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Allgemeiner Anzeiger : 03.04.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-04-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190904039
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19090403
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1909
-
Monat
1909-04
- Tag 1909-04-03
-
Monat
1909-04
-
Jahr
1909
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 03.04.1909
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Mrft Bülow über die äußere und innere Politik. Im Reichstage steht am 29. März auf der Tagesordnung der Etat desReichskanzlers, die auswärtige Politik. Reichskanzler Fürst Bülow: Meine Herren! Ehe ich näher auf die Entwickelung der Orient- Angelegenheiten eingehe, möchte ich kurz die Ereig nisse berühren, bei denen unsre Politik besonders be teiligt gewesen ist, seitdem ich das letztemal die Ehre hatte, mich vor diesem hohen Hause auszuchrcchen über die auswärtigen Geschäfte des Landes. Ich stelle voran den Besuch des englischen Königspaares im Februar dieses Jahres. Ich zögere nicht, diesen Besuch in seinem ganzen, äußerst harmonischen Ver laufe als ein in jeder Beziehung glückliches Begebnis zu bezeichnen. Vor allem die Worte aufrichtiger Freundschaft, die der englische König gesprochen, haben wieder bewiesen, daß das Netzwerk gmer Be ziehungen nicht so leicht zu zerreißen ist, wie sehr auch von mutwilligen Händen daran gezerrt sein mag. Die deutsch-französischen Reibungen der letzten Jahre wegen Marokko haben auch auf die sonstigen Beziehungen beider Länder zueinander und damit auf deren Verhältnis zu andern Nattonen und auf die allgemeine polnische Lage ungünstig eingewirkt. Da die praktische Bedeutung der von beiden Teilen verfochtenen und widersprechenden Auffassungen nicht im Verhältnis stand zu dem angerichteten Schaden, so war beiderseits das Bedürfnis nach Beseitigung des Gegensatzes seit einiger Zeit hervorgetreten. Das Marokko-Abkommen sichert Frankreich einen nicht unberechtigten politischen Einfluß. Deutschland aber sichert das Abkommen eine Beteiligung von Handel und Gewerbe. Es freut mich, daß der Widerspruch gegen dieses Ab kommen in beiden Ländern gering war und gegen die fast allgemeine Zustimmung nicht aufkommen konnte. Das Bewußtsein der Kulturgemeinschaft unter den großen zivilisierten Völkern hat sich im Laufe der vergangenen Jahrhunderte zu sehr gestärkt, als daß eine Politik der Schadenfreude nicht überall Schaden anrichten sollte, ohne dem eigenen Lande zu dienen. Für ganz verfehlt halte ich die Berufung auf den Fürsten Bismarck. Wir wissen alle, daß Fürst Bismarck es als nützlich betrachtete, wenn Frankreich seine Kraft in kolonialen Unternehmungen betätigte. Es ist behauptet worden, als wäre ich anfänglich unsicher gewesen wegen der Haltung, die wir einzunehmen hätten gegenüber der Annexion von Bosnien und der Herzegowina. Es ist sogar versucht worden, mich bei unserm österreichisch-ungarischen Bundesgenossen als schwan kend, bedenklich und bertrauensunwürdig zu denun zieren. Da es sich hier um eine Legende handelt, die unsre intimsten Bundesbeziehungen berührt, so glaube ich, daß diese Legende gar nicht kräftig genug zerstört werden kann. Die österreichisch - ungarische Zirkularnote wegen der Annexion ist uns am 7. Oktober vorigen Jahres übergeben worden. Am Tage vorher war auf meine Weisung der Kaiserliche Botschafter in Wien dahin instruiert worden: ich legte besonderen Wert darauf, daß man hinsichtlich der Annsxionssrage volle Sicherheit über