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Allgemeiner Anzeiger : 18.12.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-12-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190912180
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19091218
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1909
-
Monat
1909-12
- Tag 1909-12-18
-
Monat
1909-12
-
Jahr
1909
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 18.12.1909
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Vie Grundlage des Weltfriedens. Unter den Preisträgern der Nobelstiftung befindet sich in diesem Jahre ein Mann, der den Friedenspreis errang und dem wir ihn bester gönnen, als vor einigen Jahren Herrn Roosevelt, der damals Präsident der Der. Staaten war und eine weitausschauende Erobe rungspolitik (Kuba und die Philippinen) trieb. Es ist der französische Senator Estournelles de Constant, der noch im April d. im Kaisersaal des preuß. Herrenhauses zu Berlin im Auftrage des Zentral-Komitees für die Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland die freundnachbarlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern als die Grundlage des Weltfriedens bezeichnete. Unter allen Be strebungen, die sich zur Herstellung besserer Beziehungen der beiden Nachbarstaaten in den letzten Jahren geltend gemacht haben, verdient unbedingt die Arbeit des jetzt Preisgekrönten die meiste Beachtung. Ms alter Politiker und Geschichtskenner, der sein Vaterland liebt und seine Landsleute kennt, stellt er keine zu hohen Forderungen. „Wir wollen nicht vergessen," sagte er damals, „aber wir wollen auch keine Rache mehr." Wenn solches Bekenntnis sich Bahn bricht in den weiten Kreisen seiner schönen und ruhm reichen Heimat, darf Senator Estournelles zu frieden auf die Arbeit seiner letzten Lebensjahre schauen. Das ist ja der Fehler aller Annähe rungsbestrebungen, daß sie nicht mit leise tasten der Hand versuchen, erst die Grundlagen für eine Annäherung zu schaffen, sondern, daß sie die Geschichte und besonders den großen Kampf und Frankreichs Niederlage vergessen machen wollen. In Wahrheit aber kann kein Franzose jemals vergessen, daß er in dem weltgeschicht lichen Ringen der Besiegte war. Dieser An schauung hatte Estournelles im preuß. Herren hause Ausdruck verliehen und dann doch in wunderbar ergreifenden und überzeugenden Worten der Zusammenarbeit Frankreichs «nd Dentschlands das Wort geredet. „Es ist der Krieg, den wir vorbereiten," sagte er, „aber ein Krieg, der keinen Widerhall und keine Zustimmung in den Herzen unsrer Völker weckt, weil es sich nicht um die Verteidigung bedrohter Güter handelt. Es ist weder Krieg noch Friede, es ist der bewaffnete Friebe. Man beginnt jetzt zu erkennen, wohin dieser führt: die Republiken zur Diktatur, die Monarchien zur Revolution. Wenn es nun in der allgemeinen Überzeugung feststeht, daß die französisch-deutsche Gegnerschaft eine Gefahr unter allen Umständen ist, dann wird die öffent liche Meinung sich bemühen, die Aufgabe zu lösen, denn die Annäherung zwischen beiden Staaten würde eine Befreiung für die ganze Welt bedeuten. Es wird der französisch«deutschen Annäherung ergehen, wie allem was lebt, sie wird die Frucht der Leiden der Vergangenheit sein, der wahre Sieg aber wird der sein, den wir über uns selbst davontragen. — Und ich habe nichts gesagt von dem Ruhme, den die Regierungen hätten, die sich beeifern, der Sehn sucht der Welt Folge zu geben. Ruhm ohne gleichen, würdige Krönung aller Triumphe der Zivilisation." Dem Manne, der als Vertreter einer starken Bewegung in seiner Heimat, auf deutschem Boden also sprechen