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Allgemeiner Anzeiger : 15.12.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-12-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190912156
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19091215
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19091215
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1909
-
Monat
1909-12
- Tag 1909-12-15
-
Monat
1909-12
-
Jahr
1909
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 15.12.1909
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EtatsrededesneuenReichskanzlers v. Bethmann-Hollweg. Auf der Tagesordnung des Reichstags am S. d. steht die erste Lesung des Etats. Dazu nimmt das Wort Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg: Der Etat, in dessen Beratung Sie heute eintreten, tst mit besonderer Vorsicht aufgestellt worden. Das zu tun, war für die Verbündeten Regierungen die erste prak tische Forderung aus den Ereignissen der letzten Session. Die Einnahmen sind so veranschlagt, daß sich nach menschlicher Voraussicht das Ist mit dem Soll decken werden. Allen Anforderungen für die Aufrechterhaltung unsrer Wehrmacht ist genügt. Allgemeine Richtschnur war es in keinem Ressort, das Maß des unbedingt notwendigen zu über schreiten. Der Anleihebedarf ist soweit wie irgend möglich eingeschränkt worden. Mit den Regierungen werden die - Parteien darin übereinstimmcn, daß es unsre erste Aufgabe ist, dem Reiche eine solide Finanzgebarung zu sichern. Und bei der Lösung dieser Aufgabe werden auch die Parteien wieder zusammenarbeiten müssen, die über den Steuern auseinandergeraten sind, mögen ihre poli tischen Streitigkeiten fortdauern oder nicht. Auf die Vorgänge der damaligen Zeit greife ich nicht zurück; ich kann mir davon keinen Nutzen für die vor uns liegenden Geschäfte versprechen. Nur einen Punkt muß ich kurz berühren. Man hat gefragt, und man hat diese Frage mit Vorwürfen begleitet, weshalb die Regierung in den Kampf über die Steuer vorlagen nicht eingegriffen hätte. Es ist nicht richtig, daß sich die Regierungen in diesem Kampfe untätig Verhalten hätten. Was in den Streitig keiten unmittelbar greifbar war, das waren un richtige Berechnungen über die Verteuerung ein zelner Verbrauchsgcgenslände durch die neuen Steuern. Diesen unrichtigen Berechnungen sind die verbündeten Negierungen in einer großen Reihe von Berichtigungen und aufklärenden Artikeln entgegen- gclreten. Sie haben cs allerdings getan, ohne sich in die Parteipolemik cinzumischcn. Das haben die Regierungen unterlassen, nicht aus theoretischen Gründen, nicht weil es ihnen an Mut gefehlt hätte, für die Beschlüsse der Parteien einzutreten, die sich am letzten Ende über die Bewilligung von Steuern in genügender Höhe verstanden hätten, sondern lediglich, weil es keinen praktischen Erfolg hatte. Verhindert hätten sie die leidenschaftlichen Redekämpfe nicht. Dazu war die politische Erregung zu gross, dafür ist die Kritik an jeder neuen Steuer zu leicht. Genau wie im Juli dieses Jahres sind die Negie rungen noch heute fest davon überzeugt, daß es nur dank dieser Zustimmung möglich werden konnte und möglich geworden ist, Ihnen einen Etat vorzulegen, der eine allmähliche Gesundung unsrer Reichsfinanzen verspricht. In der Thronrede sind die haupt sächlichsten Gcsetzesarbeiten bezeichnet worden, die den Reichstag diesen Winter beschäftigen werden. Man hat zum Teil erwartet, daß zu dem aktuellen Programm noch ein allgemeines