Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 18.08.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-08-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190908187
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19090818
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19090818
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1909
-
Monat
1909-08
- Tag 1909-08-18
-
Monat
1909-08
-
Jahr
1909
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 18.08.1909
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Vom neuen unä vom alten preulZ. Xrlegsminister. pr. General v. Heeringen, der neue Kriegs minister, gehört zu den Personen, die sich beim Kaiser besonderer Wertschätzung erfreuen, was immer gleichbedeutend damit ist, daß diesen Personen eine sogenannte „große Zukunft" vor ausgesagt wird. Wenn auch General v. Hee- ringen niemals in größerem Maße öffentlich hervortrat, so würde er dennoch oft vom Kaiser zur Beratung wichtiger strategischer Fragen her angezogen. Kaiser Wilhelm äußerte sich z. B. vor Jahresfrist über den jetzigen Kriegsminister zu seiner Umgebung dahin, daß er ihn als einen der besten Verteidigungspraktiker ansehe. Dies ließ schon damals auf eine spätere Berufung zum Kriegsminister einen Schluß zu. In militärischen maßgebenden Kreisen ist man ferner der Ansicht, daß General v. Heeringen das in letzter Zeit schon versuchte bessere Verhältnis zwischen Militärkabinett und Kriegsministerium noch mehr zu gedeihlicher Zusammenarbeit aus bauen wird, die noch vielfach vermißt wurde. Alles in allem bedeutet die Berufung des neuen Ministers nach Ansicht hoher Militärpersonen einen glücklichen Griff. Was den scheidenden Kriegsminister Herrn v. Einem anbelangt, so kommt dessen Rücktritt durchaus nicht so überraschend, als man gemein hin anzunehmen geneigt ist. Es mag den Tat sachen entsprechen, wenn behauptet wird, daß nicht der Gesundheitszustand des Herm von Einem, sondern die Liebe zur Front den Rück tritt beschleunigt hat. Bestritten wird es aber dennoch nicht werden, daß Herr v. Einem hin sichtlich seiner Stellungnahme zum Zeppelin-Unternehmen für eine Haltung verantwortlich gezeichnet hat, die in weitesten Kreisen Befremden erregt hat. Es sei nur erinnert an die beschleunigte Ab fahrt aus Friedrichshafen, als der Ballonaufstieg infolge stürmenden Wetters aufgeschoben werden mußte, und an manche Kritik aus dem Mini sterium, die sich der Konstrukteur Zeppelin in ungewöhnlich ausgesprochenem Maße gefallen lassen mußte. Wenn auch jede Abneigung auf Seite des Ministeriums abgeleugnet wurde, so dürften doch die (sonst sehr gut unterrichteten) Stellen recht haben, die da behaupteten, Herr v. Einem fühle sich auf seinem Posten in dem Augenblicke nicht mehr wohl, in dem die Reichshauptstadt mit dem Kaiser an der Stütze dem „Z. III." und dessen Erbauer zuzujubeln im Begriffe steht, wozu ja für die nächste Zeit amtlich Termin angesetzt ist. Politische Kunälckau. Deutschland. * Kaiser Wilhelm hat an den scheiden den preuß. Kriegsminister v. Einem ein Handschreiben gerichtet, das in huldvollen Worten die Verdienste des Generals würdigt. Zum Nachfolger v. Einems wurde der Komman dierende General des 2. Armeekorps, General der Infanterie v. Heeringen ernannt. "Wie aus dem Haag gemeldet wird, er wähnte Kaiser Wilhelm bei seinem Besuch auf Schloß Middachten, daß er die Absicht gehabt hätte, mit der Kaiserin auch der Kö nigin Wilhelmina auf Het Loo einen Besuch abzustatten. Zwischen den beiden Höfen find hierüber auch Verhandlungen gepflogen worden. Besonderer Umstände halber aber — besonders kamen die beschränkten Räumlich keiten auf Schloß Het Loo in Betracht — ist der Besuch auf einen späteren Termin ver schoben worden. "Nach amtlicher Mitteilung werden an der Kaiserparade bei Cannstadt am 11. Sep tember der König von Sachsen und der österreichischeLhronfolger Erzherzog Franz Ferdinand