durfte, weil er in sich die Vergangenheit überwunden und die Notwendig keit der Zukunft erkannt hatte, gönnen wir von Herzen auch die ihm durch Verleihung des Nobelpreises äußerlich zu teil gewordene An erkennung seines Strebens. ^llebter. polmscbe Kunäsckau. Deutschland. * Kaiser Wilhelm hat das Präsidium des Reichstages in Audienz empfangen, um die Meldung von der Konstituierung des Reichs tages entgegenzunehmen. * Der frühere preuß. Kultusminister, Dr. Holle, ist im Alter von 54 Jahren zu Godesberg bei Bonn gestorben. * Es besteht im Reichstage die Absicht, nach Beendigung der Weihnachtsferien (am 10. Januar n.) zunächst die Anfragen und die juristischenVorlagen zu besprechen und gegen Ende des Monats die zweite Etatslesung zu beginnen. Die Budget kommission des Reichstages nimmt die Beratung des Etats für 1910 am 12. Januar auf, auch die Kommission zur Vorberatung des deutsch- portugiesischen Handelsvertrags tritt am gleichen Tage zusammen. * Die Ausgabe für die Aufwandsent schädigungen an die Mitglieder des Reichstages hat, wie aus dem Reichstags etat hervorgeht, im Rechnungsjahre 1907 1012 840 Mk. und 1908 1015 460 Ml. be tragen. In den Etat für 1910 find 1015 000 Mark für den gleichen Zweck eingestellt. Die Gesamtausgabe für den Reichstag stellt sich auf 2103 255 Mk. * Dem Reichstag ist ein Antrag zuge- grngen, der die verbündeten Regierungen er sucht, möglichst bald einen Gesetzentwurf vor zulegen bett. die Unfallfürsorge bei Arbeiten, die zur Rettung vonPersonen und zur Bergung von Gegenständen vorgenommen werden, unter besonderer Berück sichtigung der bei solcher Tätigkeit vorkommen den Feuer-, Wasser- und andrer Gefahren. * Wegen des Entwurfs zur neuen Reichs- versicherungsordnunghat die medizi nische Fakultät der Universität Tübingen an das württembergische Ministerium eine Denkschrift ge richtet. Sie bittet darin das Ministerium, dahin zu wirken, daß die Bestimmungen, die das Ver hältnis der Ärzte zu den Krankenkassen und Be rufsgenossenschaften regeln, nicht Gesetz werden. Die Fakultät sieht in diesen Bestimmungen eine schwere Schädigung der Arzte sowohl, wie auch der Kranken und wünscht, daß die in Württem berg seit längerem bestehende organisierte freie Arztwahl erhalten bleibe, womöglich in den übrigen deutschen Staaten eingeführt werde. Minister v. Pischek erklärte den beiden die Denkschrift übergebenden Professoren, er sei ein großer Freund der organisierten freien Arztwahl und halte die in Württemberg bestehende Ord nung für sehr befriedigend. * Den Briefankunftsstempel will, wie verlautet, die Postverwaltung für einge schriebene und Eilbriefe wieder einführen. Die Metzer Handelskammer hat sich daraufhin unter eingehender Begründung nochmals an das Reichspostamt mit der Bitte gewendet, bei dieser halben Maßregel nicht stehen zu bleiben, sondern den früheren Zustand wieder herzu stellen, das heißt, alle Briefe und Postkarten mir dem Ankunftsstempel zu versehen. * Dem Andenken von Franz Adolf Lüderitz sollen in der von ihm gegründeten Stadt Lüderitzbucht (Deutsch-Südwestafrika) eine öffentliche Volksbibliothek und Lesehalle geweiht werden. Den Anlaß dazu bietet die 25. Wieder kehr des Tages, an dem die schwarz-weiß-rote Flagge in Angra-Pequena gehißt wurde. Spanien. * Der Ausfall der Gemeindewahlen verursacht in Madrid ungeheure Aufregung. Auf Grund des neuen Wahlgesetzes, wonach gegnerlose Kandidaten ohne weiteres gewählt sind, siegten 5803 Regierungs- und 4583 gegnerische Kandidaten. Da aber Republikaner und Sozialisten zusammenhalten, haben sie einen beachtenswerten Sieg errungen, der geeignet erscheint, einen politischen