hinzukommen wird. Diese Erwartung entspricht, wie mir scheint, in erster Linie Parteirücksichien. Daher denn auch das weitere Verlangen nach programmatischen Erklärungen darüber, auf welche Parteikonstellationcn die verbündeten Ne gierungen sich stützen können. Was für Vorstellungen sind es, welche diese Frage eingeben? So ent schieden eS die Parteien von jeher abgelehnt haben und noch ablehnen, Regierungspartei zu sein, und ich persönlich kann das durchaus verstehen, — so wenig wird in Deutschland jemals eine Regierung Parteiregierung sein können. Die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, mit ihnen hat noch jeder deutsche Staat zu kämpfen gehabt. Und an diesem Verhältnis, das in der Eigenart unsres Patteiwescns und in unsern staatlichen Institutionen begründet ist, hat auch die i letzte Kritik keinen Deut geändert. Ich kann keinen l Vorteil sehen, den das Land davon hätte, wenn es gelänge, den Gegensatz, der sich über den neuen Steuern entwickelt hat, nun für alle Ewigkeit auf unsre gesamte politische Entwickelung fortwirken zu lasse«. Eine absprechende Krissk hat die gegenwärtige Lage dadurch besonders zutreffend kennzeichnen zu müssen geglaubt, daß sie von einer Periode des Stillstandes sprach. Ja, auch das geschmackvolle Wort „Fortwursteln" ist angewandt worden. Es wurde gesagt, den Reichstag würden in diesem Winter nur geschäfts mäßige, nüchterne Vorlagen und keine Fragen von hochpolitischer Bedeutung beschäftigen. Ich sehe nichts, was ein solch absprechendes Urteil begründet. Wenn der Reichstag die ihm angekündigten Vor lagen erledigt, dann wird er mit Genugtuung darauf zuruckblicken, reiche Arbeit geleistet zu haben. Wenn man aus manche Stimme draußen hört, dann ge winnt uian allerdings den Eindruck, als ob unsre politischen Kerben bereits so abgestumpft wäre«, daß bedeutsame Vorlagen der Sozialpolitik, der Rechts pflege, die Ihnen angekündigt worden sind, Fragen, die jahrzehntelang auf das heftigste von den Parteien umstritten worden sind, deren Lösung als ein dringendes politisches Bedürfnis bezeichnet wurde, — ich sage, man gewinnt den Eindruck, als ob Fragen von solcher Bedeutung jedes politische Inter esse verloren hätten in dem Augenblick, wo wir praktisch an ihre Lösung herantretcn. Ich verschließe meine Äugen nicht vor der parteipolitischen Erregung, die das Land durchzieht. Aber ich bin doch der Ansicht, daß es weite Kreise gibt, denen nicht darum zu tun ist, nur mit einer ganz scharf ge würzten Kost, womöglich mit grundstürzenden Ände rungen genährt zu werden, sondern daß cs weite Kreise unsres Volkes gibt, die auf die Dauer nickst von der politischen Sensation und nicht von der Verärgerung leben wollen. Was das Volk in erster Linie verlangt, das ist doch, daß es in seiner werktätigen Arbeit, mag diese wirtschaftlicher oder kultureller Art sein, hier oder draußen auf dem Weltmarkt nicht durch Unruhe oder Experimente gestört wird, sondern es will durch eine Politik der Stetigkeit und Festigkeit im Innern und nach Außen gestützt und gefördert werden. Glaubt man denn nun wirklich, daß dieses Ver langen, das die Vielgestaltigkeit der Bedürfnisse unsres Volkes, die sich nach der Eigenart der ein zelnen Volksstämme, je nach der Verschiedenheit der wirtschaftlichen Vorbedingungen im Süden und Norden, im Osten und Westen unsres Vaterlandes in ganz verschiedenen politischen Nuancierungen äußert, glaubt man denn, daß dieses Verlangen erfüllt wird, wenn auch nur diese Gesetzesvorlagen