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Allgemeiner Anzeiger : 24.02.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-02-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190902247
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1909
-
Monat
1909-02
- Tag 1909-02-24
-
Monat
1909-02
-
Jahr
1909
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 24.02.1909
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^LnäwirtsckLftsrrt unck Keiedskman^reform Der in Berlin tagende Deutsche Land wirtschaftsrat hat einstimmig folgenden Antrag zur R ei ch s fi n a n zr eform ange nommen: Die Landwirtschaft ist bereit, in gleichem Maße wie alle andern Erwerbsstände erhöhte Lasten zur Gesundung der Reichsfinanzen auf sich zu nehmen, indessen dürfe die Tatsache nicht unbeachtet bleiben, daß in der glänzenden Wirtschaftsperiode der letzten Jahrzehnte die Landwirtschaft um ihre Existenz schwer gerungen, und daß das im Handel und in der Industrie angelegte Kapital aus dem wirtschaftlichen Auf schwung Deutschlands größeren Vorteil als das in der Landwirtschaft angelegte bezogen habe. „Von diesem Standpunkt aus find für die deutsche Landwirtschaft die Entwürfe eines N a ch l a ß st eu er g es etz es und des Gesetzes über das Erbrecht des Staates un annehmbar, weil dieselben nicht angemessene Rücksicht auf dre Eigenart der landwirtschaft lichen Produktion und ihre geringe Ertrag fähigkeit gegenüber dem Handel und der Industrie nehmen, weil dieselbe ferner nicht genügend die Gewährleistung des Eigentums, die Erhaltung des Besitzes in der Familie, die Stetigkeit des ländlichen Grundbesitzes und die politische und soziale Bedeutung der Werkfort setzung beachte und damit die segensreiche Wir kung der geplanten Maßnahmen aus dem Ge biete des Erbrechts und der Entschuldung in Frage stelle. Mit den übrigen Steuervorlagen erklärt sich der Deutsche Landwirtschaftsrat grundsätzlich einverstanden, mit der Wein steuer jedoch nur unter der Voraussetzung, daß es gelingt, eine Form zu finden, durch die die Steuer völlig auf den Verbraucher ab gewälzt wird und nicht der ohnehin schon schwer um seine Existenz ringende Weinbauer belastet wird." Von unä fern. Die Mefferattentate auf Frauen und Mädchen in Berlin und den Vororten scheinen dank der umfangreichen Vorsichtsmaßregeln der Polizeibehörden, sowie privater Personen, wie Hausbesitzer usw., endlich nachlassen zu wollen. Vom Donnerstag sind nur zwei Fälle zu melden. Die Tochter eines Groß- bankiers, die mit ihrer Erzieherin durch die Magdeburger Straße ging, erhielt von einem unbekannten Täter einen Stich. Außerdem wurde ihr das Kleid beschädigt. Der Täter ist wieder entkommen. Ferner erhielt in der Landshuter Straße in Schöneberg ein Fräulein v. P. von einem etwa 15 Jahre alten Bengel, der ihr begegnete und ein Paket in rosafarbenem Papier trug, einen Schlag vor die Kniegegend. Zu spät bemerkte fie, daß ihr schwarzes Kleid einen 18 Zentimeter langen Schnitt erhalten hatte. Der Täter war unterdes entkommen. — Bisher waren 23 SLechereien auf Frauen und Mädchen gemeldet worden. Die 50 Personen, die umer dem Verdacht der Täterschaft, ange halten und festgenommen wurden, mußten von der Kriminalpolizei alle wieder entlassen