und finanziellen Rück- chlag nach sich zu ziehen. Einerseits kann man sie Gemeindewahlen als die Generalprobe für die Corteswahlen bettachten, anderseits wird die Sozialisierung der Stadtverwaltungen tief greifende Änderungen und Verschiebungen herbei führen. Rustland. *Jn Petersburg wurde, nach einer halb amtlichen Meldung, eine umfassende Ver- chwörung gegen das Leben des Zaren entdeckt. Viele Personen wurden verhaftet. Inter ihnen befinden sich ein Universitäts Professor, ein Chefredakteur, zwei Advokaten, zwei Frauen und außerdem 20 Universitäts- Hörer des Professors. — Es ist nicht aus geschlossen, daß es sich bei der Entdeckung dieser Verschwörung um eine Erfindung der politischen Polizei handelt, die mißliebige Per sonen loswerden möchte, wie es in den letzten Jahren öfters geschah. *Der Finanzminister Kokowzew, der mit dem ermordeten japanischen Fürsten Ito über die mandschurischen Streitfragen unter handelt hat, erklärte in einer Unterredung, es sei wenig Aussicht auf eine friedliche Beilegung der Streitfragen vorhanden. Balkanstaaten. * Noch immer will die Türkei sich mit dem Eutscheid der Mächte über die Kreta- frage nicht zufrieden geben. Der Ministerrat beschloß vielmehr, bei den Mächten neue Schritte zu unternehmen, da ihre letzte Antwort note, die die Regelung der Kretafrage ablehnt, durchaus unbefriedigend sei. * Daß König Peter von Serbien der Ermordung des Königs Alexander und seiner Gattin nicht so ganz fern gestanden hat, zeigt die Verhaftung eines seiner Verstauten, der plötzlich gedroht hat, Enthüllungen über den Königsmord zu veröffentlichen, wenn er nicht 300 000 Frank erhalte. Daß man ihn verhaftete, mag dem Erpresser recht ge schehen, ' zeigt aber zugleich, daß König Peter, den man an europäischen Fürstenhöfen immer noch nicht empfangen will, etwas zu ver bergen hat. Amerika. *Jn der südamerikanischen Republik Argen tinien ist eine Verschwörung gegen die Staatsverfassung und die Gesellschaft ent deckt worden. Genau 500 Personen wurden verhaftet. Der größte Teil wird zu Zwangs arbeiten verbannt werden; Ausländer werden ausgewiesen. Aus dem Aeickstage. Der Reichstag setzte am Montag die erste Lesung des Etats fort. Die Beratung eröffnete Reichs kanzler v. Bethmann-Hollweg, der es für erwünscht hielt, sich auch seinerseits zu der in der Erörterung schon mehrfach berührten elsaß-lothrin gischen Frage zu äußern. Kein Mensch denke daran, den Elsaß-Lothringern die pietätvolle Erinnerung an die Vergangenheil zu verübeln. Es geht aber nicht an, die unter deutscher Herrschaft geborenen Generationen künstlich zu Trägern von Erinnerungen zu machen, die der Vergangenheit der elsaß-loth ringischen Geschichte angehören. Nach dieser mehr fach von Beifall unterbrochenen und an ihrem Schlüsse von lebhafter Zustiminung begleiteten Rede forderte Abg. Schrader (frs. Vgg.) Ersparnisse in Heer und Marine. Unter lebhaftem Beifall der Rechten legte Abg. Gans Edler zu Putlitz (kons.) gegen die Behauvtungen des Abg. Scheide mann, preußische Könige haben sich des Wortbruches schuldig gemacht, noch einmal Verwahrung ein. Abg. Frank-Mannheim (soz.) meinte, in Deutschland lasse sich der politische Fortschritt nur im Kampfe gegen die Junker erreichen. Abg. Fehrenbach (Zentr.» erwiderte, wenn der Großblock noch öfter so gerühmt werde, so ergäbe sich wirklich von selbst die Notwendigkeit des Zusammengehens zwischen der Rechten und dem Zentrum. Am 14. d. steht auf der Tagesordnung die zweite Lesung des Nachtragsetats für 1909. Bei der Unterstützung von Tabakarbeitern, die in der Kommission von 2 auf 2V- Mill. Mk. erhöht worden ist, bemerkt Abg. Everling snat.