmann am südöstlichen Rande des Tempel hofer Feldes fortgeworfen hat, sind von einem Passanten gefunden und der Polizei übergeben worden. Die Hose ist alt, abgetragen und glänzend, eine Offiziers-Extrahose, wahrscheinlich bei einem Trödler gekauft, die Mütze dagegen ist neu. Diese kaufte der Gauner am Freitag voriger Woche in einem Spezialgeschäft in der Prinz-Louis-Ferdinandstraße. Dem Fabrikanten, der ihn selbst bediente, kam der Kunde etwas heruntergekommen vor. Er dachte, es werde ein Mann sein, der die verlangte Offizicrmütze für einen Offizier kaufe, um den üblichen Rabatt, den er auch verlangte, in seine Tasche zu stecken. Auf die Frage, welche Kopfweite die Mütze haben solle, antwortete der Käufer, sie solle auf seinen Kopf passen. Er paßte sie sich auch selbst auf. Bemerkenswert ist, daß der Käufer die Kokarden falsch angesteckt hat, die deutsche Nationalkokarde auf den roten Rand der Mütze, die preußische oben an den Deckel. Das ist weder den Soldaten noch den Gendarmen und Polizeibeamten aufgefallen. Die Achsel stücke, die der falsche Hauptmann trug, hatten keinen Namenszug, sondern die Abzeichen des 1, Garde-Regiments. Die umfangreichen Nachforschungen der Kriminalpolizei nach dem verwegenen Gauner, der in so raffinierter Weise die Stadtkasse von Köpenick geplündert hat, haben bisher noch keinen greifbaren Erfolg gehabt. Zwar hat man auch noch auf dem Tempelhofer Felde, und zwar wiederum auf Nixdorfer Gebiet, die Schärpe des falschen Hauptmanns gefunden und der Nixdorfer Polizei zugestellt. Allein dieser Fund reicht ebensowenig wie die früher dort entdeckten Militärbekleidungsstücke hin, um auf eine sichere Spur des Täters zu leiten. Nur so viel geht daraus hervor, daß der Verbrecher sich in Nixdorf aufgehalten hat und dort gute Ortskenntnis besitzen muß. Zu den weiteren Ermittelungen ist auch die Gendarmerie der Kreise Teltow und Niederbarnim hinzugezogen worden. Der Bürgermeister von Köpenick, Dr. Langerhans, hat sein Amt nieder gelegt. Von ssak unä fern. Feuerproben in den Schulen. Zur Verhütung von Unglücksfällen in Brandfällen sollen auf Anordnung der Schulbehörden in den den Magdeburger Lehranstalten von jetzt ab mindestens einmal vierteljährlich Alarmierungen wie bei Feuersgefahr vorgenommen werden. Die einzelnen Klassen haben dann sofort unter Leitung ihrer Lehrkräfte in voller Ordnung und ohne jede Überstürzung unter Benutzung deS für jede Klasse besonders bestimmten Ausganges das Schulgebäude zu verlassen. K Paul unä Paula. 6j Novelle von Helene Stökl. (Fortsetzung.,' 5. Eine dichte Menschenmasse wogte den Markus- Platz auf und ab, der mit seinem Fußboden von glänzenden Steinfliesen und den hell erleuchteten Säulenhallen zu beiden Seiten einem riesigen Festsaale glich. Schaulustige umdrängten die reichen Läden, hinter deren blitzenden Spiegel scheiben Schätze von venetianischem Golde, weißen und roten Korallen, Muscheln und Mosaikschmucksachen in reichster Auswahl auf gehäuft sind. Elegante Venetianische Paare, die Damen den kleidsamen, schwarzen Schleier mit vornehmer Anmut über Kopf und Schulter ge- worfen, Fremde aller Arten, Engländer und Engländerinnen, noch jetzt am Abend ihre roten Reisebücher festhaltend, junge deutsche Paare, denen man ansieht, daß sie sich auf der Hoch zeitsreise befinden, kleine bewegliche Franzosen, die mit lauter Stimme über Politik debattieren, das alles drängle und lärmte laut durcheinander, in stetem Wechsel sich aus den von allen Seiten mündenden Gäßchen erneuernd und er gänzend. In der Mitte des Platzes, wo das Gedränge weniger dicht war als an den Seiten, gingen die beiden Freunde auf und ab. Waren es die Gasflammen, die Pauls Antlitz immer von neuem mit roter Glut übergossen? Seine Lippen bewegten sich von Zeit zu Zeit, ohne daß jedoch ein Ton über dieselben drang. Da kam eine Gruppe von mehreren Per sonen aus sie zu. Es war eine junge, auffällige j Dame, die, die Zigarette im Munde und die Reitgerte in der Hand, sich laut und dreist mit einer Anzahl Herren unterhielt, die sich um sie drängten. „Kann die Weiblichkeit einer Frau nicht unabhängig von ihrer