teilnehmen. * Reichskanzler v. Bethmann-Holl weg, der dem Kaiser in Wilhelmshöhe Vortrag gehalten hat, ist nach Berlin zurück gekehrt und hat den spanischen Botschafter empfangen. * Der Antrag auf freie Eisenbahn fahrt der preuß. Landtagsabgeord neten war von diesen mit großer Mehrheit angenommen worden. Im Ministerium des Innern ist nun diese Frage bei der Vorbereitung für den nächstjährigen Etat erörtert worden. Es ist indes noch zweifelhaft, ob man dem Wunsche nachgeben wird. Man beabsichtigt vielmehr diese Frage mit einer Diätenreform zu behandeln und Freikarten für den Fall zu ge währen, daß Anwesenheitsgelder an die Stelle der bisberigen Diäten treten. Die Gewährung von Freikarten an die preuß. Abgeordneten würde einen zu bedeutenden Einnahmeausfall für den Eisenbahnfiskus bedeuten. ' * Ein Heimtransport von Schutz truppen von S ü d w e st afri ka in Stärke von 8 Offizieren und 380 Unteroffizieren und Mannschaften ist mit dem Dampfer „König" in Hamburg eingetroffen. Die Mannschaften sind zur Reserve entlassen worden. Q sterreich -Ungarn. "Die Abreise des Kaisers Franz Joseph nach Tirol erfolgt am 28. d. von Ischl aus. Am 30. d. fährt der Kaiser nach Bregenz, am 31. d. wird er eine Rundfahrt auf dem Boden see machen, dem Aufstieg des Zeppelin ballons beiwohnen und darauf dem König von Württemberg einen Besuch abstatten, worauf die Rückreise nach Wien erfolgt. Am 4. und 5. September empfängt der Monarch in Wien den Besuch des Königs von Rumänien. Schweden. "Die über den Generalstreik vor liegenden Meldungen lasten erkennen, daß die Lage im allgemeinen unverändert ist; doch ge winnt es den Anschein, als ob die Sache der Arbeiter verloren ist. In vielen Betrieben ist die Arbeit bereits wieder zu den alten Bedin gungen ausgenommen worden und in der Haupt stadt Stockholm belebt sich der Verkehr mit jedem Tage. Der Generalausstand gilt all gemein als gescheitert. Die Studenten und Universitätslehrer haben sich für den Fall des Ausbruch eines Landarbeite r- streiks in großen Mengen zur Verrichtung der dringendsten landwirtschaftlichen Arbeiten, besonders während der Ernte, gemeldet. (Die Studenten, die so schnell entschlossen sind, für die Landarbeiter einzuspringen, scheinen offenbar von der Schwere landwirtschaftlicher Arbeiten nur eine dunkle Vorstellung zu haben.) Norwegen. * Der K ö ni a von N or w e g en hat sich nach Bergen begeben, um dort am Montag die Zweite Internationale Lepra-(Aussatz-)Konferenz zu eröffnen. Die meisten Regierungen werden auf dieser Konferenz vertreten sein, Deutschland durch eine Reihe von hervorragenden wissenschaft lichen Namen. Spanien. *Der spanische Kriegsminister erklärte die in Madrid umlaufenden Gerüchte, daß neue Verstärkungen nach Marokko entsandt werden sollen, für unrichtig. Der Oberbefehls haber vor Melilla hält die ihm zur Verfügung stehenden 24 500 Mann für völlig ausreichend, um den Aufstand niederzuwerfen. Die spanische Regierung hat den Vorschlag des Sultans Muley Hafid von Marokko, daß die spanischen Truppen bei Melilla da? marokkanische Gebiet räumen und der marokkanischen Re gierung die Züchtigung der Rifkabylen über lasten sollten, abgelehnt, da sie zur Macht Muley Hafids nicht das Vertrauen hat, daß er die Stämme im Rif wirklich unterwirft. Sie will daher den Krieg fortsetzen und sich selbst Genug tuung verschaffen. Wie übrigens verlautet, haben die Kabylen an den spanischen Gesandten in Tanger zwei Boten geschickt und um die Friedensbedingungen ersucht. Nutzland. "Der Zar wird nach seiner Begegnung mit dem König Viktor E m a n u e l, die in Catanzaro (Süditalien) stattfinden soll, in Vari an Land steigen, um dort die Reliquien des Der «cne preuß. Kriegsminister General v. Heeringen. "In der Türkei steht noch immer die Kreta-Frage im Vordergründe des Inter esses. Allem Anschein nach kämpft die Regie rung in Konstantinopel gegen das jungtürkische Komitee in Saloniki, das sofort