-lib.): Ich war Gegner der Tabaksteuer aus Furcht, ein Mittelstandsgewerbe zu liessen und Tabakarbeiter brotlos zu machen. Der sozialdemostatische Antrag auf Entschädigung der arbeitslos gewordenen Tabakarbeiter erschien mir zwar undurchführbar, aber ich habe doch für ibn gestimmt. Mir hat ein Tabakarbeiter gesagt, wenn die Sozialdemokraten in Sachsen die Heim arbeit abschaffen, werden die Heimarbeiter die Sozial demokratie abschaffen. Abg. Mar cour (Zentr.) wünscht möglichste Beschleunigung der Auszahlung der Unterstützungen und Vorschubleistung seilens der Kommunal-Ber Wallungen. Schatzsekretär Wermuth: Auf die Erhöhung des Fonds gehe ich nicht ein, da die Herren, die sic anregten, die Deckungssrage außer acht ließen. Wir werden die Unterstützungen nach Möglichkeit rasch auszahleitr Ab-. Frhr. v. Nichthofen (kons.): Wir haben zum Reichsschatzamt das Vertrauen, daß es die Unterstützungsfrage im Geiste des Wohlwollens und Entgegenkommens lösen wird. Abg. Geyer (soz.): Das durch das Tabak steuergesetz angerichtete Unglück übertifft noch »n're Befürchtungen. Die Hauvtt'chuld trifft die National- liberalen, die die gesamte Finanzreform mit Bülow vorbereiteten, und dann den Schnapsblock. Präsident Graf Stolberg: Ich nehm« an, Sie meinen mit „Schnapsblock" nicht Mitglieder des Hauses. Abg. Pach nicke (frs. Vgg.) bedauert Ver zögerungen der Unterstützung bei den Unterbehörden. Rcichsschatzsekretär Wermuth glaubt, diese Be hörden haben sich ibrer Aufgabe im allgemeinen mit Eifer erledigt. Abg. Burckhardt (wirtsch. Vgg.) hält den Nationalliberalen vor, daß sie in der Steuer kommission die Gestaltung des Tabaksteuergesetzes entscheidend beeinflußt haben. Ab. Erzberger (Zentr.) verweist noch aus den Umstand, daß die Nationalliberalen anfangs bereit gewesen seien, aus der Tabaksteuer einen noch größern Betrag herauszuholen als von der Mehrheit schließlich beschlossen wurde. Ein weiterer Nachtragsetat (Aufbesserung der Beamtengehälter in Kiautschou) wird in zweiter Le sung ohne Erörterung genehmigt. Es folgen die Anfragen des Zentrums und der Sozialdemokratie über den Arbeitsnachweis im rheinisch-westfälischen Kohlenrevier. Staatssekretär Delbrück ist zu sofortiger Be antwortung bereit. Abg. Giesberts (Zentr.) begründet die An frage des Zentrums, die den von den Zechenbesitzern eingerichteten obligatorischen Arbeitsnachweis ver urteilt und den paritätischen Arbeitsnachweis fordert. Der preußische Handelsminister habe zwar einige Milderungen durchgesetzt, aber diese genügen bei weitem nicht, um die Erregung unter den Bergarbeitern zu beseitigen. Aog. Bömelburg (soz.) befürwortet die ent sprechende Anfrage der Sozialdemostaten, die zu gleich gesetzliche Regelung des Arbeitsnachweises auf paritätischer Grundlage verlangt. Das Großkapital beherrsche alles, auch die Minister. Staatsseketär Delbrück: Die Frage be schäftigt uns heute nicht zum ersten und nicht zum letzten Male. Sie ist aber zu gesetzlicher Regelung zum mindesten noch nicht frei. Die Zechenbesitzer haben einen Arbeitsnachweis mit Zwangscharaster geschaffen. Ein solcher Arbeitsnachweis widerspricht weder der Freizügigkeit noch der Koalitions freiheit. Ein Recht auf Arbeit an einem bestimmten Ort und bei eiyem bestimmten Unternehmer hat der Arbeitnehmer nicht. Was die verantwortlichen Minister der Bundesstaaten im Rahmen der einzelstaatlichen Gesetze im Einklang mit den Reichsgesetzen tun, entzieht sich der Einfluß sphäre des Reichskanzlers und ebenso der Besprechung in diesem Hause. Der preußische Handelsministcr wird aber im preußischen Abgeordnetenhaus gern bereit sein, auf