äußeren Erscheinung sein ?" fragte Paul leise. „Nein," erwiderte Konstantin heftig, „ein züchtiges Innere kann sich nur unter einem züchtigen Äußern verbergen. Ein Losreißen von dem gebotenen Herkommen hat immer eine Entsittlichung zur Ursache oder doch zur Folge. Ein Mädchen, das sich von den Sitten der Mutter wendet, sagt sich zugleich von allem los, was die Tochter von der Mutter als heiliges Erbe überkommen haben soll." „Aber ein Mädchen, das keine Mutter hat -" „Ist zu bedauern, aber nicht zu entschuldigen. Die Natur muß sie lehren, was ihrem Ge schlecht ziemt. Ein Weib, das sich in männ lichen Kleidern oder männlichen Gewohn heiten gefällt, hört für mich auf, ein Weib zu sein. Sie kann weder ihrem noch unserm Geschlecht etwas andres als ein Gegenstand der Verachtung sein." „Der Verachtung, sagst du?" Kang es ton los von Pauls Lippen. „Du urteftst strenge." „Nur über die, die mit der Würde ihres Geschlechts zugleich den Anspruch auf Achtung von sich werfen, den diese ihnen verleiht." „Wenn aber ein Mädchen, durch die Liebe bekehrt, freiwillig in die Schranken zurückkehrt, die es unbedacht verlassen hat?" „Die Laune, welche sie einmal zum Über ¬ schreiten derselben trieb , kann es auch ein zweites Mal tun." „Aber man sagt, daß eine Ehe, aus Liebe geschlossen, ein Wesen verändern könne von Grund aus." „Als ob ein emanzipiertes Weib die Heilig keit der Ehe begriffe! Ich würde mein Haus und meine Ehre schlecht bewahrt glauben in solchen Händen." „Und du glaubst nicht an die Allgewalt der Liebe?" fragte Paul noch einmal. „Sie kann die Blüte nicht wieder Knospe werden lassen, wenn diese einmal entfaltet ist, oder der Frucht den Hauch znrückzugeben, der sie, unberührt, so verlockend macht. In meinen Augen kann ein Mädchen, das sich einmal über das Urteil der Welt und sein eigenes Scham gefühl hinweggesetzt hat, nie mehr begehrens wert erscheinen. Ich bedaure alle jene Mädchen, die, durch die Not gezwungen, nach einer männlichen Beschäftigung greifen müssen, wie es in unsern Tagen so vielfach vorkommt, aber ich achte sie. Ein Mädchen dagegen, das, um freier seinen Neigungen leben zu können, selbst wenn dieselben harmloser Art sein sollten, aus der Bahn tritt, welche Zucht und Sitte ihr vor geschrieben haben, ist mir verächtlich. Lieber wollte ich eine Bettlerin von der Straße zu meiner Gattin machen, als ein Mädchen, von dem ich wüßte, daß es wissentlich die Gesetze seines Geschlechts verletzt hat." Längst hatte Paul aufgehört zu antworten; nur zuweilen war er unter Konstantins Worten zusammengezuckt. Jetzt holte die Stadtuhr zum Schlage aus, um die neunte Stunde zu verkünden. „Laß uns nach Hause gehen," sagte Paul fröstelnd, „es ist kalt geworden." Im Gasthofe fand Konstantin einen Brief von seiner Mutter; er erbrach ihn schnell und durchflog die Zeilen. „Meine Mutter schreibt mir," sagt er als er geendet hatte, unmutig, „daß eine uns be nachbarte Familie morgen durch Triest kommt und sich freuen würde, mich dort zu treffen. Es wird mir nichts übrig bleiben, als hinüber zu fahren, so lästig es mir auch ist. Wenn ich das Dampfschiff benutze, welches heute nacht abgeht, kann ich übermorgen früh schon wieder hier sein. Willst du mich nach Triest begleiten ?" „Ich bleibe lieber hier, ich fühle mich nicht ganz wohl." „Du siehst in der Tat angegriffen aus, du mußt dich gleich zur Ruhe begeben. Meine Ab reise darf dich nicht stören, wir können uns ja jetzt schon Adieu sagen." „Wie deine Hand glüht und wie bleich du bist," sagte Konstantin, als sie bald darauf Ab schied nehmend vor Pauls Zimmer standen, und wollte ihm besorgt die Hand auf die Stirn legen, aber Paul wich jäh zurück. „Rühr' mich nicht an," rief er heftig, „deine Hand brennt!" Er trat hastig in sein Zimmer und zog die Tür hinter sich zu. Konstantin blickte ihm überrascht nach; der plötzliche Wechsel in Pauls Stimmung war ihm neu, die verschiedenen Vorbereitungen, welche er noch für seine Reise zu treffen hatte, ließen wm keine Zeit, sich jetzt Grübeleien darüber hwzu- geben. Einige Stunden später stand er auf der
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