werden. Als ein gutes Mittel zur Ermittelung der Täter empfiehlt der Chef der Kriminalpolizei den Frauen und Mädchen, eine kleine Tüte Mehl mit sich zu tragen und hiermit den An greifer zu bestreuen. Es kennzeichnet den Täter genügend und ist harmlos, wenn es einmal einem Unschuldigen in die Augen geworfen werden sollte. s Zum Schutz der Backwaren vor schlechten Gerüchen wünscht Ler Verband Deutscher Bäckerinnungen in Berlin den Erlaß von Bestimmungen, die das gleichzeitige Feil- Hallen von Backwaren und aydern Gegenständen unmöglich machen. Es wird 'in der Begründung daraus hingewiesen, daß durch das Verkaufen der Backwaren in den Geschäften mit Pelloleum, Heringen, Käse usw. die Backwaren die schlechten Gerüche annehmen und dadurch minderwertig werden. Der Verband verlangt, daß der Ver kauf von Brot und Backwaren in solchen Ge schäften, die derartige Artikel 'eilhalten, entweder graphisch an die französische Regierung gewandt und um Festnahme ihrer Söhne gebeten. An gehörige der hoffnungsvollen Sprößlinge haben sich nach Toulon begeben, um fie dort in Emp fang zu nehmen und wieder nach der Heimat zurückzubringen. X Ein weiblicher Schmiedemeister. An dem Buchführungskursus für Handwerker in der Handwerkerschule in Bernburg beteiligte sich u. a. auch ein „Fräulein Schmiedegefelle". Diese Dame, Fräulein Pautine Sonntag aus Ballenstedt, hat vor einiger Zeit ihr Examen als Geselle abgelegt und loill es nun zum Schmiedemeister bringen. Auf der Unglücksgrube in West- Stanley (England), wo infolge einer Explosion über 300 Bergleute verschüttet wurden, spielten sich herzzerreißende Szenen bei der Feststellung der an die Oberfläche geschafften Leichen durcy die Angehörigen ab. Viele Leichen sind so ent stellt, daß man sie nicht erkennen kann. Die Arbeit zur Bergung der noch in der Grube be findlichen Toten dauert fort. Die Mitglieder der Rettungskorps berichten, daß sich ihnen unten im Schacht grauenhafte Schauspiele dar- boten. Die Leichen in den Wagengängen sind furchtbar verbrannt. Ein großer Teil der Berg leute scheint übrigens giftigen Gasen erlegen zu sein. Der Leiter des Hospizes vom kleinen St. Bernhard, Abds Pierre Chanboux, ist, wie oer „Bert. Lok.-Anz.' berichtet, dieser Tags gestorben und wurde unter großer Beteiligung seiner Freunde und Verehrer in dem Dorfe ganz verboten wird oder daß er in geirenr^n Räumen zu erfolgen hat. Eine elektrische Vollbahn durchs Ruhrgebiet. Eine Vereinigung, bestehend aus den Verwaltungen der Städte Dortmund, Bochum, Essen, Mülheim (Ruhr), Duisburg, Düsseldorf und der Landlleise Dortmund und Bochum richtete an den Eisenbahnminister eine Eingabe auf Konzessionserteilung für eine den Jndustriebezirk durchquerende elektrische Voll spurbahn Dortmund—Düsseldorf. Die Kosten werden gegen hundert Millionen betragen. Es ist eine Geschwindigkeit von 120 Kilometer in der Stunde vorgesehen. Die Bahnlänge beträgt 75 Kilometer, davon sind 15 unterirdisch, ein andrer Teil wird Hochbahn. In Frankreich angehalten wurden zwei jugendliche deutsche Abenteurer, nämlich die 15- bezw. 16jährigen Erwin L. und Heinrich H. aus Woltorf bei Peine, Söhne wohlhabender dortiger Familien. Sie hatten vor kurzem das elterliche Haus mit dem Vorsatze heimlich ver