unsre zu verlässige Haltung habe. Es sei das für uns ein Erfordernis selbstverständlicher Loyalität und es ent spreche das dem Bündnis mit Österreich-Ungarn, dem Europa zum größen Teil einen dreißigjährigen Frieden verdanke. Zu der Zeit schrieb ich nach London, daß wir einerseits für die Reformbewegung Sympathie hätten, und daß wir anderseits unsern treuen Bundesgenossen in seiner schwierigen Lage nicht im Stich lassen würden. Am 13. Oktober schrieb ich weiter nach London, daß Osterreich-Ungarn die bosnische Frage auf einer Konferenz nicht ohne weiteres zulassen könne, und daß wir unserm Verbündeten in dieser Auffassung zur Seite ständen. Am selben Tage ließ ich eine Instruktion nach Wien gehen, aus der ich ab schließend noch einen kurzen Passus mitteilen möchte. Ich schrieb an unsern Botschafter in Wien: „Ich halte gestern Gelegenheit zu einer längeren Aus sprache mit Sr. Majestät dem Kaiser und König und bin in der, Lage, zu sagen, daß Se. Majestät vollkommen den Standpunkt billigt und teilt, den ich seither eingenommen habe, daß der feste Wille in Erfüllung unsrer Bundespflicht vorhanden ist, an der Seite unsres Verbündeten zu stehen und zu bleiben. Auch für den Fall, daß Schwierigkeiten und Kom plikationen entstehen sollten, wird unser Verbündeter auf uns rechnen können. Se. Majestät, dessen ver ehrungsvolle Freundschaft für den Kaiser Franz Joseph bekannt ist, steht in unerschütterlicher Treue zu seinem erhabenen Verbündeten". Man hat darüber geklagt, daß wir uns dadurch unnötigerweise in Ge fahren begeben hätten. Es wird als Msmarcksche Ansicht hingestellt, daß wir in der Balkankrisis jede Stellungnahme hätten vermeiden sollen. Ich be ¬ haupte, daß eine solche Laodicäer- (schwächliche) Politik vom Fürsten Bismarck verworfen worden wäre. In seiner unsterblichen Rede vom 6. Februar 1880 sagte Fürst Bismarck: Ein Staat, wie^Oflcrreich- Ungarn, wird dadurch, daß man ihn im Steche läßt, entfremdet, und wird geneigt werden, dem die Hand zu bieten, der seinerseits der Gegner eines unzuver lässigen Freundes gewesen ist. Nicht in der Aus sicht auf irgend einen handfesten territorialen oder wirtschaftlichen Gewinn liegt unser Interesse; unser- eigenes und eigentliches Interesse liegt in der Sttuation. Glauben Sie wirklich, daß wir irgend einen neuen Freund gewonnen, irgend einen Ersatz gefunden hätten für ein durch dreißig Jahre be währtes Bündnis, wenn wir die Probe auf unsre Treue nicht bestanden hätten? Nicht aus Furcht etwa, den Anschluß an andre Mächte nicht zu finden. Wir würden uns, meine Herren, sehr bald wohl diesmal ohne Osterreich-Ungarn derselben Mächtegruppierung gegenüber gesehen haben, der Osterreich-Ungarn hätte weichen müssen. Ich habe ein höhnisches Wort gelesen über unsre „Vasallen schaft gegenüber Osterreich-Ungarn". Das Wort ist einfältig. Es gibt keinen Streit über den Vortritt wie zwischen den Königinnen im Nibelungenliede, aber die Nibelungen-Treue wollen wir aus unserm Verhältnis zu Osterreich-Ungarn nicht ausschallen. Den serbischen Forderungen steht kein Rechtsanspruch zur Seite. Wenn es nun auch ein unerträglicher Gedanke sein mag, daß der europäische Friede wegen Serbien gefährdet werden soll, so ist doch kein Grund vorhanden, an Oster reich-Ungarn oder die Türkei die Zumutung zu stellen, unberechtigten serbischen Ansprüchen nachzu geben. Aus diesen Ansprüchen kann kein Krieg, geschweige denn ein Weltbrand werden. Ich habe aber die feste Zuversicht, daß das Friedensbedürfnis in Europa stark genug sein wird, um einen solchen Weltbrand zu