den Krieg be ginnen möchte. Unter dem Einfluß der Jung türken hat die Regierung eine neue Note an Griechenland gerichtet, in der mit aller Bestimmt heit die Abberufung der griechischen Offiziere von Kreta gefordert wird. Ein Zeichen für die Entschlossenheit der türkischen Regierung, ge gebenenfalls ihre Forderungen mit Gewalt dmchzusetzen, ist die Entsendung mehrerer Kriegsschiffe nach Kreta. Sie erhielten Befehl, von Smyrna nach Kapathos, einer nord östlich von Kreta gelegenen Insel, zu dampfen. Die Schutzmächte halten indes daran fest, in jedem Falle einen kriegerischen Ausgang des Kreta-Streites zu verhindern. Afrika. "Infolge der anhaltenden Erkrankung des Kaisers Menelik von Abessinien hat Ras Tesama, der Vormund des wahrscheinlichen Thronerben Prinzen Jeassu, Vollmacht zur Leitung der gesamten Regierungsgeschäfte er halten. Ader das Stimmrecht der Hrau. pr. Die Amerikaner sind ein praktisches Volk, so z. B. fragen sie ihre praktischen Poli tiker über die Wirkungen des Frauenstimmrechts. So urteilt Senator Warren aus Wyoming fol gendermaßen: „Ich bemerke, daß dis Presse die Tatsache zu verstehen beginnt, daß die Frauen bewegung befruchtend wirkt. Wir baben das Frauenstimmrecht in Wyoming seit 39 Jahren. Es bewährte sich gut von Anfang an und ist für uns seither etwas so natürliches geworden, daß es schwer ist, sich den Staat ohne dasselbe vorzustellen. An Hand der Praxis hat jeder Widerstand seit vielen Jahren aufgehört. Die Frauen interessieren sich und stimmen für öffent liche Angelegenheiten mit dem gleichen Verständ nis wie die Männer. Sie füllen passend die öffentlichen Ämter aus, für die sie sich eignen, und sie haben niemals versucht, solche zu er ringen, für die sie nicht befähigt sind. Das Amt der obersten Behörde für öffentlichen Unter heiligen Nikolaus zu verehren. (Bari, an der Dstküste Süditaliens gelegen, ist ein von Russen sehr besuchter Wallfahrtsort.) Balkanstaale«. "Die Gerüchte von einer nahe bevor stehenden Reise des Sultans Mohammed nach Rußland sind nicht unbegründet. Wie die ,Börs.-Ztg.' erfährt, ist die Ankunft des Sultans in Livadia aus der Halbinsel Krim für den 28. August n. St. vorgesehen, vorausgesetzt, daß nicht noch Schwierigkeiten formeller Art eintreten. In derselben Zeit werden auch der russische Ministerpräsident Stolypin und der Minister des Auswärtigen, Iswolski, in Livadia eintreffen. richt wird nun seit vielen Jahren vorzüglich durch eine Frau verwaltet. Viele der Kreis schulinspektoren, Sekretäre und Finanzbeamten find Frauen." Senator Keller aus Kolorado sagte folgender maßen: „Wir haben das Frauenstimmrecht seit 1893. Wenn die Frage heute den Wählern noch einmal vorgelegt würde, so wäre ein Widerstand kaum bemerkbar. Ich selbst trat erst dafür ein, als ich die segensreiche Wirkung in Wyoming sah. Wyomings Erfahrungen haben Kolorado zum großen Teil beeinflußt. Sowohl unsre Staats- wie Diftriktsschulbehörden find jetzt selbstverständlich immer Frauen. Frauen verwalten diese Ämter mit hervorragendem Geschick, besser als die Männer, die ihnen vorangingen. Die Frauen nützen jedoch am meisten in den Wählerversammlungen: Diese wagen es nicht, Männer von schlechtem Charakter aufzu stellen, weil sie wissen, daß die Frauen nicht für sie stimmen werden. Es wäre z. B. unmöglich, einen Mann, der übermäßig trinkt, für irgend ein Amt in unserm Staate vorzuschlagen, seit dem die Frauen wählen. Das Frauenstimm recht wirkt ebensogut in Denver mit seinen 200 000 Einwohnern, wie in den Landgebieten. Die Ordnung und der Anstand in den Wahl lokalen hat sich sehr verbessert, seitdem die Frauen dabei sind. Die Männer von Kolorado gaben den Frauen das Stimmrecht, ohne daß diese große Anstrengungen machten, es zu er langen. Wir haben gerade jetzt eine Frau in unsre gesetzgebende Körperschaft gewählt. Die Frauen haben bereits in diesen Körperschaften mit ebensoviel Verdienst und Geschick wie die Männer gearbeitet. Das Frauenstimmrecht hat bei uns keines der llbel verursacht, das die Gegner prophezeit haben." Der Abgeordnete French aus Jdahoe ge stand, daß er ein Gegner des Frauenstimmrechts war, als es 1896 von seinem Staate ange nommen wurde. Durch praktische Erfahrungen jedoch ist auch er bekehrt worden. Er meint, es habe den moralischen Ton des polifischen Lebens im ganzen Staat gehoben. 