lassen, sich bei der französischen Fremdenlegion anwerben zu lassen. Auf der Durchreise in Toulon wurde aber ihrem abenteuerlichen Plane ein schnelles Ende bereitet. Die Eltern der Burschen hatten sich nämlich inzwischen tele La Thuils, an der italienischen Grenze, bei gesetzt. Chanoux, der das Hospiz 50 Jahre geleitet hat, erreichte ein Alter von 81 Jahren. Jedem, der den berühmten Paß überschritten hat, war der Einsiedler mit dem langen weißen Bart bekannt, der sein ganzes Leben dem Studium der Alpenwelt widmete und in un ermüdlichem Eifer eine reiche Bibliothek von Werken über das ihm so lieb gewordene Ge birge gesammelt hat. In der Nähe des Hospizes liegt der von ihm im Jahre 18S7 ein geweihte unk nach ihm benannte Garten La Chanousia, in dem er mit unendlichen Schwierig keiten die seltensten Gebirgspflanzen aus allen Testen der Welt gesammelt hat. In seinem Testament hatte er den Wunsch ausgesprochen, auf dem kleinen St. Bernhard begraben zu werden, dort, wo der Blick nach Frankreich und Italien, nach dem Montblanc, dem Hospiz und seinem Garten schweifen kann. Seine Bitte wurde ihm erfüllt, er ruht im frischen Schnee des majestätischen Hochgebirges. Ei» sehr gefährlicher Brand brach morgens am Brüsseler Hafen aus. Mehrere umfangreiche Fouragemagazine am Holzkai gingen in Flammen auf. Die gesamte Brüsseler Feuerwehr wurde alarmiert. Die umliegenden Der flug brbsloeks über äie Alpen. Die Mitglieder des Berliner Vereins für Luft schiffahrt, Oskar Erbslaeh, Theodor Grüneberg und Friedrich Reimann, haben jüngst von St. Moritz aus eine tollkühne Ballonfahrt über die Alpen ausge führt. Sie überflogen in einer Höhe von 2200 Meter das Gebirge; dann landeten sie in Venedig, um den Bergführer aussteigen zu lassen, den sie für den Fall einer unfreiwilligen Landung im Hochge ¬ birge. mitgenommen hatten. Dann setzten sie die Reise fort und kamen bis Szeplak bei Sarbogard in Ungarn. Trotz der unheimlichen Kälte, die die Luftschiffer auszustehen gehabt hatten, beendeten sie ihre Reise bei bestem Wohlbefinden. Von Szeplak fuhren sie mit der Bahn nach Budapest, um sich dort von der Mühe der Fahrt einige Tage auszu ruhen. Fabriken sowie das ganze Stadtviertel erschienen bedroht, doch gelang es nach mehrstündiger Ar beit, den Brand zu löschen. Zu der Erdbebenkatastrophe in Persien. Dem verheerenden Erdbeben in der persischen Provinz Luristan sind Tausende von Menschen zum Opfer gefallen. Die Bevölke rung der io schwer heimgesuchten Ortschaften lebt vorzugsweise vom Karawanenhandel, der in der letzten Zeit wegen der persisch-türkischen Zerwürfnisse stark zurückging. In der Provinz hielten sich nach der letzten Fühlung insgesamt 20 Europäer auf. Ork und Anfang der ge waltigen Beben war vom Institut für Erd- bebensorschung in Potsdam mit großer Ge nauigkeit festgestellt worden. Aber die überaus schlechten Verbindungen im persischen Reiche haben setz: erst nähere Nachrichten über die grauenvolle Katastrophe nach Europa gelangen lassen. Nach amtlichen Angaben haben 8000 Menschen den Tod gefunden. 