verhüten. Unsre Haltung gegenüver der Konferenzfrage hat sich nicht geändert. Wir haben nach wie vor keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine solche Konferenz, vorausgesetzt, daß alle europäischen Mächte an ihr teilnehmen und daß das Konfercnzprogramm vorher genau festgesetzt und fest umgrenzt wird, denn wir wünschen, daß die Konferenzberaiungen nicht a!s Aufregungs mittel, sondern als Beruhigungsmittel wirken. Ebenso wenig sind wir dafür zu haben, daß an Osterreich- Ungarn Zumutungen gestellt werden, die unverein bar wären mit der Würde der habsburgischen Monarchie. Unsre eigene Geschichte mahnt uns zur Vorsicht auch auf dem Gebiete der ehrlichen Makler tätigkeit. Wem schwebte hier nicht als großartiges Beispiel der Berliner Kongreß vor! Die Unzu friedenheit der Streitenden richtete sich nach dem Kongreß noch mehr gegen uns als gegen dm bis herigen Gegner. Die Scherben aller enttäuschten Hoffnungen wurden gegen uns geschleudert. Mit dieser Erfahrung vor Augen, haben wir uns die Linie für unsre Orientpolitik vorgezeichnet. Wir wahren unsre eigenen Interessen und stehen treu zu Osterreich-Ungarn. Das ist, um das auch in diesem Zusammenhangs zu wiederholen, identisch. Indem wir fest zu Osterreich-Ungarn stehen, sichern wir am besten unsre eignen Inter essen. Und damit tragen wir auch am meisten bei zur Erhaltung des Friedens, des europäischen Friedens, dessen Wahrung aufrichtig gewünscht wird von diesem hohen Hause und vom deutschen Volke. Den Ausführungen des Reichskanzlers, die mit lebhaftem Beifall ausgenommen werden, folgt die Rede des Äbg. Frhrn. v. Hertling (Zentr.), der das Zustandekommen des Abkommens mit Frankreich freudig begrüßt und auch das Verhalten der Regie rung in der Anncxionsfrage als korrekt bezeichnet. Auch Abg. Graf Kanitz (kons.) gibt seiner Freude darüber Ausdruck, daß der österreichisch serbische Krieg vermieden sei. Abg. Bassermann (nat.-lib.) billigt die Unter stützung Österreichs und betont, ohne das starke deutsche Heer wäre es jetzt zu einem europäischen Kriege gekommen. Abg. Ledebour ftsoz.) hält die Aufklärung des Reichskanzlers über unsre Beziehungen zu Eng land für ungenügend und stellt als den alleinigen Feind der deutschen und der englischen Arbeiter die Kapitalisten hin. Abg. Prinz zu Hohenlohe ffreikons.) begrüßt, daß sich gegenüber den Balkanwirren das Bündnis mit Österreich wieder als starkes Bollwerk des Friedens bewährt habe. - Abg. Liebermann v. Sonnenberg (wirtsch. Vgg.) bezeichnet das Verhalten gegenüber Österreich als klug und erfolgreich. Reichskanzler Fürst v. Bülow: Uber- die deutsch-englischen Beziehungen habe ich noch zu er klären: Niemals ist von England ein Vorschlag ge macht worden, der als Basis für amtliche Verhand lungen hätte dienen können. Durch unsern Flotten bau wollen wir nicht mit England in Wettbewerb treten. Unsre Flotte ist bestimmt zum Schutz unsrer Küsten und unsers Handels, und unser Flottenbau ist festgelegt durch das Flottengesetz. Zu dem Ab rüstungsgedanken verweise ich auf meine früheren Erklärungen. Über unsre innerdeutschen Verhältnisse diskutieren wir nicht mit dem Auslande. Die meisten Konflikte sind nicht hervorgerufen durch Ehrgeiz der Fürsten, sondern durch die Leidenschaft der Völker. Die Zeit der Kabinettskriege ist vorüber. Um so mehr sollen die Parlamente die Friedenspolitik der Regie rungen unterstützen. Am 30. März wird die allgemeine Besprechung des Etats des Reichskanzlers bei der inneren Politik fortgesetzt. Abg. Bassermann (nat.