die gegen ihn gerichteten Angriffe zu antworten. Was die Einrichtungen im Nuhrrevier betrifft, so hat Abg. Giesberts anerkannt, daß diese Einrichtungen einwandfrei sind, wenn sie loyal durchgesührt werden. Aber die bloße Möglichkeit, daß illoyal vorgegangen werden könnte, ist kein Grund zum gesetzlichen Einschreiten. Die Arbeit geber im Ruhrrevier denken nicht daran, wie mir versichert ist, das sogenannte Hamburger System unverändert auf ihren Bezirk zu übertragen. Ein völliges Verbot des einseitigen Arbeitsnach weises wäre unleugbar ein Eingriff in die Koalitions freiheit. Arbeitgebern und Arbeitnehmern war der Arbeitsnachweis bisher ein Machtmittel. Ist es aber klug, heute den Arbeitgebern Beschränkungen aufzuerlegen, wenn dann morgen entsprechende Maß nahmen gegen die Arbeitnehmer folgen müssen? Gegen den zwangsweisen paritätischen Arbeitsnach weis bestehen zurzeit noch erhebliche Bedenken. Erwünscht freilich wäre die Organisation des Arbeitsnachweises und allmählich müsse man zu einen: paritätischen öffentlichen Arbeitsnachweis kommen. Was die Angriffe Bömelburgs betrifft, so sind wir Minister von keiner Gruppe abhängig. Unsre Losung bleibt die ausgleichende Gerechtigkeir. Das Haus beschließt die Besprechung der An fragen. Abg. Beuchelt (kons.): Es gibt fest langen Jahren Arbeitsnachweise, die einseitig von Arbeit- nehmerverbünden eingerichtet sind und verwaltet werden. Die angegriffenen Arbeitsnachweise im Ruhrrevier geben zu berechtigten Angriffen keinen Anlaß. Darauf vertagt sich das Haus. K Sin Klick in äie Zukunft. 11) Novelle von C. Schirmer. liforlfttzung.) Es war spät abends, als der Zug in die große Halle des Bahnhofs brauste, und Hubert, der sich von der langen Fahrt an dem heißen Sommertage sehr ermattet fühlte, war froh, als ihn eine Droschke bald nach dem Hotel be förderte, wo er ein gutes Unterkommen fand. Nach einer ruhigen Nacht durchwanderte er die Straßen der großen Stadt, und als es gegen die Mittagszeit kam, nahm er einen Wagen, und sagte Straße und Hausnummer, wohin er zu fahren wünsche. Es war eine ziemlich lange Fahrt bis in die entlegene Vorstadt und Hubert hatte vollständig Zeit, über seinen Entschluß nach- zudenken. Endlich hielt der Wagen vor einem arünen Gitter, durch das Hubert ein freund liches Haus in einem wohlgepflegten Garten be merkte. Die Pforte, die in denselben führte, war offen und er las zu seinem Erstaunen auf einem oben angebrachten Schilde: „Kunst- und Handelsgärtnerei!" Als er in den Garten trat, kam ihm ein Mann in Gärtnertracht entgegen und fragte ihn höflich nach seinem Begehr. Hubert sah sich erstaunt um und sagte dann, daß er den Kanzleirat Gebert, der ja hier wohne, zu sprechen wünsche. „Den können Sie jetzt nicht mehr sprechen," entgegnete der Mann, „er ist bereits über Jahr und Tag tot." „Tot?" rief Hubert erschrocken aus. „Ja, im Winter war es ein Jahr. Er war die letzte Zeit vollständig gelähmt, denn der Schlag hatte ihn gerührt, als seine Frau so . schnell starb." „Sie ist auch tot?" Hubert bebte am ganzen Körver und konnte kaum noch die Worte über die Lippen bringen. „Arme Rosa!" flüsterte er, und der Gärtner ! sagte dann zu ihm: „Ja, das arme Fräulein I Bald nachdem sie, es müssen nun drei Jahre her sein, aus dem Seebade zurückkamen, wurde Frau Gebert krank und starb nach wenigen Tagen. Wir wohnten damals da drüben in dem kleinen Hause, und meine Frau ist öfters zu Hilfe ge- j holt worden, da bat sie den ganzen Jammer! mit erlebt. Der Schmerz von Fräulein Rosa > soll herzbrechend gewesen sein. Der Herr Kanzleirat ließ sich darauf pensionieren, und da bei ibm eine Lähmung