unter das eine Schema gestellt werden, das nichts andres kennt als die Schlagworte: Radikalismus und Reaktion? Jede gesunde Entwickelung, jeder vernünftige Fortschritt wäre dann unmöglich. Gewiß, zu dem Leben einer jeden Nation gehört der politische Kampf. Aber keine Nation verträgt es auf die Dauer, durch zugespitzte parteipolitische Streitigkeiten in Atem ge halten zu werden. Das muß am letzten Ende den Nerv jedes staatlichen Lebens, jedes Vertrauen im Innern und das Ansehen nach außen hin töten. Und dazu sind unsre Zeiten nicht angetan Wir können uns nicht den Luxus gestatten, uns bei Ver gangenem aufzuhalten, oder untätig zu sein. Wer sich wie Deutschland seine Stellung in nüchterner Arbeit erworben hat, der kann sie auch nur in solcher Arbeit behaupten. Und wie in Deutschland niemals , eine einzelne Partei es gewesen ist, die der deutschen Politik das Gepräge gegeben hat, sondern wie alle Kräfte des Volkes mitgewirkt haben, so muß es auch in Zukunft bleiben. Darin spricht sich nicht der in den letzten Wochen so viel bespöttelte Ruf nach positiver Mitarbeit aus, oder gar ängstliche ! Sorge um die Schaffung einer momentanen parla- Wntarischen Majorität; nein, meine Herren, nicht das, aber die Überzeugung, daß es einen Zwang zum Schaffen gibt, den die Volksgemeinschaft jedem ihrer Glieder auferlcgt, und die Gewißheit, daß, dieser Zwang auch die gegenwärtigen Irrungen und Wirrungen überdauern wird. Reichsschatzsekretär Wermuth empfiehlt dann in längerer Rede Annahme des Nachtragsetats 1909, dessen Aussichten nicht so günstig sind, wie 1908. ? Unsre Finanzen sind an einem Scheidewege ange langt. Lassen Sie uns den Weg gehen, der zwar nicht ohne Dornen und Entbehrungen ist, aber doch Wieder auf festen Boden führen wird. Abg. Frhr. v. Hertling (Ztr.): Der Etat macht im ganzen einen günstigen Eindruck. Bedenk lich sind die steigenden Ausgaben für die Marine. Abg. Frhr. v. Richthofe n (kons.): Die Worts des Reichskanzlers finden unsre Zustimmung. Den Streit der Vergangenheit wollen wir nicht beleben, zumal sich die finanziellen Folgen der Finanzreform noch nicht übersehen lassen. Der Etat ist vorsichtig aufgestellt. Abg. Bassermann (nat.-lib.): Was die neuen Steuern betrifft, so war cs unser Recht, aufklärend zu wirken. Was würde die Minderheit des englischen Unterhauses sagen, wenn ihr nationale Gesinnung abgesprochen würde? Wir wollten ja bei der Finanzreform nichts andres, als anfangs die Regie rung selbst. Wir geben zu, daß die Finanzreform nicht anders gemacht werden konnte, als bei einer starken Heranziehung des Konsums der breiten Massen. Wir wollten auch die neue politische Situation zum Ausdruck bringen und verzichteten daher auf eine Vertretung im Präsidium. Die positive Arbeit leidet in diesem Hause nicht Not. Wir sind zur Mitarbeit bereit. Am 10. d. wurde die Etatsdebatte im Reichs tage fortgesetzt. Dieser zweite Tag zeigte ein un gleich lebhafteres Bild als der erste. Einige Dring lichkeitsantrüge gegen sozialdemokratische Abgeordnete werden zunächst dcbattetoS genehmigt. Daun nahm Abg. Wiemer (frs. Vp.) das Wort. Ein Programm haben wir von dem neuen Kanzler nicht erwartet. Würden wir aber die Kritik an der Ver gangenheit nur der äußersten Linken überlassen, so käme dies nur dieser zugute. Von vielen Mit gliedern des Hauses wird cs als sehr befremdlich empfunden, daß der Reichskanzler bei Verlesung der Thronrede in Uniform erscheint. Bei der Zurück haltung der Krone hat ihr Ansehen