60 Ortschaften find zerstört worden. Gerlckwbatte. Berlin. Einer schweren Bestrafung ver fielen die beiden 20- bezw. 21jährigen Ge legenheitsarbeiter Sch. und R., die sich vor dem Landgericht 1 wegen gemeinschaftlichen schweren Diebstahls und wegen Bedrohung zu verant worten hatten. Sie hatten einen Einbruch in einen Kaufladen verübt und den dort schlafenden Lehrling mit dem Tode bedroht, bis er ihnen Waren und Säcke zum Verpacken auslieferte. Das Gericht erkannte gegen Sch.) der von dem andern angestiftet worden war, auf zwei Jahre und sechs Monate Gefängnis und gegen R. auf fünf Jahre und drei Monate Zuchthaus unter Anrechnung von je zwei Monaten der erlittenen Untersuchungshaft. Augsburg. Die Revision des wegen Unterschlagung von 30 000 Mk. vor dem Divi sionsgericht zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilten Oberzahlmeisters Körber wurde vom OberkriegSgericht nicht nur zurückgewiesen, son dern die Strafe noch dadurch verschärft, daß ein Ehrverlust von fünf Jahren ausgesprochen wurde. König Eduard beim Erdbeben. A Die Ankündigung, daß König Eduard bei seiner bevorstehenden Frühjahrsreise auch die von dem Erdbeben zerstörten Städte Siziliens besuchen will, erweckt die Erinnerung an ein Erdbebenabenteuer, das der König vor etwa fünfzehn Jahren an der Küste des Mittel meeres erlebte und von dem jetzt englische Blätter erzählen. Die Erderschütterungen brachen in der Nacht herein und richteten längs der Küste schwere Verwüstungen an; auch das Hotel, in dem der damalige Prinz von Wales wohnte, wurde von dem Erdbeben betroffen, die Mauern ächzten, das Gebälk zitterte und dröhnte, alle Hunde begannen ein furchtbares Geheul, und auf den Korridoren hörte man die hastenden Schritte der Hotelbewohner, die er schreckt aus ihren Schlafzimmern ins Freie stürzten. Nur den Prinzen von Wales sah niemand. Sein Begleiter, General Sir Stanley Clarke, sprang aus dem Bett, stürzte durch den Rauchsalon und klopfte erregt an die Zimmertür des künftigen Königs von England. Von drinnen tönt eine schlaftrunkene Stimme: „Was ist denn los?" — „Ein Erdbeben, ein Erd beben, kommen Sie schnell!" — „So schicken Sie es doch weg." — „Kommen Sie doch ins Freie, kommen Sie schnell!" — „Ins Freie? Nein, gewiß nicht. Ich liege im Bett, lassen Sie mich in Ruhe." Schwere Besorgnis im Herzen, schließt sich der General den übrigen Flüchtlingen an und eilt hinaus in die Nacht, wo der blaue Himmel mit leuchtenden Sternen sich über den Fluchtbereiten friedlich wölbt. Nach einer Stunde beruhigt man sich, alles eilt ins Hotel zurück, als plötzlich ein neuer starker Erdstoß kommt und die ganze Gesellschaft wieder in den Garten treibt. General Clarke besinnt sich auf seine Pflicht: ihm ist die Sorge für den Thronerben Großbritanniens anvertraut. Was soll er tun? Sein Gewissen läßt ihm keine Ruhe, er hat den Prinzen bei dem zweiten Stoße nicht geweckt — um Gottes willen, wenn ein Unglück geschieht . . . Wieder eilt er zu rück und klopft aufgeregt an die Tür des prinz- lichen Schlafzimmers, das im Parterre eines Anbaues untergebracht ist. Keine Antwort. Ein zweites Klopfen: dieselbe dumpfe Stille. Mit beiden Fäusten trommelt Sir Stanley Clarke jetzt wieder an die Tür, Siebenschläfer müßten davon erwachen, umsonst, die alte grauenvolle Stille. Ein furchtbarer Gedanke durchzuckt den getreuen Begleiter. War der Prinz verschüttet? Mit einer heftigen An strengung sprengt er die Tür und