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Deutschland und seine Uachharn. Als abschließendes Urieil über den Besuch König Eduards in Berlin kann man in allen englischen Zeitungen lesen, daß das Verhältnis Deutschlands z« feinen Nachbarn in ein neues Licht gerückt sei, nachdem die Monarchen vor aller Welt ihrem Wunsche Aus druck gegeben, daß die Beziehungen zwischen Deutschland und England immer freundschaft licher werden möchten. Deutschland hat seit nahezu 40 Jahren versucht, mit seinen Nachbarn in Frieden, ja in Freundschaft zu leben; aber es ist nicht zu leugnen, daß die diplomatische Arbeit Englands in den letzten Jahren viel da zu beigetragen hat, in Frankreich, Rußland und in den Nordlanden (Schweden, Norwegen und Dänemark) Mißtrauen gegen Deutschland zu säen. Immer wieder wurde in London auf die wachsende deutsche Flotte gezeigt, von der man annehmen müsse, daß sie für den Angriff auf andre Staaten berechnet sei. Und die Mär wurde rings von unsern Nachbarn geglaubt. Auch das englische Volk, das unter seinen beschleunigten Flottenrüstungen seufzt, glaubt sie und bringt diesem Glauben Opfer über Opfer. Immer wieder aber treten einflußreiche Männer mit der Forderung auf, die Flottenrüstungen einzuschränken und zu diesem Zwecke ein Abkommen zwischen Deutsch land und England herbeizuführen. In weiteren Kreisen hatte man geglaubt, daß König Eduards Besuch in Berlin Gelegenheit bieten würde, diese schwerwiegende Frage zu besprechen. Diese Annahme war irrig, wie die über diesen Kunkt im englischen Unterhause abgegebenen Er klärungen des Premierministers Asquith zeigen. Er erwiderte auf eine Anfrage, ob der Regierung Anregungen nichtamtlicher Art, die von Deutsch land ausgehen und die Einschränkung der Flottenrüstungen betreffen, bekannt sind, und ob der Besuch des Königs inDeutsch- land hoffen lasse, daß irgend eine derartige Regelung eingeleitet werde: „Mir sind solche nichtamtlichen Anregungen nicht vor Augen ge kommen; soweit ich unterrichtet bin, hält die deutsche Regierung an den Gesichts punkten fest, die sie uns bekanntgegeben hat, daß nämlich ihr Marine-Programm ihren eigenen Bedürfnissen ge mäß festgesetzt ist und durch das, was wir tun, nicht in geringster Weise beeinflußt werden kann. Sie ist auch der Meinung, daß es natürlich ist, wenn wir diejenigen Schritte tun, die wir zum Schutze unsrer eigenen Interessen für notwendig halten. Daher sind wir in Berlin z« keiner Abmachung gekommen. Ich vertraue aber darauf, daß der Besuch des Königs es klargemacht hat, daß die Flotten ausgaben nicht so aufgefaßt werden dürfen, als ob sie irgendeine Reibung zwischen beiden Ländern in sich schlössen." Auf eine weitere Frage: Sollen wir an nehmen, daß zwischen den Flottenbauprogrammen der beiden Mächte kein Wettstreit besteht, und daß die Flottenstärke der einen nicht davon abhängt, was die andre tut? er widerte Asquith: „Ich wünsche nicht, daß das oder-irgend etwas andres angenommen wird, was ich nicht gesagt habe." Demnach scheinen also die Verhältnisse heute noch dieselben zu sein, wie vor dem Königsbesuch. Mit Zu stimmung des englischen Volkes wird die Re gierung für Fortsetzung der Rüstungen Sorge tragen. Auch im dänischen Folkething» das die Beratung der Verteidigungsvorlagen in Angriff nahm, spielten die Beziehungen zu Deutschland eine große Rolle in der Debatte. Der ehemalige Minister-Präsident Christensen erinnerte daran, daß der Plan einer Neutralitäts-Verteidigung nach dem Kriege 1870,71 entstanden sei und alle Bündnispläne - ersetze. Die Hoffnung auf eine Wieder vereinigung mit den nordschles- wigschen Brüdern sei nicht auf gegeben worden; sie sei jetzt aber nicht auf Kanonen, sondern auf das Vertrauen zum Rechtssinn des deutschen Volkes gegründet. Wenn jemand käme, um Dänemark selbst dies vorteilhafteste Bündnis anzubieten — sagte Christensen — würden wir es abschlagen müssen; wir wünschen gute, freundnachbarlicheBeziehungen zu Deutschland. Alle Redner, mit Ausnahme der sozial demokratischen, die ihren Abrüstungsanirag empfahlen, gaben der S e e b ef e sti gun g Kopenhagens ihre Zustimmung. In wemgen Tagen werden auch die Parlamente Schwedens und Norwegens, sowie die belgische Kammer über Verstärkung der Landesverteidi gung zum Schutze der Neutralität zu beraten haben. Unsre Nachbarn rüsten also alle. Sie treffen Maßnahmen für den Krieg, um den Frieden zu erhalten. Polin? cke Aunäl cbau. Deutschland. * Unter dem Vorsitze Kaiser Wilhelms hat im Berliner Königlichen Schlosse ein Kronrat stattgefunden, der etwa drei Stunden dauerte. * Das kaiserlicheHoflager ist wieder von Berlin nach dem Neuen Palais bei Pots dam übergesiedelt. * Der preußische Hof hat kür den am 17. d. verstorbenen Großfürsten Wladimir Alexandrowitsch von Rußland, den Onkel des Zaren, die Trauer auf zehn Tage, bis einschließlich den 27. d., angelegt. Der Verstorbene war ein überaus tüchtiger Offizier und einer der, eifrigsten Verfechter der Selbst- Her r s ch a ft. * Der Entwürf betr. die Erhebung von S ch i ff ah rt s ab gab en auf den natür lichen Wasserstraßen, der jetzt dem Bundesrat zugegangen ist, will nicht nur im Wege der Reichsgesetzgebung eine Auslegung des Artikels 54 der Reichsverfassung im Sinne der Zulässigkeit einer solchen Abgabenerhebung herbeiführen, sondern will auch die gesetzliche Grundlage schaffen für die in den einzelnen Stromgebieten zu errichtenden Zweckverbände. In diesen sollen die Schiffahrtsinteressenten zusammengefaßt werden, einmal für die Bildung von Strom baukaffen, in die die Abgaben abgeführt werden sollen, um wieder für Schiffahrtszwecke ver wendet zu werden, und dann auch für andre ähnliche Einrichtungen. Allen diesen Organi sationen wird das Recht der Selbstver waltung verliehen. Der Entwurf soll mög lichst bald an den Reichstag gebracht werden. "Über die letzten Ereignisse in Kamerun: den Tod des Leutnants Reuter, die Verwundung des Oberleutnants v. Stephani und die schweren Über- j griffe von Soldaten, sind jetzt ausführ- ! liche Nachrichten im Kolomalamt eingetroffen. ! Danach waren die Unruhen, bei denen Leutnant Reuter den Tod fand, nur örtlicher Natur und haben keinen weiteren Umfang an genommen. Die Ruhe in den betreffenden Ge- hieten ist bereits wiederhergestellt. Die Gefechte, die zur Verwundung des Oberleutnants v. Stephani, des deutschen Kommissars bei der deutsch-englischen Grenzfestlegung, führten, haben ausschließlich auf englischem Gebiete stattgefunden. Die Eingeborenen auf der deutschen Seite der Grenze haben die Ex pedition in jeder Weise unterstützt. Herr von Stephani ist bereits wieder vollständig herge stellt und leitet die Arbeiten der Grenzkom mission weiter. Die Übergriffe der Sol daten, übrigens Angehörige der Polizei, nicht der Schutztruppe, waren nur auf ein kleines Gebiet beschränkt und haben nur eine lokale Erregung hervorgerufen, die keine Weiterungen veranlaßte und zu dem Tode des Leutnants Reuter in keinen Beziehungen stand. England. * Verschiedene Blätter berichten, König Eduard werde im Laufe des Frühjahrs eine ittelmeerfahrt