gewonnen. Wir fordern weiter Mimsterverantwortsschkeit, fordern wie bisher eine preußische Wahlreform. Wir verlangen ein liberales Regiment und erstreben Zusammengehen mit den Nationalliberalen. Darauf erhob sich der inzwischen erschienene Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg: Hier kann ich nicht die gewünschte Erklärung über das preußische Wahlrecht abgeben. Es ist dies ein Gegenstand, über den ich mich nur vor dem preußi schen Landtage aussprechen werde. Auch darüber hoffe ich der Zustimmung der Mehrhclt dieses hohen Hauses sicher zu sein, wenn ich in eine Erörterung über die Kleidung der Minister bei Eröffnung des Reichs tages nicht eingehe. Abg. Bassermann hat geglaubt, aus meinen gestrigen Worten eine Kritik an der Haltung seiner Partei zu den Steuervorlagen heraushören zu müssen. Er hat insbesondere ge meint, daß ich seiner Partei den Vorwurf gemacht hätte, bei jener Gelegenheit mit ihren Überlieferungen gebrochen zu haben. Ich hoffe, der Abg. Basser mann wird sich beim Lesen meiner Worte davon überzeugen, daß er sich im Irrtum befindet. Ich habe mich absichtlich von jeder Kritik der Vergangenheit ferngehalten. Wer, lvie ich, die aus den Steuer- debatten zurückgebliebene Verbitterung für ein Übel hält, der wird keine Vorwürfe er heben, welche dieses Übel verstärken können. — Wenn ich zu Fragen der auswärtigen Politik über gehe, so sehe ich davon ab, allgemeine Betrachtungen über die Weltlage anzustellen. Ich halte es auch nicht für erforderlich, von so festgegründetcn Verhältnissen wie unsern Be ziehungen zur österreichischen Monarchie zu sprechen. Was das allgemeine Ziel unsrer Politik bildet, ist in der Thronrede ausgesprochen, dagegen geben mir einzelne Fragen, die im bisherigen Verlaufe der Debatte an mich gerichtet worden sind, Anlaß zu folgenden Bemerkungen. Zunächst das Marokko-Abkommen mit Frankreich. Wie bereits des weiteren in der Thronrede an gedeutet worden ist, hat seit seinem Abschluß ein fortgesetzter Meinungsaustausch zwischen uns und ber französischen Regierung stattgefunden, und es ist dem beiderseits gezeigten guten Willen gelungen, in wichtigen Punkten Übereinstimmung zu erzielen. Auf Grund des bisher erzielten Ergebnisses darf ich der Zuversicht Ausdruck geben, daß sich auf derselben Grundlage eine der Bedeutung der beteiligten deutschen wirtschaftlichen Interessen entsprechende Lösung, auch der noch ausstehenden Fragen, voll ziehen wird. — Den Stand der amtlichen englisch-deutsche» Beziehungen glaube ich durch die folgende Erklärung zutreffend kennzeichnen zu können. Englische Staatsmänner, Asquith, vor allem der zurzeit leitende Pre mierminister, haben in Reden der letzten Zeit die Herstellung guter Beziehungen zwischen England und Deutschland als eine wichtige Aufgabe ihrer weisen Staatskunst bezeichnet. Ich kann die Bekundung dieser Absicht und Gesinnung auch von dieser Stelle aus nur aufrichtig und aus boller Überzeugung er widern. Gegenüber dem Vertrauen, mit dem sich die Thronrede über den Bestand des Dreibundes geäußert hat, ist die Aufmerksamkeit darauf gelenkt worden, daß in Italien im Anschluß an den Besuch des Kaisers von Rußland in Racconigi Stimmen laut geworden sind, die dem Dreibund wenig freund lich waren. Ich habe indessen keine Wahrnehmungen zu machen gehabt, die irgendwie dahin gedeutet werden könnten, daß die verantwortliche Leitung der italienischen Politik den Wert der Dreibundvcrträge für Italien anders oder niedriger einschütze