40 Prozent der Wähler sind Frauen; sie sind unabhängiger als Männer. Sie wählen die Kandidatenliste nicht so, wie sie vorgeschlagen wird, wenn sie nicht die einzelnen Kandidaten billigen; sie sind frei von jedem Parteigeist, der zuweilen Männer dazu führt, für jemand zu stimmen, dessen Leu mund schlecht ist, weit eben dieser Kandidat auf ihrer Parteiliste steht. Mr. French glaubt schließlich, daß auch Washington im nächsten Jahre das Frauenstimmrecht annehmen werde. Von und fern. Landung eines deutschen Ballons in Rußland. Von mehreren Blättern war das Gerücht verbreitet worden, drei Luftschiffer aus Deutschland seien bei ihrer Landung auf russischem Gebiet durch Kosaken erschossen worden. Nach Feststellungen des königlichen Grenzkommissariats ist diese Meldung nicht richtig. Das Grenzkommissariat teilt vielmehr mit: Der deutsche Ballon „Tschudi" der Lust schiffer-Abteilung, mit drei Insassen besetzt, über flog die Grenze bei Milowice gegenüber Laura- Hütte, wo er, nachdem die Grenzwächter einige Signalschüsse abgegeben hatten, landete. Die Insassen wurden von der Grenzwache ange halten, und, nachdem die Pässe revidiert und in Ordnung befunden waren, wieder frei- gelassen. Schwere Beschädigung des „Parse- val III." Der auf der Luftschiff-Ausstellung in Frankfurt a. M. stationierte Parseval-Ballon wird vom Unglück verfolgt. Erst kürzlich geriet er in eine heftige Luftströmung und mußte un freiwillig landen. Jetzt ist demselben Luft schiff ein ähnlicher Unfall zugestoßen. Eine ab wärts gerichtete Luftbewegung drückte ihn, als er über der Stadt Frankfurt schwebte, zu Boden. Die Ballonleitung konnte zwar noch einen freien Platz zur Landung gewinnen und die Passagiere unverletzt von Bord geben, doch ist die Ballonhülle stark beschädigt, sodaß in nächster Zeit keine weiteren Paffagierflüge ge macht werden können. A Oer Oberhof. 13) Roman von T. Wild. «ForNebimp.i Susy war gefaßt vorgetreten; da ertönte plötzlich ein kurzer, scharfer Schrei von ihren Lippen — Eva ließ erschrocken ihr Tuch von den Augen finken. Susy stand da, bleich, mü fest zusammenge preßten Lippen, in den Augen einen Ausdruck tödlicher Angst. Eva wagte einen scheuen Blick auf den Toten. Eine klaffende Stirnwunde entstellte ihn bis zur Unkenntlichkeit, das junge Mädchen wandte sich schaudernd ab und sank weinend in die Knie. Susy atmete schwer und mühsam; sie trat dicht an den Toten heran. „Otto, mein armer Otto I" flüsterte sie. Dann wechselte sie einige leise Worte mit dem Beamten, der mit achtungsvoller Teilnahme neben ihr stand. Eva hatte auf nichts acht; ein nervöses Schluchzen hatte sie erfaßt, sie mußte das Taschentuch fest auf ihre Lippen pressen, um nicht laut aufzuschreien. Nie war ihr das Grauen vor dem Tode so nahe getreten; namen lose Angst packte ihre Seele, die Furcht vor dem unnenbaren Etwas, das noch kein Mensch rrgündet hat, erfüllte ihr Inneres. Susy wandte sich zu ihr, richtete sich auf und zog sie mit sich fort. „Ich hätte dich nicht mitnehmen sollen," sagte sie bei der Rückfahrt zu ihr, .du bist viel zu nervös für solche Dinge." Eva kam heim, ohne daß sie gewußt Hütte, wie. Sie fieberte stark und sah so elend aus, daß Susy ihr zuredete, sogleich zu Bette zu gehen und der Ruhe zu pflegen. Acht Tage lang blieb Eva an ihr Bett gefesselt; sie konnte nicht einmal ihrem Bruder die letzte Ehre erweisen; Susy hatte einen Arzt geholt und dieser verbot ihr strenge jede Auf regung. Nach und nach erholte sie sich wieder, sie nahm ihre Arbeit auf, und