unternehmen, die Trümmerstätten von Messina besuchen und dann in Neapel mit dem König Viktor Emanuel zusammentreffen. Demgegenüber wird aus London halbamtlich gemeldet, daß der König sich vorläufig nur wie alljährlich für kurze Zeit nach Biarritz begeben werde. Balkanstaaten. * Die Einigung zwischen Österreich- Ungarn und der Türkei ist nunmehr end gültig zustande gekommen. Der türkische Ministerrat hat auf Antrag des neuen Groß wesirs Hilmi Pascha dem Abkommen mit Osterreich-Ungarn zugestimmt. Zugleich hat Hilmi Pascha strenge Befehle zum Schutze der Ausschiffung der Postpakete in Beirut, Jaffa und andern Orten gegeben. Etwaigen Ausschreitungen solle mit Waffen gewalt entgegengetreten werden. Damit wird auch der Handelssperre gegen Österreich ein Ende bereitet. Ist damit für den Frieden auf dem Balkan schon ein gewichtiger Schritt getan, so hat die Türkei noch einen weiteren Beweis ihrer Friedensliebe dadurch gegeben, daß sie sich entschlossen hat, die mehrfach unterbrochenen Verhandlungen mit Bulgarien wieder auf zunehmen und unbedingt zu einem Abschluß zu bringen. Hierbei wird Rußland Dermittler- dienste leisten. Zugleich aber wird der Vertreter des Zarenreiches in Serbien zugunsten eines Abkommens mit Österreich wirken. Gegen wärtig ist zwar das Verhältnis zwischen Öster reich und Serbien noch sehr gespannt, aber es darf als sicher angenommen werden, daß Ruß lands Vermittelung auch hier eine Lösung der Krise herbeiführen wird. Amerika. * Der Senat der Wer. Staaten hat beschlossen, es künftig in das Ermessen des Präsidenten zu stellen, ob er die Flotte teilen, d. h. ein Geschwader im Atlantischen und eins im Stillen Ozean ballen will. Bis her war gesetzmäßig die Flotte im Atlantischen Ozean stationiert. Hus äem Aeickstage. Der Reichstag setzte am Donnerstag die erste Beratung der Novelle zum Bankgesetz fory Abg. Kaempi (frs. Bp.) begrüßte die Vorlage als ein gutes Gesetz. Unsre Goldwährung habe die Feuer probe bestanden; selbst wenn ein .Krieg ausbräche, könnte ihr das nichts schaden. Präsident der Reichs bank Havenstein gab seiner Genugtuung Aus druck über dis Aufnahme, die die Vorlage gefunden habe. Abg. Frank-Mannheim (soz.) sprach sich gegen eine Verstaatlichung der Neichsbank aus. Hin gegen war Abg. Raab (wirtsch. Vgg.s für Ver- ! staattichung. Abg. Mommsen (frs. Vgg.) erklärte, ! eine Verstaatlichung der Reichsbank werde niemals kommen. Solange die Reichsbank nicht selbst erkläre, I sie brauche eine Erhöhung ihres Grundkapitals, sei. eine solche Maßnahme auch nicht erforderlich. Abg. i v. Dziembowski- Pomian (Pole) meinte, eine > reine Reichsbank würde den Vorzug haben, daß nicht ! ! mehr allgemeine Interessen mit denen der Anteils- i eigner Zusammenstößen. Abg. Frhr. v. Gamp (freik.) § bemerkte, die Reichsbank habe auch die Aufgabe, Kredit- j § bedürfnisse zu befriedigen, und deshalb bedürfe sie einer Stärkung ihrer Mittel. Nachdem sich noch Abg. Werner lRfp.) für die Vorlage ausge sprochen, wurde dieselbe an eine Kommission ver wiesen. Ani 19. d. steht auf der Tagesordnung die Weiterberatung des sozialdemokratischen Antrages betr. Regelung des Vertragsverhält nisses, zwischen ländlichen Arbeitern sowie Gesinde und ihren Arbeit gebern. Abg. A r e n b t-Labiau (kons.) tritt dem Antrags entgegen, der im wesentlichen doch nur bezwecke, Unzufriedenheit zu säen. Nicht die schlechte Lage der Lage der Landarbeiter sei Ursache der Landflucht, sondern vielmehr die Vergnügungssucht der Ab wandernden. Daß die Arbeiter schlecht behandelt