stürzt in das Gemach. Die Vorhänge zum Schlafzimmer sind fest zusammengezogen. Hastig reißt sie Sir Stanley auseinander. AVer in demselben Moment empfindet er am Kopfe einen heftigen Stoß. War es ein Blitzstrahl, ein nieder- fallender Balken, poficrnde Steine? Von dem Schrecken überwältigt, lehnt sich Her General an die Türfüllung. Doch im nächsten Augenblicke tönt aus dem Dunkel eine ruhige vorwurfsvolle Stimme: „Sehen Sie, Clarke, ich hab' den Lärm jetzt satt, wenn Sie sich jetzt nicht bald ruhig verhalten, so greife ich auch zu meinem andern Stiefel ..." Kuntes Allerlei. 60ri Allerlei Wissenswertes. Babylon war die erste Stadt der Welt, die 1000 000 Einwohner zählte. — Die Ver. Staaten produ zieren mehr Mais, als die andren Länder der Erde zusammengenommen. """"""""" — Mit dem Vorrücken der Zeit wurden die Spieler im Setzen matter. Knobelsdorf, von dem Genuß des Cham pagners erhitzt, durch fortwährendes Verlieren leidenschaftlich erregt, rief Herrn von Techi ein ,.Vs '»»naue!" zu. Sämtliche Spieler vereinigten sich mit Herrn von Knobelsdorf und setzten den gleichen Bettag der in der Bank vorhandenen Summe gegen dieselbe. Herr von Techi neigte den Kopf zum Zeichen seines Einverständnisses. Knobelsdorf setzte für sich und seine Gefährten bei diesem letzten Spiel auf das Aß. Der Abzug begann unter lautloser Stille, selbst Frau von Bettini hielt mit ihrem anmutigen Geplauder inne und verfolgte mit den Blicken die Handbewegungen des Bankiers. „Bube verliert, drei gewinnt!" tönte es rubig und gemessen von den Lippen des Bank halters. „Zehn verliert, König gewinnt; drei versiert, neun gewinnt; Aß verliert, Dame gewinnt —" Do sehr Herr von Knobelsdorf auch Kavalier ttwr, konnte er sich doch nicht beherrschen, als das Aß gn^ fiel. Er schlug mit der Hand auf den Tisch „ich stieß einen Fluch aus. Derr von Techi hatte alles, gewonnen. Er legte mtt einer Verbeugung die Karten, die er noch m der Hand Hielt, auf den Tisch. „Zch danke Ihnen, meine Herren," sagte er verbindlich. Rubelnd, „morgen abend bin ich gern erbötig, Ihnen Revanche zu geben!" Frau von Bettin! erhob sich lebhaft. Lachend und scherzend, nach allen Seiten freundlich grüßend, dankte sie für das große Vergnügen, das ihr unverhofft bereitet worden war; sie versicherte wiederholt, daß es ihr eine sehr an genehme Unterhaltung gewesen sei, dem wechseln den Gange des Spiels folgen zu dürfen. „Himmel!" rief sie aus, nachdem fie nach der Uhr gesehen hatte, „schon zehn Minuten vor Mitternacht, was wird meine alte Rosalie sagen" — (Rosalie war der Name von Livias Gesellschafterin) — „daß ich sie so lange allein gelassen habe? Die treue Seele wird nicht gewagt haben, sich zur Rube zu legen: fie er wartet stets meine Heimkehr, wenn ich ohne sie ausgegangen bin, was allerdings selten genug vorkommt!" Sie empfahl sich und wollte das Zimmer verlassen, als Leonhard einen Armleuchter mit zwei brennenden Kerzen ergriff und schnell an sie heranttat. „Erlauben Sie, gnädige Frau," sprach er sie artig an, „daß ich Ihnen bis an Ihre Zimmertür vorleuchte; die Lampen auf den Korridoren möchten schon ausgelöscht sein!" Frau von Bettini stutzte einen Augenblick und antwortete nicht gleich. „Dem Abgesandten des Herrn Baron von