eintrat, verordneten ihm die Ärzte eine Kur und er reiste dann mit seiner Tochter fort, wohin weiß ich aber nicht." „Fräulein Rosa hat sich dann verheiratet, nicht wahr?" „So ?" — erwiderte der Mann auf Huberts Frage, „davon ist mir nichts bekannt. Nach dem Tode des Vaters war sie hier mit einem älteren Herrn, wahrscheinlich ihrem Vormund, dem sie den Verkauf des Grundstücks übergeben hat, das ich nun seit dem vorigen Jahre von dem Eigentümer gepachtet habe." „Wann war Fräulein Gebert zum letzten Male hier?" fragte Hubert atemlos. .Nun. es mag so etwas über ein Jahr her sein. Ich hörte darauf, sie sei nach Eng land gereist, das ist alles, was ich weiß." Hubert stand da wie erstarrt, seine Gedanken wogten durcheinander und sein Kopf glühte fieberhaft. Er tat noch mehrere Fragen, doch der Mann hatte ihm alles, was er von der Familie Gebert wußte, mitgeteilt, und da sein ferneres Verweilen hier zwecklos war, grüßte er und dankte für die ihm erteilte Auskunft, dann schlug er zu Fuß den Weg nach der Stadt ein. Wie im Traume ging er dahin, er konnte keinen Ausweg aus dem Labyrinth seiner Gedanken finden. Seine Seelenstimmung war vergleichbar mit dem Gewirr der Straßen, in das er geriet; planlos irrte er in der ihm fremden großen Stadt umher, von dem Menschen gewühl immer weiter getragen und doch ohne Interesse für alles, worauf sein Auge fiel. Nach mehrstündigem Umherlaufen kam er endlich in einem weniger belebten, eleganten Stadtteil an und trat erschöpft in ein Gasthaus, um einige Erfrischunge^ zu sich zu nehmen. Er blieb geraume Zeit da, um über die Schritte, die er einzuschlagen gedachte, nachzu- denken. Ihm war eingefallen, daß der Kanzleirat einen Bruder erwähnt hatte, der auch in B. lebte und, wenn er nicht irrte, Bankbeamter war. Er ließ sich das Adreßbuch geben und suchte den Namen Gebert auf. Richtig, das mußte er sein: „Gebert, Rechnungsrat bei der König!. Bank." Hubert schrieb sich die Adresse genau in sein Notizbuch und nahm sich vor, den Herrn den andern Vor mittag aufzusuchen. In einer der Hauptstraßen von B. lag das Haus, in dem der Rechnungsrat Gebert wohnte. Es war eine stattliche Front von Fenstern, die man mehrmals in der Woche glänzend erleuchtet sah, denn die Frau Rätin liebte es, oft Gesell schaft in ihren Räumen zu sehen. Die Frau Rätin hatte es durchzusetzen ge wußt, daß ihr einziger Sohn die militärische Laufbahn einschlug, und sie hatte nun die Genugtuung, ihn in der ihn vortrefflich kleidenden' Ulanenuniform zu sehen. Dieser Sohn verlieh dem geselligen Zirkel des Hauses jetzt erst den rechten Glanz und es konnte nicht fehlen, daß die Tochter, die inzwischen herangewachsen war, auch mit von dem Glanze beschienen wurde und sehr bald von den Freunden des Bruders um flattert wurde. i Zu ernsten Anträgen kam es vorläufig nicht, denn noch wurde keiner der Herren von dem stolzen Auge der Rätin für würdig gefunden, ihrer Tochter die Hand anzutragen. Sie hatte im Sinn, den Adel, den sie selbst geopfert hatte, in der Tochter wieder aufzufrischen. Daß ihr das gelingen würde, davon war sie fest überzeugt. Mit den Verwandten ihres Mannes kam sie sehr selten in Berührung und der Tod des Kanzleirats und seiner Frau, der den Rechnungsrat sehr ergriff, verstimmte sie nur insofern, als sie durch die Familientrauer ge zwungen war, einige Soireen absagen zu lassen. Sie entschädigte sich und ihre Tochter jedoch durch kleine Familienzirkel, zu denen die aus erwählten Offiziere eingeladen wurden, und end lich hatte die Frau Rätin den rechten Rann für ihre Tochter gefunden; er war Haupt-
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