-lib.): Der zweite Tag dieser Aussprache ist der Reichsfinanzresorm ge widmet, über deren Notwendigkeit allseitige Überein stimmung herrscht. Die Aufgaben der Landesvertei digung dürfen nicht notleiden, die soziale Gesetz gebung verlangt Opfer und ein finanzstarkes Deutsch land ist ein Friedenshort. Die Finanzreform darf kein Flickwerr sein. Eine Reform, die sich auf eine Erhöhung der Matri- kularbeiträge stützt, muß abgelehnt werden. Der Besitz aber darf nicht steuerfrei bleiben, wollen wir nicht selbst Wasser auf die sozialdemokratischen Mühlen treiben. Deshalb erachtet die weitaus größte Mehrheit der nationalliberalen Fraktion den Ausbau der Reichserbschaftssteuer und ihre Aus dehnung auf die Deszendenten für unumgänglich. Geht aber der jetzige Block entzwei, dann muß der Liberalismus auf eigenen Füßen stehen. Aber hier ist die feste Haltung der Regierung die Garantie des Erfolges, selbst wenn ein Appell an das Volk nötig wäre. Der Block bedeutet manchen Verzicht links und rechts. In der auswärtigen Politik hat Fürst Bülow jetzt einen großen Erfolg errungen. Möge ihm jetzt auch die Lösung der Reichsfinanzresorm gelingen. Abg. Wiemer (frs. Vp.): Die Reichsfinanz reform ist notwendig. Unsre Zustimmung zu neuen Konsumsteuern hat zur Voraussetzung, daß eine all gemeine Besitzsteuer eingeführt wird. Jetzt stehen alle Liberalen zusammen. Die Notwendigkeit und Möglichkeit einer Mehrheit von Bebel bis Bassermann will auch mir nicht in den Sinn. Hoffentlich wird sich die Mehrheit der konservativen Partei für die Nach- laßsteuer erklären. Die Tätigkeit des Bundes der Landwirte ist hier schädlich und unheilvoll. Die Agrardemagogis im Zirkusch Busch ist geradezu ein Krebsschaden der inneren Politik. Abg. Frhr. v. Nichthofen (kons.): Wir ver stehen nicht, wie Wiemer den Block festigen will, in dem er die Rechte angreift. Wir wollen die Finanz reform fördern und haben alles getan, um eine Verschleppung zu verhüten. Zu Konzessionen haben wir auch hier uns bereit gezeigt. Hat doch Müller-Miningen offen ausgesprochen, der Grund gedanke des Besitzsteuerkompromisses liege in der Richtung der Liberalen. Wir waren auch bereit, 100 Millionen Besitzsteuern zu bewilligen, wenn wir auch glauben, daß die Nachlasteuer in der Versenkung verschwunden ist. Wir haben auch indirekte Steuern bewilligt, während die Linke so ziemlich alle in direkten Hteuern ablehnte. Abg. David (soz.): Wir kommen erst zu ge sunden Zuständen, wenn die Kosten sür Heer und Marine ausschließlich von den Besitzenden getragen werden. Darum schlagen wir eine Steuer auf die Luxuseinkommen und Luxusvermögen vor. Die Nachlaßsteuer wird nur bekämpft, weil sie die Steuer hinterziehungen aufdecken würde. Hier hätte der Kanzler in uns einen zuverlässigen Bundesgenossen gefunden. Der Kanzler kennt noch nicht die Psycho logie der Agrarier. Den einzelstaatlichen Regierungen gebührt Dank, daß sie in Sachen der Nachlaßsteuer sestgcblicben sind. Die .Korrespondenz des Bundes der Landwirte' kündigt jetzt dem Kanzler sogar die bereits vereinbarte Grabschrift. Ob der Block schon tot ist, wer will es sagen? Er röchelt noch! Viel leicht weckt ihn Bülow noch einmal zum Leben. Den Sieg wird erringen, wer den Kaiser für sich gewinnt. Aber das zeigt die ganze Schwäche und Korruptheit des ganzen Regierungssystems. Abg. Fürst zu Hatzfeld (freikons.): Eine ein seitige Jnteressenpolitik, auch eine einseitig agrarische Politik darf hier nicht getrieben werden. Einer Ausdehnung der Erbschaftssteuer auf Kinder und Ehegatten stimmen wir in der Mehrheit zu. Aber das Zustandekommen der