sie mußte sehr fleißig sein, um das Versäumte nachzuholen. Diehlen war schon seit Wochen nicht ge kommen und Eva war gegen alles so gleich gültig geworden, daß sie nicht einmal nach ihm fragte. Nur langsam überwand sie das schreckliche Grauen vor dem Tode, das sie an der Leiche ihres Bruders gepackt. Auch Susy zeigte sich sehr verändert; oft war sie sehr wortkarg und finster, dann wieder begann sie allerhand tolles Zeug zu plaudern, das war aber nicht die echte, leichtsinnige Fröh lichkeit, die einen Teil ihres Sinnes ausmachte, erwas Fremdes, Kaltes lag dazwischen, es war, als wolle die junge Frau sich selbst über ihren Gemütszustand täuschen. Die heiße Zeit käm heran, alles flüchtete in Bäder und Sommerfrischen. Auch für Susy kamen die Ferien heran, doch sprach sie davon, sich einer Truppe anzu schließen, welche in kleineren Städten Vor stellungen geben wollte. Sie nahm es als selbstverständlich an, daß Eva dann in Berlin zurückblieb, und Eva erhob auch keine Einsprache dagegen. Ein wenig frische Landluft hätte ihr wohl gut getan, aber wenn auch ihre Mittel zu einem kurzen Sommeraufenlhalt in einer billigen Gegend hingereicht hätten, allein irgendwo hin zugehen fand sie doch keine rechte Freude daran. Da machte ihr eine Familie, deren Kinder sie unterrichtete, den Vorschlag, mit ihnen für einige Wochen nach Misdroy zu gehen. Sie hatte nichts zu tun, als mit den Kindern spazieren zu gehen und dieselben zeit weilig zu beaufsichtigen, da die Dame des Hauses ost kränllich war. Eva willigte um so lieber ein, als ihr unter diesen Verhältnissen Zeit genug blieb, Studien zu machen und Skizzen zu entwerfen. Sie hatte einer bekannten Verlagsbuch handlung Illustrationen zu Märchenbüchern und Jugendschriften zur Zufriedenheit geliefert, und studierte jetzt mit Vorliebe das Kinderleben, um Szenen aus demselben mit ihrem Stift fest zuhalten. Die Anregung hierzu hatte ihr der Heraus geber des .Häuslichen Ratgeber' gegeben, denn er wollte den Inhalt zu der dem Modenblatt beiliegenden Kinderzeitung mit gut ausgeführten Szenen aus dem Leben der Kleinen schmücken und hatte Eva mit diesem Auftrage betraut. Mit Feuereifer ging sie an ihr Werk, machte und sammelte Skizzen und Entwürfe, nm dann das Beste zu wählen, denn sie wollte etwas wirklich Gutes, Gediegenes liefern. Am Meeres strande, inmitten einer fröhlichen j Kinderschar, hoffte sie genug Anregung zu finden, und ohne um Susys Rat zu fragen, hatte sie freudig zugesagt, mit nach Misdroy zu gehen. Susy sah sehr zufrieden aus, als ihr Eva von ihrem Entschlusse Mitteilung machte. „Nun ja, das ist ja ein herrlicher Sommer aufenthalt für dich," meinte sie, — „ich bin froh, daß es sich so getroffen hat; denn ich muß schon künftige Woche mit einer Truppe abreisen. Mache dir nichts daraus, wenn ich dir nicht schreibe, wir werden überall nur wenige Tage bleiben, ich wüßie dir wirklich keine Adresse an zugeben, wohin du deine Antworten schicken könntest." Es traf sich, daß Eva sogar zwei Tage früher abreisen mußte als Susy. Diese war sehr freundlich zu ihr, sie nahm auch herzlichen Abschied, aber Eva batte doch die Empfindung, als ob Susy über ihre Entfernung erleichtert aufatmete. Sie war ihr eine Last, das war gewiß, und Eva erwog die Frage bei sich, ob es nicht besser wäre, sich ganz von Susy zu trennen. Sie hatte ihre Schwägerin im Verdacht, daß diese heimlich mit Diehlen zusammentraf, denn Susy blieb jetzt ungebührlich lange aus, wenn sie zur Probe ging. Diehlen war ihr in letzterer Zeit einige Mal« auf der Straße begegnet und hatte mit ihr ge sprochen ; aber seine Worte klangen so kühl höf lich, daß sie einen argen Abstand gegen seine sonstige offene, etwas ungezwungene Art bildeten. Sie fühlte es, sie stand den beiden im Wege, durch Ottos Tod war aber die letzte Schranke gefallen und Diehlen konnte sich nun offen um Susy bewerben.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)