als bisher. Bei der Betrachtung unsres Berhältnisscö zu Russland hat die seit Jahren, so auch jetzt wieder wenig freund liche Sprache eine Rolle gespielt, die ein Teil der russischen Presse gegen Deutschland führt. Es ist nicht zu bestreiten, daß es dort ebenso wie anderwärts ge wisse Kreise gibt, die es sich zur Aufgabe zu machen scheinen, Deutschland abenteuerliche, den Weltfrieden bedrohende Absichten anzudichlen. Einen guten Dienst bei der Führung der politischen Geschäfte in Ruhe und Stetigkeit wird auch unsre Publizistik leisten, wenn sie diese Forderung auch für sich gelten läßt, und in der Erwiderung auf deutschfeindliche Treibereien und in der Kritik an der Politik andrer Staaten und an deren Staatsmännern dasjenige Maß von kühler Reserve bewahrt, das dem eigenen Kraftgefühl und der Achtung vor den Nachbar» e»tipricht. Lurch er» solches ZusEmc»« wirke» der öffentlichen Volksstimmung mit der Politik werden die Geschäfte des Landes a« besten gefördert. Staatssekretär Frhr. v. Schön: Die Mmotko- srage ist seit dem letzten Winter in ei^, ruhigeres Fahrwasser getreten. Die wirtschaftliche Seite des Abkommens gibt jedenfalls zu Klagen keinen Arelaß. Über die Grcnzregulierung im Nord westen von Deutsch-Ostafrika ist eine freundschaftliche Verständi gung erreicht. Das Reformprogramm der belgischen Regierung für den Kongostaat, die Erfüllung der i vertraglichen Rechte und Pflichten erstrebt, findet untre Unterstützung. Abg. Scheidemann (soz.): Der Reichstag hätte im Sommer nicht geschloffen werden sollen. Der Kanzler will eine Ara der Ruhe. Das deutsche Volk will aber keinen faulen Frieden mit der Rechten, sondern den Kampf. Die neuen Steuern führen viele zur Unterernährung. Welche Bundesgenossen hat der neue Reichskanzler? Hat man i« der preußischen Wahlrechtsfrage dem König von Preußen nicht offen Wortbruch zugemutet? Warum erhebt der Kanzler gegen solche Schufterei nicht Protest? Freilich, der Wortbruch ist die erhabenste Überlieferung der preußischen Geschichte. Vizepräsident Erbprinz Hohenlohe: Das dürfen Sie nicht sagen, das ist ungehörig. Ich rufe Sie zur Ordnung. Abg. Scheidemann: Das Volk mußte der preußischen Dynastie helfen. Aber das preußische Volk behielt das elende Dreiklassenwahlrecht. Das Verhalten der Konservativen war beispiellos brutal. Vizepräsident Erbprinz Hohenlohe: Ich nehme an, Sie meinen damit nicht Mitglieder des Hauses. Abg. Scheidemann: Selbstverständlich. Die bürgerlichen Parteien sind krasse Klassenparteien. Wir sind im Bunde mit der Zukunft, im Bunde mit den besten Volkskräften. Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg: Auch ich lege gegen die Abschweifung des Abg. Scheide mann in die preußische Geschichte Verwahrung ein. Ich lege gegen diese Verunglimpfung des preußischen Königtumes Verwahrung ein. Das Bewußtsein, was die preußischen Könige geleistet haben, ist viel zu fest begründet, als daß Herr Scheidemann ge eignet wäre, an diesem Bewußtsein zu rütteln. Abg. Frhr. v. Gamp (Reformp.): Nirgends wird die persönliche Freiheit so beschränkt wie in der Sozialdemokratie. Wir begrüßen die vorsichtige Aufstellung des Etats. Wir müssen uns wieder zu gemeinsamer Arbeit zusammenfinden. Nieder die Wassen I Abg. Fürst Radziwill (Pole): Unsre Halrung zur Rcichsfinanzreform war diktiert vom Gesichts punkte des kleineren Übels. Von allen Seiten greift man uns jetzt an. Auch die Regierung schützt uns nicht. Wir verlangen aber das gleiche Recht wie alle andern Staatsbürger. Wir