Reichsfinanzresorm darf nicht in Frage gestellt werden. Dazu sollten alle bürgerlichen Parteien zusatnmenstehen. Abg. Liebermann von Sonnenberg (wirtsch. Vgg.): Auch wir wollen neue indirekte Steuern nur bewilligen, wenn eine Vermögens steuer vorgesehen wird. Obwohl wir gegen die Nachlaßsteuer in ihrer jetzigen Gestalt Bedenken haben, sind wir bereit, an der Gestattung einer Erbanfallsteuer mitzuarbeiten. Die Abgg. Haußmann (südd. Vp.) und Zimmermann (Reformp.) äußern sich im Sinne des Abg. Wiemer. Abg. Götz v. Olenhusen (Welfe) wirft dem Reichskanzler vor, er habe den Kaiser in den Novembcrtagen nicht genügend in Schutz genommen. Da lobe ich mir doch Herrn v. Oldenburg. Reichskanzler Fürst v. Bülow: Der Vor redner wagt meine Königstrcue anzuzweifeln. Es wäre lächerlich, wollte ich mich gegen den Angriff von dieser Seite wehren. Hier ist Richter nur der Kaiser und mein Gewissen. So lange das Haus Hannover nicht den gegenwärtigen Territorialbestand anerkennt, kann Preußen ihm nicht entgegenkommen. Im Deutschen Reiche müssen klare Besitzverhältnisse herrschen. Abg. David meinte, ich führe einen Kampf um mein Amt. Davon ist nicht die Rede. Ich bleibe, so lange mir das Vertrauen des Kaisers zur Seite steht und das mit meinem Gewissen erträglich ist. Mit der Kamarilla sollte man endlich aufhören. Je stärker der Reichskanzler ist, um so stärker schwillt der Chor der Rache an; aber unser Kaiser ist ein viel zu gerader Charakter, als daß solche Machen schaften aut ihn den geringsten Eindruck macheu könnten. Zur Bekämpfung der Sozialdemokratie halte ich zurzeit die bestehenden Gesetze für aus reichend. Werden aber die nationalen Gefühle des deutschen Volkes weiter verletzt, so werden die bürger lichen Parteien gemeinsam mit der Regierung über legen, ob weitere gesetzliche Mittel nötig sind. Nun die Besitzsteuer. Mir wurde vorgeworfen, ich fei in der Besitzstcuerfrage umgefallen. Mit dem Worte „Umfallen" sollten wir doch vorsichtig sein. Ich denke garnicht daran, hier wieder ein Saulus zu werden. Man sagt, wir hätten nur nicht den Mut, genug indirekte Steuern zu fordern. Andre Länder mögen mehr indirekte Steuern haben. Aber ein andrer Weg ist für eine pflichtbewußte deutsche Regierung hier nicht möglich. Wir bleiben dabei, daß ein er heblicher Teil der neuen Steuern vom Besitz erhoben werden muß. In welcher Form, darüber streiten wir uns schon seit Monaten. Die Regierung hält hier nach wie vor die Nachlaßsteuer für den besten Ausweg. Gewiß lassen sich gegen sie Bedenten geltend machen. Aber diese Bedenken lassen sich mildern und befestigen. Nun der Block. Hauß mann, dessen scharfe Angriffe ich bedauere, betrachtet den Block bereits als Leiche. Die Gegensätze zwischen konservativer und liberaler Anschauung kenne ich. Aber der Block wurzelt so tief im Lande, daß er nicht durch vorübergehende Schwierigkeiten erstickt werden darf. Der Block wird in dieser oder jener Weise wieder aufleben und uns alle überleben. Das Land empfindet es als nationalen Mißstand, daß die Reichsfinanzresorm nicht vorwärts kommt. Wir verlangen von diesem Hause klare Entscheidung über die Reichsfinanzreform und noch in dieser Session. Die Parteien wollen alle rein dastehen, in Wirklichkeit sind sie allzumal Sünder. Die kleinen Gesichtspunkte müßen zurück treten, ebenso egoistische Bestrebungen von Interessen gruppen. Die Finanzreform muß schnell und in bollem Umfange gelöst werden. Beweisen Sic, daß Sie imstande sind, die große Aufgabe zu lösen. Abg. v. Oldenburg (kons.) wendet sich lebhaft gegen die