würden, sei unzutreffend. Seine Arbeiter seien seine Freunde und er der ihre. Der Redner ist im Zu sammenhänge außerordentlich schwer zu verstehen, namentlich auch, weil die vor der Tribüne dicht zu sammengescharten Konservativen seine Ausführungen unablässig mit Beifalls- und Heiterkeitssalven be gleiten. Der Präsident Graf Stolberg vermag daran nichts zu ändern, obwohl er wiederholt, durch heftiges Schütteln der Glocke vorübergehend Stille erzwingend, um mehr Ruhe bittet, da selbst er den dicht vor ihm stehenden Redner nicht verstehen könne. Zum Schluß schildert Redner noch unter er neuten Beifallsausbrüchcn seiner Parteifreunde, wie bei der letzten Reichstagswahl die sozialdemokratischen Agitatoren sich in seinem Wahlkreise vergeblich be müht hätten, und wie ihnen auf seinem eigenen Guts von seinen Arbeitern gesagt worden sei: wir wissen, was wir an unsrem Gutsherrn haben; macht daß ihr wegkommt! Abg. Zubeil (soz.): Den ländlichen Arbeitern verweigert man die einfachsten Menschenrechte. In den Kontrakten steht immer nur was von Rechten der Arbeitgeber, aber nichts von denen der Arbeiter. Diese haben also nicht nur das Recht, sondern geradezu die Pflicht, solche gegen die guten Sitten verstoßenden Kontrakte zu brechen. Wir verhetzen dieLandarbeiter nicht. Andre Leute gebrauchen noch viel schärfere Worte über das Elend auf dem L-ndc. Denken Sie nur an den Prinzen Ludwig von Bayern und an die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft. Abg. Bindewald (Rcfp.): Herr Zubeil sollte doch über ländliche Arbeitcrverhältnisse nicht reden, er hat ja kein Verständnis dafür. Der Landarbeiter schämt sich nicht, Knecht zu sein; auch nicht auf dem Gute seines Bruders. AuS dem sozialdemokratischen Anträge spricht nur der Haß gegen die seßhafte Be völkerung. Jeden Großgrundbesitzer will man zum Verbrecher stempeln. Ich glaube nicht, daß es besser bei uns werden würde, wenn der Zehngebole-Hoff- mann Kultusminister und Herr Zubeil Landwirt schaftsminister werden würde. Abg. Werner (dtsch. Refp.): Das Schimpfen des Herrn Zubeil macht uns keine Sorge. Hunde, die viel bellen, beißen nicht. Woher kennt denn Herr Zubeil die Landwirtschaft? Hat er sie vielleicht in seiner Budike kennen gelernt. Abg. Zubeil (soz.): Woher kennt denn Herr Werner die Landwirtschaft? Nach dem parlamen tarischen Handbuch war er ja Kaufmann. Wenn ich solche Gäste gehabt hätte, wie Herrn Werner, wäre ich gewiß jetzt noch Gastwirt in Berlin. Abg. Stadthagen (soz.) nimmt, mit stürmi schen Huhu-Rufen begrüßt, das Schlußwort: Diese Brülltönc passen ja zu dem landwirtschaftlichen Thema. Der Redner sucht statistisch nachzuwcisen, daß die Löhne auf dem Lande durchaus ungenügend seien. — Damit schließt die Diskussion. Es folgen noch persönliche Bemerkungen. 'Abg! Werner bemerkt: Herr Zubeil hat mich gröblich beleidigt. Ich verstehe nicht, daß ihn der Präsident nicht zur Ordnung gerufen hat. Das ist recht sonderbar. Vizepräsident Kaempf: Ich verbitte mir diese Kritik und rufe Sie zur Ordnung. Abg. Werner: Das schadet nichts. Vizepräsident Kaempf: Für diese Antwort rufe ich Sie zum zweiten Male zur Ordnung. Die Abstimmung über den sozialdemokratischen Antrag auf Verweisung des Antrages an eine Kommission ist namentlich. Diese ergibt Annahme oes Überweisungsantrages mit 209 gegen 106 Stimmen. Es folgt die Beratung eines von den Abgg. Brandys und Gen. (Polen) beantragten Gesetz entwurfs betr. die Freiheit des Grund- cigentumerwerbs. Abg. v. Dziembowski-Pomian (Pole) empfiehlt den Gesetzentwurf, der