vertrauen auf die göttliche Vorsehung. Unsre Ansprüche gehen nicht über das hinaus, was recht ist. Entschlossen ver langen wir aber das, was uns zusteht. Darauf vertagt sich das Haus. Politische Kunälckau. Deutschland. * Nach einer halbamtlichen Erklärung ent spricht das Gerücht, Kaiser Wilhelm habe kürzlich bei dem Empfange des Staatssekretärs Krätke mit diesem über seinen Rücktritt ge sprochen, nicht den Tatsachen. *Bei der Wiedereinbringung des Gesetzent wurfs betr. Beihilfen für Kriegsvete ranen soll nun auch die bisher unerledigte Deckungsfrage gelöst werden. Wie verlautet, wird dabei die Wehrsteuer wieder in den Vordergrund treten. * Den Antrag auf eine reichsgesetzliche Re gelung des Wohnungswesens wird die Regierung aller Wahrscheinlichkeit nach nicht stattgeben, da die Verhältnisse im Wohnungs wesen in den einzelnen Bundesstaaten grund verschieden sind. O sterreich-Ungar«. * Kaiser Franz Joseph hat angeordnet, daß im Falle des unter dem Verdacht des Giftmordes augeklagten Leutnants Hofrichter mit aller Strenge, aber auch mit aller Vor- urteilsfreiheit die Untersuchung geführt werde. Den Antrag der Verwandten des Verhafteten, ihn in der Haft besondere Vergünstigungen zu gewähren, lehnte der Monarch ab. Englanv. * Die Bank von England hat den Dis kont von 5 Prozent auf 4V- Prozent herab gesetzt. Oil 6m Klick in äie Zukunft. 10^ Novelle von C. Schirmer. «Fortsetzung.» Es litt Hubert nicht länger auf der Insel, wo ihn jeder Platz an sein verlorenes Glück er innerte, und schon den nächsten Tag trat er die Heimreise an. Hubert vergrub sich vollständig in seinen Bücker» und suchte Trost in den Wissen schaften. Einige kleinere Ausflüge abgerechnet, verbrachte er seine ganze Zeit fast stets in seinem Zimmer, er wurde immer abge schlossener, zog sich ganz von der Welt zurück und obgleich seine Beliebtheit bei allen, mit denen er in Berührung kam, sich darum nicht verminderte, so fing man an, ihn als Sonder ling zu betrachten und ließ ihn seinen eigenen Weg gehen. So verging längere Zeit und Hubert hatte sich endlich einmal entschlossen, sein Haupt wieder zn erheben und seinen Blick der Welt zuzurichten, die sich ihm in nächster Nähe in ihrer herrlichen Gestalt zeigte. Er beschloß, auf einem der großen, eleganten Rheindamvfer den Fluß zu bereiten und so Zerstreuung und Aus- keiierung zu suchen. In dem Schatten des Verdecks befand sich eine große Anzahl von Passagieren, und von Station zu Station ver mehrte sich die Menge der Reisenden. Hubert beachtete seine Reisegefährten fast gar nicht, sondern betrachtete ausschließlich die wunderbar schönen Ufer, die gleich einem herrlichen Pano rama an seinen Augen vorüberzogen. Seine Blicke ruhten entzückt auf den herrlichen, mit Weingeländen geschmückten Bergen, aus deren Grün hier und da eine elegante Villa, ein statt liches Schloß hervorsckaute; auf den Burgen und Ruinen, die an die Vorzeit erinnerten und alle Sagen und Erzählungen der Vergangenheit wachriefen. Von dem Siebengebirge wie mit einem Kranze umgeben, liegt in einem lieblichen Tal ein freundliches Städtchen, nur aus Villen be stehend, die inmitten wohlgepflegter Parks und Gartenanlagen anmutig zwischen dem Grün alter, hoher Bäume Hindurchschimmern. 