Angriffe der Abgg. Wiemer und Hauß mann auf die Konservativen und „Agrar-Demagogen". Der Bund der Landwirte lehne gar nicht die Besitz besteuerung ab, er wolle sogar viel mehr geben, als voraeschlagen werde. Abg. M ommsen (frs. Vgg.): Wenn die Kon servativen mit dem Bund der Landwirte bei der Auffassung beharren, die uns soeben Herr v. Olden burg vorgetragen hat, dann seien Sie versichert, daß die Finanzreform unsre Zustimmung nicht findet. Der Titel „Reichskanzler" wird bewilligt, ebenso der Rest dieses Etats. Das Haus vertagt sich. - Das 6näe äer Salkankrile. *Die Balkankrise kann nunmehr in der Hauptsache als beendet gelten. Das einmütige Zusammenwirken der Mächte hat Serbien überzeugt, daß es mit seinen An sprüchen keinerlei Erfolg haben kann. Es rüstet also ab, erkennt die Einverleibung Bos niens und derHerzegowina an und ver- spricht, mit Osterreich-Ungarn in gutem Einver nehmen zu leben. Die russischen Blätter sind über diesen diplomatischen Zusammenbruch äußerst aufgebracht und greifen die Regierung an, in dem sie Rußlands Nachgeben ein diplomatisches Tsuschima nennen. (Bei Tsuschima wurde Rußlands Flotte von Japan zerstört.) Wie verlautet, hat man in Serbien und in Österreich bereits mit der Ab rüstung begonnen und die wirtschaftlichen Verhandlungen wieder ausgenommen. A Nemesis. 34 j Kriminalroman von E. Görbitz. (Fortsetzung.) Die dem Schloß zunächst gelegenen Park anlagen prangten nach Sonnenuntergang in der magischen Beleuchtung chinesischer Ballons, die man an den Zweigen der Bäume und Sträucher befestigt hatte. Eine große Rasenfläche war mit Brettern belegt worden und diente als Tanzplatz. Neben dem Schloßportal ließ ein für diesen Festabend dort aufgestelltes Orchester lustige Tanzweisen ertönen. Das Wetter begünstigte diese Festseier. Der Vollmond war als goldglänzende Scheibe im Osten aus dem Meer aufgetaucht und vereinte sein magisches Licht mit dem der farbigen Ballons und bunten Glühlampen. Dazu waren sämtliche Fenster des Schlosses illuminiert. Hunderte von Wachskerzen brannten auf den Kronleuchtern in den Festsälen des ersten Stockwerks, während die Notenblätter der Musiker auf dem Orchester durch in offenen Glasglocken aufgestellte Windlichter be leuchtet waren. Das Dach des Schlosses Grödenitz krönten Becken mit brennenden Pechfackeln. Überall ein Meer von Licht und Glanz. Vom Orchester ertönten jetzt die Klänge emer Quadrille, nach deren Takt die Herren und Damen der vornehmsten Gesellschaft die verschlungenen Touren eines Kontertanzes aus führten. Eva, in einer reizenden Toilette von rosa Seide, in der zweifelhaften künstlichen Beleuchtung, scheinbar wie eine Rose blühend, tanzte an der Hand ihres Verlobten, der, sobald die wechsel reichen Touren des Tanzes eine kurze Pause gestatteten, ihr zärtliche Schmeicheleien in das Ohr flüsterte. Geduldig, mit einem flüchtigen Lächeln, hörte sie dieselben an, sie hatte sogar ab und zu ein höfliches Wort der Erwiderung für den Verlobten. Heute, dem letzten Wend ihres Lebens, entzog sie sich ihm nicht wie bisher. Robert schwelgte in einem Gefühl stolzen Triumphes. Er nahm Evas Freundlichkeit für ein Zeichen, daß sie ihren Widerstand gegen ihn freiwillig aufgeben wollte, während diese Freund lichkeit bei ihr nur aus vollständiger Apathie entstand. Sie hatte mit dem Irdischen abge schlossen; es haftete schon etwas Verklärtes an ihr, das ihr die Kraft gab, selbst dem Manne zuzulächeln, der seine Macht als Maforatsherr gegen sie so furchtbar gemißbraucht hatte. In einiger Entfernung von dem Tanzplatz hatte