ausspricht, daß „keinem Rcichsangshörigcn mit Rücksicht auf das Glaubensbekenntnis, die politische Gesinnung, oder die Nationalität Beschränkungen irgend welcher Art bei dem Erwerb oder der Veräußerung von Grund eigentum oder der Errichtung von Wohnstätten aus erlegt werden dürfen. Alle cntgcgenstehenden landsS- gesetzlichen' Bestimmungen seien aufgehoben". Die Veranlassung zu dem Anträge sei das bekannte legislative Vorgehen gegen die Polen in Preußen. Selbst die ortsbehördliche Bescheinigung der „Königstreue" helfe einem Polen nicht über den „Erbfehler" hinweg und gewährleiste ihm nicht die Ansiedlungs-Genehmigung bezw. die Erlaubnis, auf seinem eigenen Grund und Boden zu bauen. Abg. Graf Praschma (Ztr.): Wir stehen, wie schon 1886 unser verewigter Führer Huene sagte, allen diesen Ansiedlungsgesetzcn gegenüber auf dem Standpunkte des Rechts, der Gerechtigkeit und der allgemeinen Wohlfahrt. Das Eigentumsrecht, das unverletzlich sein sollte, wird von der preußischen Ansiedlungs - Gesetzgebung schwer verletzt. Die Eigentums-Beschränkungen erfolgen nicht aus unter Umständen berechtigten sachlichen politischen Gründen. Schon unsre christlichen Grundsätze verbieten uns, ein solches Vorgehen zu billigen. Abg. Stadthagen (soz.) legt ausführlich dar, es sei ganz unzweifelhaft, daß die ganze Ansiedlungs gesetzgebung in Preußen, insoweit sie Eigentums- Beschränkungen zum Ziel gehabt habe, gegen das Reichsrecht verstoße. Der vorliegende Antrag habe daher volle Berechtigung. Abg. Goth ein (frs. Bgg.): Es ist schlimm, daß ein solcher Antrag überhaupt nötig ist. Die Ansiedlungsgesetzgebung verschärft die Gegensätze im Osten. Das Haus vertagt sich bis Mittwoch. K Nemesis. 29! Kriminalroman von E. Görbitz. ^o'-tlehungZ Aller Blicke verschlangen die schöne Fran, die mit feder Minnie ihre Bewunderer mehr blendete. Auch Leonhards Blicke hafteten aut Frau von Betfini, wenn auch mit etwas gemischten Empfindungen. — Es war ja überhaupt anders in dieser Gesellschaft, also mufften seine An sichten auch abweichend von denen der andern fein. Seiner scharfen Beobachtung, seinen ge heimen Kombinationen entging nichts; er sah mehr, er sah weiter als seine Spiel- genossen. „Ich wollte," fuhr Frau von Bettini fort, „da es nach meinen Gewohnheiten mir zur Nachtruhe noch zu früh war, das Lesekabinett auffuchen, um die neuangekommenen Zeitungen und Journale durchzusehen und ich bin in ein falsches Zimmer geraten; verzeihen Sie mir diese unfreiwillige Störung, meine Herren!" „Eine Störung," versetzte Herr von.Knobels dorf galant, „die uns nur erwünscht gekommen sein kann, da sie uns Gelegenheit gibt, der schönsten und verebrungswürdigsten Dame der Badegesellschaft um sm Respekt zu versichern und uns um die Gunst bitten läßt, ihr unsre Namen nennen zu dürfen." Ohne die Erlaubnis dazu abzuwarten, stellte sich Herr von Knobelsdorf mit einer tiefen Ver beugung Livia vor. 'Sämtliche Herren folgten seinem Beispiel, in dem ne vor Frau von Betfini ebenfalls ihre Namen nannten. Frau von Bettini hatte für jeden ein freundliches Lächeln, einen magnetisch wirkenden Blick. „Da nun ein für uns so glücklicher Irrtum gewaltet hat. werden Sie, gnädige Frau, uns auch die Ehre Ihrer Gegenwart lassen, Ihre Nähe wird mir Glück bringen. Als kleines äußeres Zeichen meiner unbegrenzten Verehnmg für Sie hundert Mark auf die Dame! Die Dame wird ihrem Neuesten Ritter sicher Glück bringen!" Bei diesen Worten schob Herr von Knobels dorf einen Hundertmarkschein auf die im Tempel liegende Herzdame. Frau