'Bis dicht an die Ufer des Rheins ziehen sich die Gärten, und man sieht in Sommermonaten alle Wege und Plätze belebt von Spazier- aängern, so daß man sich in einem eleganten Badeorte glaubt. Das Städtchen wird auch in der Tat seiner geschützten Lage wegen als klimatischer Kurort benutzt und der Fremdenverkehr ist sehr stark. Nachdem Hubert vom Schiffe aus sein Ange gelabt und mit Entzücken die Ufer des Rheines an sich haite vorüberziehen lassen, fühlte er sein Gemüt bedeutend ruhiger, und er empfand selbst eine gewisse Freude darüber, daß sein Interesse an der Welt wieder erwachte und der Jugend mut noch einmal in ihm aufflammte. Er fühlte sich frisch und froh, als er den Fuß ans Land setzte, und nun begann er in der Nähe zu betrachten, was ihm vom Schiffe aus oft wie ein schönes Bild erschien. Mehrere Wochen verlebte er so in rmge- störtem Genüsse der Natur, machte ost größere Fußtouren nnd verweilte tagelang an Orten, wo es ihm besonders gefiel. Endlich aber beschloß er, heimzukehren; nur eine kurze Rast wollte er machen in dem Städtchen am Siebengebirge, das ihm auf der Heimreise so freundlich gewinkt hatte. Eine zusagende Wohnung war bald ge funden und Hubert gab sich voll den Ein drücken dieser herrlichen Natur hin. Schon am frühen Morgen lenkte er feine Schritte ins Freie. Noch zogen leichte Nsbelmassen um die Spitzen der Berge und verhüllten sie dem Auge des Wanderers, doch immer durchsichtiger wurde der Schleier, bis er endlich der Macht des blinkenden Tagesgestirns weichen mußte und die Sonne mit aller Pracht daS Feld be hauptete. Stundenlang streifte er umher über Berg und Tal, und erst zur Mittagszeit schlug er den Weg zu dem Städtchen wieder ein. In seiner Wohnung wechselte er nur die Kleider und ging dann nach einem Hotel, um dort zu speisen, wo eine bedeutende Anzahl von Gästen an der Table d'hote versammelt war. Der Wirt führte ihn an die Seite der Tafel, wo noch mehrere Plätze frei waren, deren einen später der Wirt selbst einnahm. Hubert bemerkte, daß ihm gegenüber drei Kuverts belegt waren, und als er unwillkürlich mehrmals hinüberblickte, reichte ihm der Wirt eine Visitenkarte, die ans dem einen Platze lag und sagte, daß er die Herr schaften schon seit gestern erwartete, sie hätten zwei Zimmer bestellt und sich bestimmt zur Mittagstafel gemeldet. Hubert hielt die Karte in der Hand, die Buchstaben tanzten vor seinen Augen, und doch las er ganz deutlich: Hauptmann von Studnitz und Frau Rosa geb. Gebert. Es war ihm nicht möglich, noch einen Bifs«» zu genießen, und es bemächtigte sich seiner eine Unruhe, daß die Gäste jeden Augenblick an- kommen könnten. Ein Zusammentreffen hier mit Rosa wäre ihm sehr peinlich gewesen, des halb stand er schnell auf, bezahlte sein Kuvert und verließ dann das Hotel. Auch der Gedanke, mit ihr an einem OÄe zn sein, war ihm unerträglich, und fast mechanisch packte er noch an demselben Tag« seine Sachen, zum Erstaunen und Bedauern seiner Wirtsleute, die sich gefreut hatten, ih» längere Zeit als Gast zu beherbergen. Alle Ruhe des Gemüts schien von Hubert gewichen, und der alte Trübsinn lagerte sich auf seine Züge. Er wollte den andern Morgen in aller Frühe aufbrechen und sich wieder vor den ! Stürmen der Welt in seine stille Klause zn ' seinen Büchern flüchten. Doch noch einmal ging er hinaus, als der Mond emporstiea und ! das freundliche Tal mit seinem silbernen Schein übergoß. Er ging bis zum Rhein hinab, in dem stch der Mond spiegelte, und so sehr fein Gemüt von andern Gedanken ergriffen war, übte doch dieser Anblick einen solchen Zauber auf ihn aus, daß er sich merklich beruhigt fühlte, j als er den Weg nach seiner Wohnung zurück einschlug.
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