man von einem Baum zum andern Schnüre gezogen, hinter denen die meisten der Dorfbewohner und mehrere Fabrikarbeiter standen, die herbeigeeilt waren, um die Pracht des Festes anzustaunen. Der Schlußakkord der Musik, nach dem die Quadrille getanzt worden war, verhallte. Die Tanzenden eilten in bunter Unordnung von dem Rasenplatz und mischten sich unter die älteren Herrschaften, die aus den Lauben und von der Höhe einer für diesen Abend errichteten Tribüne dem Tanze zugesehen hatten. Leonhard, der als Haushofmeister die Arrangements des Festes entworfen und deren Ausführung nun überwachte, gab mit der Hand ein Zeichen, worauf Bediente in großer Gala von den am Schloßportal aufgestellten Büfetts herbeieilten und Erfrischungen aller Art darboten. In größerer Entfernung vom Schloß, dort wo die Gartenanlagen allmählich in das Dickicht des Waldes übergingen, nahm der Gesamteindruck der Beleuchtung zwar ab, vergrößerte aber im einzelnen seine Effekte; die Haselnußhecken und die dicht stehenden Stämme der Eichen und Buchen warfen ihre Schatten und nur stellen weise brach hier das Licht sich Bahn, die ver schiedenen Zweige in phantastischer Form er scheinen lassend. Im Dunkel dieser Waldregion, an einen Eichenstamm gelehnt, stand mit verschränkten Armen ein Mann und schaute bewegungslos nach dem erleuchteten Schloßgarten hinüber. Da der Waldboden hier fast zum Kulm hincmstieg, konnte der einsame Lauscher von seinem erhöhten Standpunkt über die wie eine Mauer stehenden Zuschauer hinweablicken. Seinen scharfen Augen war keiner der Vorgänge auf dem Tanz platze entgangen. Es war Werner, der hier von fern jede Be wegung Evas beobachtete. Plötzlich trat er einen Schritt vor, als ob er sich den Landleuten nähern wollte, aber so gleich blieb er wieder stehen. „Es wäre ein zu verhängnisvolles Wage stück," murmelle er leift, „ich würde unter den Leuien keinen sicheren Boten finden!" In Träumerei versunken, verharrte er wieder mehrere Minuten unbeweglich aus derselben Stelle. Dann fuhr er auf; die hastige Be wegung, mit der er einige Blätter von dem, nächsten Haselbusch abstreifte, bewies zur Ge nüge, daß die in seiner Haltung ausgeprägte Ruhe nur eine äußere war. „Die Zeit verrinnt immer mehr," dachte er. „gelingt es mir nicht bald, sie zu sprechen, wird es ganz unmöglich werden; sind sie erst in das Schloß zurückgekehrt, ist mir jede Gelegenheit genommen, in ihre Nähe zu gelangen, und doch muß es geschehen." Seine Finger krampften sich zusammen, ein schwerer Seufzer entrang sich seinen Lippei^ dann ging er entschlossen seitwärts dem Ab hange zu, an dem der Fußweg aus dem Schloß garten nach dem Pavillon auf dem Kulm hinauf führte, wo er einst mit Eva den Schwur ewiger Treue ausgetauscht und wo später die Begeg nung zwischen Frau von Bettini und dem Majoratsherrn und seinen Gästen stattgefunden hatte. Werner wollte von der Seeseite in den Schloßgarten eiittreten, um zu versuchen, im Festtrubel unbemerkt bis in die Nähe Evas zu gelangen. Er mußte sie noch heute sprechen und hatte schon einen Borwand bereit, seine Anwesenheit zu erklären, wenn er von dem Majoratsherrn oder dem gräflichen Ehepaare bemerkt werden sollte. Und der Zufall war ihm günstig. Er traf Eva zwar nicht allein, aber sie ward seiner plötzlich ansichtig, als sie, an der Seite ihres Verlobten, von einer Schar Gäste umringt deren Huldigungen entgegennahm. Werner machte ihr ein Zeichen, indem er die .Hand erhob und nach der Seesette zeigte. Dann war er wieder verschwunden.
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