von Betfini hatte sich gleich am Anfang seiner Rede vom Sessel erhoben. „Unmöglich," sagte sie, „kann ich länger hier verweilen, selbst wenn das Zusehen des Svieles mir Unterhaltung gewährte; das würde für eine Dame wenig paffend sein!" Knobelsdorf wiederholte seine Bitte. „Einige Minuten," wandte sich jetzt auch Herr von Techi an Livia, indem er die Karten zu einem neuen Abzug mischte, „wird die Gnädige uns schon von ihrer kostbaren Zeit schenken, wäre es auch nur, um zu erfahren, für wen von uns sie glückbringend sein wird! " „Aber bedenken Sie, meine Herren, daß ich eine alleinstehende Witwe bin." sprach Frau von Bettini, noch immer zögernd, „was würden die bösen Lästerzungen in einem so kleinen Badeorte wie dieser lagen, wenn es morgen be kannt würde, daß ich als einzige Dame einer s Spielpartie beigewohnt hätte? Wir sind hier nicht in der weltstädtischen Residenz; dort, wo das Einzelne im Ganzen verschwindet, würde ich wahrscheinlich diese Bedenklichkeiten nicht empfinden." Das war ein halbes Zugeständnis. „Dafür herrscht hier Badefreiheit, gnädige Frau!" meines Herr von .Knobelsdorf, während Herr von Techi wieder und immer wieder seine Karten msschte und den Entschluß Livias ab wartete, ob sie bleiben oder das Spielzimmer verlassen würde. Leonhard war ein stummer Zuhörer ge blieben; nur er allein hatte an Frau von Bettini keine Bitte, die sie zum Bleiben veran lassen sollte, gerichtet. Er beobachtete fort während das gleiche Schweigen, aber nicht die gleiche Untätigkeit. Bis jetzt hatte er nur mit einigen Goldstücken gespielt, nun zog er seine Brieftasche hervor und entnahm derselben die tausend Mark, die er vor seiner Abfahrt nach W. von Robert empfangen hatte. Es waren zehn einzelne Hundertmarkscheine, die er vor sich aus den Tisch legte. „Sie erlauben, gnädige Frau, daß ich meinen Platz wieder einnehme!" Nach diesen zu Livia gesprochenen Worten, aus die sie ein zustimmendes Kopfnicken hatte, setzte sich Leonhard auf den schon vorher inne gehabten Sessel. Livia schien plötzlich ihren Entschluß gefaßt zu haben. „Sie haben recht," lächelte sie Herrn von Knobelsdorf zu, „dem Urteil der Welt kann j niemand entgehen und stände er so hoch und frei wie die Sonne am Himmel. Und wem wäre ich Rechenschaft schuldig? Niemand! Es macht mir Vergnügen, Ihre Einladung anzu nehmen, ich bleibe!" Die Gläser der Herren klangen als jubelnder Willkommensgrnff für Frau von Bettini zu sammen. Herr von Knobelsdorf zog die Glocke. Der Kellner erschien. „Noch ein Glas! Dann frische Flaschen." Der dienstbare Geist verschwand, um nach wenigen Minuten mit dem Befohlenen zurück zukehren. Herr von Knobelsdorf kredenzte das erste Glas voll perlenden Schaumweins der schönen Frau, die sich auf einen Sessel, dem bank haltenden Herrn von Techi gerade gegenüber, niedergelassen hatte. Das Spiel nahm seinen Fortgang. Frau von Bettini war zur Teilnahme daran nicht zu bewegen; scherzend, plaudernd, neckte sie bald den Bankier, bald die Spielenden, die, bei aller Aufmerksamkeit auf ihr Spiel, der reizenden Frau die Antwort nicht schuldig bleiben konnten. Sie hatte in ungezwungener, aber doch äußerst graziöser Weise ihre beiden Ellbogen auf den Tisch gestützt und die Hände leicht gefaltet. Es war erklärlich, daß die Spieler den Karten jetzt nicht mehr ihre ungeteilte Aufmerk samkeit widmeten. Seit Livias Anwesenheit hatte sich der Charakter des Spiels durchaus geändert. Vorher hatten sich Gewinn und Verlust im allgemeinen ausaeglichen, jetzt gewann der Bank halter unaufhörlich.