Grödenitz," fuhr Leonhard fort, „werden Sie diesen Ritterdienst doch erlauben?" — Sich umwendend, sagte er dann zu Herrn von Knobelsdorf: „Wenn Sie nach Ihrer Equipage schicken, lassen Sie gefälligst auch meinem Kutscher Befehl zukommen, daß er anspannt! Wir wollen zusammen aufbrechen! In fünf Minnien bin ich wieder zurück! Gnädige Frau, wenn es Ihnen gefällig wäre?" „Angenehm!" erwiderte Frau von Bettini und verließ mtt Leonhard das Zimmer. Sie glaubte jetzt seine Begleitung bis an ihre Tür ohne Bedenken annehmen zu können; das Bestellen seines Wagens hob jede etwaige Miß deutung auf. „Ich mache Ihnen mein Komvliment, Madame!" sagte Leonhard, als er aus dem Korridor neben Frau von Bettini herschritt und gewiß war, daß kein unberufener Dritter seine Worte bören konnte, „mein aufrichtiges Kom pliment !" „Wofür, Herr Hartwig?" fragte sie ver wundert. „Halten Sie mich," flüsterte er ihr zu, „wofür Sie wollen, nur für keinen Dummkopf! Herr von Techi ist ein Glücksritter und Sie ge hören ebenfalls zu diesem geheimen Orden!" „Ich verstehe Sie nicht, Herr Hartwig!" „Sie werden mich sehr bald verstehen, meine Gnädige, wenn ich Ihnen sage, daß ich Ihre übrigens sehr geschickt in Szene gesetzte Komödie durchschaut habe. Sie sind die Helfershelferin dieses biederen Obersten Techi, der, heute erst hier anaekommen, soeben mit Ihrer Hilfe eine ganze Schar Gimpel gerupft hat!" „Mein Herr!" Frau van Bettini sprach diese Worte nur leise: sie hielt im Gehen inne und maß Leon hard mit einem vorwurfsvollen Blick. Ohne sich irgendwie außer Fassung bringen zu lasten, fuhr er fort: „Ihr Erscheinen im Spielzimmer war von bewunderungswürdigem Effekt; während aller Blicke auf Sie gerichtet waren, fand der so genannte Herr von Techi Gelegenheit, die ge wöhnlichen Karten mit einem eigens her- gerickteten Spiel zu vertauschen; jedenfalls haben geschickt angebrachte Nadelstiche ihm die Art der Karten durch das Gefühl verraten, denn miß liebige Blätter ließ er mit der Geschicklichkeit eines Taschenspielers mehrmals in seinem Ärmel verschwinden; links fielen nur die Karten, die er links haben wollte!" „Sie wisten gut Bescheid, Herr Hart wig!" erwiderte Frau von Bettini ironisch und setzte ihren Weg wieder fort, „bis auf einen . gewissen Grad bin ich also von Ihrer Diskretion abhängig, aber dies macht mich nicht un ruhig, wollen Sie etwas gegen mich unterneh men, würde ich Ihnen mit gleicher Münze dienen! Ich kenne Ihr Geheimnis zwar nicht, aber ich weiß, daß der Mann, welcher sich Haus hofmeister nennt, dabei seinen Herrn wenig rück sichtsvoll behandelt und selbst bedeutende Sum men im Spiel verschwendet, auch sein Geheim nis haben muß! Wenn es sein müßte, um Ihnen Schach zu bieten, würde ich Ihr Geheim nis ergründen, verlassen Sie sich darauf!" Leonhard erzitterte im Innern über ihre durchdringenden Blicke, aber seine Stimme blieb ruhig, als er erwiderte: „Ein Vergleich zwischen uns beiden würde wohl nicht zu ziehen sein! Ich bin der Diener > eines großen Herrn und große Herren sind auch Menschen und haben ihre Schwächen! Ich herrsche, indem ich die Schwächen meines Ge bieters ausnütze. Da haben Sie mein Ge heimnis !" Ne LS (Fortsetzung iolqt.)
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